Protokoll der Sitzung vom 11.03.2020

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 113. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Binder, Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Halder, Herr Abg. Maier, Frau Abg. Niemann, Herr Abg. Palka, Herr Abg. Räpple, Herr Abg. Schoch, Herr Abg. Weber und Frau Abg. Zimmer.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Oje!)

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt hat sich ab 14:30 Uhr Frau Ministerin Dr. Eisenmann.

Außerdem ist Frau Staatsrätin Gisela Erler ganztägig entschul digt.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, möchte ich auf ein Ereignis in der letzten Sitzung zu rückkommen.

(Unruhe – Zurufe: Pst!)

Herr Abg. Dr. Fiechtner, Sie haben während der Debatte zum damaligen Tagesordnungspunkt 3 gegenüber der Abgeordne ten Lindlohr geäußert, sie rede hier wie Joseph Goebbels. Au ßerdem riefen Sie: „Julius Streicher wäre froh über Sie!“

Ihre Zwischenrufe konnten von Frau Kollegin Kurtz wegen des hohen Lärmpegels im Plenarsaal nicht wahrgenommen werden und mussten im Protokoll nachgelesen werden.

Ihre Vergleiche mit zwei der schlimmsten Hetzer des NS-Re gimes waren eine erhebliche Herabwürdigung der Kollegin Lindlohr und nicht mehr mit der Ordnung im Parlament ver einbar. Ich erteile Ihnen deshalb hiermit nachträglich einen Ordnungsruf.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Vielen Dank! Vielen herzlichen Dank!)

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Große Anfrage der Fraktion GRÜNE und Antwort der Landesregierung – Plastik in der Umwelt – Ursachen, Fol gen und Möglichkeiten zur Eindämmung in Baden-Würt temberg – Drucksache 16/4575

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Ausspra che eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion und für das Schlusswort der die Große Anfrage stellenden Fraktion eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten festgelegt.

Das Wort für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Abg. Wal ter.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Partei isch bis dort hinaus!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute vor neun Jahren kam es aufgrund eines Tsunamis zu einer Reaktorkatastrophe im Atom kraftwerk Fukushima in Japan. Ich möchte deswegen meine Rede mit der Erinnerung an dieses Unglück beginnen und meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass es uns ge lungen ist, seither in Deutschland mehr und mehr aus der Atomkraft auszusteigen.

(Abg. Anton Baron AfD: Und sie aus Frankreich zu importieren!)

Bald wird auch in Baden-Württemberg das letzte Atomkraft werk abgeschaltet sein.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Wenn dann noch im Juni Fessenheim folgt, dann wird das Le ben in Baden-Württemberg wieder sicherer werden.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Das ist natürlich das Positive an diesem schrecklichen Ereig nis.

(Abg. Dr. Heiner Merz AfD: Wir hoffen, dass in Ba den-Württemberg kein Tsunami kommt!)

Meine Damen und Herren, unsere moderne Gesellschaft ist ohne langlebige Kunststoffe nicht mehr denkbar. Denken Sie nur an die vielfältigen Möglichkeiten in der Medizin, im ITBereich oder auch im Fahrzeugbau.

Doch damit sind wir schon bei einem wesentlichen Problem. Zum Vergleich: Von den 2015 weltweit verbrauchten 400 Mil lionen t Kunststoffe – 1950 waren es übrigens noch 2 Millio nen t – entfielen nur 27 Millionen t auf den Automobilbau, aber 146 Millionen t auf Verpackungen, davon allein 18,7 Mil lionen t in Deutschland. Das macht jährlich fast 230 kg pro Einwohner in Deutschland. Das Schlimme daran ist: Diese Verpackung wird in der Regel nur einmal benutzt und ist oft schon nach wenigen Minuten Benutzung Müll. Die Hälfte die ser Kunststoffe insgesamt hat nur eine Lebensdauer von höchs tens vier Jahren. Sie wissen, die Tendenz ist steigend: Online shopping, das Essen zum Mitnehmen.

Hier zeigt sich, meine Damen und Herren, der gedankenlose Umgang unserer Gesellschaft mit Ressourcen und mit unse

rer Umwelt. Die um die Welt gehenden Bilder von riesigen Plastikfeldern in Weltmeeren sind ein Indikator für falsches Denken, für falsches Handeln und falsches Wirtschaften.

(Zuruf des Abg. Klaus Dürr AfD)

Diese Mentalität, meine Damen und Herren, müssen wir über winden. Dies fängt beim Verzicht auf Plastiktüten an; aber es muss beispielsweise auch wieder möglich sein, Elektrogerä te zu reparieren und sie nicht schon beim ersten kleinen Feh ler wegzuwerfen und auszutauschen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Leider aber lügen wir uns, was das Recycling anbelangt, ziem lich in die Tasche. Wir in Deutschland sind zwar die Weltmeis ter im Einsammeln, aber wenn es um das Recycling geht, sind wir bestenfalls Kreisliga.

(Abg. Anton Baron AfD: Ja, und warum ist das so?)

Nur die Hälfte von dem, was eingesammelt wird, wird recy celt, meine Damen und Herren. Allerdings: Zu dieser Hälfte gehört auch der Export – früher nach China, heute hauptsäch lich nach Malaysia oder nach Rumänien. Auch das Verbren nen in Müllverbrennungsanlagen oder die Nutzung als Ersatz brennstoff in Zementwerken gilt als Recycling.

Unter dem Strich werden tatsächlich weniger als 10 % der ein gesammelten Kunststoffbehälter und Kunststoffbecher so re cycelt, dass aus ihnen wieder ein gleichwertiges Produkt ent steht. Da müssen wir dringend nachlegen,

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

vor allem auch deswegen, weil unsere Müllverbrennungsan lagen alle fast zu 100 % ausgelastet sind. Daher müssen wir für einen Teil des Mülls, der dort bisher verbrannt wird, an dere Wege suchen.

Die 50-%-Quote, die in der Öffentlichkeit immer genannt wird, ist also eine Schummelquote. Wir müssen deswegen kri tisch darüber nachdenken, welche Materialien wir einsetzen und wie wir mit dem Müll zukünftig umgehen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat im letzten Jahr dem Chef der Firma Frosch den Deutschen Umweltpreis ver liehen. Der Grund: Dieser setzt konsequent darauf, seine Fla schen nur aus recyceltem Kunststoff zu produzieren. Das ist ein wichtiger Schritt.

Dieses Beispiel sollte Schule machen, und dazu muss natür lich auch die Politik die Rahmenbedingungen setzen. Kunst stoffe müssen besser gekennzeichnet werden, und am besten sollten sie sortenrein sein. Dadurch wäre eine Wiederverwer tung wesentlich leichter.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir können uns freuen, dass es auch in Baden-Württemberg – in Ölbronn – eine hochwertige, moderne und effiziente Re cyclinganlage gibt. Diese wird noch effizienter arbeiten, wenn

sie die entsprechenden Rahmenbedingungen hat. Dann wird sie aus ihrem Recycling sortenreinen Kunststoff als Endpro dukt weitergeben können. Wir müssen den Betreibern die Chance geben, alle technisch vorhandenen Möglichkeiten aus zuschöpfen.

Ich will noch ein Beispiel geben, woran man sieht, dass Deutsch land im Recycling längst den Anschluss an andere Länder ver loren hat. Wir hatten etwa im Umweltausschuss die Debatten über Kunstrasen. Wir wollten das Mikroplastik verbannen. Mittlerweile hat sich auch in den Debatten mit Herstellern ge zeigt: In anderen Ländern, beispielsweise in den Niederlan den, werden Anlagen mit Recyclingmöglichkeit gebaut, weil dort eben nur Kunstrasen gefördert wird, der auch recycelt werden kann. Wir müssen in der nächsten Legislaturperiode dahin kommen, künftig nur noch solche Kunstrasen zu för dern.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Ein weiterer Erfolg, den die Landesregierung hier erzielt hat, war, dass immer mehr Sportvereine in ihren Hallen, in ihren Stadien auf Mehrweg statt auf Einweg setzen. Wie wichtig das ist, verdeutlicht eine Zahl: Noch 2018 wurden in den Sta dien der Fußballvereine, die in der Bundesliga spielen, 80 Mil lionen Einweggebinde verbraucht. Das darf nicht der Weg sein, den wir beschreiten wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD)

In Baden-Württemberg sollten wir in allen öffentlichen Ein richtungen und ihren Kantinen zukünftig dem Beispiel des Flughafens von San Francisco folgen: kein Wasser und keine Getränke mehr in Einwegplastikflaschen. Das ist eine Initia tive, die wir sehr begrüßen, genauso wie die kommunale Ver packungsabgabe, die OB Palmer in Tübingen erlassen hat. Wir sind der Meinung: Das ist ein gutes Vorbild für alle Kommu nen – zumindest für die größeren.

Bisher ist es so: Die Kommunen sorgen für die Abfallentsor gung, und die Allgemeinheit bezahlt diese, während die, die letztlich für das Müllaufkommen sorgen, mit dem Problem nichts zu tun haben. Das muss sich ändern. Hier muss das Ver ursacherprinzip strikt angewandt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)