Protokoll der Sitzung vom 11.03.2020

Bereits im Jahr 2013 hatte die FDP/DVP-Fraktion als Ausweg aus dem grün-roten G-8/G-9-Schlamassel eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 zu gleichen Bedingungen vorgeschla gen. Diesen Vorschlag erneuern wir heute. Demnach sollen alle Gymnasien eine auskömmliche Personalausstattung auf Basis einer einheitlichen Stundentafel erhalten. Gleichzeitig bekommen sie die Möglichkeit, die Wochenstunden der Stun dentafel auf acht oder auf neun Jahre zu verteilen. Den mit zwölf zusätzlichen Lehrerwochenstunden pro Klassenzug pri vilegierten G-9-Schulversuch wollen wir auslaufen lassen.

Neben einem Schnellläuferweg zum Abitur in acht Jahren können die Gymnasien somit auch einen neunjährigen Bil dungsgang anbieten. Dieser kommt vor allem denjenigen Schülerinnen und Schülern zugute, die sich intensiv ihren Ta lenten und ihren Interessen in Musik und Sport, den Kirchen oder dem Ehrenamt widmen wollen.

Darüber hinaus sollen die Gymnasien die Möglichkeit erhal ten, offene und gebundene Ganztagsschulen zu werden. Eine einseitige Rückkehr zu G 9 ohne eine G-8-Alternative lehnen wir ab.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Raimund Haser CDU)

Nachdem sich die Schulen in zum Teil schwierigen Prozessen auf G 8 eingestellt haben, würde das nur eine weitere Schul strukturumwälzung bedeuten. Vielmehr wollen wir eine an dere bewährte neunjährige Wahlalternative erhalten und stär ken, nämlich die beruflichen Gymnasien. Die beruflichen Gymnasien gilt es so auszubauen, dass jeder Bewerber mit den entsprechenden Voraussetzungen einen Platz erhält, wenn möglich in der gewünschten Fachrichtung und in dem ge wünschten Profil.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Vorschläge zu G 8 und G 9 sind ein vorwärtsgewandter, ein mutiger Weg, mit dem diese offene Baustelle langfristig befriedet werden kann. Die FDP/DVP fordert die Landesregierung deshalb auf, ihre unsägliche Blockadepolitik im Bildungsbereich zu beenden. Wir Freien Demokraten erneuern unser Angebot, über einen Kraftakt für erstklassige Bildung in Baden-Württemberg zu diskutieren;

(Zuruf von der SPD: „Kraftakt“!)

einen konkreten Vorschlag hierfür haben wir bereits vorge legt. Denn nur so schaffen wir es, wieder einen Spitzenplatz unseres Bildungssystems unter den Bundesländern zu errei chen.

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort für die Landesregie rung erteile ich Herrn Staatssekretär Schebesta.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst ein mal vielen Dank für die Ablehnung – die von uns geteilt wird – des vorliegenden Gesetzentwurfs der Fraktion der AfD durch die vier anderen Fraktionen in diesem Haus.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Da es um einen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion geht, möch te ich gern zuerst auf Sie eingehen, Herr Dr. Balzer. Auch wenn es wichtig ist, dass wir interessant am Redepult spre chen: Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, davon zu sprechen – auch wenn es in Anführungszeichen gesagt worden ist –, dass es Schüler gebe, die gern früher und schneller mit der „blö den Schule“ fertig werden wollten.

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Genau! – Abg. Anton Baron AfD: Das gibt es! Das gibt es auch!)

Wenigstens wir Bildungspolitiker sollten untereinander darin einig sein, dass es auch darauf ankommt, wie wir Schule ins gesamt darstellen.

(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen und der SPD sowie des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Das Zweite: Bildungsplandiskussionen werden zu einem gu ten Teil fachlich geführt.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Genau! – Abg. Daniel Rottmann AfD: Außer von der SPD!)

Ich weiß jetzt nicht, ob Ihre fachliche Einschätzung zu jenen, die am Bildungsplan 2016 zum Fach Geschichte gearbeitet haben, fachlich so geteilt wird von denjenigen, die eine Ah nung davon haben.

(Abg. Andreas Stoch SPD: So ist es!)

Deshalb muss man immer aufpassen, wenn man meint, allein politisch über fachliche Fragen eines Bildungsplans entschei den zu können.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Das ist das Zweite, was ich in jedem Fall gern voranstellen will.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Frau Kollegin Boser hat schon darauf hingewiesen: Das, was Sie im Titel Ihres Gesetzentwurfs ankündigen, nämlich die Einführung – also die Wiedereinführung – des neunjährigen Gymnasiums in Gänze, wurde in der Anhörung sehr weitge hend abgelehnt. Daran, was Sie vorhin am Rednerpult gesagt haben, merkt man auch, dass Sie selbst wissen, dass das nicht die Überschrift ist, mit der Sie ankommen können.

Deshalb sagen Sie jetzt, Sie möchten den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, selbst darüber zu entscheiden und ein Jahr zu verkürzen. Es ist schon darauf hingewiesen worden: Das mag funktionieren, aber nicht auf dem Weg, den Sie vor sehen mit Förderangeboten über mehrere Schuljahre, womit Sie glauben, den Unterrichtsinhalt von Klasse 11 schon ir gendwie in den Klassen 9 und 10 zu vermitteln, wobei die ent sprechenden Grundlagen des Fachunterrichts in den jeweili gen Fächern noch gar nicht bis Ende der Klassenstufe 10 zu grunde gelegt wären. Auf diesem Weg schaffen Sie es jeden falls nicht, so etwas zu ermöglichen.

An dieser Stelle wird sehr deutlich, dass die Krux, die es in dieser Frage gibt, nämlich unterschiedliche Wünsche und Vor stellungen unter einen Hut zu bekommen, auch für Sie nicht mit der einfachen Aussage „Neunjähriges Gymnasium ist un ter dem Strich das Einzige“ zu beantworten ist.

Natürlich müssen wir uns um die Frage kümmern, ob Schü lerinnen und Schüler im achtjährigen Gymnasium durch die verkürzte Schulzeit, durch eine dichtere Stundentafel tatsäch lich mehr belastet sind. Die Untersuchungen sind angespro chen worden, die darauf hinweisen, dass es in den Schulno ten und den Kompetenzen keinen Unterschied gibt. Sie haben das angezweifelt und gesagt: „Die Abiturnoten werden halt besser.“

Es gibt aber nicht nur den Blick auf die Abiturnote, sondern auch den Blick auf Kompetenzen. In beiden Bereichen gibt es die durch fachliche Studien hinterlegte Einschätzung, dass kein Unterschied in den Noten und in diesen Kompetenzen besteht. In Baden-Württemberg ist das sehr leicht nachzuvoll ziehen, weil wir den doppelten Abiturjahrgang 2012 gehabt haben, wo achtjährige und neunjährige Gymnasiasten dassel be Abitur geschrieben haben, wo man nicht sagen kann: „In dem einen Jahr war es einfacher als in dem anderen“, sondern das war dasselbe Abitur, und in diesem Abitur gab es auch kei ne Unterschiede.

(Abg. Anton Baron AfD: Die Noten werden immer schlechter!)

Natürlich müssen wir darauf achten, ob Schülerinnen und Schüler durch die engere Zeittaktung hinsichtlich dessen, was wir ihnen in der ganzheitlichen Bildung auch ermöglichen wollen, nämlich Angebote der Persönlichkeitsentwicklung au ßerhalb der Schule wahrzunehmen, eingeschränkt sind.

Auch dazu gibt es Studien. Auch wenn unser Bauchgefühl sagt: „Vereine haben es schwerer, als es früher der Fall war, junge Leute zu ihren Angeboten zu bringen“, dann liegt das nicht an der Verkürzung der Schulzeit oder einer dichteren Stundentafel. Vielleicht sollten wir alle im Interesse dessen, was für die Persönlichkeitsentwicklung für die jungen Men schen dahintersteckt, uns dann um Dinge kümmern, die dafür eine Rolle spielen, die Vereinsarbeit weiter stärken, und nicht nur davon sprechen, dass das Einzige, was dort Auswirkun gen haben kann, die Frage der Schulzeit ist. Das wäre uns ein wichtiges Anliegen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Wir haben auf der Strecke des achtjährigen Gymnasiums mehrfach reagiert bei den Fragen, die sich um Pflichtstunden zahlen bis zum Abitur drehen, die sich um Nachmittagsunter richt in der Unter- und Mittelstufe drehen, und mit dem, was durch Poolstunden an den Gymnasien an Hilfestellung gege ben worden ist.

Das wirkt sich auch in der Beliebtheit der Gymnasien in Ba den-Württemberg nach wie vor aus, denn für die Frage der Bewertung des achtjährigen Gymnasiums sollte man vielleicht auch einen Blick darauf werfen, dass die Übergangszahlen vor Einführung des achtjährigen Bildungsgangs 2004 mit 36,1 % im Schuljahr 2004/2005 und von 43,3 % im Schuljahr 2019/2020 nicht unbedingt zeigen, dass das Gymnasium als eine Schule angesehen werden würde, in der es nur Druck gibt und in der die Schülerinnen und Schüler nicht auf einen guten Weg, zu welchem Bildungsziel und welchem Bildungsweg danach auch immer, geführt werden.

Wer nach Alternativen zum achtjährigen Gymnasium sucht, hat gerade in Baden-Württemberg genügend Möglichkeiten und Optionen, diese Wege zu finden.

Herr Dr. Kern, über mehr kann man sich immer unterhalten.

(Zuruf des Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP)

Aber eine Ausweitung des Angebots der beruflichen Gymna sien fand in den vergangenen Jahren schon statt. Wir haben in Baden-Württemberg eine Situation, um die uns alle anderen

Bundesländer beneiden, mit einem stark ausgeprägten beruf lichen Bildungssystem und mit stark ausgeprägten beruflichen Gymnasien. Wenn etwa 35 % der letztjährigen Abiturientin nen und Abiturienten einen neunjährigen Weg zur allgemei nen Hochschulreife hinter sich haben, dann ist das eine Zahl, nach der man sich in anderen Bundesländern die Finger leckt. Wie gesagt, über mehr kann man sich immer unterhalten, ins besondere zwischen Regierung und Opposition. Aber die Re gierung hat auch darauf hinzuweisen, was es an tragfähigem Angebot in Baden-Württemberg schon gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Anton Baron AfD: Die letzten Bildungsver gleiche sprechen eine andere Sprache!)

Die Schulstrukturdiskussionen, die auch mit achtjährigem und neunjährigem Gymnasium verbunden sind, sind auch ange sprochen worden. Natürlich geht es in der Bildungspolitik nie ohne solche Diskussionen. Aber Sie, Herr Dr. Kern, haben ge sagt, bei uns heiße es: „Jetzt erst einmal nicht.“ Es ist in den vergangenen Jahren immer verkehrt gewesen, vor allem und zuerst über Schulstruktur zu diskutieren, wenn es um die Qua lität an den Schulen geht. Das haben uns Wissenschaftler schon bei den ersten PISA-Ergebnissen gesagt. Ich finde, wir haben in der Bildungspolitik viel zu lang, viel zu oft und viel zu ausschließlich über Strukturfragen diskutiert.

(Abg. Anton Baron AfD: Das stimmt!)

Davon haben wir in dieser Legislaturperiode Abstand genom men und sehr viel mehr getan als das, was Sie als „entschlos sen“ anmahnen. Wir sind ganz entschlossen die Qualitätsent wicklung der Schulen, das ganze Unterstützungssystem ange gangen und haben für die Aus- und Fortbildung sowie für die Unterstützung der Schulen entschlossen eine völlig neue Struk tur in Baden-Württemberg auf den Weg gebracht.

Für die Gymnasien haben wir die neue Oberstufe. Es gibt das Projekt „Übergang Gymnasium/Hochschule“, die Stärkung der MINT-Fächer. All diese Maßnahmen dienen der Qualität an den Schulen in Baden-Württemberg. Deshalb braucht es diesen Gesetzentwurf der AfD, wie auch die anderen Frakti onen festgestellt haben, nicht.

Ich möchte nur noch eine Bemerkung an den Schluss stellen: Sie wollen in einem Fach in der Stundentafel Stunden strei chen und haben sich in diesen Zeiten, in denen wir alle wis sen, wie wichtig Wertebildung, Werteentwicklung für die Schülerinnen und Schüler sind, ausgerechnet das Fach Reli gion herausgepickt. Das spricht auch deutlich gegen diesen Gesetzentwurf und deutlich gegen Sie. Sie werden sich schon überlegt haben, ob Sie sich wegen einer Stunde ausgerechnet dieses Fach herauspicken. Dass Sie das gemacht haben, zeigt, dass Sie den Religionsunterricht insgesamt angreifen wollen. Wir stehen zum Religionsunterricht und auch zu der Werte bildung, die dahintersteckt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, in der Allgemeinen Aussprache liegen mir keine weiteren Wort meldungen vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 16/5979. Der Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport empfiehlt Ihnen in Ziffer 1 der Beschlussempfehlung Drucksache 16/7715, den Gesetzentwurf Drucksache 16/5979 abzulehnen.