Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, das Erste, was Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens in solch einer schweren Pandemie erwarten, ist, dass die Demokratie sich als handlungsfähig erweist, dass sie alles Mögliche tut, um die Pandemie einzudämmen und Leib und Leben der Menschen zu schützen. Das erwarten die Menschen selbstverständlich erst einmal in einer solchen Situation.
Da wir uns in einer Pandemie befinden, schauen die Leute na türlich auch darauf: Was machen andere Staaten, auch mit an deren Verfassungen? Das ist also ein wichtiger Punkt. Auch da findet so etwas wie Beobachtung und Wettbewerb statt. Die Demokratie kann sich den Eindruck in keiner Weise erlauben, dass sie aufgrund ihrer Verfassung nicht in der Lage wäre, an ders beispielsweise als autoritäre Regierungen, solch eine Pan demie wirksam zu bekämpfen. Das wäre am Ende ein schwe rer Schaden für die Demokratie.
Darum muss sie schnell und entschieden handeln und kann sozusagen nicht Bedenkenträgerei zum Maßstab ihres Han delns machen. Das ist in einer solch schweren Pandemie mei ner Ansicht nach vollkommen ausgeschlossen.
Aber: „Not kennt kein Gebot“; das ist ein altdeutsches Sprich wort, das aus vordemokratischen Zeiten stammt. Auch eine schwere Krise wird in einer Demokratie ausgehend von den Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung gelöst. Das möchte ich hier noch einmal ganz deutlich sagen – und nichts anderes.
Durch Artikel 2 des Grundgesetzes ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert. Dort ist auch das Recht auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit verankert, soweit dies die Rechte anderer nicht verletzt. Dieses Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, verbunden mit der Ein schränkung des Rechts auf Persönlichkeitsentfaltung an der Grenze der Rechte anderer, geht den Einzelrechten des Grund gesetzes nicht umsonst voraus. Dies geht dem wirklich vor aus mit Artikel 1, in dem es heißt:
Das ist kein Zufall. Denn klar ist doch: Wenn ich dieses Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht mehr habe, habe ich auch die anderen Einzelrechte nicht mehr – oder al lenfalls schwer eingeschränkt. Also ist doch für mich klar, dass in einer Pandemie, in einer solchen Krise, dieses Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit – das durch die Pande mie selbst hochgradig gefährdet ist – zunächst einmal den an deren Rechten vorausgeht.
Dies geht also diesen Rechten voraus. Die Balance dieser Rechte zu anderen ist in der Pandemie natürlich, logischer weise eine andere als in normalen Zeiten.
Dies wird auch deutlich an Artikel 11 des Grundgesetzes, der regelt, dass man die Freizügigkeit gerade in einer Pandemie – das Grundgesetz spricht von Seuche – logischerweise ein schränken kann, weil man eine solche Pandemie, das Infekti onsrisiko durch ein hoch ansteckendes Virus, andernfalls über haupt nicht beherrschen könnte.
Das ist die Konzeption, mit der ich persönlich den Maßstab in einer solchen Pandemie anlege. Das ist wichtig; man muss sich nämlich selbst darüber klar werden, was der eigene Maß stab ist – und das ist mein eigener Maßstab. Das ist meine Ant wort, wenn es immer wieder heißt, jetzt würden Freiheitsrech te eingeschränkt. Das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit ist ein Grundrecht!
Dieses Grundrecht gilt für jeden. Nach Geist und Norm des Grundgesetzes wird nicht gewertet, welche Lebenserwartung ein betroffener Mensch noch hat, ob diese Lebenserwartung ein halbes Jahr beträgt oder aber 20 Jahre. Das entspricht nicht dem Geist des Grundgesetzes.
Deswegen muss man Überlegungen, die dies ins Spiel brin gen, mit Entschiedenheit zurückweisen. Sie entsprechen nicht dem Geist und Wort des Grundgesetzes.
Jeder hat also dieses Recht, und es ist klar, dass das Infekti onsschutzgesetz auf dieser Komposition des Artikels 2 mit Ar tikel 11 beruht.
Wenn Sie aufgrund der eminenten Ansteckungsgefahr eines Virus nun z. B. eine Ausgangssperre verhängen müssten – wie andere Länder dies ja getan haben, etwa Frankreich; oder den ken Sie an eine so rigorose Ausgangssperre wie in Spanien –, dann schränkt diese Ausgangssperre logischerweise die Frei zügigkeit, das Recht, sich frei zu bewegen, ein; sie schränkt alle Rechte ein – unter Umständen dramatisch –, die mit Be wegung und Freizügigkeit verbunden sind. Das ist ganz un vermeidlich und folgt einfach der Logik, die solch ein gemei nes Virus uns aufdrückt. Man sieht das daran, dass Grundrech te, die davon nicht berührt sind, wie etwa die Meinungsfrei heit, tatsächlich auch gar nicht berührt werden. Die bestehen nach wie vor uneingeschränkt fort.
In modernen Zeiten ist es zudem möglich, auf andere Weise zu demonstrieren, nämlich digital. Das wird auch bereits ge
macht; die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes konnten von solchen Möglichkeiten noch gar nichts wissen. Solche Möglichkeiten haben wir aber heute, und diese werden selbst verständlich wahrgenommen. Das ist vollkommen richtig und legitim.
Aber alles, was dazu dient, zu verhindern, dass Infektionen durch Kontakte übertragen werden, samt der damit einherge henden Grundrechtseinschränkungen, muss leider hingenom men werden.
Wenn dies in radikaler Weise stattgefunden hätte, würde es natürlich alles einschränken, bis hin zur Ausübung des Berufs. Ich will aber noch einmal sagen – ich bin dem Kollegen Schwarz dankbar, dass er darauf bereits hingewiesen hat –: Wir haben solch eine Ausgangssperre überhaupt nicht ver hängt.
Auch der Kollege Söder hat dies nicht gemacht. In Deutsch land wurde dies von überhaupt niemandem gemacht. Der Kol lege Söder hat es allgemein so formuliert und hat dann Aus nahmen formuliert. Wenn das Hinausgehen an die frische Luft ein wichtiger Grund ist, dann kann eben jeder nach draußen. Davon hat auch jeder Gebrauch gemacht, auch in Bayern. In sofern war das administrativ ein etwas anderer Weg, als wir ihn gegangen sind, aber im Ergebnis hat es sich nun wirklich nicht groß unterschieden.
Herr Ministerpräsident, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. Möchten Sie Zwi schenfragen zulassen? Es gibt Zwischenfragen von Herrn Abg. Dr. Gedeon und Frau Abg. Dr. Baum.
Das heißt, es geht um die Verhältnismäßigkeit, auch in einer schweren Epidemie. Wir haben das von vornherein zum Maß stab genommen, und wir waren der Ansicht, dass wir die stren gen Kontaktbeschränkungen verantworten können, wenn wir gleichzeitig erlauben, dass die Menschen hinausgehen und sich – unter sehr eingeschränkten Bedingungen – treffen, und dass es auch mehr als zwei Personen sein können, wenn es sich um Familienangehörige handelt. Das will ich einfach noch einmal sagen; das ist der Maßstab.
Ich sehe nicht, wie man diesen Maßstab anders hätte kompo nieren können; denn das Grundgesetz gibt es so vor. Wir dür fen froh sein, dass unser Grundgesetz auch für eine schwere Pandemie sozusagen vorgesorgt hat, sodass wir uns da nicht irgendwie im luftleeren Raum bewegen, sondern auf einer kla ren verfassungsrechtlichen Grundlage agieren können.
Ich will auch noch einmal Folgendes sagen: Wir haben auch nicht einfach die Wirtschaft stillgelegt. Das ist mitnichten der Fall. Wir haben nur dort eingegriffen, wo Publikumsverkehr mit wirtschaftlicher Tätigkeit verbunden ist. In alles andere haben wir nicht oder nur sehr beschränkt eingegriffen. Die großen Firmen beispielsweise haben von sich aus mit Blick auf die Folgen, die die Krise selbst verursacht hat – beispiels weise Lücken in den Lieferketten, dramatische Nachfrageein brüche und anderes mehr –, ihre Beschäftigten zunächst ein
mal in Urlaub geschickt und die Betriebe teilweise geschlos sen. Das haben aber nicht wir veranlasst; auch darauf möch te ich noch einmal hinweisen. Nur dort, wo es aus Gründen des Infektionsschutzes geboten schien, nämlich an Orten mit großem Publikumsverkehr, haben wir gehandelt, und da muss ten wir in der Tat auch in andere Grundrechte, wie etwa die Religionsfreiheit, drastisch eingreifen.
Ich will es noch einmal sagen: Das Entscheidende ist, dass dies temporäre Einschränkungen sind. Darum ist das Verhält nis von Sicherheit und Freiheit in einer solchen Pandemie na türlich ein anderes als in normalen Zeiten.
Das Zitat von Benjamin Franklin, das Sie, Herr Abg. Gögel, angeführt haben, ist daher in Zeiten einer Pandemie vollkom men unpassend –
Es geht also um temporäre Einschränkungen. Einer von Ih nen hat es sehr richtig gesagt: Es geht darum, Zeit zu gewin nen. Das war für uns ein wichtiges Momentum: Zeit zu ge winnen, um die Kapazitäten in den Krankenhäusern auszu bauen. Denn das ist sozusagen der absolute Minimalmaßstab gewesen. Es durfte nicht so weit kommen, dass das Kranken hauswesen überlastet ist und wir die Ärzte in eine letztlich ex trem schwierige Situation bringen, nämlich in die Situation der Triage, dass sie also entscheiden müssen, wer noch ans Beatmungsgerät kommt und wer nicht mehr. Das war sozusa gen der absolute Maßstab.
Dieser Maßstab gilt wirklich und ausdrücklich auch in Zu kunft; das darf auf keinen Fall passieren. Dies führt nämlich jeden Arzt in ein schwerwiegendes Entscheidungsdilemma.
Aber auch bei einer solchen Triage wird nicht danach ent schieden, wie alt die betreffende Person ist, sondern es geht um die Frage, welche Heilungschancen sie hat. Das ist medi zinisch ein vollkommen anderer Maßstab und hat mit dem Al ter zunächst einmal gar nichts zu tun.
Diese kostbare Zeit haben wir gewonnen. Wir waren dadurch in der Lage, das Krankenhauswesen in kurzer Zeit so aufzu rüsten, dass tatsächlich auch dann, wenn es nochmals zu ei ner Infektionswelle kommen sollte, diese Pandemie uns nicht überwältigt, sondern wir nach wie vor auch schwer Erkrank ten die bestmögliche Versorgung gewährleisten können. Das ist das Ziel, und ich glaube, das haben wir erreicht – sofern die Pandemie nun nicht vollkommen aus dem Ruder läuft; das sehe ich jedoch zunächst einmal nicht. Wir sind da also inzwi schen gut gerüstet.
Trotzdem haben diese Maßnahmen schwere Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf die Gesellschaft und auf die gesamten sozialen Strukturen in dieser Gesellschaft. Sie bringen also auch in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht sehr hohe Kos ten mit sich. Das wiederum abzuwägen ist nicht nur erlaubt; es ist geboten. Das ist gar keine Frage. Wenn jemand das an ders macht als ich, werde ich ihm erst einmal keine Vorwür fe machen. Andere Kollegen werten das teilweise etwas an
ders. Ich habe Ihnen gesagt, wie ich das werte: Der Pandemie schutz steht bei mir ganz oben; er ist prioritär. Die anderen Abwägungsgründe spiegle ich immer daran, was das für Wir kungen innerhalb der Pandemie hat.
Man muss das nicht so machen. Man kann es auch anders ma chen und sagen: Ich gewichte das relativ gleichwertig. Das ist erlaubt; das kann man machen. Allerdings glaube ich, dass die, die das tun, ein enormes Risiko eingehen.