Meine Damen und Herren! Wir setzen unsere Sitzung fort. Der Ständige Ausschuss hat vor hin getagt und schlägt vor, die Begrenzung der Sonderre derechte für die heutige Sitzung zu beschließen. Der Ständi ge Ausschuss wird sich morgen in seiner regulären Sitzung mit dem Weiteren beschäftigen.
Ich lasse jetzt über die Empfehlung des Ständigen Ausschus ses, Drucksache 16/8044, die empfiehlt, Sonderrederechte – also Bemerkungen zur Geschäftsordnung, Erklärungen zu Ab stimmungen usw. – auf eine Minute zu begrenzen, abstimmen. Wer dieser Beschlussempfehlung des Ständigen Ausschusses zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegen stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist dies einstimmig so be schlossen. Vielen Dank.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gibt es eine weitere Wortmeldung von Herrn Abg. Klos zur Geschäftsordnung. Es geht um die Erweiterung der Tagesordnung, wenn ich Sie rich tig verstanden habe.
Frau Präsidentin, werte Kollegen! Die AfD-Fraktion beantragt gemäß § 84 in Verbindung mit § 78 Absatz 4 der Geschäftsordnung eine Erweiterung der Ta gesordnung, und zwar die Aufnahme der Ersten Beratung des Gesetzentwurfs der AfD-Fraktion – Gesetz zur Kürzung der Abgeordnetenentschädigung und der Bezüge der Regierungs mitglieder während der Corona-Krise –, Drucksache 16/8026, nach der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten als TOP 2.
Kurz zur Begründung: Wir alle wissen, dass alle Bürger durch die Pandemie und die Folgen der Krise im Moment massive und empfindliche Einkommenseinbußen erleiden. In dieser Situation können weder das Parlament noch die Regierung noch die Minister und Staatssekretäre hier außen vor bleiben. Daher schlägt die AfD-Fraktion eine durchgängige Gehalts kürzung um mindestens 10 % vor. Allein für das restliche Jahr würden wir den Haushalt hier um eine Summe im Millionen bereich entlasten. Damit die Kürzungen schnellstmöglich wir ken...
Herr Abg. Klos, die Begren zung auf eine Minute gilt schon – Sie wissen das –, und die Minute ist jetzt vorbei.
Meine Damen und Herren, Sie haben den Geschäftsordnungsantrag – Erweiterung der Tages ordnung um einen weiteren Punkt – gehört. Ich lasse darüber abstimmen. Wer dem Antrag von Herrn Abg. Klos und der AfD-Fraktion zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzei chen. – Gegenprobe! –
Regierungserklärung durch den Ministerpräsidenten – Der Weg der Verantwortung in der Krise – die Corona pandemie gemeinsam bewältigen
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gut sechs Wochen haben wir Schulen, Geschäfte und Einrichtun gen geschlossen, Kontaktbeschränkungen angeordnet und das öffentliche Leben heruntergefahren. Wir taten das in tiefer Sorge. Denn wir in Baden-Württemberg waren besonders be troffen: wegen der vielen Skiheimkehrer aus Risikogebieten und wegen eines Coronahotspots in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Grand Est, bei unseren französischen Freun den.
Doch den schrecklichen Verlauf der Pandemie in vielen Län dern der Welt konnten wir bei uns bisher abwenden. Wir ha ben früh und entschlossen gehandelt, Kontakte auf das Aller nötigste beschränkt und die Kapazität unserer Krankenhäuser erhöht. Vor allem aber: Auch die Bürgerinnen und Bürger ha ben mitgezogen. Sie haben sich verantwortungsvoll verhal ten, sind zu Hause geblieben und haben Abstand gehalten.
Damit konnten wir unser Land vor dem Schlimmsten bewah ren – durch eine gewaltige Kraftanstrengung, durch eine ech te Gemeinschaftsleistung. Dabei schließe ich den Landtag und die Oppositionsfraktionen ganz ausdrücklich mit ein. Ich ha be mich bemüht, die Fraktionen über unser Handeln auf dem Laufenden zu halten, und ich bin dankbar für die Anregungen, die Sie mir mitgegeben haben. Auch den Mitgliedern meines Kabinetts danke ich für ihren unermüdlichen Einsatz in der Krise – besonders meinem Sozialminister Manne Lucha,
ebenso den Vorsitzenden der beiden Regierungsfraktionen, Andreas Schwarz und Professor Dr. Wolfgang Reinhart, für die gute Unterstützung, den Vorsitzenden der SPD- und der FDP/DVP-Fraktion für die Einladungen in ihre Fraktionen und den konstruktiven Dialog, den ich mit ihren Fraktionen führen durfte. Auch die Verantwortungsgemeinschaft aus Bund, Ländern und Gemeinden hat sich bewährt – ein starkes Zei chen für einen lebendigen Föderalismus.
Gemeinsam haben wir einen wichtigen Zwischenerfolg errun gen. Unsere Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung haben ge wirkt. Das lässt sich an den Zahlen ablesen: Die Zeit, in der sich die Infektionszahlen verdoppeln, ist von unter drei Tagen Mitte März auf jetzt über 41 Tage gestiegen. Die sogenannte Basisreproduktionsrate ist in Baden-Württemberg von knapp 4 auf unter 1 gefallen. Vor dem Lockdown hat also ein Infizier ter vier weitere Personen angesteckt; heute steckt er weniger als eine weitere Person an. Dadurch nimmt die Zahl der Neu erkrankungen leicht ab.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, manche sagen ja jetzt, der Lockdown sei völlig überzogen gewesen. Das sehe man dar an, dass die Krankenhäuser bei uns ja nicht mal „vollgelau fen“ seien. Ich muss gestehen, dass mich eine solche Argu mentation besorgt. Denn es ist offensichtlich, dass unsere Krankenhäuser nur aus einem Grund nicht „vollgelaufen“ sind: weil wir strenge Maßnahmen ergriffen haben.
Professor Drosten hat schon vor ein paar Wochen darauf hin gewiesen, dass kein Ruhm in der Verhinderung von Erkran kungen liege. Denn die Erkrankungen, die man durch vorbeu gende Maßnahmen verhindert, bleiben unsichtbar, weil sie eben nicht eingetreten sind. Ich sage dazu: Das Leid, das wir verhindert haben, sehen wir auch, wenn wir nach Norditali en, ins Elsass oder nach New York schauen – Kliniken, die aus allen Nähten platzen, Ambulanzen voller Schwerstkran ker, verzweifelte Ärztinnen und Ärzte, die zur Triage gezwun gen sind.
Diese Bilder sollten uns weiterhin als Warnung dienen. Viele unserer besten Fachleute warnen uns ja nicht ohne Grund vor einer zweiten, viel dramatischeren Infektionswelle. Ich sage das auch mit Blick auf morgen, wenn die nächste Telefonkon ferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin an steht.
Deshalb habe ich auch in der letzten Woche in Ulm gemein sam mit meinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder vor einer zu schnellen und zu umfassenden weiteren Öffnung ge warnt. Darin sind wir uns auch mit der Bundeskanzlerin völ lig einig. Denn der Erfolg, den wir erzielen konnten, ist noch immer zerbrechlich.
Bereits wenn der Reproduktionsfaktor von knapp unter 1 auf 1,1 oder auf 1,2 steigt, haben wir ein Riesenproblem. Steckt ein Infizierter im Schnitt 1,2 andere Personen an, kämen wir bereits im Juli an die Kapazitätsgrenze unseres Gesundheits systems. Das zeigt, wie schmal der Grat ist, auf dem wir uns bewegen.
Was leitet unser Handeln in dieser Krise? Tatsache ist: Wir wissen immer noch sehr wenig über das Coronavirus. Trotz dem müssen wir tief greifende Entscheidungen im Eiltempo treffen. Deshalb möchte ich etwas zu den Prinzipien sagen, die mich leiten.
Erstens gilt für mich der Imperativ, ständig dazuzulernen. Denn je größer unser Wissen über das Virus, desto besser das Krisenmanagement. Und wir lernen mit hoher Geschwindig keit dazu. Deshalb lasse ich mich ständig von herausragenden Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft be raten.
Zweitens orientiere ich mich an den Prinzipien der Entschlos senheit und der Besonnenheit. In der Pandemie zählt jeder Tag. Deshalb handeln wir entschieden und schnell. Wir haben dafür flexible Entscheidungsstrukturen geschaffen.
Die interministerielle Lenkungsgruppe unter der Führung des Chefs der Staatskanzlei dient als zentraler Krisenstab der Lan desregierung im Verwaltungshandeln. Dort laufen alle Fäden zusammen. Alle für das Krisenmanagement wichtigen Minis terien sind vertreten. Die Lenkungsgruppe ist zudem die Schnitt stelle zwischen Land und Kommunen. In enger Abstimmung mit mir und den zuständigen Ministern trifft sie wichtige ope rative Entscheidungen.
Die Grundsatzentscheidung fällt das Kabinett unter meiner Führung. Mit dieser Struktur arbeiten wir schnell und zielge richtet. Aber es geht nicht nur um Schnelligkeit. Wir handeln auch besonnen. Wir prüfen die Fakten, berücksichtigen die Folgen und Nebenwirkungen und wägen sorgfältig ab. Auch das ist wichtig.
Drittens steht der Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung für mich an oberster Stelle. Deshalb stellt sich für mich bei den schwerwiegenden Abwägungen immer zu erst die Frage der Epidemiologie: Welche Auswirkungen hat eine Entscheidung auf das Infektionsgeschehen? Drohen da durch Risiken für die Bevölkerung, die wir nicht verantwor ten können?
Ich bin überzeugt, dass diese Prioritätensetzung nicht im Wi derspruch, sondern im Einklang mit den Interessen von Wirt schaft und Gesellschaft steht.
Denn unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben ent faltet sich dann am besten, wenn wir die Gesundheit aller best möglich schützen. Das zeigt sich ganz besonders auch am Bei spiel von Ländern wie Großbritannien, die zunächst die Stra tegie der Herdenimmunität verfolgt haben. Denn der Preis, den man dafür bezahlt, ist schrecklich, und zwar nicht nur für Leib und Leben, sondern auch für die Wirtschaft.
Damit bin ich bei dem vierten Prinzip, das mich leitet, dem Prinzip der Gesamtverantwortung – Gesamtverantwortung für unser Land, für mehr als elf Millionen Menschen, vom Kind bis zur hochbetagten Rentnerin. Für viele Einzelinteressen, die in die Debatte eingebracht werden, habe ich Verständnis. Aber als Ministerpräsident orientiere ich mich am Gemein wohl, an den Gesamtinteressen unseres Landes. In meinem Amtseid habe ich geschworen, Schaden vom Volk abzuwen den. Das ist der Kompass gerade in diesen Zeiten, und das lei tet meine Entscheidung.
Fünftens gehört zum Weg der Verantwortung eine schrittwei se Öffnung. Deshalb war und ist es richtig, unser Land nicht auf einen Schlag, sondern vorsichtig und schrittweise zu öff nen. Nur so können wir mit einer Verzögerung von zehn bis zwölf Tagen sehen, welche Auswirkungen eine Maßnahme der Öffnung auf die Infektionszahlen hat. Nur so haben wir die Möglichkeit, den Verlauf der Epidemie auf der Grundla ge der Erkenntnisse, die wir haben, zu steuern und bei Bedarf
Wenn wir dagegen zu viele Beschränkungen auf einmal auf heben, haben wir keine Chance, die Verbreitung des Virus zu kontrollieren. Deshalb gehen wir in allen Bereichen stufen weise vor.
Bei den Geschäften haben wir eine Grenze von 800 m2 gezo gen. Es ist kein Geheimnis, dass mein Kollege Söder und ich diese Grenze lieber weiter unten angesetzt hätten,
und zwar nicht nur, weil Bayern und Baden-Württemberg von der Krise besonders betroffen sind. Wir hätten auch sagen kön nen: „Wir öffnen alle Geschäfte, die für die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln sorgen.“ In den Läden selbst ist das in der Regel möglich, aber was passiert vor den Geschäf ten, auf den Plätzen und Straßen, in den Fußgängerzonen?
Wenn wir alle Geschäfte wieder geöffnet hätten – dazu viel leicht noch die Freiluftgastronomie –, hätte das eine riesige Sogwirkung gehabt. Dann hätten wir bei schönem Wetter gro ße Menschenaufläufe in den Innenstädten. Das Abstandsge bot wäre dann kaum mehr einzuhalten, und das Infektionsri siko würde massiv steigen. Genau das wollen wir vermeiden.
Dazu kommt ein weiterer Punkt. Laut Robert Koch-Institut senken wir die individuelle Ansteckungsgefahr um 90 bis 95 %, wenn wir einen Abstand von 1,5 m einhalten. Das heißt aber im Umkehrschluss: Selbst wenn wir uns diszipliniert an die Kontaktbeschränkung halten, bleibt ein Restrisiko von 5 %. Das ist ein statistischer Sickereffekt. Aber ich will mei nem Innenminister auch danken, dass er zusammen mit der Polizei auf die Einhaltung dieser Regeln achtet, sodass dieser Sickereffekt möglichst gering bleibt. Und die Fachleute sagen uns, dass dieses Risiko in der Summe vieler Maßnahmen aus reichen kann, um die Infektionszahlen weiter steigen zu las sen. Deshalb haben wir den Weg einer Obergrenze von 800 m2 gewählt, auch wenn ein systematisches Vorgehen freilich wi derspruchsfreier gewesen wäre.