Protokoll der Sitzung vom 29.04.2020

nem Antikörpertest testen zu können. Denn dann können wir sowohl am Arbeitsplatz als auch generell in der Gesellschaft das Leben dort schneller und viel unproblematischer wieder bewältigen.

Die Tracing-App – wir hatten Bundesgesundheitsminister Spahn hier in Stuttgart zu Gast, auch in unserer Fraktion – ist ein weiterer sinnvoller Vorschlag, um hier voranzukommen. Ich glaube, das sind ganz entscheidende Schritte, die wir vor uns haben.

Dafür braucht es auch einen leistungsfähigen öffentlichen Ge sundheitsdienst. Wir haben gerade erlebt, dass die Digitalisie rung der Gesundheitsämter wichtig ist. Der Bund unterstützt das mit 50 Millionen €. Aber auch das Land ergänzt die Mit tel. So wird Personal entlastet und das Meldetempo beschleu nigt.

Wir haben auch vorgeschlagen, dass das Land die Bundeszu schüsse für neue Beatmungsbetten mit einer eigenen Förde rung ergänzt – was auch geschehen ist. Das alles ist nötig, da mit wir die Krankenhäuser hier nicht einfach auf ihren Kos ten sitzen lassen.

(Beifall)

Ein wertvolles Mittel der Pandemiebekämpfung ist auch das baden-württembergische Corona-Resource-Board, das der In nenminister eingeführt hat. Es gibt uns einen Echtzeitüber blick über die Versorgungskapazitäten und stellt sicher, dass jeder Patient schnellstmöglich einen passenden Behandlungs platz bekommt. Auch das rettet Leben.

Nicht zuletzt – auch das ist ganz wichtig – helfen wir auch den Helfern. Das Land ersetzt nämlich Ehrenamtlichen im Be völkerungsschutz Verdienstausfälle und Unkosten. Auch das ist ein spürbares Zeichen der Anerkennung für den enormen Einsatz, auf den wir alle angewiesen sind und der, wie ich mei ne, unbezahlbar ist. Herzlichen Dank an den Innenminister, an das Ministerium für die schnelle unbürokratische Unter stützung, die das alles möglich gemacht hat.

Heute Morgen hat übrigens noch die Bundesregierung aus der Kabinettssitzung bekannt gegeben, dass ein Bonus von 1 500 € für die Pflegekräfte im Bundeskabinett beschlossen wird – das wurde angesprochen. Dies ist ein weiterer wichtiger Beitrag für diese wichtigen Dienste, die hier geleistet werden.

(Beifall)

Durch solche Entscheidungen konnten wir es bis heute ganz gut mit dem Virus aufnehmen. Jeder Coronapatient im Land erhält die bestmögliche und damit auch eine menschenwürdi ge Behandlung. Wir sind von ganzem Herzen dankbar, dass uns Bilder und Szenen, wie sie bisher in der Lombardei oder, wie angesprochen, beim direkten Nachbarn im Elsass zu se hen waren, erspart geblieben sind. Diesen Dank verdienen zu allererst all diejenigen, die in Kliniken, in Arztpraxen, in Pfle geheimen, in Gesundheitsämtern, im Rettungsdienst, im Zi vilschutz, auch unsere Sicherheitskräfte, an vorderster Front stehen. Den Dank verdienen auch all diejenigen, die unsere Versorgung sichern und unter verschärften Bedingungen den Laden am Laufen halten, sei es im Lkw, an der Supermarkt kasse, im Wasserwerk. Herzlichen Dank an alle, die solida

risch sind, die Acht geben und die uns allen helfen, diese schwierige Situation zu bewältigen.

(Beifall – Zurufe)

Ich habe gerade darüber gesprochen. – Aber wahr ist: Ohne die tief greifenden Einschnitte der letzten Wochen hätten wir das alles auch nicht erreicht. Baden-Württemberg ist gemein sam mit Bayern nach wie vor bundesweit am stärksten betrof fen. Wir haben doppelt so viele Infektionsfälle pro 100 000 Einwohner wie z. B. Rheinland-Pfalz.

Deshalb zeigt sich: Die Notmaßnahmen waren richtig, sie wa ren notwendig, sie waren geboten, sie waren gerechtfertigt – auch, um unser aller Recht auf Leben und Gesundheit zu schützen. Übrigens betont dies zu Recht auch unsere Verfas sung, die den Staat dazu verpflichtet. Das ist der entscheiden de Punkt.

Deshalb möchte ich hier ausdrücklich der Regierung, auch dem Ministerpräsidenten zustimmen: Gerade unser föderales Miteinander hat sich in der Krise bewährt. Gerade in einer sol chen Lage macht es Sinn, die Dinge dezentral zu bewerten, auch dezentral zu entscheiden. Die föderale Verteilung von Verantwortung bremst Fehlentscheidungen. Sie ermöglicht, dass wir in der Krisenreaktion voneinander lernen. Das ist mir wichtig; denn der Föderalismus macht uns stark, auch in der Stunde der Gefahr. Deshalb sollten wir unbedingt die Vortei le des Föderalismus betonen.

(Beifall)

Begriffe wie „Flickenteppich“ oder „Kleinstaaterei“, die je den Tag in den Medien, auch in Berlin benutzt werden, tref fen nicht den Punkt. Die jetzige Herausforderung muss sogar im Land regional unterschiedlich begleitet werden. Der eine Landkreis – beispielsweise Hohenlohe – hat mehr Fälle als andere Landkreise. Überall muss man passgenau reagieren. Auch das gehört dazu.

Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber was wir erreicht haben, ist auch ein Erfolg auf Bewährung. Wir müssen schon aufpas sen, dass uns jetzt nicht so etwas wie der Fluch der verhinder ten Katastrophe trifft: Weil das Schlimmste nicht eingetreten ist, wird die Bedrohung dann nicht mehr gesehen. Doch das Virus kann sich jederzeit auch wieder schneller ausbreiten.

Die Grundbedingungen haben sich nicht geändert. Noch im mer droht das Virus unser Gesundheitswesen zu überwältigen. Die Gefahr ist eben noch nicht gebannt. Wir werden noch ei ne ganze Zeit mit ihr leben müssen. Wir werden in diesem Jahr mit der Pandemie leben müssen.

Wir müssen konzentriert und deshalb auch kontrolliert blei ben. Die Situation ist eine harte Gedulds- und Bewährungs probe. Hoffen wir alle, dass der Satz „Geduld in allen Dingen führt immer zum Gelingen“ gilt. Ich habe kürzlich das TripleB-Rating erwähnt. Wir brauchen Besonnenheit, auch Behut samkeit, und wir müssen auch mit Bedacht handeln. Darum kommen wir im Moment nicht herum. Aber es ist wichtig, dass wir alles sehen.

Damit geht es im anderen Teil vor allem um unsere Wirtschaft. Denn wir erleben weltweit den wohl tiefsten Wirtschaftsein

bruch seit der Weltwirtschaftskrise vor 90 Jahren. Der Welt handel wird in diesem Jahr um ein Drittel zurückgehen. Ich finde, zutreffend haben sowohl die Kultusministerin als auch die Wirtschaftsministerin heute in Interviews darauf hinge wiesen: Wir müssen Perspektiven entwickeln, natürlich auch unter Einhaltung von Abstands-, Hygiene- und Sicherheitsre geln.

Aber dieser Einbruch ist ohne Beispiel und stellt die Krise von 2008 übrigens weit in den Schatten. Das IWF hat seine Kon junkturprognose für die Weltwirtschaft in diesem Monat so stark gesenkt wie noch niemals zuvor in der Geschichte.

Diese Krise wirkt deshalb total, aber auch global. Sie betrifft nicht nur die Angebots-, sondern auch die Nachfrageseite. Wir müssen leider auch damit rechnen, dass sich die Hoffnungen, die kürzlich der Sachverständigenrat geäußert hat – gibt es ein V oder ein L mit langer Linie? – auf einen kurzen, V-för migen Verlauf, nicht erfüllen.

Gerade das Exportland Baden-Württemberg mit seinen welt weiten Verflechtungen ist unter den deutschen Bundesländern am allerstärksten und besonders betroffen – ich nenne Fahr zeugbau, Maschinenbau; wir werden heute oder morgen über den Einbruch bei Daimler im ersten Quartal lesen und darü ber hören. Die fünf Länder, die weltweit am stärksten von Co rona betroffen sind, gehören allesamt zu unseren Top-TenHandelspartnern.

Das ifo Institut rechnet in seinen Szenarien deshalb für unser Land mit einem BIP-Verlust in diesem Jahr im Worst Case von bis zu 18,4 %. Baden-Württemberg hat im Shutdown 57 % der Wertschöpfung verloren. Das ist mehr als überall sonst in Deutschland. Fast 95 000 Betriebe im Land haben Kurzarbeit angemeldet; das sind über 20 % aller Unterneh men.

(Zuruf)

Wir alle wissen aus unzähligen Gesprächen, wie dramatisch die Lage für Firmen tatsächlich ist. Es sind Existenzen und Lebenswerke, die am seidenen Faden hängen. Es sind oft das unternehmerische Können und Engagement – übrigens bei Fa milienbetrieben das von Generationen –, die jetzt akut gefähr det sind. Es sind kerngesunde Geschäfte, die auf einmal ums blanke Überleben kämpfen.

Deshalb war es richtig, dass wir hier in diesem Haus schnell gehandelt haben, auch schnell entschieden haben. Ich erinne re an unsere schnelle, rasche Sitzung am 19. März. Für mich war früh klar, dass wir unserer Wirtschaft jetzt beistehen müs sen. Wir dürfen dabei in dieser Lage auch nicht krämerisch rechnen, sondern müssen beherzt helfen.

(Beifall)

Ich erwähne das 5-Milliarden-€-Paket, das wir hier beschlos sen haben. Es hat uns umfassend handlungsfähig gemacht. Mit den Soforthilfen haben wir einen starken Damm gegen die erste Schockwelle aufgebaut. Wir waren damit schneller und großzügiger als der Bund und auch als die meisten ande ren Länder. Wir haben zigtausend Selbstständige, Freiberuf ler, kleine Unternehmen aller Branchen vor dem plötzlichen Aus bewahrt und ihnen damit auch eine Durchhalteperspek tive gegeben. Übrigens haben wir dann auch die Landwirt

schaft in den Rettungsschirm einbezogen, genauso wie die So loselbstständigen, die andere nicht einbezogen haben.

So bitter die Umstände sind, so groß sind auch Effekt und Er folg unserer Soforthilfe. Die folgenden Zahlen wurden als Zwischenstand erwähnt: Seit Programmstart sind über 220 000 Anträge eingegangen. Wie wir gehört haben, wurde bei über 160 000 Anträgen ausbezahlt.

Neben den 2,8 Milliarden € – 1,4 Milliarden € vom Land, 1,4 Milliarden € vom Bund; die Finanzministerin hat gestern in ihrer Pressekonferenz und ihrer Pressemitteilung die Zahlen bekannt gegeben – haben wir ergänzend 6 Milliarden € über Steuern mit der Verlustverrechnung, mit Stundungen etc. für die Wirtschaft im Grunde genommen lockergemacht. Wir ha ben mit schnellem, mit flüssigem Geld direkt geholfen.

Was hier das Wirtschaftsministerium zusammen mit den Kam mern und der L-Bank geleistet hat – ich möchte mich aus drücklich dem Dank des Regierungschefs anschließen, aber diesen Dank auch ganz persönlich von meiner Fraktion aus sprechen –, war großartig. Hier wurde eine großartige, schnel le, rasche Leistung für die Menschen, für die Wirtschaft in un serem Land erbracht. Herzlichen Dank dafür.

(Beifall)

Wir werden jetzt natürlich im nächsten Schritt zu prüfen ha ben, wie wir unsere Hilfen weiterentwickeln. Das wurde zu Recht angesprochen. Vielleicht brauchen wir auch für beson ders belastete Branchen ein Sofortpaket II, gerade für unse ren Mittelstand. Der Mittelstand ist – weiterhin – der Herz muskel unserer Wirtschaft. Wir und die Landesregierung ha ben auch den Beteiligungsfonds diskutiert – den der Minis terpräsident erwähnt hat –, um strategisch wichtige Unterneh men vor dem Ausverkauf zu sichern.

Ich wiederhole das: Baden-Württemberg is not for sale. Wir wollen unsere Wirtschaft und die Unternehmen in diesem Land schützen.

(Beifall)

Land und Bund haben in mehreren Schritten einen massiven Schutzschild für die Wirtschaft aufgebaut und damit auch den Instrumentenkasten weit geöffnet. Damit stehen umfangrei che und passgenaue Hilfen für die gesamte Wirtschaft bereit, von den großzügigen Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld über Steuerstundungen, vereinfachte Verlustrückträge, Bürg schaften, Garantien, Förderkredite bis zum Wirtschaftsstabi lisierungsfonds für große Unternehmen, der allein ein Volu men von 600 Milliarden € hat.

Der Bund hat außerdem mit den KfW-Schnellkrediten eine Idee aus Baden-Württemberg aufgegriffen, übernommen. Mit diesen Krediten wird eine tragfähige Liquiditätsbrücke gebaut und damit auch eine gefährliche Kreditklemme im klassischen Mittelstand verhindert. Wichtig war dabei – das hat sich ja in Gesprächen mit den Banken gezeigt –, dass in dem Bereich von Schnellkrediten von 500 000 bis 800 000 € auch eine hun dertprozentige Garantie gegeben wird. Andernfalls hätten die Banken lange gebraucht, um diese Schnellkredite überhaupt zu bewilligen.

Natürlich muss man da auch sagen: Auch die Aufsicht BaFin ist hier gefordert, dafür zu sorgen, dass es für die Banken im

normalen, überschaubaren Bereich Erleichterungen gibt, was gerade die Bankenaufsicht angeht. Denn nur so kann man si cherstellen, dass die Kredite wirklich gewährt werden und die Liquidität die Unternehmen auch tatsächlich erreicht. Darum muss es hier gehen.

(Beifall)

Insgesamt hat Deutschland schon jetzt über rund 1,2 Billio nen € an Hilfen im Kampf gegen die Auswirkungen des Co ronavirus mobilisiert. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist das laut IWF das weltweit größte Rettungspaket. Das zeigt: Staat und Politik auf allen Ebenen setzen aktuell alle Kräfte ein. Damit stemmen wir uns gegen die Krise, und wir sichern damit Zukunft für die Zeit vor allem auch nach der Pandemie.

Im Übrigen will ich, weil es vorhin so kritisiert wurde – teil weise auch ein bisschen unsachlich, von der AfD –,

(Widerspruch – Unruhe)

schon einmal sagen: 87 % der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland akzeptieren im Moment die Maßnahmen, die Bund und Länder zur Hilfestellung ergriffen haben. Insoweit ist es natürlich völlig daneben, in solch einer Zeit zu diskutie ren, als ginge es hier um eine Problematik der Verfolgung wie im Dritten Reich, wie Sie es angesprochen haben.

(Widerspruch – Unruhe)

Meine Partei, unsere Partei ist im Widerstand gegründet wor den. Unsere Partei hat im Parlamentarischen Rat genau diese Grundrechte, die Sie angesprochen haben, aus guten Gründen in der Verfassung mit etabliert. Das sind Freiheitsrechte.

Freiheitsrechte sind auch immer Abwehrrechte gegen den Staat. Das ist völlig richtig. Aber: Es gibt eine Wechselwir kung, und es gibt dazu auch einen Gesetzesvorbehalt für Frei heitsrechte, wenn sie eingeschränkt werden müssen. Da geht es schon darum, dass man wechselseitig Prioritäten sieht und vor allem auch die Ermächtigungsgrundlage betrachtet auf der Basis – weil Sie gerade die Freizügigkeit ansprechen – – In Artikel 11 des Grundgesetzes – das wurde zu Recht erwähnt – ist die Epidemie von den Verfassungsvätern ausdrücklich als Ermächtigungsgrund für die Einschränkung der Freizügig keit etabliert worden. Auf der Ermächtigungsgrundlage des Gesetzesvorbehalts ist auch das Infektionsschutzgesetz erlas sen worden.