Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 119. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.
Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Halder, Frau Abg. Lindlohr, Herr Abg. Dr. Murschel, Herr Abg. Palka, Herr Abg. Dr. Rösler, Herr Abg. Schwarz, Herr Abg. Stächele und Frau Abg. Walker.
Meine Damen und Herren, Herr Abg. Räpple hat heute Ge burtstag. Lieber Herr Abg. Räpple, im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen alles Gute und gratuliere herzlich. Bleiben Sie vor allem gesund.
Aktuelle Debatte – Solidarität mit Corona-Heldinnen und -Helden – auch nach der Krise! – beantragt von der Frak tion der SPD
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung.
Ich bin jetzt nur ein bisschen irritiert. Schön, dass Herr Abg. Schwarz da ist. Denn eigentlich war er laut meinen Unterla gen als von der Teilnahmepflicht befreit gemeldet. Aber okay. Gut. Schön, dass Sie da sind.
Dann wäre auch das geklärt. Vielen Dank. Dann ist Frau Abg. Schwarz entschuldigt, und Herr Abg. Schwarz ist hier.
Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Es freut mich, dass Sie nach einem zu gegeben längeren Plenartag gestern heute Morgen schon wie
der frisch am Werk sind. Meine Fraktion möchte die Gelegen heit nutzen, an diesem heutigen Donnerstag die Debatte „So lidarität mit Corona-Heldinnen und -Helden – auch nach der Krise!“ aufzurufen.
In der Tagesordnung steht, dass diese Debatte von der SPDFraktion beantragt wurde. Das ist formal richtig, aber inhalt lich nicht die ganze Wahrheit. Denn in Wahrheit wurde diese Debatte von Hunderttausenden Beschäftigten beantragt, die in diesem Land seit Wochen dafür sorgen, dass der Laden läuft, dass Menschen medizinisch versorgt, gepflegt und be treut werden, dass Warentransporte rollen und Lebensmittel verfügbar sind, dass Müll entsorgt wird. „Systemrelevant“ nennen wir das. Diese Menschen halten unser Land am Lau fen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Deswegen wurde diese Debatte von all den Menschen bean tragt, die wir seit Wochen als Heldinnen und Helden der Co ronakrise bezeichnen, denen wir Dankesbriefe schreiben, die wir loben, denen wir zu Recht applaudieren. Wir von der SPD haben diese Debatte also stellvertretend auf die Tagesordnung gesetzt.
Was diese Menschen in unserem Land und für unser Land leis ten, ist auch in diesem Parlament immer wieder betont und unterstrichen worden, quer durch die Reihen der Mitglieder der Landesregierung und der Fraktionen. Ich weiß, dass die ser Dank den Heldinnen und Helden dieser Krise auch gutge tan hat. Danke dafür nochmals allen Menschen, die heute und in den nächsten Wochen arbeiten und die auch schon in der Vergangenheit zur Bewältigung der Krise gearbeitet haben. Danke aber vor allem denjenigen, die in diesen Zeiten ihre Frau und ihren Mann stehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es sind die system relevanten Berufe. Wenn Sie sich einmal die Einkommens skala anschauen, dann sind es genau die Berufe, in denen nicht am meisten verdient wird, sondern es geht um Menschen, die hart für jeden Euro arbeiten müssen. Herzlichen Dank für die se Arbeit, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Danke auch für den freundlichen Applaus. Aber da sind wir schon beim Thema. Denn von Applaus allein lebt niemand, nicht in diesem Plenum und auch nicht draußen im Land. Ich halte es darum für mehr als berechtigt, wenn nach langen Wo chen der Coronakrise ein Motto die Runde macht, das von ebenjenen Heldinnen und Helden dieser Krise stammt. Ver kürzt kann man es so beschreiben: Danke für euren Applaus, aber Applaus allein genügt nicht.
Herr Ministerpräsident, Ihnen und Herrn Minister Lucha liegt ein offener Brief von Betriebsräten, Personalräten, Mitarbei tervertretungen, Jugend- und Auszubildendenvertretungen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen in Baden-Württemberg vor, von den Interessenvertretern Hunderttausender Beschäf tigter in diesem Land. Dieser Brief spricht eine sehr deutliche Sprache. Ich zitiere:
Leider erleben wir in der Covid-19-Krise überdeutlich, dass unsere Arbeit durch eine jahrzehntelang verfehlte und auf Effizienz und Wettbewerb getrimmte Gesundheits- und Sozialpolitik erschwert wird. Die Erkenntnis ist nicht neu, die Krise legt die Mängel frei.
Dieses Schreiben macht deutlich, dass diese Beschäftigten schon vor der Coronakrise am Limit und teilweise darüber hi naus gearbeitet haben. Dieses Schreiben fordert nicht nur ei nen effektiven Schutz für alle Patientinnen und Patienten, Kli enten und Pflegebedürftige, sondern auch einen Schutz der Beschäftigten – vor dem Virus, aber auch vor einer eminen ten Überlastung durch auf Dauer verlängerte Schichten und Arbeitszeiten.
Das Schreiben fordert effiziente Tests, und es fordert, dass ei ne Quarantäne auch für infizierte Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter gelten muss. Ich zitiere:
Das Schreiben geht aber noch viel weiter, nämlich bis hin zur Forderung, dass von Geschäftemachern gehortete Schutzaus rüstung nicht zu Wucherpreisen aufgekauft, sondern beschlag nahmt wird. Viel deutlicher kann ein Hilferuf nicht mehr sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben aktuell – wir ha ben es gestern hier erörtert – die erfreuliche Situation, dass die dynamische Entwicklung der Pandemie, der Infektions zahlen gestoppt wurde. Es scheint, wir haben die Lage, zu mindest ein Stück weit, im Griff – so, wie man sie eben nur im Griff haben kann. Aber einmal mehr: Nun muss es weiter gehen. Wir müssen über die aktuelle Notlage hinaus beraten, und die Landesregierung muss Konsequenzen ziehen. Denn es ist doch offensichtlich, dass im Falle der Heldinnen und Helden dieser Krise eine gewaltige Schere klafft, eine Schere zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und Bezahlung, zwischen freundlichem Applaus und realen Arbeitsverhältnis sen, eine Schere zwischen Lob und Lohn.
Zu Beginn der Pandemie ging es um schnelle und tatkräftige Schritte – seitens der Politik, aber auch seitens der Beschäf tigten, die einfach noch mehr Einsatz brachten, um die Krise zu meistern. Niemand hat in diesen ersten Wochen über Lohn und Arbeitsverhältnisse gesprochen; es wurde gearbeitet und geholfen, es wurde alles Nötige getan und noch viel mehr – bis heute. Aber nun müssen wir damit beginnen, langfristiger zu planen; nun geht es um die Zeit mit und um die Zeit nach der Krise, und es geht um die Lehren, die wir aus der Krise ziehen. Deswegen müssen wir die Weichen richtig stellen.
Es ist nicht genug, über Sonderzahlungen von ein paar Hun dert Euro zu reden. Die sind als Anerkennung wichtig, aber dies wird nicht reichen. Wir müssen darüber reden, wo es in
diesem Land bei der Arbeit im Argen liegt. Wir müssen dar über nachdenken, welchen Zustand wir selbst herbeigeführt haben. Provokativ gefragt: Warum ist es uns so viel mehr wert, wenn jemand ein Kilo Metall hebt, als wenn er ein Kilo Mensch hebt, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Wir erleben, wie wir Steuer- und Abgabenzahlungen stunden können, wie wir fällige Hauptuntersuchungen bei Autos über Monate verschieben können, wie bestimmte Ämter und Be hörden ihre Leistungen beschränken können. Die Welt geht davon nicht unter. Aber die Welt würde untergehen, wenn Menschen nicht medizinisch versorgt und gepflegt werden könnten, wenn es keine Lebensmittel mehr zu kaufen gäbe. All das haben wir erlebt. Die Frage ist, ob wir etwas daraus lernen wollen.
Viele Berufe, denen wir seit Wochen Lob und Applaus zollen, sind im Niedriglohnsektor angesiedelt. Seit den späten Neun zigerjahren des letzten Jahrhunderts haben wir in vielen die ser Bereiche eine regelrechte Tarifflucht erlebt. Die Löhne san ken und sanken, die Arbeitsbedingungen wurden schlechter.
Die Politik hat dieser Entwicklung zugeschaut. Mancher sag te, der Staat könne nichts dagegen tun; andere sagten sogar, er solle nichts dagegen tun.
Während man in der SPD über die Finanzierung von Hilfen, über die Heldinnen und Helden der Coronakrise nachdenkt, spricht ein Herr Mark Hauptmann von der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von – ich zitiere – „Rezepten aus der linken Mottenkiste“. Wie gesagt, manche wollen aus dieser Krise nichts lernen.
Wir sollten aber daraus lernen. Wir müssen daraus lernen, und wir können handeln, weil der Staat mehr wird handeln müs sen, als dies seit Jahrzehnten der Fall war. Es ist immer wie der betont worden, dass wir erst am Anfang der Coronakrise stehen. Was die Gesundheit angeht, dürfen wir hoffen, dass wir inzwischen einen wichtigen Schritt weiter sind, aber was die wirtschaftlichen Auswirkungen angeht, stehen wir tatsäch lich erst am Anfang.
Es gilt, was ich schon gestern in der Aktuellen Debatte der CDU zu diesem Thema gesagt habe: Seien wir doch bitte schlau, und verbinden wir unsere Hilfe gegen die Coronakri se mit einer Hilfe zum Besseren, mit einer Hilfe dazu, Fehl entwicklungen nachhaltig zu korrigieren.
Ich denke, es ist fair, wenn wir Hilfen, wenn wir auch die Hö he solcher Hilfen an Mindeststandards für die Beschäftigten knüpfen, an Tariftreue, an ausreichende Arbeitnehmervertre tung, an die Bedingung, dass die Kosten der Krise nicht auf die Beschäftigten oder auf Patienten und Pflegebedürftige ab gewälzt werden, dass Ausgliederungen rückgängig gemacht werden, wenn diese allein dem Ziel gedient haben, Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer für bessere Geschäftszahlen schlech ter bezahlen zu können.
Diese Landesregierung muss hierfür eintreten, und ich sage Ihnen unsere Unterstützung bei dem Bemühen zu, dass sich die Finanzierung unseres Gesundheitswesens nicht mehr an
Deswegen müssen wir auch über die Bundespolitik sprechen und müssen uns von den ruinösen Fallpauschalen verabschie den.
Wir brauchen eine realistische Personalbemessung. In der Be hindertenhilfe muss die unselige Wettbewerbsklausel vom Tisch. Das sind nur einige Beispiele.