Protokoll der Sitzung vom 07.05.2020

Auch die Regelungen des EU-Beihilferechts wurden deutlich gelockert, um Zuschüsse und Kredite für Unternehmen zu er leichtern und schwerwiegenden Störungen des Wirtschaftsle bens entgegenzutreten.

Die Aussetzung von EU-Zöllen auf Schutzausrüstungen war besonders hilfreich, um Ärzte, Pflegepersonal und Patienten bei der Beschaffung der benötigten Ausrüstung finanziell zu entlasten. In dieser Notlage ist es von entscheidender Bedeu tung, dass medizinische Ausrüstungen und Geräte rasch dort hin gelangen, wo sie gebraucht werden. Hier hat Europa sei nen Beitrag geleistet.

Ich möchte auch diese Gelegenheit – heute gab es hier im Par lament schon einmal Anlass hierzu – nutzen, um dem medi zinischen Personal, den Rettungsdiensten, dem Personal in den Supermärkten, den Bus- und Zugführern, allen, die in ir gendeiner Weise in dieser schweren Krise ihren Dienst tun, um das Leben weiterhin möglich zu machen, für ihren uner müdlichen Einsatz von ganzem Herzen zu danken.

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronakrise wird enor me wirtschaftliche Folgen haben. Baden-Württemberg ist als Exportland besonders betroffen. Bei vielen Unternehmen sind die internationalen und EU-weiten Lieferketten zusammen gebrochen, und sie mussten ihre Produktion zeitweise einstel len. Es ist daher auch in unserem Interesse, dass wichtige Han delspartner wie Italien und Spanien nicht in den wirtschaftli

chen Abgrund stürzen. Auch diese gehören zu unserem Euro pa. Daher braucht es auch an dieser Stelle gemeinsame euro päische Antworten. Die EU-Finanzminister haben sich vor Ostern in fast beispielloser Schnelligkeit auf ein erstes Hilfs paket in Höhe von einer halben Billion Euro geeinigt. Damit sollen insbesondere Liquiditätshilfen für kleine Unternehmen bereitgestellt und der Handlungsspielraum beim Kurzarbei tergeld für Arbeitnehmer ausgedehnt werden. In der akuten Krise hilft dieses Geld. Es hilft auch uns in Baden-Württem berg.

(Zuruf)

Aber klar ist, dass es nach der akuten Phase der Pandemie ei ne wirtschaftliche Erholungsphase geben muss. Auch hier lie fert Europa. Der Europäische Rat hat die Kommission beauf tragt, eine zielgenaue Bedarfsanalyse vorzunehmen und einen Vorschlag für einen Erholungsfonds für das wirtschaftliche Leben in Europa vorzulegen. Wichtig ist, dass die Debatte über die Finanzhilfen abseits vom üblichen Gönnen oder Nicht gönnen in eine sachliche Richtung gelenkt wird. Wir brauchen kurzfristig machbare Lösungen.

Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle eines ebenfalls deut lich sagen: Coronabonds scheiden hierbei aus vielen Gründen aus.

(Vereinzelt Beifall)

Ihre Einführung würde Jahre dauern, und eine Finanzkontrol le wäre nicht garantiert. Die Gefahr von falschen Anreizen ist zu hoch. Darum ein klares Nein, liebe Kolleginnen und Kol legen.

(Beifall)

Gerade jetzt muss gewährleistet sein, dass alle Finanzierungs modelle sicherstellen, dass das Geld nur in die Bekämpfung der Coronafolgen fließt. Mehr noch: Es muss direkt bei den Bürgerinnen und Bürgern, den Städten und Gemeinden, den Unternehmen und Forschungseinrichtungen ankommen. Wirt schaftliche Folgen klingen zunächst weit weg, aber dahinter stecken der Lieblingsitaliener die Straße herunter, der Friseur salon im Ort und Hunderttausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich gerade in Kurzarbeit befinden. Heute kümmern sich die Mitgliedsstaaten mit nationalen Hilfs- und Förderprogrammen um deren Schicksal, aber morgen werden wir des gewaltigen wirtschaftlichen Einschnitts nur gesamt europäisch Herr werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronapandemie trifft uns auch deshalb so hart, weil sie keinem bekannten Muster folgt. Politik und Verwaltung, Wirtschaft und Forschung se hen sich ganz neuen Herausforderungen gegenüber.

Herr Minister, ich habe noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Podeswa.

Ich wür de jetzt einfach einmal fortfahren, und dann schauen wir mal. – Trotzdem sage ich es auch an dieser Stelle: In jeder Krise steckt auch eine Chance. Lassen Sie es uns als europäische Chance begreifen; denn wir haben eine gemeinsame Verant wortung.

Es braucht neue Regeln, um zu verhindern, dass europäische Unternehmen von Investoren aus aller Welt übernommen wer den. Das liegt nicht nur im Interesse der betroffenen Unter nehmen selbst, sondern auch im Interesse all derjenigen, die an Wertschöpfungsketten der Firmen beteiligt sind. Durch ein heitliche EU-Regelungen und gemeinsame Kontrollmecha nismen können wir am ehesten vermeiden, dass europäisches Tafelsilber verloren geht.

Es muss jetzt darum gehen, die Wirtschaftskraft der Unterneh men wiederzubeleben und die Grundlagen für ein ökonomisch und ökologisch nachhaltiges Wachstum zu legen. Natürlich darf dabei auch der Klimaschutz nicht wieder in Vergessen heit geraten.

Daimler-Chef Källenius hat sich am 19. April in der „Frank furter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zu den CO2-Zielen des Pariser Klimaabkommens bekannt. Zitat:

Der Kampf gegen die Pandemie darf jetzt keine Ausrede beim Kampf gegen den Klimawandel sein.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die europäische Kli maschutzpolitik muss nach Corona mehr als Wachstumsstra tegie angelegt werden und darf die Unternehmen keineswegs bei der Produktion einschränken.

Der europäische Green Deal ist bislang nur ein Fahrplan, der nun schrittweise mit konkreten Inhalten gefüllt werden muss. Wir brauchen Lösungen, die internationale Nachahmer fin den, und keine, die Europa und seine Wirtschaft isolieren. Wir brauchen eine europäische Technologie- und Innovationsof fensive. Das heißt konkret: mehr europäisches Geld für For schung und Innovation. In Baden-Württemberg verfügen wir über viel Know-how, das wir gerade als Schwaben gern be reit sind, mit europäischen Fördermitteln weiter auszubauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zum Schluss noch einen Aspekt ansprechen,

(Zuruf)

der mich gerade in den letzten Wochen zutiefst beeindruckt hat.

Bevor Sie zum Schluss kommen, Herr Minister, noch einmal die Frage: Lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Baron zu?

Nein. Es ist so eine runde Sache, die ich vortrage. Das will ich ungern unterbrechen.

(Vereinzelt Heiterkeit – Beifall – Zurufe)

Lassen Sie mich zum Schluss noch – –

(Zuruf)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Aspekt ansprechen, der mich gerade in den letzten Wochen – –

(Zurufe, u. a. Abg. Anton Baron AfD: Wer hat Ihnen die Rede geschrieben?)

Sie haben sie sicher nicht geschrieben. Das ist, glaube ich, erkennbar.

(Vereinzelt Lachen – Zuruf)

Herr Podeswa, schauen Sie – es ist mir schon wichtig; ich spü re das auch immer wieder an Ihren Reaktionen –: Sie lassen bis heute das Bewusstsein und auch den Willen vermissen, sich wirklich in eine europakonstruktive Debatte einzubrin gen.

(Abg. Emil Sänze AfD: Die ist doch gar nicht mög lich! – Abg. Bernd Gögel AfD: Die wird doch nir gends geführt! – Weitere Zurufe)

Moment! Entschuldigung. Wenn Sie das nicht verstehen, was wir diskutieren, ist das Ihr Problem.

(Heiterkeit und Beifall – Zurufe)

Aber wir diskutieren hier über Europa, und jeder vertritt sei ne Position. Wir haben ein positives Europabild, Europa ist Staatsräson in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall – Zurufe)

Wissen Sie: Bei Ihnen hat man manchmal den Eindruck, Sie haben im Moment die Sorge, dass Ihnen Ihre entscheidenden politischen Themen abhandengekommen sind.

(Vereinzelt Beifall – Widerspruch)

Über Flüchtlinge führt man derzeit keine Diskussion.

(Widerspruch)

Deshalb wollen Sie krampfhaft eine antieuropäische Diskus sion in den Raum stellen. Wir aber führen in Baden-Württem berg proeuropäische Diskussionen.

(Beifall – Zurufe, u. a. der Abg. Carola Wolle AfD)

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Aspekt zu spre chen kommen, der mich gerade in den letzten Wochen zutiefst beeindruckt hat. Martin Luther King sagte einmal:

Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen, wie die Fi sche zu schwimmen. Doch wir haben die einfache Kunst verlernt, wie Brüder zu leben.

Ich kann nicht verheimlichen, dass ich gerade in den letzten Jahren mit Blick auf die Europäische Union den Eindruck ge winnen musste: Diese Worte treffen zu. Zu oft wurden natio nale Egoismen über das gemeinsame Interesse gestellt, zu oft waren viele Mitgliedsstaaten dem Ich näher als dem Wir.

Doch gerade in den letzten Wochen habe ich den Eindruck ge wonnen, dass sich etwas verändert. Uns wurde vor Augen ge führt, dass Stabilität, Zusammenhalt und Solidarität gerade in schwierigen Zeiten besonders wichtig sind. Die Europäische Union gibt diese Stabilität, und darüber hinaus ist sie eine Uni on der Solidarität und Gemeinschaft. Ausdruck dieser euro päischen Solidarität und Gemeinschaft sind die vielerorts seit Jahren bestehenden freundschaftlichen und intensiven Kon takte im Rahmen der Städte- und Gemeindepartnerschaften. In den letzten Wochen ist dieses europäische Band der kom munalen Partnerschaften noch stärker geworden. Viele badenwürttembergische Städte und Kommunen zeigen sich gerade jetzt solidarisch mit ihren europäischen Freunden. Ob durch Unterstützung mit Schutzausrüstung, Erfahrungsaustausch im Krisenmanagement oder in anderer Art und Weise – die kom munalen Partnerschaften sind Ausdruck gelebter Solidarität geworden.

Es beeindruckt mich, wenn ich dieser Tage von der großen und kreativen Hilfsbereitschaft vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Baden-Württemberg erfahre. Seit Corona liegt vielerorts eine europäische Selbstverständlichkeit in der Luft. Lassen Sie uns nach Corona daran festhalten und zusam men dafür arbeiten, dass Gemeinschaft und Solidarität in Eu ropa weiter wachsen, und lassen Sie uns übereinkommen, dass es in der europäischen Politik immer schwierig bleiben wird, alle zufriedenzustellen. Natürlich: Ergebnisse beruhen zumeist auf komplizierten Kompromissen. Aber am Ende stehen alle Beteiligten besser da als ohne europäische Zusammenarbeit.