Protokoll der Sitzung vom 07.05.2020

Beweisen Sie wenigstens dieses eine Mal, dass Ihnen Ihr Volk etwas bedeutet. Jeder einzelne Tag zählt. Es lebe die Demo kratie und die Freiheit.

(Beifall – Zuruf: Und das aus Ihrem Munde!)

Das weiß ich am besten zu schätzen. Ich komme nämlich aus einer Diktatur. Deshalb weiß ich das sehr genau.

(Zurufe – Unruhe)

Zum Schluss eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Rülke: Auf Ih re freundliche Antwort auf meine gestrige Zwischenfrage er widere ich Ihnen Folgendes: Was juckt es eine deutsche Ei che, wenn sich ein kastrierter Eber daran reibt?

(Beifall – Vereinzelt Lachen)

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

Vielen Dank.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Reinhold Gall SPD: Das war jetzt billig!)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich Frau Abg. Reich-Gutjahr das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema ist gut gewählt, zeigt es doch die ganze Bandbreite unseres Denkens auf Si tuationen hin wie diese – eine Krise.

(Zuruf)

Die AfD hat gerade einmal mehr deutlich gemacht, dass sie für Krisen nicht geeignet ist. Denn wer in Zeiten, die für die gesamte Gesellschaft schwierig sind, hetzt, hat es nicht ver dient, in irgendeiner Form in diesem Parlament zu sitzen.

(Beifall – Zurufe von der AfD, u. a.: Was ist das für eine Hetze! – Gegenruf des Abg. Andreas Stoch SPD: Sie sind nicht mal in der Lage, zuzuhören!)

Tja, Solidarität. – Kommen wir zum Thema: „Solidarität mit Corona-Heldinnen und -Helden – auch nach der Krise!“ Ein schöner Titel. Wann wird das sein, „nach der Krise“? Es wä re wunderbar, wenn wir das wüssten. Ich fürchte, dass wir an dieser Krise noch lange leiden werden.

Deshalb ist jetzt leider nicht die Zeit für Verteilungsdiskussio nen. Es ist Zeit für die Frage, wie wir möglichst viele Arbeits plätze – und das heißt auch, möglichst viele Unternehmen – retten. Aktuell haben wir in Baden-Württemberg 250 000 Ar beitslose. Das sind rund ein Drittel mehr als noch vor einem Jahr. 93 600 Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet. Das sind 32 % der Betriebe in unserem Land. Wie viele Menschen da von betroffen sind, wissen wir jetzt noch nicht. Das wird sich aber in den nächsten Wochen zeigen. Was wir aber wissen und was wir daran sehen können, ist, dass die Unternehmen in un serem Land in diesen schwierigen Zeiten sehr wohl Verant wortung übernehmen und den Willen haben, ihre Mitarbeiter über diese schwierige Zeit zu bringen.

(Beifall – Zuruf: Was bleibt ihnen anderes übrig?)

Wir wissen aber auch, dass die meisten Konkurse erst in der Zeit des Aufschwungs stattfinden, dann, wenn ein Unterneh men wieder die vollen Personalkosten tragen muss, der Um satz aber hinterherhinkt. Und das wird sich massiv in den Steuereinnahmen niederschlagen. Wir werden uns in allen Be reichen mit dem Sparen auseinandersetzen müssen. Wir brau chen jetzt keine Neiddebatte. Sie hilft jetzt niemandem, sie spaltet nur unsere Gesellschaft.

(Beifall)

Was wir in der Gesellschaft aber in besonderer Weise brau chen, ist Solidarität mit den Coronaheldinnen und -helden und in der gesamten Gesellschaft.

Was ist eigentlich ein Held? Ein schönes Wort. Ein Held ist eine Person, die eine Heldentat, also eine besondere, außerall tägliche Leistung vollbringt, entweder auf körperlicher oder auf geistiger Ebene; das heißt: Mut, Aufopferungsbereitschaft, Kampf für Ideale, Tugendhaftigkeit oder Einsatzbereitschaft für Mitmenschen.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Blicken wir auf unsere Coronahelden. Die Helden der ersten Stunde sind alle Menschen im Gesundheitsbereich, in der Al tenpflege, in den Krankenhäusern, in Pflegeheimen, im Ret tungsdienst, bei der Polizei. Sie waren an der Front des Ge schehens, oft ohne ausreichende Schutzausrüstung, konfron tiert mit einem unbekannten Virus, in Sorge vor einer großen, nicht beherrschbaren Anzahl von Erkrankten. Sie mussten ih ren Dienst verrichten, handeln, ihre Angst überwinden. Dazu gehörte auch die Angst vor der eigenen Ansteckung und da mit die Sorge um ihre Lieben – die sie in der Folge möglicher weise auch angesteckt hätten.

Wir sind allen sehr dankbar für ihren Einsatz und dankbar da für, dass es nicht so schlimm kam wie befürchtet. Die heute schon angesprochene Prämie ist ein gutes Zeichen der Wert schätzung, hinter dem auch wir stehen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Es gab in dieser Phase aber noch etwas, was uns bewusst wur de: Wir haben nämlich einen Industriezweig oder einen Wirt schaftszweig – die Gesundheitsunternehmen –, der wertvoll ist. Sie erinnern sich vielleicht: Plötzlich kam das Thema CureVac hoch, und auch viele andere Firmen, die wir unter stützt haben, stießen plötzlich ins Blickfeld unserer Wahrneh mung.

Die Gesundheitswirtschaft, bestehend aus der Biotechnolo gie, der Automatisierung, dem Medizinwissen und der IT, ist eine Branche, die jetzt sichtbar geworden ist. Wir sollten sie nach dieser Krise nicht wieder in die Schublade oder in den Nebel der allgemeinen Wahrnehmung versenken.

Ich komme zu den Helden der zweiten Stunde. In dem Mo ment, als Leib und Leben erst einmal gesichert waren, ging es natürlich um die Versorgung der Bevölkerung. Da waren die Lebensmitteleinzelhändler und ihre Mitarbeiterinnen und Mit arbeiter, die Landwirte, die irgendwie auch noch Saisonarbei ter für die Ernte finden mussten, die Produzenten von Lebens mitteln und Getränken. Ich möchte hier explizit einmal die Bäcker und das Fleischerhandwerk nennen,

(Beifall)

die in der allgemeinen Diskussion sonst oft untergehen; ich nenne die Logistik- und Lieferbetriebe, die Obst- und Gemü sehändler, die Müllabfuhr. Unter erschwerten Arbeitsbedin gungen und zunächst oft auch ohne Schutz haben sie ihre Ar beit verrichtet. Herzlichen Dank an alle Helden der zweiten Stunde!

(Beifall)

Es gibt aber auch noch die Helden der dritten Stunde. Für mich sind das alle, die vom Berufsverbot der Corona-Verord nung unmittelbar betroffen waren und es immer noch sind – manche ohne absehbare Perspektive. Das sind die Künstler, die Soloselbstständigen, die Gastronomen und Hoteliers und ihre Mitarbeiter – die übrigens besonders hart betroffen sind, weil beim Kurzarbeitergeld das Trinkgeld nicht eingerechnet wird.

Das sind die Einzelhändler im Non-Food-Bereich, der gesam te Tourismusbereich vom Reisebüro bis zum Busfahrer, der Messe- und Eventbereich, die Friseure, Kosmetiker und Mas seure, Vereine und Sporteinrichtungen jeder Art, die Schau steller und, und, und.

Sie haben sich darauf eingelassen, ihr Geschäft ruhen zu las sen zum Wohle der Gemeinschaft. Ungeachtet der Soforthil fen – die gut waren –, wuchs und wächst die Sorge um das Überleben. Was über Jahre, manchmal über Generationen auf gebaut wurde, steht für sie auf dem Spiel – und damit auch sehr viele Arbeitsplätze. Wer selbst schon einmal durch die Phase einer drohenden Insolvenz gegangen ist, kann sich ein Bild davon machen, was viele Unternehmer und Selbststän dige derzeit durchmachen.

Deswegen wäre es für mich schön, wenn wir wüssten, wann diese Krise endlich überwunden ist. Aber wir wissen es nicht. Was wir jedoch wissen: Der Lockdown muss so schnell wie möglich enden, damit Unternehmer wieder unternehmen kön nen und nicht weiterhin zum Unterlassen verdonnert werden.

(Beifall)

Ich könnte noch weitere Helden aufführen: die Mütter und Vä ter, die plötzlich zu Lehrern wurden, oder all die Unterneh men, die in der Folge der oben genannten Schließungen mas sive Umsatzeinbußen hatten. Viele Menschen in der Gesell schaft sind in dieser Coronazeit Helden geworden. Sie haben neue Wege gefunden, Themen anzugehen, haben sich mit di gitalen Hilfsmitteln vertraut gemacht, haben alte Gewohnhei ten über Bord geworfen, um handlungsfähig zu bleiben. Wenn wir jetzt nach vorn schauen, dann sollten wir gemeinsam auf diesen neuen Erfahrungen aufbauen, Unnötiges über Bord werfen und neue Erkenntnisse in die Zukunft tragen.

Ich möchte einige Beispiele dazu nennen, was jetzt an der Zeit ist, endlich angegangen zu werden. Wir müssen die Bürokra tie abbauen und Vorschriften ausmisten, wir müssen dezent rales Arbeiten – was ich besser finde als das Wort Homeoffice – sinnvoll ausgestalten. Das müssen aber die Unternehmer mit ihren Mitarbeitern tun und nicht der Staat.

(Vereinzelt Beifall)

Wir müssen die digitale Basis stärken. Bei der Infrastruktur – Ausstattung in Schulen, Staat und Unternehmen – ist noch viel zu tun. – Lieber Herr Gramling, wir sind noch nicht am En de. – Das Arbeitszeitgesetz muss endlich den neuen Gegeben heiten angepasst werden. Wir brauchen mehr Geschwindig keit bei Entscheidungen, z. B. beim Genehmigen von Bauvor haben. Wir brauchen einen Staat, der sich als Dienstleister ver steht und der hilft, Ideen und Investitionen zügig voranzubrin gen, und wir brauchen z. B. auch Flexibilität bei verkaufsof fenen Sonntagen.

Jede Organisation kennt das: Wir kämpfen oft ewig um Än derungen. Jeder hat noch einen Beitrag, warum es nicht geht. Dann plötzlich ist man in der Krise, und dann spürt man: Oh, es geht doch! Diesen Rückenwind sollten wir alle, die Gesell schaft, uns zu eigen machen. Not macht erfinderisch, Not macht schneller, und deswegen: Machen wir uns die Not der Krise zum Wegbereiter für eine bessere, erfolgreichere Auf stellung unseres Landes!

All das und vieles, was schon gestern genannt wurde, können und müssen wir tun, und zwar jetzt und nicht erst nach der Krise – damit die Unternehmen mehr Luft zum Atmen haben und damit Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue entstehen.

Solidarität mit Coronaheldinnen und -helden heißt für mich, konsequente Pandemiekonzepte zu erstellen und umzusetzen, auch den Katastrophenschutz auszubauen. Denn hier haben wir vieles versäumt – was schon bekannt war, aber nicht ge glaubt wurde. Jetzt wissen wir: Es ist möglich.

Wir müssen ein Augenmerk auf die Wirtschaftszweige rich ten, die bisher im Verborgenen waren; dazu zählt die vorhin genannte Gesundheitswirtschaft. Wir wollen gemeinsam an einer Arbeitswelt arbeiten, die modern ist, in der mutig Neu es gewagt und Eigenverantwortung übernommen wird.

Noch etwas zu betonen ist mir an dieser Stelle wichtig: So lange die Coronagefahr nicht gebannt ist, gilt es für jeden Ein zelnen, das Notwendige zu tun, damit es zu keiner zweiten Welle kommt. Das ist die höchste Form der Solidarität, die je der von uns im Moment zeigen kann. Es gilt, die Hygienevor schriften einzuhalten, den Abstand zu wahren und die Mas ken zu tragen – ob sie nun taugen oder nicht. Denn es ist bes ser, etwas zu tun, von dem man glaubt, dass es hilft, als es bleiben zu lassen und eine Chance zu vergeben.

(Unruhe)

Deshalb bitte ich alle im Land – alle Bürgerinnen und Bürger sowie auch Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen –: Seien wir alle gemeinsam solidarisch, damit möglichst bald alle Helden wieder in einen Alltag zurückkehren können, der ihnen keine außergewöhnlichen Kräfte abverlangt.

(Beifall – Unruhe)

Frau Abg. Dr. Baum, Herr Abg. Räpple.

(Zuruf)