Protokoll der Sitzung vom 25.06.2020

Sie haben Firmen in die Insolvenz geschickt, Sie haben die Tourismusbranche in unserem Land mit fast 400 000 Beschäf tigten an die Wand gefahren; die Autoindustrie haben Sie kurz pulverisiert. Was die Zulieferindustrie – ZF Friedrichshafen – angeht, wissen Sie doch ganz genau, was da im Moment los ist.

(Zurufe)

Die Studie des RKI von 2012 haben Sie im Schrank verstau ben lassen. Sie haben keine Maßnahmen ergriffen, obwohl Sie gewarnt worden waren. Wo war denn Ihr planvolles Handeln, wo war denn Ihre Weitsicht? Sie bemängeln bei uns jedes fal sche Komma, aber bei Ihnen ist es so, dass Sie nicht nur den sprichwörtlichen Balken vor den Augen oder das Brett vorm

Kopf nicht sehen, sondern das ganze Sägewerk auf Ihrer Na se sehen Sie nicht.

(Vereinzelt Beifall – Abg. Reinhold Gall SPD: „Brett vor dem Kopf“ ist gut!)

Von gleicher Qualität sind Ihre Begriffe wie Hass und Hetze. Der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz ist überhaupt nicht gewahrt. Aber das ist ja auch nicht Ihre Intention. Sie wollen gerade, dass unklar ist, was in den strafbaren Bereich fällt. Und wenn Bürger genügend Angst haben, wenn die Strafan drohung nur drakonisch genug ist, dann werden diese nicht mehr ihre Meinung sagen. Genau darauf zielen Sie ab. Die Bürger sollen eingeschüchtert werden, damit die Menschen nicht merken, dass die verordnete Meinung nicht die Mehr heitsmeinung im Land ist.

(Beifall – Abg. Karl Zimmermann CDU: Also Coro na wirkt sich doch seltsam aus! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ob der Sänze jetzt überzeugt ist von seinem Kandidaten?)

Herr Abg. Maier, jetzt ha ben Sie das Wort für die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wie viel man zu dem Beitrag gerade noch sagen muss. Aber eines möchte ich schon noch erwähnen: Ihre Behauptung hier, dass sich irgendjemand in diesem Haus auf eine zweite Coro na-Infektionswelle freuen würde, eine Krankheit, an der in diesem Land Menschen gestorben sind, ist an Unverschämt heit und Würdelosigkeit nicht zu überbieten. Sie sollten sich für solche Einwürfe schämen.

(Beifall)

Vor nunmehr zwei Jahren wurde im Deutschen Bundestag – wohlgemerkt: nicht im Landtag von Baden-Württemberg – nach kontroversen und intensiven Debatten das Netzwerk durchsetzungsgesetz beschlossen – im Übrigen gegen die Stimmen der Grünen. Ich weiß also gar nicht, weshalb Sie sich hier so aufspielen. Trotzdem haben wir diesen Prozess wie al le demokratischen Parteien natürlich konstruktiv und kritisch begleitet, auch wenn die grüne Bundestagsfraktion gegen das Gesetz gestimmt hat.

In der letzten Woche hat der Bundestag das Gesetz dann noch mal reformiert, wobei auch Verbesserungsvorschläge u. a. von den Grünen mit aufgenommen worden sind.

Dennoch hatte und hat meine Partei natürlich gewisse Beden ken bei diesem Gesetz, z. B. mit Blick auf das Meldeverfah ren, auf Overblocking, auf die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer und die Informationspflichten. Wir haben da durchaus noch Forderungen und Ideen, die unsere Kolleginnen und Kol legen im Deutschen Bundestag natürlich auch einbringen.

Wir im Land können zumindest die Frage stellen, ob es nicht sinnvoll wäre, dass die Ausgestaltung dieses Netzwerkdurch setzungsgesetzes eher in die Hände der Länder als in die des Bundes kommt. Diese Fragen dürfen gestellt werden.

Festzuhalten ist aber auf jeden Fall eines: Auch wenn die We ge und die Details unterschiedlich sind, herrscht bei den de

mokratischen Parteien auf jeden Fall Klarheit in Bezug auf die politische Zielsetzung: Hasskriminalität, Hetze und Ge waltandrohungen haben in unserer Gesellschaft und demzu folge auch im Netz nichts verloren.

(Beifall)

Dass es sie gibt, sehen wir leider immer wieder. Bei einer YouGov-Befragung haben z. B. 8 % der Befragten angege ben, dass sie schon einmal oder mehrfach persönlich von Ha te Speech betroffen waren; bei den 18- bis 24-Jährigen waren es sogar 17 %. In Baden-Württemberg ist im vergangenen Jahr die Zahl der Fälle von Hasskriminalität um 19 % gestiegen, und wahrscheinlich haben die Allermeisten solche Hassreden in Kommentarspalten auf Twitter, in diversen sozialen Medi en schon gelesen.

Ich bin mir sicher, die Kolleginnen und Kollegen hier im Par lament haben das alle schon mal gelesen oder es auch selbst erfahren dürfen, und manche Vertreter mancher Fraktionen schreiben sie ja teilweise sogar selbst: Kommentare, die nach weislich beleidigend sind oder einen Angriff auf unsere De mokratie darstellen.

Und – das finde ich eigentlich die interessanteste Zahl – mehr als die Hälfte der Befragten haben angegeben, dass sie wegen drohender oder tatsächlicher Hasskommentare seltener ihre politische Meinung bei Diskussionen im Netz kundtun. Wer sich also gegen Hass und Hetze im Netz stellt, der bekämpft nicht die Meinungsfreiheit, sondern stützt sie und damit einen zentralen Teil unserer Demokratie.

(Beifall – Zuruf)

Außerdem darf man natürlich auch nicht vergessen, dass viel häufiger Hass über Menschen ausgeschüttet wird, die bereits gesellschaftlich benachteiligt sind oder in den Augen dieser Hater weniger wert sind. Das heißt auch, dass die gruppenbe zogene Menschenfeindlichkeit natürlich ins Netz eingezogen ist und immer noch einzieht. Deshalb müssen wir einerseits aufmerksam sein, aber in einer wehrhaften Demokratie braucht es eben klare Regeln, wie sie das Netzwerkdurchsetzungsge setz bei aller Kritik durchaus auch bietet.

Wie schon gesagt, man kann darüber streiten, ob das NetzDG wirklich der beste Weg ist, um Hate Speech zu bekämpfen. Es gab und gibt nach wie vor kritische Punkte; ich habe eingangs ja auch welche erwähnt. Klar ist aber, dass etwas getan wer den muss. Das ist der große Unterschied zwischen dem, was wir wollen, und dem, was Sie hier vorgelegt haben, nämlich diesen völlig undifferenzierten Antrag, mit dem lediglich un ter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit versucht wird, die eigenen Truppen zu schützen. Denn Hate Speech funktioniert nun mal häufig so, dass in Gruppen – z. B. auf Facebook, auf Telegram usw. – gerade AfD-Mitglieder diejenigen sind, die ein Ziel ausmachen, auf das sich dann Hunderte stürzen. Die ses Modell des Hasses und der Ausgrenzung sehen Sie als ge fährdet an – und nicht die Meinungsfreiheit. Das ist der Un terschied. Sie stellen diesen Antrag doch nicht, weil Sie sich ehrliche Sorgen um Ihre Grundrechte machen würden, son dern weil Sie Angst haben, dass Ihnen die Felle davonschwim men, wenn andere Menschen, die von Ihrem Hass betroffen werden, von ihren Rechten Gebrauch machen.

(Zuruf)

Vor diesen Karren lassen wir uns nicht spannen. Deshalb leh nen wir Ihren Antrag aus voller Überzeugung ab.

(Beifall – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Sehr gut!)

Frau Kollegin Gentges, Sie haben das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Das Netzwerkdurchsetzungs gesetz wurde bereits im Jahr 2017 verabschiedet. Erst in der vergangenen Woche – das wurde bereits erwähnt – hat der Deutsche Bundestag ein Gesetzespaket gegen Hass und Het ze verabschiedet und dabei auch Änderungen in diesem Ge setz vorgenommen.

Die AfD, die das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zunächst stop pen wollte, begehrt heute mit einem Änderungsantrag dessen Aufhebung. Ein Blick auf die Materie lohnt. Ein Zitat von Mark Zuckerberg, dem Gründer und Vorstandsvorsitzenden von Facebook, bringt es auf den Punkt:

Einst lebten wir auf dem Land, dann in Städten, und von jetzt an im Netz.

Das macht klar, wie sich unser soziales Miteinander durch das Internet verändert hat. Gleich geblieben ist aber der Umstand, dass es – egal, ob analog oder digital – Regeln für das Zusam menleben und das Miteinander braucht, an die sich jeder zu halten hat. Es darf keine rechtsfreien Räume geben – weder analog noch digital.

(Beifall)

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat der Bundesgesetz geber weder überreagiert noch überreguliert. Erinnern wir uns doch an die rechtsextremen Anschläge in Halle und Hanau oder an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Das sind nur drei, aber drei sehr eindrückli che, besonders erschütternde Beispiele dafür, wie sich Angrei fer im Netz radikalisieren können, wie sie aus der digitalen Welt in die analoge Welt treten, wie aus Worten Taten werden.

Auch die Ereignisse am vergangenen Wochenende in Stutt gart, die uns erschüttert haben, sind nicht losgelöst von Hass und Hetze zu sehen, die auch im Netz gegen Polizeibeamte und staatliche Autoritäten verbreitet werden.

Für die CDU ist deshalb eines klar: Ein starker Staat muss überall – analog und digital – für eine freie, offene und demo kratische Gesellschaft und für einen respektvollen Diskurs eintreten, an dem alle teilhaben können, ohne eingeschüchtert und mundtot gemacht zu werden.

(Beifall)

Werte Kolleginnen und Kollegen, dafür brauchen wir Regeln, und wir müssen sie auch durchsetzen. Das Netzwerkdurchset zungsgesetz gefährdet die Meinungsfreiheit nicht, sondern es gewährleistet sie. Deshalb trete ich stellvertretend für meine Fraktion dem Antrag der AfD auch aus voller inhaltlicher Überzeugung entgegen.

Man mag sich nach dem Grund fragen, warum die AfD das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aufheben will: eigenes Interes

se, Hass und Hetze im Netz zu erhalten? Honi soit qui mal y pense – es ist wirklich ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

(Abg. Rüdiger Klos AfD: Das hätte ich noch verstan den!)

Sei’s drum.

In der vergangenen Woche hat der Deutsche Bundestag das Netzwerkdurchsetzungsgesetz geändert. Lassen Sie mich die drei Punkte nennen.

Künftig werden soziale Netzwerke strafbare Postings nicht mehr nur löschen, sondern in bestimmten schweren Fällen dem Bundeskriminalamt melden. Um Täter schnell identifi zieren zu können, müssen soziale Netzwerke dem Bundeskri minalamt bei bestimmten schweren Straftaten die IP-Adres se und die Portnummer des Nutzerprofils mitteilen. In Fällen von Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung sollen die sozialen Netzwerke die betroffenen Nutzer informieren, wie und wo sie Strafanzeige und Strafantrag stellen können.

Unterm Strich verhält es sich genau so, wie es im Antrag ge schrieben steht. Sofern es sich um strafbare Inhalte handelt, muss der Gesetzgeber konsequent dagegen vorgehen. Genau das ist das Ziel des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Es ist ein scharfes Mittel, um unserem Rechtsstaat und unserem Ver ständnis eines respektvollen Miteinanders in der digitalen Welt Geltung zu verschaffen. Gut, dass es nicht gestoppt worden ist.

Herzlichen Dank.

(Beifall – Zuruf)

Als Nächster spricht Herr Abg. Weber für die SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Ich muss eine Frage voranstel len: Herr Klos, Damen und Herren der AfD-Fraktion, haben Sie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gelesen?

(Zurufe: Ja!)

Sie sollten es ja gelesen haben. – Ich nehme zu Protokoll, dass Sie gerade Ja gesagt haben. Dann halte ich das mal so fest.

Ich will noch mal ganz kurz in Erinnerung rufen, was das Netzwerkdurchsetzungsgesetz durchsetzen will: Strafrechts normen, Herr Kollege Klos.