Protokoll der Sitzung vom 22.07.2020

(Beifall)

Wochenmärkte und Hofläden sind nicht nur in Coronazeiten Ausdruck eines tiefen Verständnisses der Menschen für land wirtschaftliche Wertschöpfung aus der Region und den Wert von Lebensmitteln an sich. Auf den Märkten kommen auch Naturschutz und Landwirtschaft zusammen. „Schützen durch Nützen“ – dieses Prinzip steht in Baden-Württemberg nicht nur auf dem Papier, es wird sowohl von den Umwelt- und Na turschützern als auch von den Bäuerinnen und Bauern gelebt.

Die Landschaftserhaltungsverbände schützen die Kulturland schaft, und zwar nicht mit den eigenen Maschinen, sondern mit der Arbeit, dem Schweiß, den Maschinen und dem Enga gement von Bäuerinnen und Bauern. Wir haben im Umwelt schutz in den vergangenen Jahrzehnten den Kampf an vielen Stellen gleichzeitig geführt. Heute ist das Wasser sauberer, der Wald gesünder und die Luft frischer, als sie es in diesem Land in den letzten 50 Jahren jemals waren.

(Beifall)

Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Sie soll aber genügen, um das Biodiversitätsstärkungsgesetz, das wir heute durch Änderungen im Naturschutzgesetz und im Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz beschließen, richtig einzuordnen.

Es ist nicht so, dass wir durch das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ plötzlich anfangen, die Natur zu schützen. Vielmehr erweitern wir das, was bereits vorgegeben ist und was gelebt wird, um die Komponenten Pflanzenschutzmittelreduktion, verpflichtender Biotopverbund, Regeln für das Anlegen von Gärten und für Beleuchtungsanlagen sowie weitere Regelun gen, auf die sich die Verbände aus Naturschutz und Landwirt schaft geeinigt haben. Damit setzen wir uns im Naturschutz erneut deutschlandweit an die Spitze und werden damit unse ren eigenen Ansprüchen gerecht.

(Beifall)

Dass auf diesen Schritt noch viele folgen müssen, wissen wir alle. Aber wir sind auf einem Weg, und darum geht es. Das müssen, das sollten auch diejenigen anerkennen, denen der Kompromiss zu weit geht oder eben nicht weit genug geht. Denn der Kompromiss ist eben nicht faul. Er ist in vielen Tei len bemerkenswert: Ein Fünftel aller landeseigenen Grünflä chen werden zu Blühflächen. Wir passen die Beleuchtung von Gebäuden dem Lebensrhythmus der Insekten an, wir fördern die Forschung, um die Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbs fähigkeit der Landwirte in unserem Land bei den schwierigen Umstellungen sicherzustellen. Pflanzenschutzmittel werden nicht nur in Privatgärten verboten, sondern auch auf Flächen, die sich in öffentlicher Hand befinden, und die Ökolandbau quote ist erstens marktkonform, und zweitens wird sie von der Marketingkampagne „Natürlich. VON DAHEIM“ begleitet.

Wir geben die Arbeit nicht nur ab, wir verbieten nicht nur, wir leisten auch vonseiten der Politik selbst unseren Beitrag. Wir verzahnen Verwaltung, Wissenschaft und Praxis so eng wie nötig, lassen den einzelnen Akteuren dabei aber so viel Frei heit wie möglich.

Natürlich hätte es noch Wünsche zur Veränderung gegeben. Namentlich möchte ich die Initiative zu einem raumübergrei fenden regionalen Biotopverbund nach dem Vorbild des Re gionalverbands Bodensee-Oberschwaben nennen. Aber das,

sehr geehrter Herr Stoch und sehr geehrter Herr Ministerprä sident, ist halt das Problem bei einem Prozess, aus dem der Landtag mehr oder weniger herausgehalten wird. Ob NABU oder andere Verbände – lauter hätte man uns nicht sagen kön nen, wir sollten die Finger vom Gesetz lassen, um den Kom promiss am Ende nicht zu verwässern. Nun denn, dann wer den wir das eben zu einem anderen Zeitpunkt in Eigenregie anpassen müssen.

„Zukunft wird aus Mut gemacht“, so singt es nicht nur Nena, so ist es auch hier. Baden-Württemberg geht mit diesem Ge setz mutig voran. Ich lade Sie ein, der Landesregierung zu fol gen und diesen Gesetzentwurf in großer Entschlossenheit in diesem Haus zu verabschieden.

(Beifall – Zuruf)

Nun spricht Frau Kolle gin Rolland für die SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Vor vier einhalb Jahren hat die Landesregierung mit der Drucksache 15/7930 eine Bilanz zum Zustand der Natur in Baden-Würt temberg vorgelegt. Das Ergebnis war: Zunahme der Versiege lung, Rückgang des Dauergrünlands, 24 % der Gewässer sind in einem befriedigenden ökologischen Zustand, 14 % in ei nem unbefriedigenden ökologischen Zustand – insgesamt sind also 38 % der Gewässer höchstens in einem befriedigenden Zustand –, es gibt einen Rückgang von Biotoptypen insbeson dere in der extensiven Bewirtschaftung wie Magerrasen, Ma gerwiesen und Streuobstbestände, knapp 40 % der Rote-ListeArten sind in Baden-Württemberg gefährdet, 60 % der FFHLebensräume sind in einem ungünstigen, schlechten Erhal tungszustand, 9 % der Grundwassermessstellen weisen zu viel Nitrat auf, und die Wasserversorger klagen über zu viele Pes tizide im Einzugsbereich ihrer Grundwasserfassung, also un serem Trinkwasser.

Jetzt fangen Sie, Herr Minister und Kolleginnen und Kolle gen von Grünen und CDU, bitte nicht wieder mit der alten Leier an, in anderen Bundesländern wäre alles viel schlimmer. Nein, andersherum wird ein Schuh daraus: Baden-Württem berg muss handeln.

(Beifall)

Bestätigt wird das von wissenschaftlicher Seite wie auch von den ersten Ergebnissen eines neuen Monitorings hier in Ba den-Württemberg. Denn es gibt keine Hinweise darauf, dass sich die Situation bezüglich der Artenvielfalt oder auch der Insektenwelt verbessert hätte. Der Handlungsbedarf ist also offensichtlich.

Deswegen muss unser aller Dank den Initiatorinnen und Ini tiatoren des Volksbegehrens „Pro Biene“ gelten, den Bürge rinnen und Bürgern, die das letztlich unterstützt haben.

Nun würde ich gern das Wort an den Fraktionsvorsitzenden der Grünen richten, aber er befindet sich leider außerhalb des Plenarsaals. Jetzt muss ich es halt Ihnen sagen. Ich finde es schon bemerkenswert, wenn ausgerechnet Sie den Menschen, die sich in Verbänden wie BUND, NABU und Bioland, den Verbänden des ökologischen Landbaus oder der bäuerlichen Landbewirtschaftung, oder bei den Naturfreunden engagie

ren, oder aber einer Partei wie der SPD oder der Grünen Ju gend vorwerfen, das seien Spalterinnen und Spalter. Das ist nicht in Ordnung. Ich finde, das ist unerhört.

(Beifall – Zurufe)

Wir sollten ihnen dankbar sein, weil sie erst den Druck auf Sie ausgeübt haben, damit Sie endlich springen. Und jetzt ha ben wir tatsächlich ein gutes Ergebnis auf dem Tisch liegen.

(Zurufe)

Wir haben Ihnen, den Regierungsfraktionen und der Regie rung, in der letzten Beratung vor vier Wochen drei große Schwächen vorgetragen. Diese haben Sie nicht ausgeräumt.

Die erste Schwäche ist, dass vorerst auf den Ackerflächen in nerhalb der Naturschutzgebiete nach wie vor herkömmlich gearbeitet werden darf.

Die zweite Schwäche ist, dass niemand weiß, woher in Zu kunft das Geld stammen wird. Es sind ja noch keine Verpflich tungsermächtigungen hierfür vorgesehen. Wir sind gespannt, ob Sie die finanziellen Möglichkeiten schaffen.

Und zum Dritten weiß niemand – Herr Rösler hat darauf hin gewiesen –, wie Sie eigentlich die Reduzierung der Pestizid mengen messen wollen. Wir haben Ihnen dafür einen Vor schlag gemacht. Wir haben das auch deswegen gemacht, weil wir wissen, dass der Herr Landwirtschaftsminister den Ver braucherinnen und Verbrauchern bislang verweigern wollte, zu erfahren, was auf die Ackerflächen gespritzt wird.

Deswegen wäre es, glaube ich, richtig, wenn Sie, Kollegin nen und Kollegen der Regierungsfraktionen, heute unserem Antrag zustimmen würden. Denn Sie haben ja im Ausschuss die Sinnhaftigkeit durchaus anerkannt. Zudem haben am ver gangenen Montag im Naturschutzbeirat einige Experten ge sagt, dass das, was die SPD bzw. ich als Person da vorgeschla gen haben, richtig ist.

Deswegen: Machen Sie das jetzt klar. Die Wirkstoffmenge müssen wir zur Beurteilung heranziehen. Wir brauchen eine Verwaltungsvorschrift, nach der die ökotoxikologischen Wir kungen der Pflanzenschutzmittel gewichtet werden. Damit wäre es möglich, ein großes Defizit des Gesetzentwurfs zu be seitigen.

Ich meine, Sie sollten jetzt wirklich reinen Wein einschenken und nicht warten, bis nach ein oder zwei Jahren eine Evaluie rung des Gesetzes durchgeführt wird, und erst dann diese Mängel beseitigen. Nein, Rechtsklarheit heißt auch, das so fort zu machen.

Deswegen: Heben Sie nachher beim Aufruf unseres Antrags einfach die Hand zur Zustimmung, dann haben Sie es richtig gemacht.

(Zurufe)

Ich verspreche Ihnen: Die SPD-Fraktion wird...

Frau Abgeordnete, schau en Sie auch mal auf die Uhr.

(Vereinzelt Heiterkeit)

... – ja – die Umsetzung des Geset zes aufmerksam und auch kritisch begleiten. Wir werden dem Gesetzentwurf mehrheitlich zustimmen. Die Richtung stimmt. Aber vergessen Sie nicht: Wir haben keinen zweiten Planeten im Kofferraum.

Vielen Dank.

(Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Hermann Katzenstein GRÜNE: Gepäckträger statt Kofferraum wäre viel schöner!)

Herr Abg. Stein, Sie ha ben dann gleich das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! Naturschutz ist ein wichtiges Thema. Und ich denke, niemand hier in diesem Saal ist gegen Natur schutz. Aber wenn der Naturschutz in die Existenz von ein zelnen Beteiligten eingreift, dann muss man das schon einmal klar und deutlich ansprechen.

(Beifall)

In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Drucksache 16/8379, heißt es, dass

der Erhalt unserer biologischen Vielfalt im Land daher nur möglich sein wird, wenn zugleich die Rahmenbedin gungen für die familiär geführten landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg stimmen, damit auch künftig eine rentable Landbewirtschaftung zugleich zum Wohle der Arten und zum Wohle der Menschen möglich ist;

Es ist auch unser oberstes Ziel, die Familien und die Betriebe zu schützen, die unsere Lebensmittel erzeugen und ganz ne benbei noch unsere schöne Heimat und die Kulturlandschaft geschaffen haben.

Doch der Bruch, der durch die Koalition geht, wird daran sichtbar, dass die CDU noch etwas in die Beschlussempfeh lung hineingebracht hat. Das Feld der Paragrafen muss sie den Grünen und der Ökodiktatur überlassen. Das ist Planwirtschaft

(Zurufe)

zuhören! – und wird sich für alle Beteiligten, die konventio nell wirtschaftenden Bauern und die Biobauern, schädlich aus wirken.

Mit aller staatlichen Gewalt, mit Geld und Beeinflussung soll der Anteil des Ökolandbaus innerhalb von zehn Jahren von 13 auf 40 % erhöht werden; das ist eine Verdreifachung. Der Markt wird nicht so schnell wachsen, vor allem nicht in der vor uns liegenden Rezession. Da können Sie auch hinein schreiben: „soweit der Markt es zulässt“.

Wir wollten, dass Sie die Zahlen herausnehmen. Dem haben Sie sich verweigert. Die Geschädigten werden vor allem die heutigen Biobauern sein, die Pioniere und deren Nachfolger, die das ganze Erfahrungswissen eingebracht haben. Denn wenn das Angebot steigt, wird auch die Umstellung, die Sie staatlich fördern, eingepreist. So wird aus unserem funktio

nierenden Markt im Gleichgewicht durch den großen Störer Staat wieder ein Stück Marktwirtschaft zerstört. Das Ergeb nis ist, dass der Markt nicht einmal mehr für die bisherigen Biobauern reichen wird, geschweige denn für die neu Hinzu kommenden.