Protokoll der Sitzung vom 23.07.2020

Auf den anderen Feldern sind wir nicht untätig. Mit der größ ten Einstellungsoffensive in der Geschichte der baden-würt tembergischen Landespolizei sorgen wir dafür, Versäumnisse der Vergangenheit auszubessern und die kommende Pensio nierungswelle abzufangen. Ab jetzt wird die Polizei personell – auch unter dem Strich – immer stärker und stärker werden. Ich freue mich sehr, dass bereits Hunderte von bestens ausge bildeten und hoch motivierten Polizistinnen und Polizisten in den Revieren in der Fläche angekommen sind und es in den nächsten Jahren immer mehr und mehr werden.

(Beifall)

Herr Minister, es gibt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage.

Nein, Frau Präsidentin. Ich möchte das Ganze jetzt in einem gewissen Zusammenhang darstellen und bitte um Verständnis.

(Abg. Daniel Rottmann AfD: Nicht, dass er aus dem Konzept kommt!)

Mit neuen Schutzausrüstungen, technischer Ausstattung und eben auch der Bodycam haben wir dafür Sorge getragen, dass den Polizistinnen und Polizisten in unserem Land die mo dernste Ausstattung zur Verfügung steht. Und heute sowie in den weiteren Beratungen im Landtag von Baden-Württem berg sorgen wir dafür, dass auch die rechtlichen Befugnisse auf dem aktuellsten Stand sind.

Kurzum: Wir reden nicht nur, sondern wir handeln ganz kon kret.

(Beifall)

Was ändern wir ganz konkret? Erstens: Endlich wird der Ein satz der Bodycam auch in geschlossenen Räumen und Woh nungen möglich sein. Das ist ein Wunsch, den ich schon lan ge habe.

In der vorvergangenen Woche habe ich im Innenausschuss des Landtags die Evaluation nach einem Jahr praktischem flächen deckenden Bodycamwirkbetrieb in Baden-Württemberg vor gestellt. Die wichtigste Erkenntnis: Rund 30 % aller Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten in unserem Land finden in Betriebsräumen und Wohnungen statt. Wenn Polizistinnen und Polizisten verletzt werden, geschieht das in knapp einem Drit tel der Fälle in geschlossenen Räumen und Wohnungen. Es ist doch frappierend, dass die Polizistinnen und Polizisten in unserem Land die Bodycam ausschalten müssen, wenn sie sich in einen geschlossenen Raum begeben, obwohl sie dort in erheblichem Maß Gefahren ausgesetzt sind.

Das Thema „Häusliche Gewalt“, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist leider – leider! – polizeilicher Alltag in unse rem Land. Hier geht es konkret insbesondere um den Schutz von Frauen und Kindern. Und dass hier jetzt in den Wohnun gen aus Beweissicherungsgründen der Einsatz der Bodycam möglich wird, ist ein Sicherheitsgewinn. Das ist aber auch in sofern ein Gewinn, als dadurch weniger Gewalt gegen die Po lizeibeamtinnen und Polizeibeamten in unserem Land ausge übt wird. Und das sind wir unseren Beamtinnen und Beamten auch schuldig.

(Beifall)

Zweitens: Wir schaffen eine neue Befugnis, bei Großveran staltungen und Ansammlungen, die ein besonderes Gefähr dungsrisiko für die innere Sicherheit aufweisen, Personenkon trollen durchzuführen. Es ist beispielsweise bei Fußballspie len, bei sogenannten Hochrisikofußballspielen, ein wichtiges Mittel, verstärkt Personenkontrollen durchzuführen, poten zielle Straftäter aus ihrer Anonymität herauszuholen und auf diese Weise Straftaten zu verhindern.

Auch hier reden wir nicht nur, wenn es vor oder nach einem Fußballspiel wieder einmal gerumpelt hat – Lippenbekennt nisse –, sondern wir handeln ganz konkret. Beim Thema „Ge walt um und in Stadien“ schauen wir nicht weg. Vielmehr ist das eine Daueraufgabe, die wir mit den Stadionallianzen, aber jetzt auch mit einer ganz konkreten Gesetzesänderung ange hen – nicht Lippenbekenntnisse, sondern konkrete Taten. Ge walt um und in Stadien ist für uns unerträglich. Auch wenn es jetzt für ein paar Monate keine Fußballspiele mit Publikum gegeben hat, ist das ein Thema und wird wieder ein Thema sein. Auch hier schauen wir nicht weg, sondern mit langem Atem auf einer langen Linie bekämpfen wir auch diese Ge walt.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was habe ich alles im Rahmen der Anhörung und darüber hinaus in den Medien gelesen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Ellwangen! Hei denheim!)

Selbstverständlich, Herr Kollege Sckerl, machen wir das nicht anlasslos, und selbstverständlich machen wir das nicht auf der Basis von Racial Profiling, wie aus manchen Kreisen zu hö ren ist. Wir haben sowohl im Gesetzestext selbst als auch in der Begründung klare Vorgaben für die Kontrollen gemacht. Klar ist auch, dass sich jede Maßnahme am Grundsatz der Ver hältnismäßigkeit messen lassen muss. Da schauen wir sehr genau hin. Wir haben miteinander eine Evaluation ganz spe ziell in diesem Punkt vereinbart, und wir werden uns das dann auch bei der Evaluation sehr genau anschauen.

Drittens: Wir setzen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme um. Die ses System ist aus meiner Sicht ein unverzichtbares techni sches Hilfsmittel zur Unterstützung polizeilicher Fahndungs aktivitäten. Es ist schnell und zuverlässig und entlastet unse re Polizistinnen und Polizisten.

(Vereinzelt Beifall)

Änderungsbedarf für das Polizeigesetz ergab sich auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnismä ßigkeitsgrundsatz beim Einsatz von heimlichen Überwa chungsmaßnahmen. Dieses Urteil akzeptieren wir selbstver ständlich und setzen es jetzt in unserem Polizeigesetz um.

Daneben wollen wir präventiv-polizeiliche Gefährderanspra chen bzw. Gefährderanschreiben, die seit Jahren ein wichti ges Einsatzmittel zur Abwehr von Gefahren für die öffentli che Sicherheit darstellen, als Standardmaßnahme ausdrück lich in das Polizeigesetz aufnehmen.

Und nicht zuletzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir die EU-Datenschutzrichtlinie umsetzen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf passen wir nun das Polizeirecht an die Vorgaben der Richtlinie an. Dafür war eine umfassen de Novellierung erforderlich, auch weil das Landesdaten schutzgesetz in seiner bisherigen Form als Auffanggesetz für den polizeilichen Bereich wegfällt.

Aufgrund dieses in Summe erheblichen Änderungs- und Er gänzungsbedarfs werden wir nun das Polizeigesetz insgesamt neu strukturieren. Unsere Polizei braucht eine effektive recht liche Handhabe, ein effektives, klar strukturiertes und an die Rechtsprechung und an die EU-Vorgaben angepasstes Poli zeigesetz, und das bekommt sie jetzt auch. Dass wir gleich zeitig unsere Polizistinnen und Polizisten in ihrer praktischen Arbeit stärken und durch die Bodycam besser schützen, das ist wunderbar. Wir reden nicht nur, sondern wir handeln ganz konkret.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich erlebe in diesen Tagen auch sehr viel Zuspruch für unsere Po lizistinnen und Polizisten. Dafür ist der Innenminister sehr dankbar, denn das ist neben aller Gesetzgebung, neben aller finanziellen Unterstützung außerordentlich wichtig.

Nach den Ausschreitungen in Stuttgart sind bei der Begehung vor Ort viele Passanten an unseren Polizistinnen und Polizis ten vorbeigekommen und haben ihnen Danke schön gesagt. Das war ein schöner Zug. Manche haben unseren Polizistin nen und Polizisten sogar Blumen geschenkt. Das hat mich sehr bewegt. Das ist doch ein liebevolles und wunderbares Zeug nis der leider viel zu großen schweigenden Mehrheit in unse rer Gesellschaft.

Genau diese Solidarität brauchen wir aber. Genau auf diesen Zuspruch sind unsere Polizistinnen und Polizisten auch ange wiesen. Unsere Polizistinnen und Polizisten brauchen unse ren und diesen Rückhalt. Denn es sind Menschen, die in ei ner Uniform stecken und die einen Beruf ausüben, der ihnen jeden Tag so vieles abverlangt. Es sind Menschen, die nach Dienstschluss zu ihren Familien heimkehren wollen und dann ein normales Leben führen wollen und sich nicht gegen aus der Luft gegriffene Vorwürfe rechtfertigen wollen. Wer zur Polizei geht, wer sich für den Polizeiberuf entscheidet, ent scheidet sich deswegen für diesen Beruf, weil er Menschen helfen möchte: Die Polizei, dein Freund und Helfer. Da gibt es kein Vertun.

Bei einem Großteil der Bevölkerung genießt Umfragen zufol ge unsere Polizei auch ein sehr hohes Ansehen. Dafür bin ich insbesondere deswegen dankbar, weil damit zusammenhängt, dass es nach wie vor der Berufswunsch vieler junger Men schen ist, Polizistin oder Polizist zu werden. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir die Polizei nicht diskreditieren oder pauschal mit unzutreffenden Vorwürfen überziehen. Wie wol len wir denn sonst in Zukunft Nachwuchs für diesen Polizei beruf bekommen?

Deswegen finde ich im Übrigen auch das Antidiskriminie rungsgesetz in Berlin so schrecklich,

(Abg. Thomas Blenke CDU: Genau!)

weil es uns bei der Nachwuchswerbung nicht hilft, sondern dabei eher hinderlich ist. Meine sehr verehrten Damen und

Herren, wiewohl wir jetzt seit vier Jahren so viele Polizistin nen und Polizisten in Baden-Württemberg einstellen – 9 000 an der Zahl werden es insgesamt sein –, wie es noch nie in der Geschichte der Fall gewesen ist, haben wir Gott sei Dank aus reichend viele Bewerberinnen und Bewerber, sodass wir noch die Qual der Wahl haben, wen wir in den Polizeidienst neh men können.

Es ist schön, dass es noch so viele junge Menschen gibt, die diesen Idealismus und dieses Engagement mitbringen. Sorgen wir bitte gemeinsam dafür, dass das so bleibt. Heute ist dazu ein wichtiger Tag, und heute ist ein Tag, an dem Sie zeigen können, dass den Betroffenheitsreden und den Lippenbekennt nissen konkrete Taten folgen, indem Sie unserem Polizeistär kungsgesetz Ihre Zustimmung geben.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Das werden wir tun!)

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall)

Meine Damen und Her ren, die Fraktionen haben jeweils fünf Minuten Redezeit.

(Heiterkeit – Minister Thomas Strobl: Es ist ja auch kein Fraktionsentwurf, sondern ein Regierungsent wurf!)

Als Erster spricht für die Grünen Herr Abg. Sckerl.

Leider ist das so, Frau Präsidentin. Ich bräuchte heute viel mehr Zeit. Aber Spaß bei seite.

Am Anfang ist mir die Bemerkung wichtig: Dieses Polizeige setz – Herr Minister, da stimme ich Ihnen zu – ist kein Ergeb nis kurzfristiger Überlegungen und Reaktionen, weil wir der Meinung wären, jetzt müssten wir etwas für die Polizei tun, sondern es ist Ausdruck eines langfristigen Handelns, welches täglich stattfindet. Es gibt bei uns ständig Überlegungen: Was müssen wir tun, um die Möglichkeiten der Polizei zu verbes sern, ihre Einsatzbereitschaft hochzuhalten, die Polizei bes ser mit Personal auszustatten, aber auch stets rechtsstaatliche Grundlagen für ihr Handeln zu schaffen? Natürlich ist das im mer eine neue Herausforderung und Fragestellung; so auch hier.

Das Thema „Bodycam in Räumen, auch in Wohnungen“ ist eine neue rechtsstaatliche Herausforderung und bedurfte ei ner adäquaten Antwort. Die Antwort muss – das ist natürlich für uns, aber auch für Sie, Herr Minister, sehr wichtig – mög lichst verfassungsfest sein. Sie muss allen Anforderungen ge nügen. Aber wir waren und sind der Meinung: Wir müssen es machen, und zwar nicht, weil Minister Strobl uns herzlich da rum gebeten hätte, sondern deshalb, weil die Bitte aus der Po lizei selbst kam. Wir haben viele Gespräche mit der Vollzugs polizei geführt, die im Vollzug, auf der Straße schon längere Erfahrungen mit der Bodycam hat. Wir hatten einerseits ganz klare Erfahrungsberichte, dass Ermittlungstätigkeiten er schwert werden, wenn sich Streitigkeiten von der Straße z. B. in Diskotheken verlagern. Auch die berühmt-berüchtigt ge wordene „Stuttgarter Nacht“ hat uns Fälle gezeigt, bei denen z. B. Plünderungen in Läden stattfanden und der Polizist, der den Plünderer verfolgte, die Bodycam ausschalten musste,

weil er sich in einem Ladenraum befand, und aus diesem Grund nicht mehr z. B. durch die Vorlage von beweiserhebli chem Material zur Strafverfolgung beitragen konnte, wie er es sonst gekonnt hätte.

Das sind für uns Gründe, denen wir uns nicht verschließen können. Deswegen ist meine Fraktion der Meinung, dass an solch einer Stelle polizeiliche Eingriffsmöglichkeiten erwei tert werden müssen – maßvoll und rechtsstaatlich.

Das gilt auch für Wohnungen. Bei den Wohnungen haben wir den Richtervorbehalt dazugenommen – das ist für uns sehr wichtig –, um die Maßnahme ausgewogen zu gestalten. Aber wir können nicht die Augen davor verschließen, dass wir ei ne erhebliche Zunahme häuslicher Gewalt haben. Die Fall zahlen sind dramatisch gestiegen.

Es gibt alle möglichen richtigen Maßnahmen für Betroffene, die auf der Istanbul-Konvention beruhen. Es gibt Frauenhäu ser, es gibt Schutzmaßnahmen, es gibt Hilfen. Aber es gibt eben auch diese prekären Vor-Ort-Situationen, in denen Frau en und immer öfter auch Kinder der Gewalt ihrer Peiniger – so nenne ich das einmal – ausgesetzt sind und in denen die Polizei einfach verbesserte Eingriffsmöglichkeiten zur Be weissicherung, zum Eigenschutz, aber auch zum Schutz von Frauen und Kindern braucht.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr richtig!)

Deswegen schlagen wir Ihnen vor, die Anwendung entspre chender Maßnahmen in einer sorgfältigen Abwägung mit Be gleitmaßnahmen zu ermöglichen.

Es gilt und galt auch, bei den in den letzten Jahren häufiger stattfindenden Großveranstaltungen – Fußballspiele und an deres haben zahlenmäßig zugenommen; die polizeiliche Be lastung bei diesen Veranstaltungen ist gestiegen – die polizei lichen Möglichkeiten für Personenkontrollen – ich nenne es einmal so – etwas aus der Grauzone herauszuholen. Das war bisher im Polizeigesetz nicht eindeutig geregelt.

Wir wollen nicht, dass sich die Polizei vor solchen Einsätzen erst einmal überlegen muss, ob sie das darf, ob sie dafür die entsprechende Rechtsgrundlage hat

(Abg. Thomas Blenke CDU: Genau!)