Protokoll der Sitzung vom 30.09.2020

(Zuruf von der CDU: Das sagt er heute immer noch!)

Mit ihrem Vorstoß wollte die CDU sich für Wahlfreiheit ein setzen. Offenbar glaubte die CDU, dass sich der Vorstoß gut als Kompromiss für die Komplementärkoalition eigne. Die Grünen sollten ihre verpflichtend rhythmisierte Zwangsganz tagsschule als einzige Ganztagsschule behalten dürfen; im Ge genzug sollten die kommunalen Betreuungsangebote bezu schusst werden und sollte damit das Gesicht der CDU beim Thema Wahlfreiheit gewahrt bleiben.

Die offene Ganztagsschule mit Unterricht am Vormittag und frei wählbaren Angeboten am Nachmittag fand dagegen kei ne Erwähnung mehr. Das ist umso erstaunlicher, liebe Kolle ginnen und Kollegen der CDU, als die damalige, christlichliberale Landesregierung die offene Ganztagsschule als Schul versuch eingeführt hat. Aber der grüne Koalitionspartner schlägt sogar diesen Kompromissvorschlag aus und lässt die CDU nun hängen beim Versuch, Bundesgeld nicht nur für den ver pflichtend rhythmisierten Ganztag, sondern auch für die kom munalen Betreuungsangebote zu bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kultusministerin strebt an, das gesamte Land zu regieren, scheitert aber schon am grü nen Koalitionspartner. Wir Freien Demokraten setzen uns nach wie vor für bürgernahe Wahlfreiheit ein.

(Zuruf des Abg. Siegfried Lorek CDU)

In unserem Gesetzentwurf fehlte die offene Ganztagsschule nicht. Nach wie vor wollen wir die offene Ganztagsschule ne ben der gebundenen ins Schulgesetz aufnehmen. Warum?

Erstens: weil Kinder und Familien unterschiedliche Bedürf nisse haben. Für den einen passt die gebunden rhythmisierte Form besser, für den anderen die offene mit ihren frei wähl baren Angeboten am Nachmittag – für die man sich selbstver ständlich für mindestens ein halbes Schuljahr festlegen muss.

Zweitens: Die offene Ganztagsschule ist darüber hinaus we gen ihrer einfachen und offenen Organisationsform aus einem Guss, und sie ist auch ein sehr guter und sehr wichtiger Ko operationspartner für die Vereine und außerschulischen Insti tutionen – ein wichtiger Punkt.

Drittens: Schließlich ist diese Schulform kostengünstiger als die gebunden rhythmisierte Form mit ihrem verbindlichen Nachmittagsunterricht an drei oder vier Tagen.

Das Abstimmungsverhalten der anderen demokratischen Par teien wunderte uns damals nicht, als wir unseren Gesetzent wurf eingebracht haben. Für die Grünen sind Offenheit und Wahlfreiheit in diesem Politikbereich ideologisch ohnehin in diskutabel. Die SPD verunglimpfte die offene Ganztagsschu le gar als Bällebad. Auch die CDU lehnte unseren Gesetzent wurf damals ab. Wenn es der Union nun aber ernst ist mit der Wahlfreiheit beim Ganztag, muss sie im Bund dafür eintreten, dass die Mittel für den Ganztag neben der verpflichtend rhyth misierten Ganztagsschule nicht nur für Betreuungsangebote, sondern auch für die offene Ganztagsschule eingesetzt wer den können. Außerdem muss diese im Rahmen des Rechtsan spruchs als Ganztagsschule anerkannt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Baden-Württemberg kann sich Stillstand und Blockade im Bildungsbereich nicht erlau

ben. Durch Corona sind die bildungspolitischen Baustellen wie unter einem Brennglas noch deutlicher zum Vorschein ge treten. Deshalb brauchen wir einen bildungspolitischen Auf bruch – aber bitte in die richtige Richtung.

Guter Ganztag ist die passende Lösung für Kinder und Fami lien. Guter Ganztag bedeutet Wahlfreiheit zwischen offenen und rhythmisierten Formen. Guter Ganztag wird der Lebens wirklichkeit der Familien gerecht, und zwar in Stuttgart wie in Seewald, in Mannheim wie in Mühringen, in Heilbronn wie in Horb.

Wir Freien Demokraten kämpfen dafür, dass die Familien in Baden-Württemberg spätestens nach dem 14. März 2021 vom bildungspolitischen Stillstand befreit werden. Wir kämpfen dafür, dass wir bildungspolitisch auf die Überholspur wech seln – und zwar in die richtige Richtung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung erteile ich nun Frau Ministerin Dr. Eisenmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir über ein Thema sprechen, das die Bürgerinnern und Bürger tatsächlich beschäftigt. Denn die Fragen, wie ihre Kinder betreut werden, wie Bildung und Betreuung in Kombination funktionieren können, können El tern bzw. Familien zu Recht umtreiben.

Herr Born, lassen Sie mich eines vorneweg sagen: Es ist über haupt kein Geheimnis, dass ich persönlich den gebundenen Ganztag nach § 4 a des Schulgesetzes schätze. Ich habe noch nie etwas anderes vertreten, und als Schulbürgermeisterin in Stuttgart haben Sie mich auch richtig zitiert. Nachdem der ge bundene, verbindliche Ganztag 2014 in § 4 a des Schulgeset zes verankert wurde, bestand die Zielsetzung darin, diesen auch breit zu implementieren.

Nur, was ist passiert? Wir haben in der Landeshauptstadt Stutt gart eine Elternumfrage dazu gemacht, was sich denn die El tern wünschen. Als Bürgermeisterin musste ich zur Kenntnis nehmen, dass sich zwei Drittel der Eltern in Stuttgart flexib le Angebote wünschen und eben nicht wollen, dass Ganztags schulen nach § 4 a des Schulgesetzes zur Pflicht und zum zen tralen Angebot in Stuttgart werden. Insofern ist nachher zu Recht nicht die Entscheidung gefällt worden, die ich mir wünschte oder die meinen Grundvorstellungen entsprach, son dern es ist den Wünschen der Eltern in Stuttgart gefolgt wor den.

Das ist ein Thema, das man auf das ganze Land übertragen kann: Politik richtet sich nach den Wünschen und Vorstellun gen der Bürgerinnen und Bürger, aber nicht nach dem, was sich Parteien ideologisch vorstellen. Das ist nämlich das Pro blem, das wir gemeinsam haben.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Sandra Boser GRÜNE – Zuruf: Sehr gut!)

Deshalb können Sie mich gern jederzeit daran erinnern – das sage ich auch in öffentlichen Veranstaltungen –, dass ich den

verpflichtenden Ganztag nach § 4 a des Schulgesetzes in Ba den-Württemberg gut gemacht finde. Es war überfällig nach vielen Jahren der Diskussion, dass dieser 2014 ins Schulge setz übernommen wurde.

2016 kam ich ins Kultusministerium. Zwei Jahre zuvor, 2014, wurde der gebundene Ganztag im Schulgesetz verankert, und das war – Sie erinnern sich; ich habe mir die damaligen De batten und Pressemitteilungen in den letzten Tagen auch noch einmal angesehen – eine Jubelorgie von Grün-Rot. Denn end lich stand der gebundene Ganztag im Gesetz. Bis 2023 soll ten über 70 % der Grundschulen in Baden-Württemberg den gebundenen Ganztag haben. Wir dachten, es geht voran. Das Problem ist: Momentan sind wir bei 20 % gebundenem Ganz tag, und das sind Schulstandorte – –

(Unruhe)

20 % der Schulstandorte. Ja, es gibt viel zu tun.

(Zurufe)

Nur, wissen Sie: Die Eltern von dem zu überzeugen – das ist nämlich Wahlfreiheit –, was Sie tun wollen, ist das eine. Doch da muss man sich schon fragen, ob die Eltern vielleicht das Angebot, das Sie so überzeugend finden, das mir persönlich gefällt, vielleicht nicht so gut finden. Deshalb muss Politik da rauf reagieren und darf nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Das ist das Problem.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

Deshalb die ganzen Aufsetzer. Wie gesagt: 20 % der Standor te bieten verbindlichen Ganztag an – übrigens nicht vollstän dig; das sind nur 13 %.

Der Großteil bietet Wahlformen an. Deshalb kann ich, Herr Dr. Kern, nur sagen: Der Fraktionsvorsitzende der CDU-Land tagsfraktion sprach im Jahr 2018 davon, zu ermöglichen, dass an Standorten alles angeboten wird – verbindlich, halbtags und offene Angebote –, und das ermöglichen wir heute.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Die offene Ganz tagsschule wollen Sie nicht!)

So viel zum Thema „Wir setzen uns nicht durch“. Das ist Teil dessen, was wir in der Koalition vereinbart hatten, was im grün-schwarzen Koalitionsvertrag steht. Ich schicke Ihnen den gern noch einmal zu; dann können Sie auch abhaken, wer sich wann wo wie durchsetzt. Ich glaube, dass wir gute Grundla gen geschaffen haben. Genau das, was Wolfgang Reinhart an gekündigt hat, haben wir auch umgesetzt, und es wird an ei nigen Standorten auch in dieser Form realisiert. Deshalb ha ben wir in diesem Punkt auch keinen Nachholbedarf.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Wir haben ge liefert!)

Um was geht es jetzt? Wir haben seit 2014 die Grundlage nach § 4 a des Schulgesetzes. Ich habe 2016 und 2017 – das wur de durch Karl-Wilhelm Röhm schon angesprochen – zwei Ganztagsgipfel gemacht, weil der Ausbau im verbindlichen Bereich bei uns stockt. Die Grundlage, zu sagen, der Schul

standort, die Schulkonferenz, wo Eltern, Lehrer und Schüler zusammensitzen, müssten gemeinsam mit der Gesamtlehrer konferenz entscheiden, ob verbindlicher Ganztag gewollt sei – ja oder nein –, finde ich richtig. Vor Ort muss entschieden werden. Die Schule muss selbst entscheiden können, was für sie richtig ist und was nicht. Der Schulträger wird dann ein gebunden, weil es um Finanzen, um Finanzierungen geht.

Ich halte diesen Weg, sich vor Ort gemeinsam – Schule und Schulträger – zu überlegen, wie sich Schule vor Ort hinsicht lich Bildung und Betreuung entwickelt, für richtig. Das ist ein hohes Gut. Wir entscheiden in Stuttgart nicht über alle hin weg, sondern das wird vor Ort kommunal, subsidiär entschie den. Die kommunale Selbstverwaltung halte ich für den rich tigen Ansatz. Deshalb ein klares Bekenntnis zu dieser Grund lage.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Diese Ganztagsgipfel mit jeweils weit über 700 Teilnehmerin nen und Teilnehmern haben für alle Beteiligten eines ergeben: Man wünscht sich beide Angebote gleichwertig nebeneinan der. Man wünscht sich Wahlfreiheit. Das war auch ein Thema unserer Musikschulen, unserer Jugendkunstschulen, der Sport vereine, die ja ein Teil der Angebote im flexiblen Bereich sind.

Diese bieten im Übrigen sehr wohl Qualität.

(Abg. Marion Gentges CDU: Ja!)

Ich wundere mich über manche Diskussion aus Berlin, das sei alles keine Qualifizierung, sondern das sei alles Verwahrung. Da kann ich nur sagen: Kommt einmal und schaut euch an, was unsere Kommunen, unsere Schulen anbieten. Eine solche Unterstellung ist eine schlichte Unverschämtheit.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Zuruf: Genau!)

Diese Ganztagsgipfel haben ergeben, dass es sehr mühsam in der Beantragung ist, dass Schulen und Kommunen es als müh sam empfinden, den gebundenen Ganztag nachzuweisen, und deshalb haben wir – das wissen Sie – als Ergebnis, weil mir dieses Thema am Herzen liegt, Beantragungen verschlankt, vereinfacht. Wir haben bei der Beantragung in Sachen Mone tarisierung deutlich entschlackt. Denn es ist mir eben tatsäch lich wichtig, dass § 4 a des Schulgesetzes umgesetzt wird, und zwar vor Ort auch gut umgesetzt werden kann. Da – das muss ich Ihnen leider sagen – haben Sie im Jahr 2014 auf der Hälf te der Strecke aufgehört.

Genauso war es übrigens im Jahr 2014 bei Pressemitteilun gen des Kultusministeriums und des Finanzministeriums. Auch da wurde gefeiert, dass man jetzt den gebundenen Ganztag endlich flächendeckend für Baden-Württemberg – bald 70 % – anbiete. Bedarf des Kultusministeriums – im Jahr 2014 er rechnet –: 1 900 Lehrerstellen. Zeitgleich kam aber die Dis kussion auf, dass man in der letzten Legislaturperiode 11 000 Lehrerstellen einsparen wollte –

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Genau! Sehr gut!)

geschweige denn, dass man Ausbildungskapazitäten erhöht hätte. Das heißt, Sie haben überhaupt nichts unternommen,

um § 4 a des Schulgesetzes bestmöglich für Baden-Württem berg umsetzen zu können. Sich heute hier hinzustellen und zu sagen: „Blockade!“, das hat eine gewisse Chuzpe.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Kern zu?