Protokoll der Sitzung vom 30.09.2020

(Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Sehr gut!)

Die AfD stimmt den Bodycamregelungen und den Versamm lungskontrollen in der vorliegenden Form des Regierungsvor schlags nicht zu. Vielmehr plädieren wir für einen Dreiklang: erstens Wegfall der anlasslosen Kontrollen, aber konsequen te Kontrollen bei Verdachtsfällen – die an viel zu vielen Stel len unterlassen werden –, zweitens Wegfall der Bodycam in Wohnungen. Beides ist zwar durchaus sinnvoll; es muss aber im Interesse der Polizei präziser und so klar geregelt werden, dass die Polizisten nicht erst mal zehn Minuten lang überle gen müssen, ob sie für das, was sie tun, in Haftung genom men werden.

(Beifall bei der AfD)

Drittens: Arbeits- und Geschäftsräume müssen aus dem en gen Wohnungsbegriff herausgenommen werden, dürfen aber auch nicht öffentlichen Plätzen gleichgestellt werden. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, Herr Innenminister.

(Beifall bei der AfD)

Demgemäß halten wir die aktuellen Änderungsvorschläge der FDP/DVP für vernünftig und werden ihnen zustimmen.

Wir möchten aber so klar, wie es klarer nicht geht, betonen: Wir vertrauen der Polizei. Unsere Haltung ist keine Absage an diejenigen, die sich täglich der kriminellen Front stellen und mit dem arbeiten müssen, was wir hier beschließen. Die jetzige Fassung hat zu viel von einem Gummiparagrafen an sich und ist zu wenig handfest und praktikabel.

Der Polizist im Einsatz muss sich sicher sein, dass er nicht selbst auf der Anklagebank landet, wenn er nicht vorher den Kommentar zum Polizeigesetz auswendig gelernt hat. Gera de der Begriff „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ ist äu ßerst vielschichtig; darüber wurden schon die größten Ab handlungen geschrieben.

Viel nötiger als dieses Gesetzesvorhaben wäre es, der Polizei mehr Personal zu gewähren. Einer aktuellen Drucksache lässt sich entnehmen, dass die Zahl der Polizisten in Baden-Würt temberg zwischen 2016 und 2019 um 206 Polizeibeamte sank. Herr Strobl, das ist eine sehr interessante Bilanz; denn Sie ha ben am Anfang der Legislaturperiode erklärt und beinahe wö chentlich wiederholt, wie Sie die Polizei aufbauen wollen, und auch ein paar Versuche unternommen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Thomas Blenke CDU: Sie verstehen es nicht! Der Minister wird es Ihnen nachher erklären!)

Deshalb ist es sehr traurig, wenn nach vier Jahren 206 Poli zeibeamte weniger im Dienst sind.

(Beifall bei der AfD)

Das, Herr Innenminister, ist Ihr Verdienst, vielleicht noch das der Vorgängerregierung der sogenannten Gebrauchtparteien. Nach wie vor vermisst die Polizei die Rückendeckung des Herrn Innenministers für die Polizei. Sie können noch tau sendmal erzählen, dass Sie hinter der Polizei stehen – aber das haben wir ja auch schon mehrmals benannt.

(Abg. Carola Wolle AfD: Handeln! Nicht nur reden!)

Ich möchte ein Beispiel dafür nennen. Da gibt es einen Poli zisten der Krawallnacht vom 21. Juni, der in einer Sprachbot schaft seiner Verzweiflung Ausdruck verliehen hat. An einer Stelle hat er sich in der Wortwahl vertan. Das ist in dieser Emotionalität nicht zu rechtfertigen, ist aber verständlich. Was passiert diesem Mann, der an vorderster Front gekämpft hat, der sich für Ordnung eingesetzt hat, der sein Leben riskiert hat? Ein Disziplinarverfahren, obwohl das nicht zwingend notwendig gewesen wäre. Gnade konnte er nicht erwarten. Herr Innenminister, so stehen Sie hinter Ihrer Polizei!

(Beifall bei der AfD)

Die AfD wird ihre Stimme einer Änderung des Polizeigeset zes geben, welches der Polizist auf der Straße braucht und das ihm das Leben leichter macht. Der vorliegende Entwurf er füllt dies nicht.

(Beifall bei der AfD)

Für die FDP/DVP-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Weinmann.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Spätestens mit der öffentlichen An hörung zum Polizeigesetz wurde nachvollziehbar, warum Sie, verehrter Herr Innenminister Strobl, die Novellierung des Po lizeigesetzes eiligst und binnen kürzester Zeit und noch vor der Sommerpause durch das Parlament bringen wollten. Die ses Ansinnen konnten wir unterbinden. Stattdessen durften wir eine spannende Anhörung erleben, die unsere Befürchtun gen leider bestätigt hat, hat sie im Wesentlichen doch ergeben, dass gerade die Gesetzesverschärfungen, deren Sie sich rüh men, schlechterdings verfassungswidrig sind.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Hört, hört!)

So zieht Professor Nachbaur von der Rechtswissenschaftli chen Fakultät der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg klar und unmissverständlich die Bilanz, dass die Regelung zur Personenfeststellung sowie die Ausweitung der Ortshaftung auf Personen und Sachdurchsuchungen zur Folge haben, dass fortan im Dunstkreis größerer Veranstaltungen jede Bürgerin, jeder Bürger damit rechnen muss, kontrolliert und durchsucht zu werden,

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Eben nicht! Nein! – Gegenruf des Abg. Sascha Binder SPD: Natürlich!)

ohne überhaupt einen konkreten Anlass gegeben zu haben.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Dass das mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar ist, hat nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht festgestellt, wo nach die Durchführung von Kontrollen zu beliebiger Zeit und an beliebigem Ort ins Blaue hinein mit dem Rechtsstaatsprin zip nicht vereinbar ist.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Spannend sind auch seine Ausführungen zur Bodycam, unab hängig von der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Lan des für die Pre-Recording-Funktion. Vernichtend indes war für den vorliegenden Gesetzentwurf aber die Feststellung, dass der in § 44 Absatz 5 und 8 vorgesehene Bodycameinsatz in der Wohnung mit Artikel 13 unseres Grundgesetzes in der aktuellen Fassung unvereinbar ist, also gegen das Grundge setz der Bundesrepublik Deutschland verstößt – eine substan tiierte Feststellung, die auch von Professor Zöller, Universi tät Trier, im Kern geteilt wird.

Insofern, Herr Kollege Sckerl, ist auch ein Unterschied zu Nordrhein-Westfalen gegeben. Denn Nordrhein-Westfalen verzichtet explizit auf die Pre-Recording-Funktion. Auch Ihr Ansatz mit dem Richtervorbehalt greift zu kurz, weil der Grundrechtsverstoß bereits erfolgt ist, wenn der Richtervor behalt eingefordert wird.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Andersherum geht es nicht!)

Im Unterschied zum klaren und eindeutigen Votum der Ver fassungswidrigkeit wurde die Frage des tatsächlichen Nutzens des Einsatzes von Bodycams in Wohnungen für die Polizei nicht einhellig beantwortet. Während aus fachlicher Sicht der Nutzen für Einsatzkräfte als Instrument der Eigensicherung zur Verringerung der Verletzungsgefahr gegeben sei – Frau Kriminalhauptkommissarin K. vom Polizeipräsidium Mann heim stellte dar, dass es zwar wissenschaftlich nicht belegt ist, aber in einer gewissen Hinsicht plausibel erscheint –, zeigte beispielsweise eine Studie der Stadtpolizei Zürich, dass der Bodycameinsatz in Wohnungen bei Vorfällen von häuslicher Gewalt gerade keinen sinnvollen Einsatzbereich darstellt.

Als Fazit zur Bodycam in Wohnungen bleibt daher festzuhal ten, dass dem zweifelhaften einsatztechnischen Nutzen der verfassungswidrige Eingriff in die Freiheits- und Bürgerrech te der Menschen in unserem Land gegenübersteht.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Doch wie reagiert das Innenministerium, wie reagiert GrünSchwarz auf diese Feststellung? Gar nicht. Dass die CDU ih rem Innenminister nicht in die Parade fährt, überrascht nicht, auch wenn die Relativierung der juristischen Expertise durch die zweifelhafte Interpretation weiterer Aussagen alles ande re als souverän wirkt. So wird beispielsweise die Stellungnah me des von mir persönlich sehr geschätzten Opferbeauftrag ten des Landes, Dr. S., herangezogen, der sich expressis ver bis gar nicht mit der verfassungsrechtlichen Frage befasst hat.

(Abg. Sascha Binder SPD: Richtig! – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Dass sich Herr Generalstaatsanwalt B. und der Landesvorsit zende der DPolG, Ralf Kusterer, nicht gegen weitere Befug nisse für die Polizei aussprechen, dürfte hier wohl niemanden ernsthaft überraschen. Deutlicher hätte da die Aussage des Herrn Kusterer nicht ausfallen können, der den Vergleich be mühte, dass sich ein Fleischliebhaber in der Metzgerei auch nicht dagegen verwehren würde, wenn die Verkäuferin fragt, ob es auch ein bisschen mehr sein dürfe.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Herr Dr. Brink hat sich ausschließlich mit datenschutzrecht lichen und nicht mit verfassungsrechtlichen Fragen befasst,

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Auch das stimmt nicht!)

wenngleich er auch hier dem Gesetzentwurf kein gutes Zeug nis ausstellt. Vielmehr führt er in Bezug auf seine Kritikpunk te an, wie wir heute auch dem „Badischen Tagblatt“ entneh men konnten – ich zitiere –:

„Das ist keine Kleinigkeit und europarechtswidrig.“

Herr Minister, wenn das einen Ritterschlag darstellt, dann weiß ich nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Und, Kolleginnen und Kollegen der Grünen: Noch vor der Anhörung sagte Herr Kollege Sckerl, dass die Anhörung kei ne Alibiveranstaltung sein werde.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: War sie auch nicht!)

Trotz des klaren Ergebnisses folgte: nichts.

(Heiterkeit bei der FDP/DVP und der SPD)

Der Alibiveranstaltung ist das Alibi verloren gegangen. Die Grünen haben sich damit ganz bewusst von ihrer Rolle als Be wahrer von Bürger- und Freiheitsrechten verabschiedet.

(Beifall bei der FDP/DVP und der SPD)

Da hilft es auch nicht, Herr Kollege Sckerl, dass Sie jetzt mög licherweise mit der Faust in der Tasche zustimmen. Sie wer den gegenüber Ihren Wählerinnen und Wählern diesbezüglich Rechenschaft ablegen müssen.

Herr Abg. Weinmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Rottmann zu?