Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

(Abg. Tobias Wald CDU: Keine Ahnung! – Gegen ruf des Abg. Andreas Stoch SPD: Aber davon jede Menge!)

und Sie stehen nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-de mokratischen Grundordnung.

(Beifall bei der AfD – Abg. Tobias Wald CDU: Da klatschen die noch!)

In unserem Grundsatzprogramm haben wir uns die Aufgabe gestellt, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, also, allgemein gesprochen, den Wohlstand zu erhöhen.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Ich verstehe nichts! – Gegenruf des Abg. Tobias Wald CDU: Wir auch nicht!)

Wir lassen uns nicht niederschreien. Sie können toben und schreien, so viel Sie wollen, aber ich werde die Position der AfD hier weiter darlegen, meine Damen und Herren.

(Abg. Sascha Binder SPD: Solange Sie es noch dür fen! – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sie tragen zur Erheiterung des Hauses bei!)

Mit Ihren Methoden werden Sie mehr Ungerechtigkeit schaf fen. Sie werden vor allem ältere, alleinstehende Immobilien besitzer, die dieses Land, unsere Nation nach dem Krieg wie der aufgebaut haben, teilweise in die Armut treiben. Wir brau chen kein Mehr an Steuern und Abgaben, sondern ein Weni ger. Das geht, wie diese Debatte gezeigt hat, nur mit der AfD.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Ge deon [fraktionslos] – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Sehr gut! – Abg. Tobias Wald CDU: Schon mal was von Aufkommensneutralität gehört? Wissen Sie über haupt, wer die Grundsteuer bezahlt? Der Nutzer, nicht der Eigentümer!)

Sie sind in Ihrem Denken so verkrustet, dass Sie gar nicht mehr kapieren, was vernünftig ist.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD – Zuruf: Feierabend! – Vereinzelt Heiterkeit bei den Grünen und der SPD)

Herr Abg. Brauer, Sie ha ben das Wort für die FDP/DVP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lange vor der Ver abschiedung der Öffnungsklausel haben wir von der FDP/ DVP-Fraktion davor gewarnt, das sogenannte Scholz-Modell zur Berechnung der Grundsteuer einzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Der nun vorgelegte Gesetzentwurf ist nicht das befürchtete bürokratische Monster, das uns das Modell nach dem Entwurf des Bundesfinanzministers gebracht hätte, aber Ihr Entwurf ist leider auch nicht viel besser.

Zur Kritik im Einzelnen: Dass die Grundstücksfläche die grundlegende Bezugsgröße für die Erhebung sein soll und die

Gebäudefläche völlig unbeachtet bleibt, ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Gleiches muss gleich behandelt – sprich: gleich besteuert – werden; Ungleiches muss unter schiedlich besteuert werden.

Der Gesetzentwurf führt zu der identischen Besteuerung ei nes zweistöckigen Hauses mit 140 m2 und eines sechsstöcki gen Hauses mit 120 m2 Wohnfläche pro Stockwerk, wenn die Lage und die Grundstücksgröße identisch sind. Das ist nicht nur nach unserer Meinung verfassungswidrig.

Einen weiteren Schwachpunkt stellen die Bodenrichtwerte dar. Diese werden anhand von Berechnungen und Veröffent lichungen von Gutachterausschüssen gebildet. Die Werte sol len verbindlich gelten und sind laut ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs einer gerichtlichen Überprüfung nur im Ausnahmefall zugänglich.

Da die ermittelten Werte aber die zweite große Säule der Grundsteuer darstellen, liegt hier erhebliches Konfliktpoten zial vor, wie auch Haus & Grund in seiner Stellungnahme dar legt. Zudem ist die Bindung an den Wert der Einstieg in eine Besteuerung des Vermögens. Eine Vermögensteuer, die nichts anderes als eine Substanzsteuer ist, lehnen wir rundweg ab. Sie widerspricht auch dem Grundgedanken der Grundsteuer; ich zitiere aus dem Gutachten von Professor Dr. Kirchhof:

Die Grundsteuer würde als Äquivalenzabgabe für Leis tungen entrichtet, die dem Grundbesitz zugutekommen, ihn besser nutzbar machen.

Es ist grundfalsch, die Grundsteuer, die eine reine Objektsteu er ist, nach der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu be messen. Eine Orientierung am Wert scheidet damit aus.

Stellen Sie sich Folgendes vor: Eine vierköpfige Familie erbt in Stuttgart ein kleines Häuschen in bester Lage auf einem großen – weil alten – Grundstück. Die Frau ist kaufmännische Sachbearbeiterin, der Mann Polizist. Nach Ihrem Modell wür de die Belastung durch die Grundsteuer auf ein Vielfaches des bisherigen Betrags ansteigen. Ist diese Familie leistungsfähi ger als ein Chefarzt, der in Langenburg im Landkreis Schwä bisch Hall auf drei Stockwerken residiert? Nein, das ist sie nicht.

Lassen Sie die Kirche im Dorf und die Grundsteuer da, wo sie hingehört, und zwar an das Objekt gebunden. Die Gebäude fläche muss Berücksichtigung finden. Deshalb unser Antrag zum Flächenmodell – er ist die logische Konsequenz aus dem Gesagten.

Neben dieser Ungerechtigkeit für den einzelnen Steuerzahler haben Sie in Ihrem Entwurf noch eine weitere in petto, und zwar die Bevorzugung bestimmter Wohnungsbaugesellschaf ten. Sobald sie Kreisen, Gemeinden, Vereinen oder Genossen schaften gehören und von der Körperschaftsteuer befreit sind, wird ihnen ein Nachlass von 25 % gewährt. Die Begründung liest sich interessant: Es sollen die Belange der Bau- und ins besondere der Wohnungswirtschaft Berücksichtigung finden. Sie rechnen also nur die genannten Institutionen der Woh nungswirtschaft zu diesem erlauchten Kreis, während andere leer ausgehen. Diese sachferne und realitätsfremde Sichtwei se ignoriert dabei, dass 80 % der Wohnungen in Deutschland Privateigentümern gehören und darüber hinaus zwei Drittel

der Mietwohnungen von Privatpersonen zur Verfügung ge stellt werden.

(Zuruf von der FDP/DVP: Hört, hört!)

Diese sind eben nicht die oftmals als Kampfbegriff genann ten Spekulanten – das habe ich heute zweimal gehört –, son dern Menschen, die Immobilieneigentum als Teil ihrer Alters vorsorge nutzen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD sowie der Abg. Dr. Heiner Merz und Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos] – Abg. Dr. Christina Baum AfD: Genau!)

Wenn Sie diese hier gegenüber anderen Wohnungsbaugesell schaften benachteiligen, haben Sie gleich wieder einen Ver stoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes begangen.

Lassen Sie es nicht zu, dass zum wiederholten Mal Gerichte Ihr Gesetz kassieren, sondern gehen Sie in sich und dann nochmals an Ihren Entwurf. Die Eigentümer im Land der Häuslebauer werden es Ihnen danken, und Sie verhindern da mit auch eine Klagewelle. Wir von der FDP/DVP-Fraktion können gar nicht anders, als Ihren Gesetzentwurf abzulehnen.

Frau Sitzmann, Sie haben davon gesprochen, die Grundsteu er in Baden-Württemberg sei nach Ihrem Modell einfach, ge recht, niedrig und verfassungsgemäß. Einfach ist Ihr Modell durchaus, denn komplizierter geht es natürlich immer. Gerecht ist es mit Sicherheit nicht. Das habe ich im Hinblick auf das eine Beispiel der Familie dargelegt, und es gibt noch zig an dere Beispiele. Ob die Steuer niedrig ist, werden wir in der Praxis sehen.

(Ministerin Edith Sitzmann: Das habe ich auch nicht behauptet!)

Das müsste man mal beispielhaft berechnen, wie es die SPD gefordert hat. In Böblingen soll es das Fünf- bis Sechsfache ausmachen; es gibt auch noch höhere Schätzungen.

(Abg. Tobias Wald CDU: Hebesatz, Herr Kollege!)

Ob das Vorhaben verfassungsgemäß ist, da habe ich größte Bedenken. Das werden wir auch sehen. Eigentlich ist es selbst verständlich, dass ein Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist. Diese Beschwörungsformel, dass Ihr Modell wirklich verfas sungsgemäß sei, lässt mich schon daran zweifeln.

An die Adresse der CDU gerichtet: Wenn Haus & Grund das Modell kritisiert, aber der NABU es lobt, sollte Ihnen das zu mindest zu denken geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD sowie der Abg. Dr. Heiner Merz und Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos] – Zuruf: Was haben Sie denn gegen den NABU?)

Jetzt hat Herr Abg. Dr. Merz das Wort.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, werte Kollegen Abgeordnete! Im Gesetzentwurf heißt

es unverblümt: „Druck zur Bebauung unbebauter oder schlecht ausgenutzter Grundstücke“. Schlecht ausgenutzte Grundstü cke sind kleinere Häuser mit größeren Gärten, so wie dies in älteren bestehenden Baugebieten durchaus üblich war. Hier kann also dem Druck zur Bebauung schlecht ausgenutzter Grundstücke nur auf zwei Wegen stattgegeben werden: ent weder durch Zusatzbebauung oder durch Abriss und Neube bauung.

Doch ist es überhaupt möglich, ein gar mehrstöckiges Zusatz wohnhaus in einen Vorgarten oder auf bestehende Stellplätze zu bauen? Wohl eher nicht. Ziel des Gesetzes ist es also un verblümt, bestehende und oft liebevoll instand gehaltene Häu ser abreißen zu müssen, um dort mehrstöckige Wohntürme ohne viel Grün drum herum maximalflächig hinzubauen.

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Hä?)

Dass das konkret aufgrund bestehender kommunaler Bebau ungspläne in den meisten Fällen gar nicht geht, das wird von den Entwerfern des Gesetzes genauso ignoriert wie die Tatsa che, dass in den bestehenden Häusern Menschen leben, die dort zu Hause sind. In solch älteren und kleineren Häuschen wohnen vor allem auch junge Familien, denn diese alten und kleinen Häuschen waren bis vor einigen Jahren vergleichs weise billig; man konnte sie sich also leisten.

Zukünftig kann sich jedoch in Vorstadtgebieten kein Rentner und keine junge Familie – außer sie wären Großverdiener – das eigene Haus mehr leisten. Die Grundsteuer für ein Haus mit Garten in städtischen Einzugsgebieten steigt nämlich um zig Hunderte von Prozent. Die „Stuttgarter Zeitung“ schrieb hierzu am 10. Juli: in Böblingen von bisher 127 auf 926 €, in Leonberg von 329 auf 1 823 €.

(Abg. Thekla Walker GRÜNE: Wenn die Hebesätze nicht verändert werden!)

Die Hebesätze sind für die Stadt insgesamt.

(Zuruf des Abg. Tobias Wald CDU)

Hier geht es um einzelne Grundstücke. Der Hebesatz wird nicht pro Grundstück erhoben, sondern für das gesamte Stadt gebiet. Denken Sie mal darüber nach.

Mir selbst ist ein Fall in Waiblingen bekannt, bei dem die Grundsteuer für ein altes Haus mit Garten von jetzt 168 € auf 2 551 € steigen wird.