Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Ich sage noch etwas Trauriges: Mit dem gestrigen Bericht des Landesgesundheitsamts wurde für Baden-Württemberg eine Sieben-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner von 34,5 fest gestellt. Ich spreche jetzt vom ganzen Land und nicht nur von

den sechs Landkreisen, die mittlerweile den Wert von 50 über schritten haben.

Ab einem Wert von 35 müsste die Landesregierung nach ih rem Pandemiekonzept die dritte Stufe ausrufen. Diese sieht mehr vor, etwa den konkreten Handlungsauftrag zur Bildung von festen Gruppen in Schulen. Sind unsere Schulen darauf überhaupt vorbereitet? Wissen die Einzelhändler, dass sie nach dem Pandemieplan die Anzahl der Personen, die sich in einer Verkaufsstelle aufhalten dürfen, auf eine Person pro 10 m2 Ver kaufsfläche reduzieren sollen? Wissen die Ausrichter von öf fentlichen Veranstaltungen, dass bei der Ausrufung der drit ten Stufe im Eingangsbereich verpflichtend Fieber gemessen werden muss?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir wollen, dass dieses Brechen der Infektionskurve gelingt, dann muss von der Landesregierung jetzt ein konkretes Handlungskon zept vorgelegt werden. Es müssen jetzt Regelungen getroffen werden, und diese Regelungen müssen so kommuniziert wer den, dass jeder im Land versteht, was in der nächsten Woche gilt. Sonst schaffen wir es nicht, diese Infektionswelle zu bre chen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Udo Stein AfD)

Der Herr Ministerpräsident hat es gesagt: Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist zwölf. Es geht jetzt darum, dass wir die Regeln auch operationalisieren, dass die Regeln auch umgesetzt wer den können.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Sie zer stören unser Land!)

Lassen Sie mich noch einen Satz zum Beherbergungsverbot sagen. Dieses Beherbergungsverbot ist deswegen auf Unver ständnis gestoßen, weil es in sich nicht logisch ist. Die Frage, ob das Infektionsgeschehen durch Übernachtungen in Hotels gefördert wird, haben die Leute nicht nachvollziehen können.

Wenn Sie als beruflich Tätiger oder Berufsreisender z. B. heu te in Stuttgart sind und in der nächsten Woche wieder nach Stuttgart in dasselbe Hotel reisen, dann müssten Sie nach der bisherigen Regelung ein Beherbergungsverbot akzeptieren oder ein negatives Testergebnis mitbringen, wenn Sie dann wieder im selben Hotelzimmer übernachten. Das macht kei nen Sinn. Regelungen, die wir erlassen, müssen Sinn machen. Deswegen halte ich es für richtig, dass das Beherbergungs verbot an dieser Stelle korrigiert wird.

Wir müssen aber auch alles dafür tun, die Menschen dazu zu bringen, Angenehmes, was vielleicht das Infektionsgesche hen erhöht, jetzt nicht zu tun. Deswegen geht es um Urlaubs reisen und Freizeitreisen. Diese müssen im Moment sehr zu rückhaltend genutzt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Die Lage ist sehr ernst. Was wir jetzt nicht brauchen, sind Ide ensammlungen aus den Ministerien in Form eines Ampelsys tems. Was wir jetzt brauchen, sind klar formulierte Regelun gen, die die Menschen verstehen, in sich logisch finden, die in Deutschland bei gleichen Infektionszahlen auch einheitlich gelten.

Was wir brauchen, sind schnelle Beschlüsse, wenigstens zu den Regeln, zu denen gestern in Berlin Übereinstimmung herrschte. Diese Beschlüsse müssen rasch in Kraft gesetzt werden, damit sie draußen auch Wirkung entfalten können.

Wir brauchen die Mitarbeit aller Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe sehr darauf, dass in diesen Tagen auch die bisher wider strebende absolute Minderheit einsieht, welch großer Scha den entsteht, wenn wir jetzt nicht gemeinsam dafür kämpfen,

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Wir brau chen mehr Widerstand!)

dass dieses Infektionsgeschehen gebrochen wird. Wir müssen es schaffen, dieses Virus zu besiegen. Da kommt es auf uns alle an, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Mehr querdenken! – Gegen ruf des Abg. Winfried Mack CDU: Auch querdenken setzt denken voraus! – Gegenruf des Abg. Dr. Hein rich Fiechtner [fraktionslos]: Oder auch nur mehr denken, genau!)

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Schwarz das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Bislang sind wir in Deutschland, in Baden-Württemberg im Vergleich zu unseren Nachbarn ver hältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Wir alle haben entschlossen, besonnen gehandelt. Das hat sich bislang aus gezahlt.

Mein Blick geht zur Regierung, denn Ministerpräsident Kretsch mann führt mit seinen bekannten Qualitäten das Land durch diese Krise: Maß und Mitte.

Mein Blick geht auch zu den Kreisen und den Gemeinden, un seren starken Partnern. Diese starken Partner werden wir brau chen, denn jetzt geht es darum, angesichts gestiegener Inzi denzwerte lokale Maßnahmen zu ergreifen. Auf unsere Part ner in den Kommunen kommen daher wichtige Aufgaben zu. Mein Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Behörden, die uns bei diesem Kurs unterstützen. Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP)

Das Land, die Kommunen und letztendlich jede Bürgerin, je der Bürger, wir alle tragen gemeinsam Verantwortung. Der ganz überwiegende Teil der Menschen in Baden-Württemberg hat mitgezogen. Ich bin zuversichtlich, dass sie auch weiter mitziehen werden. Deswegen danke ich all denjenigen, die sich umsichtig verhalten, die Solidarität großschreiben, die sich an die Regeln halten. Ich freue mich, in einem Land le ben zu können, in dem diese Solidarität großgeschrieben wird. Auf diese Solidarität, meine Damen und Herren, wird es in den nächsten Wochen in entscheidendem Maß ankommen. Diese Solidarität ist wichtig, wenn wir gestärkt aus der Krise kommen wollen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf von der AfD)

Solidarität – das ist ganz ähnlich wie bei der Bekämpfung der Klimakrise – ist hier nämlich auch eine Generationenfrage. Bei der Klimakrise gehen die jungen Leute auf die Straße und fordern von dem älteren Teil der Bevölkerung ein, sich soli darisch zu zeigen, weil die Zukunft der jungen Generation erst noch beginnt. Deswegen fordert hier die junge Generation mehr Engagement zur Bekämpfung der Klimakrise ein.

Wenn wir uns jetzt das Coronavirus anschauen, stellen wir fest: Das Alter ist beim Coronavirus ein bedeutender Risiko faktor. Es ist zwar nicht so, dass nur alte Menschen erkran ken, aber die Häufigkeit schwerer Erkrankungen, auch teil weise tödlich verlaufender Erkrankungen, ist bei älteren Men schen deutlich höher als bei jüngeren. Deswegen läuft bei Co rona die Richtung der Solidarität von Jung zu Alt.

Wir alle mussten in diesem Jahr auf vieles verzichten: auf Ur laube, auf Familienfeiern. Mein Respekt gilt deswegen den vielen jungen Menschen, deren Klassenfahrten und Abschluss feiern nicht stattfinden konnten. Das ist nicht einfach. Deswe gen danke ich all denjenigen, die sich vernünftig verhalten ha ben. Das ist für mich gelebte Solidarität.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Jetzt im Herbst kommen neue Herausforderungen auf uns zu. Um noch einmal das Bild mit der Klimakrise aufzugreifen: Jetzt stehen wir an einem Kipppunkt. Es entscheidet sich jetzt, ob ein schlimmer Verlauf abgewendet werden kann oder eben nicht.

An diesem Kipppunkt sind wir alle noch einmal gefragt. Wir alle müssen daran mitwirken, das Virus zurückzudrängen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir alle gemeinsam noch einmal große Anstrengungen unternehmen, um die steigende Zahl der Infizierten zu bremsen, um das Virus zurückzudrängen. Denn das Schlimmste wäre, wenn wir in eine neue Phase des expo nentiellen Wachstums kommen würden. Deswegen müssen wir jetzt alles dafür tun, um eine weitere diffuse Ausbreitung zu verhindern. Das steht ganz oben auf der Tagesordnung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Und dafür sind Prioritäten notwendig. Meine Priorität, die Pri orität meiner Fraktion ist ganz klar – ich habe ja vorhin von Solidarität gesprochen –:

(Zuruf)

Wir schützen diejenigen, für die dieses Virus am gefährlichs ten ist. Gleichzeitig tun wir alles dafür, dass Kinder, Jugend liche, Familien nicht weiter eingeschränkt werden, als es not wendig ist. Das ist gelebte Solidarität. Deswegen ist für mei ne Fraktion zentral, dass wir Kindergärten, Kindertagesstät ten, Kitas offen halten, dass wir einen verlässlichen Schulbe trieb aufrechterhalten, dass unsere Kinder in den Schulen Un terricht haben. Es ist das A und O, Familien in dieser Krise zu stärken. Das hat für uns Priorität, liebe Kolleginnen und Kol legen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktions los])

Wenn ich auf die baden-württembergische Wirtschaft schaue, dann freue ich mich, dass viele Arbeitgeber in den letzten Mo

naten Flexibilität gezeigt haben. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten von zu Hause aus. Für Flexibilität bei der Arbeitszeit bin ich dankbar. Wir haben mit den Hilfspro grammen unseren Teil beigetragen.

Umso wichtiger ist es jetzt, hier für Verlässlichkeit zu sorgen. Dazu gehören klare Regeln, über die nicht jede Woche neu verhandelt werden muss. Vielmehr ist es wichtig, dass wir zu einem verlässlichen Alltagsleben und zu einem aktiven Wirt schaftsleben kommen. Deswegen schließt sich hier der Kreis, und es wird deutlich, wie wichtig es ist, dass wir Schulen und Kitas in Betrieb halten und somit auch Verlässlichkeit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Wirtschaft erzeugen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt ist unsere gemeinsame Kraftanstrengung gefragt. Wir kommen gestärkt aus der Kri se, wenn wir alle daran mitarbeiten, das Virus zurückzudrän gen. Dazu sind Regeln notwendig, orientiert an der Wissen schaft, gut begründet, Regeln, die Verlässlichkeit bieten. Nur dann werden sie akzeptiert und eingehalten.

Die Bundeskanzlerin und Sie, Herr Ministerpräsident, haben gestern mit Ihren Kolleginnen und Kollegen intensiv beraten und lange diskutiert. Sie haben die Hotspot-Strategie noch mals nachgeschärft. Dieses Ergebnis, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Regelwerk, das für Verlässlichkeit sorgt. Wir begrüßen diese Entscheidung, Herr Ministerpräsident. Meine Fraktion unterstützt Sie bei diesem Kurs von Maß und Mitte. Ich finde, Sie haben da gestern Abend Richtiges entschieden.

(Beifall bei den Grünen)

Denn es ist richtig, Beschränkungen dort vorzusehen, wo lo kale Ausbrüche stattfinden. Es braucht das scharfe Schwert, um diese lokalen Hotspots, die lokalen Ausbrüche einzudäm men. Das heißt effektive Teilnehmerobergrenzen für öffentli che und private Feiern, eine Ausdehnung der Sperrstunde, ei ne Erweiterung der Maskenpflicht. Dort, wo es notwendig ist, weil die Zahl der Neuinfektionen über mehrere Tage oder gar Wochen ansteigt, muss man über Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum nachdenken.

Ja, ich weiß, das sind scharfe Maßnahmen. Aber es ist doch völlig klar: Wenn in einem Landkreis über Tage, über Wochen hinweg die Zahlen steigen, dann ist dort eine sehr starke Ge fahr gegeben. Deswegen ist es richtig, dieser Gefahr entge genzutreten. Die Kontaktbeschränkung ist hier eben die Ulti ma Ratio. Aber in der Abwägung zwischen einer diffusen Aus breitung des Virus und dem Gesundheitsschutz sind wir hier – so finde ich – auf dem richtigen Weg und tragen diese Maß nahmen mit, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wichtig ist für uns: Der Vollzug der Maßnahmen durch die Landratsämter, durch die Ortspolizeibehörden muss stringen ter werden. Wir wünschen uns hier mehr Verbindlichkeit, mehr Durchsetzung, mehr Kontrolle. Nicht die Höhe des Buß gelds ist entscheidend, sondern das unmittelbare Einhalten der Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung.

Jetzt hat hier die FDP/DVP etwas auf den Tischen ausgelegt. Ob dieser Antrag eingebracht wird, wird man noch diskutie ren müssen. Aber das Beherbergungsverbot ist natürlich in al ler Munde. Ich finde, Herr Ministerpräsident, Sie haben hier nachvollziehbare Gründe genannt. Es gibt nämlich Gründe, warum man ein solches Beherbergungsverbot erlassen hat.

(Zuruf des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Das Ziel ist, das Virus nicht in die Fläche zu bringen. Deswe gen gibt es das Beherbergungsverbot. Es sollen weniger Rei sen unternommen werden.

Ich habe vorhin dargestellt, dass es uns wichtig ist, das Wirt schaftsleben aufrechtzuerhalten, ein aktives Wirtschaftsleben zu fördern,

(Zuruf des Abg. Daniel Rottmann AfD)