Protokoll der Sitzung vom 15.10.2020

(Zuruf des Abg. Daniel Rottmann AfD)

die Priorität auf die Öffnung der Kitas, auf die Öffnung der Schulen, auf Familien zu legen. Insofern komme ich zu dem klaren Ergebnis, dass das Beherbergungsverbot mit Ausnah me von dienstlichen und geschäftlichen Reisen eine sinnvol le Sache ist. Wir unterstützen das. Nicht unbedingt notwendi ge Reisen sollen zum Schutz von Familien, Kindern und für ein aktives Wirtschaftsleben vermieden werden, meine Da men und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Herr Abg. Schwarz, lassen Sie zwei Zwischenfragen der Frau Abg. Wölfle und des Herrn Abg. Dr. Schweickert zu?

Bei 30 Sekunden Redezeit, die mir noch verbleiben, klappt das nicht mehr, liebe Kolle gin, lieber Kollege.

Ich möchte mit einem Appell schließen. Wir befinden uns in einer Verantwortungsgemeinschaft. Wir, das Land BadenWürttemberg, unterstützen die Wirtschaft und die Forschung. Wir investieren viel Geld in die Kliniken, haben den öffentli chen Gesundheitsdienst gut ausgebaut. Wir sorgen für Ver lässlichkeit und klare Regeln. Nun ist aber jede und jeder von uns gefragt. Hier geht es um Eigenverantwortung, um Verant wortung für die Gemeinschaft. Nicht alles, was rechtlich zu lässig ist, muss man jetzt machen. Das gilt auch für Reisen und private Feiern. Wenn wir alle das beherzigen, dann – da bin ich zuversichtlich – schaffen wir es, das Virus in Schach zu halten und stärker aus der Krise zu kommen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Reinhart das Wort.

Frau Präsidentin, ver ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Zahlen und die eben dar gelegte Regierungsinformation des Ministerpräsidenten zei gen: Corona bleibt eine Geduldsprobe. Es bleibt auch, wie von der Kanzlerin gesagt, eine Zumutung in unserem Alltag, und zwar für unser Miteinander, auch für unsere Freiheiten, und damit bleibt es eine Gefahr für uns alle.

Wir haben die Zahlen heute Morgen gehört. Der neue Höchst stand: In der „Tagesschau“ wurde die Zahl 6 638 für Deutsch land bekannt gegeben. 850 sind es mittlerweile in BadenWürttemberg. Damit stehen wir nicht vor einer zweiten Wel le und auch nicht vor einer exponentiellen Entwicklung, son dern wir haben sie bereits.

Deshalb muss es darum gehen – das haben wir immer ge wusst –: Wir müssen und werden den langen Kampf gegen das Virus im Herbst und im Winter unter erschwerten Bedin gungen weiterführen. Das hat uns auch Professor Kräusslich von der Uni Heidelberg vorausgesagt. Das tritt jetzt ein.

Ich möchte an dieser Stelle zunächst auch einen Dank sagen, nämlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesund heitswesen. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass in den letzten Monaten besonders vulnerable Gruppen in Kranken häusern, in Pflegeheimen, in Senioreneinrichtungen gut vor den Ansteckungen geschützt worden sind. Deshalb Dank an all diese Aktiven, die hier tätig waren.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Wir haben jetzt steigende Infiziertenzahlen, und wir sehen auch mit Blick zu unseren Nachbarn und Freunden in Frank reich, dass es dort am vergangenen Montag – an einem ein zelnen Tag – laut der Johns-Hopkins-Universität fast 44 000 Neuinfektionen gegeben hat. Allein seit dem Monatsanfang hat Frankreich rund 1 000 Todesfälle zu beklagen. Deutsch land und Baden-Württemberg sind zwar bisher in der Tat viel besser als andere Länder der Welt durch diese Krise gekom men, aber jetzt rollt die Welle, wie der Ministerpräsident ein gangs gesagt hat, durch ganz Europa und macht damit auch vor Baden-Württemberg nicht halt.

Das, was in Frankreich und überall in Europa im Moment pas siert, ist deshalb auch bei uns nicht mehr ausgeschlossen. Das Virus mit seiner dynamischen Verbreitung bleibt hochgefähr lich. Praktiker des Gesundheitswesens sagen: Die Lage ist ernster, als viele sie wahrnehmen.

Uns wurde eben die Situation beschrieben. Bundesweit ist die Zahl der täglichen Infektionen enorm angewachsen. Insoweit wandert – das wurde zu Recht betont – diese Infektionskette durch alle Altersgruppen. Sechs Landkreise haben bei der Sie ben-Tage-Inzidenz mit über 50 den Alarmwert überschritten, und neun liegen über 35 – von 44 Stadt- und Landkreisen hier im Land, wohlgemerkt!

(Abg. Dr. Wolfgang Gedeon [fraktionslos]: Das sind doch völlig willkürliche Grenzen, die da gesetzt wer den!)

Ja. – Natürlich haben wir für unsere Entscheidungen nicht allein auf die plakative Zahl zu schauen. Denn das Geschehen ist viel komplexer. Aber die Infiziertenzahl ist die Mutter al ler Zahlen. So hat es ja kürzlich auch der bayerische Minis terpräsident bei der Klausurtagung hier in unserem Fraktions sitzungssaal ausgedrückt.

Aus stark steigenden Infiziertenzahlen werden nach weiteren Tagen nämlich auch mehr schwere Krankheitsverläufe, und wenn wir erst dann aktiv werden, wenn die Patienten wieder

in großer Zahl auf den Intensivstationen ankommen, ist es zu spät. Das hat der Regierungschef zu Recht betont.

Seit Anfang September steigt auch der Anteil der Älteren an den Infizierten wieder an, und deshalb – Herr Kollege Schwarz, das wurde zu Recht gesagt – ist jetzt auch die Solidarität al ler Generationen gefordert und notwendig. Im Moment wer den in Deutschland 600 Personen intensivmedizinisch behan delt. Dabei handelt es sich um eine steigende Zahl. In der ver gangenen Woche waren es noch knapp über 300.

Dieser Anstieg ist mitnichten ein statistisches Phänomen; er betrifft wirkliche Schicksale, echte Menschen und vor allem die Gesundheit von allen Menschen. Das müssen wir beden ken. Noch ist das Infektionsgeschehen – so die Experten – be herrschbar. Wir haben auch in den Krankenhäusern noch Re serven, wie wir wissen. Wir haben seit dem Frühjahr viel ge tan und viel gelernt, um dem Virus besser gewappnet begeg nen zu können. Aber aus der relativen Leichtigkeit des Som mers darf jetzt nicht Leichtsinn werden. Das Virus darf unse rem Zugriff deshalb nicht entkommen. Ob es gelingt, die Kon trolle zu behalten, entscheidet sich in der Tat in diesen Tagen.

Wir brauchen jetzt erneut höchste Disziplin, vor allem die ge meinsame Verantwortung. Ich halte es für völlig richtig, wenn betont wird, dass es jetzt nicht um Einzelinteressen gehen darf, sondern das Gesamtinteresse, das Gemeininteresse im Vorder grund stehen muss.

(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD)

Unser Kollege Jens Spahn hat es einen Charaktertest für un sere Gesellschaft genannt. Ich finde den Ausdruck sehr tref fend. Einen zweiten Lockdown müssen wir mit aller Kraft ver hindern. Wir wollen auf gar keinen Fall eine zweite flächen deckende Schulschließung. Ich halte auch nichts von dem Ge rede über verlängerte Weihnachtsferien.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Kommt ja von der CDU!)

Die Kanzlerin hat übrigens gestern gesagt: „Was der Gesund heit dient, dient auch der Wirtschaft.“ Das trifft es; denn es hängt zusammen. Es geht doch darum, Beschränkungen zu ertragen, um die Freiheit zu erhalten. Wir wollen nicht noch einmal dichtmachen, sondern mit gutem Infektionsschutz die Dinge am Laufen halten.

(Abg. Anton Baron AfD: Sicher nicht mit Beherber gungsverboten!)

Das ist es, was jetzt zählt. Dazu dienen auch die Beschlüsse von gestern in den drei Stufen, die der Ministerpräsident eben dargestellt hat, nämlich ein regionales Hotspot-Konzept und mehr Einheitlichkeit, damit Transparenz und vor allem – das ist wichtig – Vertrauen und Akzeptanz bestehen und erhalten bleiben. Darauf muss es ankommen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE)

Ich kann jeden verstehen, der mit den Coronamaßnahmen ha dert. Wir müssen immer wieder von Neuem um die richtige Balance aus Freiheit und Beschränkungen ringen und auch öf fentlich darüber diskutieren. Das gehört zur Demokratie. Der Kampf gegen die Pandemie in ihren verschiedenen Phasen

und Wellen ist ein Lernprozess für alle. Das müssen wir zu gestehen.

Ich finde, es ist richtig betont worden: Wir sind jetzt nicht im Frühling vor dem Sommer, sondern wir sind vor Herbst und Winter. Diese Gefahr war uns bekannt. Es geht um das Ge samtinteresse. In dieser außergewöhnlichen Zeit suchen wir mit großer Verantwortung den besten Weg. In Jeremia heißt es: „Suchet der Stadt Bestes.“ Darum muss es gehen, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Das will ich auch einmal fest halten.

Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Erkenntnisse wei terentwickeln, dass sich Entscheidungen ändern, dass wir auch Regeln nachbessern müssen. Ich glaube, dass die große Mehr heit der Menschen das sehr gut verstehen. Aktuell halten nur 12 % die Coronamaßnahmen in Deutschland für übertrieben. Zwei Drittel bis teilweise 80 % finden sie genau richtig, so das Politbarometer am letzten Wochenende.

Sie geben den wissenschaftlichen Experten und den gewähl ten Entscheidern damit das Vertrauen. Dieses Vertrauen macht uns stark. Das Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Es will verdient sein, es muss sich rechtfertigen. Deshalb müssen al le Beschränkungen immer maßvoll und verhältnismäßig sein, stimmig, aber auch verständlich. Dass die Leute die Regeln akzeptieren und mittragen, das ist das wertvollste Gut, das ist der wichtigste Faktor überhaupt gegen die Pandemie. Daran muss sich auch das jetzt ständig diskutierte Beherbergungs verbot messen lassen, Herr Kollege Rülke.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Sie haben auch einen Beitrag dazu geleistet!)

Herr Abg. Dr. Reinhart, lassen Sie eine Zwischenfrage der Frau Abg. Wölfle zu?

Am Ende der Rede.

Am Ende gibt es keine Zwi schenfrage mehr.

Wenn selbst vorsichtige Mediziner die Wirksamkeit bestreiten, wenn eine Autorität wie Hans-Jürgen Papier klare verfassungsrechtliche Zweifel sieht und wenn die Menschen bei gutem Willen mit einer Maßnahme schlicht nicht zurechtkommen, dann halte ich es für richtig, was der Ministerpräsident für die Regierung heu te als neue Verordnung angekündigt hat. Auch das gehört zur Bereitschaft, etwas zu ändern und zu lernen. Wir unterstützen das, Herr Ministerpräsident.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Wir brauchen in Deutschland einen gemeinsamen, koordinier ten Rahmen, wie wir gegen das Virus vorgehen wollen. Da mit müssen wir gemeinsam unterwegs sein. Die Kriterien müssen abgestimmt sein, sie müssen klar sein. Jeder muss wis sen, was wann und wo gilt. Herr Kollege Stoch, Sie haben es angesprochen: Jawohl, das muss jetzt kommuniziert werden.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Auch für die Landesregie rung!)

Wir sind alle miteinander gefordert – auch wir Abgeordneten. Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger draußen gut infor mieren, damit die Akzeptanz erhalten bleibt. Das ist wichtig.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Anton Baron AfD: Maskenpflicht im Freien, das ist doch verrückt!)

Das Konzept der regionalen Reaktion hat sich bewährt. Es macht keinen Sinn und wäre auch nicht verhältnismäßig – das verstehe ich –, wenn Mecklenburg-Vorpommern mit einer Sie ben-Tage-Inzidenz von 9 genauso behandelt werden soll wie Berlin mit einem Wert von über 70. Deshalb geht es schon da rum – – Gestern hat jemand aus Thüringen gesagt: Wenn in Bayern Hochwasser ist, dann muss man in Thüringen nicht die Gummistiefel anziehen.

Im Grunde genommen geht es um die Regionalität, um die dezentralen Strukturen. Deshalb sind wir alle gemeinsam auf der gleichen Linie, wenn wir sagen: Es ist richtig, auf ein de zentrales Geschehen auch dezentral zu reagieren. Wir sollten endlich aufhören, dieses Erfolgsprinzip als Flickenteppich oder Kleinstaaterei zu zerreden. Auch dieser Punkt gehört hier dazu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Grünen)

Denn es waren die Landkreise vor Ort, die regional reagiert haben. Das soll auch so bleiben.

Ich will damit zum Schluss kommen: Why the Germans do it besser – better?