Die Gefahr besteht ganz konkret darin, dass durch Pauscha lierungen bei den Verboten ohne einen konkreten Nachweis der Gefährlichkeit der jeweiligen Tätigkeit diese Einzelmaß nahmen vor den Verwaltungsgerichten und eventuell auch vor den Verfassungsgerichten nicht Bestand haben können.
Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass wir die Maßnah men zielgenau auf das definieren, was unter Infektionsge sichtspunkten die gefährlichen Sachverhalte sind. Und wir dürfen hier nicht alles über einen Kamm scheren und das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern wir müssen es uns – so, wie ich es vorhin gesagt habe – schwerer machen, um nicht Schiffbruch zu erleiden. Denn mit den juristischen Niederla gen würde auch die Akzeptanz für diese Maßnahmen sinken, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Genau darüber müssen wir hier in der Politik auch und gera de in diesem Landtag von Baden-Württemberg beraten und diskutieren.
Uns muss klar sein, dass wir die in der Bevölkerung notwen dige Akzeptanz der Maßnahmen nur dann erhalten und ge winnen können, wenn sie sinnvoll und nachvollziehbar sind, wenn sie nicht widersprüchlich sind und möglichst einheitlich gelten und wenn ihre Einhaltung kontrolliert und notfalls auch sanktioniert wird gegenüber denen, die sich unsolidarisch ver halten und damit die Eindämmung der gesundheitlichen Ge fahren behindern.
Wir sind in einer äußert schwierigen Situation, in der wir die richtigen politischen Entscheidungen treffen müssen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ein guter An fang, dass wir heute hier im Landtag von Baden-Württemberg darüber diskutiert haben. Lassen Sie uns unter den Gesichts punkten der parlamentarischen Beteiligung so weitermachen, und lassen Sie uns vor allem die richtigen Entscheidungen treffen, damit wir gemeinsam diese Pandemie überwinden.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abge ordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat: Wir sind aufgrund des Pandemiegeschehens in einer ernsten Lage. Die FDP/ DVP-Fraktion hat kein Verständnis dafür, dass man – so wie die AfD – im Grunde genommen so tun kann, als wäre dieses Virus völlig ungefährlich,
Dem ist nicht so. Es herrscht eine ernste Lage, und auf diese ernste Lage muss die Politik reagieren.
Aber wie Kollege Stoch schon gesagt hat: Es geht nicht dar um, irgendwie zu reagieren. Es geht auch nicht darum, dass die Politik eine Art Tätigkeitsnachweis ablegt: „Wir sind hand lungsfähig und handeln irgendwie“, sondern es geht darum, das Richtige zu tun.
Deshalb ist es notwendig, am heutigen Tag über die einzelnen Maßnahmen zu debattieren. Gern debattieren wir auch am kommenden Mittwoch, wenn die Verordnungen dann konkret vorliegen, über diese konkreten Verordnungen.
Was es in einer solchen Lage jedoch nicht braucht, ist, wie schon angedeutet – ich zitiere das von Herrn Stoch gebrauch te Wort –, Symbolpolitik. Man kann es auch deutlicher for mulieren: „Aktionismus“, nämlich Maßnahmen, die mögli cherweise nicht wirken, möglicherweise sogar kontraproduk tiv wirken und die nur deshalb verabschiedet werden, weil man möglicherweise ein leichtes Ziel hat und weil man seine Handlungsfähigkeit nachweisen will.
Solche aktionistischen Maßnahmen muss man identifizieren und von ihnen gegebenenfalls Abstand nehmen. Denn sonst – das ist in der Tat so – wird die Akzeptanz für das politische Handeln deutlich nachlassen, und dann wird der Kampf ge gen die Pandemie aussichtslos.
Vor diesem Hintergrund ist es, glaube ich, notwendig – die Diskussion wird ja seit einigen Tagen in der Öffentlichkeit,
auch von den Medien, verstärkt geführt –, die Entscheidun gen, wenn möglich – und am Ende immer –, in die Parlamen te zu bringen. Ja, die Parlamente sind dafür gewählt, diese Entscheidungen zu treffen. Natürlich ist es richtig, dass die Exekutive gegebenenfalls schnell handlungsfähig sein muss. Und niemand, Herr Ministerpräsident, bestreitet Ihr Recht, mit anderen exekutiv Tätigen – der Kanzlerin und den ande ren Ministerpräsidenten – Vorschläge zu machen. Niemand bestreitet auch Ihr Recht, auf der Basis von Parlamentsbe schlüssen einen exekutiven Handlungsspielraum für sich zu beanspruchen. Aber bei derart einschneidenden Maßnahmen, in einer so dramatischen Situation für das Land kann man doch nicht die politischen Entscheidungen allein in den exe kutiven Raum verlagern und von einem Organ treffen lassen, das in der Verfassung gar nicht vorgesehen ist: der Minister präsidentenkonferenz.
Die Entscheidungen müssen am Ende vielmehr immer ins Par lament. Das Parlament muss auch die Möglichkeit haben, über diese Entscheidungen abzustimmen und sie gegebenenfalls abzulehnen.
Das ist unser Begehren am heutigen Tag. Wir wollen den Ka talog, den Sie in einer Videokonferenz vereinbart und am heu tigen Tag erklärt haben, auf den Prüfstand stellen.
Sollte gemäß dem Entschließungsantrag der beiden Regie rungsfraktionen eine Mehrheit in diesem Haus diese Maßnah men für richtig halten und unterstützen, dann akzeptieren wir das als gute Demokraten selbstverständlich. Aber es muss doch auch das Recht einer Oppositionsfraktion sein, solche Maßnahmen auf den Prüfstand zu nehmen und gegebenenfalls abzulehnen und andere Vorschläge zu machen. Genau das wollen wir am heutigen Tag.
Ja, der Meinung können Sie sein, dass das nichts ist. Wir sind der Meinung, dass das, was Sie vorschlagen, nichts ist.
Vielleicht haben Sie auch nur den ersten Entschließungsan trag gefunden und nicht den zweiten. Genau gucken! Viel leicht einmal eine Zweistärkenbrille anschaffen. Dann funk tioniert das, meine Damen und Herren.
Herr Ministerpräsident, daher hätte ich mir schon gewünscht, dass Sie es bei dieser Ministerpräsidentenkonferenz nicht al lein Herrn Ramelow überlassen hätten, eine Protokollerklä rung abzugeben. Ich sehe nur den linken Ministerpräsiden ten von Thüringen, der einen Parlamentsvorbehalt angemel det hat. Ich halte es für ein Armutszeugnis, dass Sie sich dem nicht angeschlossen haben, Herr Ministerpräsident Kretsch mann.
Um es sehr deutlich zu sagen, meine Damen und Herren: Wir halten nicht alles für falsch, was in diesem Papier steht. Selbst verständlich ist es notwendig, auf die Abstands- und Hygie neregeln hinzuweisen. Selbstverständlich ist es notwendig, die Bürger aufzufordern, in dieser Situation durch eine Re duktion von Kontakten zu reagieren – auch im Privatbereich; überhaupt keine Frage. Auch im Privatbereich ist es notwen dig, die Bürger dazu anzuhalten, Kontakte zu reduzieren. Den Aufruf, sich im privaten Raum möglichst maximal mit zehn Leuten zu treffen, die aus nicht mehr als zwei Haushalten stammen, halten wir ausdrücklich für richtig.
Was wir aber nicht für richtig halten, ist, dass manche durch das Land laufen und sagen: „Da brauchen wir dann eine Be gehungsmöglichkeit für kommunale Ordnungsdienste oder für die Polizei.“ Nein, für uns, die FDP/DVP, ist klar: Der pri vate Raum hat Verfassungsrang. Der private Raum ist für die öffentliche Hand tabu.
Man muss sich den tatsächlichen Infektionsherden widmen. Wenn es beispielsweise im halb öffentlichen Raum oder im öffentlichen Raum islamische Hochzeitsfeste mit Dutzenden von Teilnehmern gibt, die sich zu Superspreadern entwickeln, muss man da ansetzen. Dann hat man eine Begründung dafür.
Aber die Begründung – wie Herr Kollege Stoch das schon er läutert hat – muss die Politik den Menschen liefern. Man kann nicht einfach sagen: „Wir sind generell für Kontaktreduktion, und jetzt nehmen wir eine Auswahl vor, über die wir die Mög lichkeit haben, manche zu treffen. Das wird dann schon zu ei ner Kontaktreduktion führen, ohne dass wir den Nachweis er bringen, dass von diesen Bereichen tatsächlich ein erhöhtes Infektionsgeschehen ausgeht.“ Das ist zu wenig, meine Da men und Herren. Solche Maßnahmen haben Sie aber leider in Ihrem Konzept.
Was wir durchaus auch unterstützen, ist der Aufruf, auf nicht zwingend notwendige Reisen zu verzichten. In der Tat muss man in einer solchen Situation in diesem Jahr nicht zwingend in den Herbsturlaub. Wir sind an dieser Stelle aber für Auffor derungen und nicht für Verbote. Das Hygienekonzept für Un ternehmen, der Aufruf zu Homeoffice: Das sind alles Maß nahmen, die auch wir unterstützen.
Wir sind dankbar, dass offenbar niemand auf die Idee gekom men ist, Schulen, Kindertagesstätten und den Handel wieder herunterzufahren, wie das im Frühjahr der Fall gewesen ist. An dieser Stelle wurde immerhin etwas gelernt. Dafür sind wir dankbar. Das Bildungsangebot und die Kinderbetreuung müssen aufrechterhalten werden, und die Menschen müssen auch einkaufen können.
Dort, wo die Politik jemandem seine Erwerbstätigkeit verbie tet, dort, wo sie jemandem den Laden oder das Lokal zumacht, ist Politik natürlich schadensersatzpflichtig. Ich glaube aber, dass die Zwischenfrage des Kollegen Schweickert deutlich gemacht hat, dass das nicht so einfach ist.
Kollege Schwarz, Sie haben hier das Konzept gelobt und ge sagt, wie toll das sei, was in Berlin besprochen wurde. Die Zwischenfrage hat dann deutlich gemacht, dass Sie gar nicht genau wissen, was eigentlich beschlossen worden ist. Das ist das Problem an dieser Stelle, meine Damen und Herren.
Natürlich kann man sagen: „Wir machen Wirtschaftshilfe in Höhe von 75 % des Umsatzes.“ Dann wird noch, Kollege Reinhart, nahegelegt, so viel Umsatz hätten sie wahrschein lich doch nicht gemacht, und wahrscheinlich profitieren sie noch. Das kann man dann auch als dauerhaftes Modell ein führen.