Protokoll der Sitzung vom 17.12.2020

(Zuruf: Sehr gut!)

Darüber hinaus unterstützen wir Medizinstudierende, die sich im Anschluss an ihr Studium dazu verpflichten, eine hausärzt liche Tätigkeit in den entsprechenden Fördergebieten zu über nehmen, mit einem Stipendium. Hierfür stehen auch zusätz liche Haushaltsmittel zur Verfügung.

Das im Jahr 2010 von der CDU eingeführte Landärztepro gramm wird im Übrigen fortgesetzt.

Neben langfristig wirkenden Strukturveränderungen benöti gen wir auch schnelle und wirksame Angebote, um einer Aus dünnung der ärztlichen Versorgung zu begegnen. Zum Win tersemester 2021/2022 werden daher erstmals 75 Medizinstu dienplätze im Land für künftige Landärzte reserviert.

(Beifall – Zuruf: Endlich!)

Die Landarztquote richtet sich an Studierende, die sich ver pflichten, nach ihrem Studium und der einschlägigen Weiter bildung zehn Jahre als Hausärztin oder Hausarzt in einer un terversorgten Region Baden-Württembergs zu arbeiten. Für diese Studierenden gelten vorrangig andere Auswahlkriterien als die Abiturnote, wie z. B. Eignungstests, einschlägige be rufliche und ehrenamtliche Vorerfahrung sowie die für Haus ärzte wichtige soziale Kompetenz. Das Medizinstudium öff nen wir damit auch für Menschen, die bereits Qualifikationen wie beispielsweise – –

(Unruhe – Zuruf: Hallo!)

Herr Abg. Hinderer will wohl eine Zwischenfrage stellen. Frau Abg. Neumann-Martin, las sen Sie diese zu?

Nein, weil ich gleich fertig bin. Entschuldigung.

Nein, eigentlich geht das auch gar nicht. Die Rednerin hat die Zeit schon ausgeschöpft.

(Zurufe)

Einen Satz noch, Frau Aras. Zu Weihnachten!

Ein Satz sei noch erlaubt. Es ist ja Weihnachten.

Genau, danke. – Das Medizinstudium öffnen wir damit auch für Menschen, die bereits Qualifikationen als Krankenschwester oder Kranken pfleger haben. Schon seit vielen Jahren engagieren wir uns bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in der Fläche. Wir haben das Landärzteprogramm ins Leben gerufen. Auch das Stipendienprogramm des Landes geht auf unsere Initiati ve zurück. Den bestehenden Instrumentenkasten erweitern wir nun durch die Landarztquote, die weitere Anreize für die Nie derlassung in schlechter versorgten Regionen sicherstellt.

Vielen Dank.

(Beifall – Zurufe: Genau! – Gut!)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Hinderer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Lucha, die Landesregierung legt uns heute einen Gesetzentwurf vor, den Sie eigentlich nicht wollen. Sie sprachen gerade davon, was Sie hier machen. Ich darf jetzt vielleicht sagen, was Sie ei gentlich denken.

Das ist ein Gesetzentwurf, den die mit zuständige Wissen schaftsministerin Bauer ablehnt. Es ist ein Gesetzentwurf, der vonseiten aller Berufs- und Standesverbände, vonseiten der Fachschaften, der Hochschulen, der Studierenden heftigst kri tisiert wird. Es ist ein Gesetzentwurf, der die erwarteten Zie le nicht erreichen wird.

Sie sagen, das sei nur eine Maßnahme. Ich sage: Dieser Ge setzentwurf ist wirklich für die Tonne.

(Beifall)

Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Kröten die CDU im Lau fe dieser Legislaturperiode schlucken musste, aber eines ist sicher: Statt eines Weihnachtskarpfens oder einer Weihnachts gans kommt jetzt eine ganz fette Kröte zurück. Sie, liebe Kol legen von den Grünen – Frau Kollegin Krebs hat gesagt, Sie hätten gerungen –, sind an dieser Stelle niedergerungen wor den.

(Beifall)

Es ist überhaupt keine Frage, dass die hausärztliche Versor gung der Menschen im Land und auf dem Land eine ganz he rausragende Aufgabe ist und deutlich verbessert werden muss. Warum und wieso, wurde gerade schon gesagt; diesen Teil kann ich überspringen. Aber eine vertragliche Verpflichtung von Studierenden zur Aufnahme einer Tätigkeit in der haus ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum halten wir aus min destens fünf Gründen für völlig daneben.

Erstens: Diese Maßnahme wird frühestens in elf Jahren mög licherweise zu einigen Landärztinnen und Landärzten zusätz lich führen – nach Studium und Facharztausbildung. Eher werden daraus 14 bis 16 Jahre. Wir brauchen schon viel schneller Abhilfe. Schon jetzt fehlen 600 Ärztinnen und Ärz te, demnächst werden es 1 000 sein.

(Beifall – Unruhe)

Zum Zweiten: Wie wollen wir von 18- bis 19-jährigen Schul abgängerinnen und Schulabgängern erwarten, wenn sie den Weg ins Medizinstudium und in die Facharztausbildung erst angehen, dass sie sich schon jetzt entscheiden?

(Zuruf: So ist es!)

Ich glaube, das wird nicht hinhauen.

(Vereinzelt Beifall)

Zum Dritten – auch ein wichtiger Punkt –: Mit der Landarzt quote bekommt der Medizinstudienplatz auch in Baden-Würt temberg einen Preis. Wir sagen, dass ein Studienplatz in Deutschland nicht durch die Möglichkeit einer Strafzahlung käuflich sein darf. Ganz drastisch formuliert: Selbst mit der drohenden Vertragsstrafe von stattlichen 250 000 € bei Nicht erfüllung wird sich das wohlhabende Elternhaus vielleicht überlegen: Zahle ich nachher die Strafe und erspare mir dafür die Kosten in Budapest? Der Sohnemann, der kein Einserab itur hat, studiert dann eben doch in Ulm, Tübingen, Heidel berg, Freiburg oder Mannheim.

(Beifall)

Zum Vierten: Für das Image der Landärzte ist die Quote kon traproduktiv, sogar schädigend. Diese Quote fördert das Bild einer unattraktiven Tätigkeit als Hausarzt. Gerade für dieses Argument müsste eigentlich auch die CDU empfänglich sein,

(Zuruf: Genau!)

die es sonst mit den Quoten nicht so arg hat.

Schlussendlich: Die Kosten für dieses Gesetz sind der Wahn sinn. 1,2 Millionen € pro Jahr – mit diesem Betrag könnten Sie allein sechs zusätzliche Medizinstudienplätze dauerhaft finanzieren oder noch ganz andere Maßnahmen einführen; da rauf gehe ich jetzt nicht ein.

„Sieben Punkte für mehr Landärzte in Baden-Württemberg“ haben wir schon längst formuliert. Ich gebe Ihnen das Papier gern. Daraus könnten Sie einiges finanzieren.

Wir sind gespannt auf die Beratung des Gesetzentwurfs im Ausschuss. Dann können Sie auch erklären, Herr Minister Lucha, warum Sie elf Stellen brauchen. Sie können auch er klären, warum Sie die Anhörungsergebnisse nicht umfänglich

und deutlich dargestellt haben – in den Vorlagen sehr ge schönt.

Heute zitiere ich einmal jemanden, den Sie sonst immer sehr gern zitieren, nämlich Professor Gerlach, den Vorsitzenden des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Gerlach sagt:

Die „Landarztquote“ klingt auf den ersten Blick plausi bel und ist daher für Politiker sehr attraktiv, bei genaue rer Betrachtung ist sie aber weitgehend ungeeignet.

Für manche Politiker – ich schaue zum Platz von Professor Reinhart, der jetzt aber nicht mehr da ist – scheint diese Quo te vor allem für den Wahlkampf attraktiv zu sein. Wir kom men bei genauer Betrachtung zu dem Schluss: Dieses Gesetz ist nichts anderes als eine teure, unnötige, ineffektive, nicht zielführende Symbolpolitik, die Sie davon abhält, wirklich wirkungsvollere Maßnahmen zur Lösung unserer hausärztli chen Versorgungsprobleme auf dem Land endlich nachhaltig anzugehen.

Ich bleibe dabei: ein Gesetz für die Tonne.

Vielen Dank.

(Beifall)

Frau Abg. Dr. Baum, bit te, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Fast genau zweieinhalb Jahre ist es nun her, als das Thema Landarztquote hier ausführlicher debattiert wurde, schon damals um viele Jahre zu spät; denn die Alters struktur der Ärzte ist ja kein Überraschungspaket. Damals, einsam vertreten von der CDU, stieß die Idee bei allen ande ren Fraktionen auf wenig Gegenliebe, wurde jedenfalls nicht als die Lösung des Ärztemangels im ländlichen Raum erach tet.

Wir brauchen Ansätze, die schnellstens wirken – denn jetzt haben wir den Mangel – und die diesen Mangel zukünftig erst gar nicht mehr aufkommen lassen. Diese Ansätze müssen mit der Lebensrealität der Ärzte oder Studenten übereinstimmen, und genau das trifft auf die Landarztquote nicht zu.

Wir hatten bereits damals angemerkt, dass es eben nicht sinn voll ist, junge Menschen zu Beginn ihres Studiums zu etwas zu verpflichten, bei dem sie überhaupt noch keine Ahnung ha ben können, was auf sie zukommt. Ich darf an dieser Stelle in seltener Übereinstimmung Herrn Filius von den Grünen zitie ren:

Wir wollen junge Menschen mit Begeisterung und Bega bung fördern und nicht durch Vorfestlegung auf Einsatz gebiete bevormunden.

Der nun aktuelle Gesetzentwurf verlangt, dass sich junge Menschen schon heute darauf festlegen, wo und wie sie die nächsten 20 Jahre leben wollen. Denn es dauert mindestens zehn Jahre bis zum Ende der Ausbildung, und danach greift die Verpflichtung für weitere zehn Jahre. Dieser Ansatz ist völ lig unrealistisch, da er mit zu vielen Unwägbarkeiten einher geht.