Protokoll der Sitzung vom 26.10.2016

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 15. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württem berg.

Beurlaubt habe ich für heute Herrn Abg. Dr. Schmid.

Krankgemeldet sind Herr Abg. Deuschle, Herr Abg. Räpple, Herr Abg. Walter sowie Herr Abg. Dr. Weirauch.

(Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Herr Räpple ist da!)

Wenn jemand trotz Krankmeldung hier ist, dann ist das um so schöner.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Minister Lucha, Frau Staatssekretärin Schütz – –

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Herr Abg. Dr. Fiechtner und andere Kollegen, ich bitte um Ruhe, damit ich hier weitermachen kann. Nehmen Sie bitte Platz.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Minister Lucha und Frau Staatssekretärin Schütz sowie ab 10 Uhr Herr Staatsminister Murawski. Bis 11 Uhr entschul digt ist außerdem Herr Minister Wolf.

Aus persönlichen Gründen verhindert ist Frau Staatsrätin Er ler.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen ver vielfältigt vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überweisungsvorschlägen zu.

Im Eingang befinden sich:

1. Mitteilung der Landesregierung vom 13. Oktober 2016 – Bericht der

Landesregierung nach § 6 Absatz 4 Landesstatistikgesetz (LStatG) – Drucksache 16/800

Kenntnisnahme, keine Ausschussüberweisung

2. Mitteilung des Ministeriums der Justiz und für Europa vom 24. Ok

tober 2016 – Bericht über aktuelle europapolitische Themen – Druck sache 16/860

Überweisung vorberatend an den Ausschuss für Inneres, Digitalisie rung und Migration, den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Woh nungsbau, den Ausschuss für Finanzen sowie federführend an den Ausschuss für Europa und Internationales

Auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der AfD für Umbesetzungen in verschiedenen Ausschüssen und im Präsidium (Anlage 1) sowie je einen Wahlvorschlag der Fraktion GRÜNE (Anlage 2) und der Fraktion der CDU (An lage 3) für Umbesetzungen im Präsidium. – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen.

Meine Damen und Herren, wir haben heute ein Geburtstags kind in unseren Reihen. Liebe Frau Kollegin Bettina Lisbach, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen sehr herz lich zum Geburtstag und wünsche alles Gute.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungsinformation über die Bund-Länder-Einigung zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs systems ab 2020 – „Ein großer Erfolg für Baden-Würt temberg und den Föderalismus“ – durch den Ministerprä sidenten

und Aussprache

Ich erteile Herrn Ministerpräsident Kretschmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Da men und Herren! Max Weber hat bekanntlich Politik als das „Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augen maß“ bezeichnet. Auch wenn dieses Bild etwas abgegriffen ist, trifft diese Beschreibung, was die Neuordnung der Finanz beziehungen zwischen Bund und Ländern angeht, sehr genau den Punkt. Wir haben in den letzten Jahren ein richtig hartes Brett gebohrt. Wir haben dabei leidenschaftlich diskutiert und miteinander gerungen, und die gute Nachricht lautet: Das Brett ist durch.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Das Ergebnis, das die Regierungschefinnen und -chefs der Länder am 14. Oktober nach langen und schwierigen Verhand lungen mit der Bundeskanzlerin und dem Bundesfinanzminis ter erzielt haben, ist ein wirklicher Erfolg – ein Kompromiss mit Augenmaß, der das Gesamtwohl wie die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten im Blick hat.

Wenn ich sage, dass wir ein gutes Ergebnis erzielt haben, dann gilt das gerade auch für unser Land, für Baden-Württemberg. Wir werden ab dem Jahr 2020 brutto fast 1 Milliarde € mehr

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

in der Kasse haben als heute. Das ist ein großer Fortschritt – nicht nur für das Land, sondern auch für seine Kommunen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. Er ist das Ergebnis von Mut, Gestaltungswillen und Kompromissbereitschaft, und er ist das Ergebnis einer großen Beharrlichkeit, was den Weg zum Erfolg betrifft.

Wir, die Landesregierung von Baden-Württemberg, wollten von Beginn an unseren Beitrag dazu leisten, dass wir auf dem Verhandlungsweg zu einer Reform der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern kommen. Viele haben das damals an ders gesehen; einige haben unseren Weg kritisiert. Sie forder ten uns auf, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und zu klagen. Das wäre sicher der einfachere Weg gewesen, aber es wäre der falsche Weg gewesen.

Ich habe damals auf den Gestaltungswillen und die Gestal tungskraft von Bund und Ländern vertraut. Denn ich bin über zeugt: Die Politik muss ihrer Verantwortung selbst gerecht werden. Es ist die Kernaufgabe der Politik, solche Probleme selbst zu lösen und sie nicht an das Bundesverfassungsgericht abzugeben. Wenn wir Politikerinnen und Politiker solch wich tige Probleme nicht mehr selbst lösen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn viele Menschen das Vertrauen in die Politik verlieren.

Es wäre zudem auch ein unsicherer Weg gewesen, da völlig unklar gewesen wäre, wie Karlsruhe entschieden hätte. War um sollte das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Geber länder entscheiden? Es hätte ebenso passieren können, dass beispielsweise die kommunale Finanzkraft sogar noch stärker einbezogen worden wäre.

Deshalb habe ich bereits im Herbst 2011 im Kreise meiner Länderkolleginnen und -kollegen die Initiative ergriffen und für frühzeitige Verhandlungen geworben. Durch diesen Vor stoß haben wir es ermöglicht, dass sich die Ministerpräsiden tenkonferenz im Oktober 2012 in Weimar auf einen Fahrplan für die Verhandlungen verständigt hat. In der Folgezeit haben wir, auch über längere Durststrecken hinweg, unermüdlich für eine Verständigung geworben.

Wie schwierig die Ausgangslage war, zeigt sich, wenn man sich die riesigen wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den einzelnen Ländern vor Augen führt, die ihren Niederschlag in den aktuellen Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefunden ha ben: Mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gibt es nur drei große Geberländer. Sie müssen den eigentlichen Länder finanzausgleich allein schultern. Auf der anderen Seite gibt es mit Bremen und dem Saarland Haushaltsnotlagenländer, die aufgrund erdrückender Schuldenlasten nahezu jeglichen fi nanzpolitischen Spielraum verloren haben und aus eigener Kraft aus dieser Schuldenfalle gar nicht herauskommen kön nen.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Das wäre zu über prüfen!)

Die ostdeutschen Länder haben zwar in den letzten 25 Jahren einen beeindruckenden wirtschaftlichen Aufholprozess hin gelegt, haben aber gleichzeitig mit einer chronischen Finanz schwäche ihrer Kommunen zu kämpfen. So verfügen die ost

deutschen Kommunen gerade einmal über eine Steuerkraft von 60 % im Vergleich zu den Westkommunen. Sie werden auch nach dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 auf weitere strukturelle Hilfen angewiesen bleiben.

Dazu kommen noch die besondere Situation der Stadtstaaten und das generelle Nord-Süd-Gefälle bei der Finanzkraft.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Interessenla gen der Länder bei den Verhandlungen sehr unterschiedlich waren: Bayern bestand auf einer Absenkung seiner Zahllast aus dem Länderfinanzausgleich um mindestens 1 Milliarde €. Nordrhein-Westfalen beharrte auf der Streichung des Umsatz steuervorwegabzugs, um endlich zumindest rechnerisch zum Lager der Zahlerländer zu gehören. Die Stadtstaaten beharr ten auf ihrer erhöhten Einwohnerwertung. Die Ostländer woll ten alles beim Alten belassen und wollten zusätzlich noch Strukturhilfen. Wir kämpften insbesondere für eine möglichst niedrige Anrechnung der Finanzkraft unserer Kommunen, und der Bund wollte seinen Haushalt zulasten der Länder konso lidieren.

Mit unserem Vorschlag vom Februar 2014, der Einsetzung ei ner Bund-Länder-Kommission, waren wir zunächst noch nicht erfolgreich. Aber wir haben uns davon nicht entmutigen las sen.

Ich habe beharrlich weiter daran gearbeitet, die Blockade zwi schen den Ländern aufzulösen, und im März 2015 zusammen mit dem damaligen Finanzminister Nils Schmid, dem ich noch einmal recht herzlich für die große Unterstützung danken darf, einen Kompromissvorschlag für eine Neuordnung der BundLänder-Finanzen vorgelegt. Damit haben wir Brücken gebaut, wo sich durch unrühmliche Neiddebatten und gegenseitige Schuldzuweisungen Gräben aufgetan hatten, Brücken zwi schen Ost- und Westdeutschland, zwischen Flächenländern und Stadtstaaten, zwischen Geber- und Nehmerländern.

Erst unser Signal im Frühjahr 2015, dass Baden-Württemberg als zweitgrößtes Geberland dazu bereit ist, bei einer Neuord nung der Bund-Länder-Finanzen nicht auf einer Maximalpo sition zu beharren, ebnete den Weg für eine Verständigung al ler Länder im Dezember 2015. Nur so war es möglich, sich auf ein gemeinsames Modell als Grundlage für die Verhand lungen mit dem Bund zu einigen.

Das alles, meine Damen und Herren, hat viel Kraft, Nerven und Zeit gekostet. Aber heute können wir feststellen: Unser Weg, auf Verhandlungen zu setzen, und unsere Beharrlichkeit, aber auch die Kompromissbereitschaft haben sich ausgezahlt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Trotzdem meinen immer noch einige, das alles sei keine gro ße Kunst gewesen, weil sich die Länder letztlich auf Kosten des Bundes geeinigt und durchgesetzt hätten. Diese Auffas sung teile ich nicht.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal etwas grundsätzlicher werden.