Protokoll der Sitzung vom 09.11.2016

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Die kennt sich aus! – Weitere Zurufe – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

In anderen Ländern gibt es mittlerweile Erste-Hilfe-Drohnen, die einem fliegenden Medizinkoffer gleichen und sogar mit einem Defibrillator ausgestattet sind. Per Lifestream gibt der Notarzt Anweisungen. So könnten allein in Deutschland über 100 000 Tote pro Jahr verhindert werden.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Völlig unbewie sene Behauptung! – Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben? – Wei tere Zurufe)

Aber was machen wir in Baden-Württemberg? Anstatt in die Zukunft zu denken, verharren wir in der Vergangenheit und sind in diesem Bereich das rückschrittlichste Land überhaupt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Was? – Abg. Dr. Hein rich Fiechtner AfD: Da sind sie fassungslos!)

In Aachen gibt es z. B. den sogenannten Telenotarzt in der Eu regio.

(Abg. Siegfried Lorek CDU: Aber nur inhaltlich! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Wann waren Sie das letzte Mal beim Rettungsdienst? Unglaublich!)

Es kann und es darf nicht sein, dass wir aufgrund von Vetter leswirtschaft weiterhin das Leben der Bürger in Baden-Würt temberg fahrlässig aufs Spiel setzen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Jetzt wird es langsam dicke! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Darum unterstützen auch wir die Forderung der Notärzte schaft: Die Trägerschaft des Rettungswesens gehört dringend in öffentliche Hand.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion er teile ich das Wort dem Kollegen Hinderer.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Das Thema „Rettungsdienst und optimale Versorgung der Bevölkerung“ ist ein wichtiges Thema. Es ist daher gut, dass wir heute darüber reden. Deshalb vielen Dank an die FDP/DVP für diese Große Anfrage.

Das Thema ist zu wichtig und zu ernst, als dass wir uns hier Tiraden gegen eine große traditionsreiche Hilfsorganisation anhören müssen. Frau Kollegin Martin, es ist eine Frechheit, hier irgendwelchen Angehörigen des Parlaments Korruption und Lobbyismus zu unterstellen.

(Beifall bei der SPD, den Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Das weise ich zurück.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD: Natürlich weisen Sie das zurück! Das ist doch klar!)

Ansonsten kann ich auch an die Adresse der AfD nur sagen: Augen auf im Straßenverkehr. Dann sehen Sie, dass beileibe nicht nur das Rote Kreuz, sondern auch der ASB, die Johan niter Unfallhilfe, die Malteser mit Rettungswagen unterwegs sind.

(Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch: Johanniter!)

Frau Kollegin Gurr-Hirsch, das habe ich gesagt: Die Johan niter Unfallhilfe ist unterwegs.

Insofern bewerkstelligen viele gemeinnützige Rettungsorga nisationen ihren Dienst am Menschen sehr gut.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Was wurde schon auf den Weg gebracht? Erst im vergange nen Jahr wurde das Rettungsdienstgesetz unter dem damali gen Innenminister Gall novelliert und damit ein Grundstein für eine Verbesserung – verbessern kann man auch ein gutes System – der Notfallversorgung gelegt.

Ausgangspunkt war die Überlegung, dass zukünftig der ge samte Einsatzablauf im Rettungsdienst berücksichtig werden soll. Dabei bleibt natürlich die Hilfsfrist für uns ein Qualitäts kriterium unter anderen.

Darüber hinaus wird durch die Novellierung des Gesetzes aber dem Umstand Rechnung getragen, dass zu einem erfolgrei chen Rettungsdienst noch mehr Qualitätsmerkmale gehören, z. B. der Eingang der Notrufmeldung in der Leitstelle oder aber auch der Prozess der Übergabe im Krankenhaus.

Es wurde – das war richtig – ein landeseinheitliches Quali tätssicherungssystem gesetzlich verankert. Damit sollen wei tere Verbesserungspotenziale bei den Rettungsdienststruktu ren, den Einsatzabläufen, der Einsatzorganisation und der Ver sorgung der Patientinnen und Patienten aufgezeigt werden. Diese regelmäßigen Analysen sowie ein jährlicher Qualitäts bericht sollen alle Beteiligten – also die Leistungserbringer, die Leistungsträger, die Bereichsausschüsse und die Rechts ausschüsse – unterstützen und zur Verbesserung des Rettungs dienstwesens im gesamten Land beitragen.

Weiter wurden die Helfer-vor-Ort-Systeme, die im Übrigen, Herr Kollege Dr. Goll, nicht Bestandteil der Hilfsfrist sind, gesetzlich verankert. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass diesen eine besondere Bedeutung bei den le benserhaltenden Maßnahmen zukommt. Deshalb war es auch erforderlich, für diese wichtige Tätigkeit die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wir erwarten, dass das Rettungsdienstgesetz im Lichte der Berichte und Ergebnisse des landeseinheitlichen Qualitätssi cherungssystems weiter novelliert wird. Das heißt, es liegt auch noch etwas vor uns.

Allerdings ist es uns auch wichtig, die bereits vorgenomme nen Änderungen erst einmal wirken zu lassen und dann sorg fältig zu evaluieren, welcher Änderungsbedarf tatsächlich be steht. Da sind wir bei Ihnen, Herr Kollege Lorek.

Unser Ziel muss weiterhin bleiben, dass innerhalb von zehn Minuten ein Rettungsmittel beim Patienten ist. Um Menschen

leben zu retten, genügt allerdings allein die Einhaltung der Hilfsfrist nicht. Entscheidend ist, dass der Notfallpatient be darfsgerecht versorgt wird. Deshalb ist aus unserer Sicht die Optimierung der gesamten Rettungskette wichtig, das heißt vom Eingang der Notrufmeldung bis zur Übergabe des Pati enten im Krankenhaus.

Hier müssen wir darauf achten, dass das novellierte Gesetz mit Leben gefüllt wird und die Rettungskette tatsächlich im Gesamten in den Blick genommen wird. Genau an dieser Stel le kommt dann auch die neue zentrale Stelle zur Qualitätssi cherung im Rettungsdienst zum Tragen. Sie kann wichtige Er kenntnisse liefern, wie wir den Rettungsdienst landesweit noch besser aufstellen können, z. B., Herr Dr. Goll, bei der landesweit einheitlichen Berechnung der Hilfsfristen. Wir können wohlweislich über die Hilfsfristen diskutieren, aber solange sie nicht landeseinheitlich berechnet und erfasst wer den, hilft uns das auch nicht weiter.

Außerdem gilt es, die integrierten Leitstellen neu aufzustel len. Dies betrifft in erster Linie die technische Leitstellenum rüstung, die die Anbindung an das Funknetz umfasst. Weiter müssen aber auch Verwaltungsfragen hinsichtlich der Zusam menarbeit von Rettungsdiensten, Krankentransporten und Feuerwehr geklärt werden.

Wir werden uns damit beschäftigen müssen, wie wir damit umgehen, dass sich die Anzahl der Anrufe in den Leitstellen stark erhöht hat, nämlich in den letzten zehn Jahren um 23 %. Auf dieses geänderte und zum Teil auch falsche Verhalten der Menschen brauchen wir Antworten.

Ich bin mir sicher, dass uns dieses Thema in dieser Legisla turperiode noch weiter beschäftigen wird und wir hierzu noch viele Gespräche führen werden.

Abschließend gilt mein Dank allen haupt- und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern im Rettungsdienst, die tagtäglich mit großem Einsatz alles dafür tun, dass Menschenleben, wo im mer auch möglich, gerettet werden können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie Abgeord neten der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Herr Abg. Dr. Gedeon.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute einmal etwas anderes: Ich war in meinen jungen Arztjahren auch in Notarzteinsätze in volviert.

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Wann war das? – Gegenruf: Vor hundert Jahren!)

Ich möchte darauf hinweisen, dass ein Gesichtspunkt noch nicht thematisiert worden ist – für den ich zugegebenermaßen ebenfalls keine Lösung anbieten kann –, nämlich dass die Quote der nicht berechtigten Einsätze doch relativ hoch ist. Das wird Ihnen jeder, der im Notarztdienst tätig ist, bestäti gen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Das wissen wir auch!)

Nun gibt es Fälle einer bestimmten objektiven Unkenntnis, aus der heraus der Patient nicht wissen kann, dass es gar nicht so schlimm war. Man betreibt mit Rettungssanitätern bzw. Rettungsassistenten, noch dazu einem Notarzt usw., einen un heimlichen Kostenaufwand, der in vielen Fällen einfach nicht nötig ist.

Aber es gibt auch einen bestimmten Teil, in dem eine gewis se subjektive Mitverantwortung für das unnötige Rufen des Notarztes festgestellt werden kann. Da muss man sich einfach überlegen, inwieweit hier über eine Selbstbeteiligung eine be stimmte Steuerung möglich und notwendig ist.

Das ist natürlich zugegebenermaßen ein sehr heikles und schwieriges Kapitel.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: AfD-Pro gramm! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Schrei ben Sie es in das AfD-Programm!)

Aber ich meine, dass man es in Zusammenarbeit mit den Not ärzten zumindest thematisieren muss. Ich empfehle, dies mit den jungen Notärzten, die das in der Praxis machen, zu erör tern und nicht mit den Kollegen, die die entsprechenden Ab teilungen leiten; die sind nämlich selbst schon jahrelang nicht mehr Notarzteinsätze gefahren. Ich rege also an, das mit den Leuten, die damit unmittelbar zu tun haben, zu thematisieren.

Aus der Erfahrung weiß man: Je mehr Notarztwagen herum fahren, desto mehr werden gerufen. Das wird irgendwann ein Fass ohne Boden, bei dem man irgendwann an die finanziel len Grenzen stößt. Das muss man bei allem und auch bei noch so großem Hilfswillen mit berücksichtigen.

Danke schön.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD)