Protokoll der Sitzung vom 10.11.2016

Klar muss sein: Der innertürkische Konflikt kann nicht bei uns ausgetragen werden. Die Probleme der Türkei dürfen wir nicht zu unseren Problemen machen. Gewalttätige Demonst rationen und Ausschreitungen rivalisierender türkischstämmi ger Bürgerinnen und Bürger hier in Deutschland dulden wir nicht, ebenso wenig Gewalt gegen die Polizistinnen und Po lizisten, die sich schützend vor die Rechtsstaatlichkeit und die Ausübung der Meinungsfreiheit stellen.

Mein Dank geht in diesem Zusammenhang an die Sicherheits behörden, die aufgrund der Situation der Türkei mit erhöhter Wachsamkeit vorgehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Dies geht damit einher, dass beispielsweise die Sicherheits maßnahmen im türkischen Generalkonsulat verschärft wer den und die Kräfte im Land für einen verstärkten Objektschutz sensibilisiert werden.

Eines bleibt klar: Wenn man öffentlich liest, dass die türki sche Regierung den deutschen Sicherheitsbehörden Vorgaben darüber machen will, wie sie in Bezug auf die innere Sicher heit vorgehen müssen, wen sie beobachten und wen sie nicht beobachten sollen, dann kann ich dem nur eine klare Absage erteilen. Wie wir bei uns mit der inneren Sicherheit umgehen und wie wir mit Organisationen umgehen, ist Sache unserer gesetzlichen Vorgaben für den Verfassungsschutz, für die Po

lizei. Da brauchen wir keinen Nachhilfeunterricht, liebe Kol leginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU, der AfD und der FDP/DVP)

Alle gemeinsam sind wir für ein friedliches Zusammenleben verschiedener Ethnien, Kulturen und Religionen und sind da für auch verantwortlich. Deshalb tragen auch alle eine Verant wortung, diese Konflikte und Meinungsverschiedenheiten nicht mit Gewalt, sondern gewaltfrei und im Gespräch zu lö sen.

Eine große Verantwortung kommt bei diesem Konflikt den Kommunen in Baden-Württemberg zu. Viele Bürgermeister und Oberbürgermeister haben in ihren Städten und Gemein den dieses Thema Türkei sehr früh auch zu ihrem Thema ge macht. Die gesellschaftlichen Organisationen türkischstäm miger Deutscher wurden zu Gesprächen an den runden Tisch eingeladen – der Oberbürgermeister meiner Heimatstadt hat dies sehr früh getan –, um mit gemeinsamen Erklärungen da für zu sorgen, dass es nicht zu einer Austragung des Konflikts in Deutschland, in unseren Städten und Gemeinden, kommt, sondern dass man friedlich über die Situation in der Türkei diskutiert und unsere Städte und Gemeinden nicht zum Schau platz einer Auseinandersetzung nutzt, die eigentlich in der Türkei stattfindet.

(Beifall des Abg. Daniel Rottmann AfD)

Dafür möchte ich Dank sagen an die Kommunalpolitikerin nen und Kommunalpolitiker, an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, an die Oberbürgermeisterinnen und Oberbür germeister, die sehr genau sehen, dass auch ein solches The ma, das in der Türkei aktuell ist, Schwierigkeiten beim enge ren Zusammenleben in der Kommune bergen kann. Herzlichen Dank an unsere Kommunalpolitik dafür, dass sie auf diesem Gebiet vorausschauend vorgeht. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der AfD)

In diesem Sinn glaube ich, dass wir uns an diesen Maßstäben, die ich gerade genannt habe, orientieren sollten, dass wir auf einem guten Weg sind, den inneren Zusammenhalt beizube halten.

Ich glaube, dass die Türkei gut daran tut, nur ein wenig von dem, was wir als unsere Regeln und als unsere Leitplanke be trachten, zu übernehmen. Dann können wir auch wieder über eine Aufnahme der Beitrittsverhandlungen reden. Aber da ist jetzt die Türkei am Zug.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Aden.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Muss man der AfD eigentlich dankbar sein, dass sie die Vorgänge in der Türkei zum Thema einer Aktuellen Debatte hier im Landtag gemacht

hat? Als ich die Tagesordnung zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich: Schon wieder so ein Thema, das der AfD mit ih rer Flüchtlingsthematik und der Islamophobie in den Kram passt. Unabhängig davon müssen wir jedoch feststellen, dass die Vorgänge in der Türkei wirklich alarmierend sind und uns alle aufrütteln.

Herr Sänze hat ansatzweise darauf hingewiesen: Wir werden durch die Vorgänge wirklich an Parallelen in der deutschen Geschichte erinnert. Die Ausnutzung des Putschversuchs er innert mich an die Vorgänge nach dem Reichstagsbrand, Herr Gülen an Herrn van der Lubbe. Die Gleichschaltung von Ge sellschaft, Presse und Parteien ist in vollem Gang.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Eine weitere Parallele: Die Mehrzahl der Türken klatschen laut Beifall und stehen voll hinter Erdogan. Auch die Proskrip tionslisten im Zusammenhang mit dem Putschversuch erin nern mich an die Schwarzen Listen in der Röhm-Debatte. Wenn man nun aber fordert – einige fordern dies –, der Tür kei den Status als EU-Beitrittskandidat abzusprechen, so ver kennt man die juristische Lage. Aber – das ist der entschei dende Unterschied –: Eine Verhandlung über einen Beitritt ist zurzeit wenig aussichtsreich. Das zeigt auch schon der Ver such der Wiedereinführung der Todesstrafe, was ja allgemein als rote Linie bezeichnet wird.

Die Beziehungen und Verhandlungen mit der Türkei direkt abzubrechen wäre jedoch ein Schuss ins Knie. Für viele Län der – Bulgarien, Griechenland, Zypern usw. – spielt die Tür kei eine sehr große Rolle. Außerdem käme es zu Grenzstrei tigkeiten, die dadurch eventuell noch verstärkt würden.

Für die baden-württembergischen Mittelständler ist die Tür kei – das wurde auch schon gesagt – ein wichtiger Handels partner. Bereits 2005 wurde festgestellt, dass die Türkei so eng wie möglich, unabhängig von dem Erfolg der Verhand lungen, wirtschaftspolitisch an Deutschland und Europa zu binden ist. Ein kompletter Abbruch der Verhandlungen wür de unweigerlich – das ist entscheidend – die westlichen Kräf te in der Türkei alleinlassen.

(Vereinzelt Beifall)

Das würde wohl dazu führen, dass sich Russland und die Tür kei miteinander solidarisieren und einen Klub der Autokraten bilden können. Das ist angesichts des Auftretens Russlands mit seiner Annektierung der Krim nicht von der Hand zu wei sen.

Fakt ist also: Sich komplett von der Türkei abzunabeln, wäre der falsche Weg. Gleichwohl muss man klar sagen, dass wir die Autokratisierung in diesem Land nicht gutheißen.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Genauso muss man klarmachen, dass ein Beitritt zur EU an gesichts der derzeitigen Lage der Grundrechte in der Türkei nicht möglich ist.

Aber unabhängig von den möglichen Motiven der Antragstel ler: Die Lage in der Türkei ist wirklich besorgniserregend. Was passiert eigentlich in der Türkei? Ein machthungriger Au

tokrat entwickelt die moderne, westliche, durch Atatürk lai zistisch geprägte Türkei in einem rasanten Tempo zurück. Da zu bedient er sich u. a. des Islams und baut Feindbilder im ei genen Land auf. Besonders die Kurden haben unter seiner Po litik zu leiden, ja, man kann sogar von einer politischen Ver folgung kurdischer Politiker sprechen.

Aber das ist nicht genug. Am Montag erstattete Erdogan An zeige gegen alle Abgeordneten der größten Oppositionspartei CHP. Der Grund: Die Opposition hat es gewagt, der AKP und deren Spitze vorzuwerfen, die Grundwerte der Türkei als de mokratisch verfasstem Staat anzugreifen. Das war für Erdo gan Grund genug, die Opposition wegen schwerer Beleidi gung anzuzeigen. Kritiker werden mundtot gemacht. – Da ha ben wir es wirklich besser; unser Leben als Oppositionspoli tiker hier im Landtag ist lange nicht so gefährlich.

(Vereinzelt Heiterkeit und Beifall)

Dieser westlich orientierte Staat am Mittelmeer, eine der Wie gen Europas, kümmert sich anscheinend einen Kehricht dar um, was Europa zu diesem Thema zu sagen hat. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin den türkischen Premier Binali Yildirim:

Die Türkei ist kein Land, das sich von Drohungen zurecht weisen lässt. Wir werden nicht von euch Pressefreiheit lernen. Wir werden diejenigen, die ganz offen Gülen un terstützen, nicht straflos davonkommen lassen.

Wie konnte es dazu kommen, dass ein Land, das sich seit 2005 eifrigst darum bemüht hat, die EU-Vorgaben für einen Beitritt zu erfüllen, nun darauf pfeift, was Brüssel über die Türkei denkt? Außenpolitisch erfährt dieser Staat schon aus geopo litischen Gründen seit Jahrzehnten Unterstützung durch die NATO, und im Verhältnis zu Europa ist die Türkei durch die Entwicklungen der letzten Jahre in eine Position der Stärke gerückt.

Nun wissen wir alle, dass Europa, aber auch Deutschland an dieser politischen Stärke nicht ganz unschuldig sind – im Ge genteil, Europa und Deutschland haben zu dieser Stärkung beigetragen. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass Eu ropa ein großer Handelspartner der Türkei ist; nein, wir wis sen, dass vor allem die verunglückte Flüchtlingspolitik von Europa, speziell auch von Deutschland, Erdogan in eine Po sition der Stärke gehievt hat. Zurzeit kann er sich fast alles leisten, in der Gewissheit, dass Europa schon stillhalten wird, um den Flüchtlingsdeal nicht zu gefährden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Der Deal hat uns leider kalt erwischt. Die schwarz-rote Bun desregierung zeigt sich sehr schmallippig gegenüber der Tür kei. Das fing schon mit dem peinlichen Verhalten bezüglich der Armenienresolution des Deutschen Bundestags an.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Weiter ging es, als allenfalls verhaltene Kritik an den Säube rungsaktionen Erdogans nach dem Putsch im Juli geäußert wurde. Man muss der Bundesregierung ein Armutszeugnis da für ausstellen, dass sie sich in eine solche Abhängigkeit von

der Türkei begeben hat, dass sie Angst hat, deren Staatsspit ze zu brüskieren.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

So wurde die Armenienresolution des Bundestags öffentlich für nicht bindend erklärt – das ist ein Affront der Regierung gegenüber dem Parlamentarismus –, und zwar nur, weil man die Türkei bei Laune halten möchte.

Der Flüchtlingsdeal von Kanzlerin Merkel mit Präsident Er dogan gereicht uns sicher auch zum Vorteil: Es fallen weni ger Flüchtlinge den Fluten des Mittelmeers zum Opfer, die Lage der Flüchtlinge in Deutschland hat sich deutlich gebes sert, Verwaltungen und Sozialämter werden deutlich entlastet und können wieder durchatmen. Aber ich frage Sie, liebe Christ- und Sozialdemokraten: Wollen Sie sich das wirklich damit erkaufen, dass ein wichtiger Verbündeter droht, ein de mokratisches System über den Haufen zu werfen?

Es hätte erst gar nicht zu dieser Abhängigkeit kommen dür fen. Das hat Kanzlerin Merkel mit ihrem Bruch der geltenden Regeln im September 2015 leider selbst mit provoziert.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Was zeigt das uns, den Vertretern Baden-Württembergs? Es zeigt, dass es wichtiger denn je ist, dass wir uns starkmachen für die Stärkung der europäischen Grenzschutzbehörde Fron tex. Der Grenzschutz braucht eine personelle Aufstockung und hoheitliche Befugnisse. Wären wir in der Lage, unsere euro päischen Grenzen selbst zu sichern, wären wir nicht auf den Goodwill von Herrn Erdogan angewiesen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Außerdem sollten wir Herrn Erdogan nicht aus lauter Angst, dass er seine Grenzen wieder aufmacht, weiter vor sich hin werkeln lassen. Wir sollten uns nicht zum Appeasement zwin gen lassen. Nein, es ist dringend geboten, dem Treiben Erdo gans etwas entgegenzusetzen. Die Auslandsgruppe Europa der FDP im Europaparlament setzt sich dafür ein, dass die Kom mission Sanktionen gegen die Türkei prüft, ähnlich denen ge genüber Russland. Nur so können wir glaubhaft und konse quent die Fahne der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit hochhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD)