Protokoll der Sitzung vom 08.02.2017

Jahre waren, in denen gerade auch die FDP in diesem Land Verantwortung für die Justizpolitik getragen hat.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Da war die Welt noch in Ordnung!)

Wenn Sie, lieber Herr Kollege Binder, sich hier darüber amü sieren, dass das Schaffen von Stellen das Ergebnis eines gut inszenierten Schauspiels gewesen sein könnte, dann will ich Ihnen sagen: Ich kenne nicht einen einzigen Richter in diesem Land, ich kenne nicht einen einzigen Staatsanwalt in diesem Land, der es Ihrem Justizminister, dem Justizminister von der SPD, übel genommen hätte, wenn er auch nur eine einzige Stelle infolge eines gut inszenierten Schauspiels hier beige bracht hätte.

(Lebhafter Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen – Zurufe von der CDU: Bravo!)

Aber ich bin insofern dankbar, dass Sie unterstellen, lieber Kollege Binder, dass die 213 Stellen, wie Sie sich aus PEBB§Y ergeben, in der Koalition längst Beschlusslage sind. Ich fürch te, es wird noch einer größeren Diskussion bedürfen. Aber ich stimme Ihnen zu: Die Schaffung von 74 Stellen für Richter und Staatsanwälte kann nur ein erster Schritt sein. Wer auf ei nen guten, funktionierenden Rechtsstaat vertraut und ihn ein fordert, der muss ihm auch das notwendige Personal dafür zur Verfügung stellen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Ich hatte manchmal schon den Eindruck, lieber Kollege Bin der, lieber Kollege Weinmann: Sie saßen vor dem Justizhaus halt und haben krampfhaft das Haar in der Suppe gesucht.

(Abg. Sascha Binder SPD: Ich stimme doch zu!)

Dann haben Sie keins gefunden und haben so lange Ihre Köp fe geschüttelt, bis Ihre eigenen Haare in diese Suppe gefallen sind.

(Abg. Sascha Binder SPD: Das Zitat haben wir heu te schon einmal gehört! – Zuruf des Abg. Tobias Wald CDU)

Deshalb ist es offensichtlich so, dass wir jetzt in diesem Jus tizhaushalt etwas korrigieren müssen, was wir über viele Jah re – ich bin auch bereit, meine eigene Fraktion in die Mitver antwortung zu nehmen – versäumt haben. Aber wenn Sie von SPD und FDP/DVP glauben, der CDU und den Grünen vor werfen zu müssen, dass jetzt nicht gleich 213, sondern nur 74 Stellen geschaffen werden, dann ist das scheinheilig.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren, die Justiz in Baden-Württemberg arbeitet gut. Sie arbeitet sehr gut. Sie verkörpert den Rechts staat, und sie achtet auf die Einhaltung des Rechts und auf Rechtssicherheit. Ich will an dieser Stelle auch wirklich beto nen: Das, was wir den Kolleginnen und Kollegen der badenwürttembergischen Justiz in den letzten Jahren abverlangt ha ben, ist schon bemerkenswert. Dieser Apparat hat immer funk

tioniert, obwohl nicht wenige Einsatz weit über den Durch schnitt erbracht haben. Das macht man über eine weite Weg strecke hinweg, aber irgendwann erwartet man, dass sich die Politik dieses Problems annimmt. Deshalb will ich an dieser Stelle unseren engagierten Kolleginnen und Kollegen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften, aber auch im Vollzug, den Wachtmeistern und den Servicekräften ein herzliches Dankeschön sagen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)

Wir haben im Moment im Land eine Situation, in der es eine starke Erwartungshaltung der Bevölkerung an einen funktio nierenden Rechtsstaat gibt. Das fordert uns heraus. Deshalb ist es klug und richtig – ich bedanke mich daher bei allen Frak tionen, die sich dann auf der Strecke neben den Regierungs fraktionen entschließen können, dem Justizhaushalt zuzustim men –, dass wir dieses Investitionsdefizit in der Justiz, das sich in den letzten Jahren aufgebaut hat, nun endgültig zu beseiti gen beginnen.

Ich will Ihnen den aktuellen Haushaltsentwurf auch noch ein mal in Zahlen benennen: über 200 neue Stellen, 40 Staatsan wälte, 34 Richter, 33 zusätzliche Rechtspfleger bei den Grund buchämtern, 21 Justizwachtmeister. Ich glaube, das ist im Sin ne einer personellen Verstärkung notwendig. Es ist auch im Sinne von Wertschätzung und im Sinne der Stärkung der Jus tiz in Baden-Württemberg insgesamt notwendig. Ich habe Wert darauf gelegt, dass sich diese Stellenmehrung nicht auf einzelne Standorte konzentrieren wird, sondern dass diese Stellenmehrung auch in der ganzen Fläche des Landes an kommt.

Meine Damen und Herren, wir haben in den kommenden Jah ren eine ganz besondere Herausforderung im Bereich des Strafvollzugs. Kollege Filius und Kollege Dr. Lasotta haben dies angesprochen. Die Situation in unseren Gefängnissen ist ausgesprochen angespannt. Wir haben landesweit derzeit 7 280 Gefangene. Diese Zahl stammt aus dem Januar 2017. Das sind 500 mehr als in den letzten zwei Jahren. Auch der Personenkreis in unseren Haftanstalten wird schwieriger: ver schiedene Kulturen, vielfältige Sprachen, wachsendes Aggres sionspotenzial.

Deswegen sage ich: Die Lage in den Gefängnissen ist ange spannt. Unsere Kolleginnen und Kollegen, die dort Dienst tun, sind großen Herausforderungen ausgesetzt. Ich möchte des halb auch mit zusätzlichen Stellen im Vollzug, nämlich 67, ei nen ersten Schritt tun. Ich will ausdrücklich – um wieder die sen großen Konsens zum Ausdruck zu bringen – meinem Amtsvorgänger Stickelberger dafür danken, dass als Ergebnis der Expertenkommission in einem ersten Schritt die letzte Re gierung bereits eingestiegen ist. Jetzt werden wir 67 neue Stel len schaffen, und es ist völlig klar, dass wir im kommenden Doppelhaushalt im Bereich des Vollzugs nochmals nachlegen müssen. Es müssen weitere Schritte folgen.

Aber, meine Damen und Herren, das ist nur die eine Seite. Wir haben im Justizvollzug auch bei den investiven Maßnahmen ein erhebliches Problem. Die Justizvollzugsanstalt in Rottweil – ihre Konzeption, ihre Planung und ihre Vorbereitung haben lange gedauert, für manche zu lange – muss absehbar kom men. Wir brauchen die Plätze in Rottweil, um unserer Unter

bringungskonzeption in den Gefängnissen gerecht werden zu können.

(Zuruf des Abg. Sascha Binder SPD)

Deshalb sage ich: Im nächsten Doppelhaushalt muss es eine deutliche Anfinanzierung geben. Mein Anspruch ist, dass wir in dieser Legislaturperiode mit dem Bau beginnen und damit weit voranschreiten.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr gut!)

Wir brauchen Rottweil für einen modernen Strafvollzug und für die Bewältigung der derzeit angespannten Lage in den Ge fängnissen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der AfD – Abg. Karl Zimmermann CDU: Sehr wichtig! Sonst müsste ich noch mal kandidie ren! – Heiterkeit – Gegenruf des Abg. Daniel Andre as Lede Abal GRÜNE: Das hilft auch nichts! – Zu ruf des Abg. Tobias Wald CDU)

Bitte keine Drohungen, Jimmy Zimmermann!

(Heiterkeit – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Die zweite große Maßnahme – hierfür bitte ich Sie wirklich um Ihre Unterstützung –: Wir brauchen absehbar den Neubau eines Justizvollzugskrankenhauses. Was wir derzeit auf dem Hohenasperg vorhalten, ist dank der guten Qualifikation und des großen Engagements derer, die dort tätig sind, eine gute Einrichtung. Aber wenn wir in Zukunft überhaupt noch ge eignetes Personal bekommen möchten, wenn wir den Anfor derungen eines modernen Strafvollzugs auch mit Blick auf psychisch besonders auffällige Häftlinge gerecht werden wol len, dann brauchen wir im baden-württembergischen Justiz vollzug ein neues Klinikum, und ich bitte Sie schon heute um Ihre Unterstützung. Auch das gehört zwingend zu einem mo dernen Strafvollzug in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der AfD)

Ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, dass wir zusätzliche Mittel für die ärztliche Versorgung, die Schuldnerberatung, ja, auch für die Erweiterung der Sprachkompetenz unserer Be diensteten in den Vollzugsanstalten bekommen. Ich glaube, das ist auch eine Form der Fort- und Weiterbildung für unse re Kolleginnen und Kollegen in der Justiz.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: Es geht um die Instrumente, um das Handwerkszeug, um die Rahmenbedin gungen, innerhalb derer wir in Baden-Württemberg Justizpo litik betreiben. Baden-Württemberg und die Justiz in BadenWürttemberg sind die Speerspitze bei der Einführung der elek tronischen Gerichtsakte. Auch dabei durfte ich an ein Projekt anknüpfen, das noch von meinem Amtsvorgänger aufs Gleis gesetzt wurde. Wir waren die Ersten bei der Einführung der elektronischen Gerichtsakte beim Landgericht in Mannheim und beim Arbeitsgericht in Stuttgart, und wir wollen das jetzt bei der Übertragung dieser Pilotkammern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit auch auf die Strafgerichtsbarkeit umsetzen. Diese Landesregierung hat sich die Digitalisierung vorrangig auf die Fahnen geschrieben, und wir wollen in der Justiz mit gutem Beispiel vorangehen.

Wir wollen die Instrumente der Justiz auch im Bereich der Strafermittlung verbessern. Dabei wollen wir aus dem Justiz ministerium heraus jede Maßnahme ergreifen, die dazu dient, Ermittlungen zu optimieren, so etwa die aktuelle Initiative zu DNA-Spuren mit dem Ziel, erweiterte Verwertungsmöglich keiten mit Blick auf äußere Tätermerkmale zu erhalten. Sie wird am kommenden Freitag, also bereits übermorgen, im Bundesrat auf der Tagesordnung stehen.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Sehr gut!)

Es zeichnet sich ab, dass wir eine breite Zustimmung zu die ser Initiative erfahren. Mit der technischen Erweiterung der Möglichkeiten müssen auch die rechtlichen Möglichkeiten Schritt halten, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Lieber Kollege Binder, was die Unabhängigkeit der Justiz und das von Ihnen angesprochene Neutralitätsgebot betrifft, das Gesetz zum Verbot des Tragens von Kleidungsstücken, die diese Neutralität infrage stellen, muss ich Ihnen sagen: Ihre Aufregung ist völlig unberechtigt. Der Referentenentwurf ist fertig; er ist von den Koalitionspartnern freigegeben. Er geht jetzt ins Kabinett und danach in die Anhörung der gerichtli chen Praxis.

(Zuruf des Abg. Andreas Stoch SPD)

Wir wissen, was wir wollen. Wir wollen das sehr konsequent, und Baden-Württemberg wird das erste Bundesland sein, das verhindert, dass bei Gericht das Gebot der Neutralität und Ob jektivität durch das Tragen entsprechender Kleidungsstücke verletzt wird. Wir wollen in unseren Gerichtssälen während der Dauer einer Gerichtsverhandlung maximale Neutralität. Deswegen haben dort Kleidungsstücke, die diese Neutralität aus dem Empfängerhorizont heraus infrage stellen, nichts ver loren, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der AfD und der FDP/DVP)

Ich freue mich, dass wir über diesen Haushalt Mittel für Rechts staatsunterricht bekommen, um den Menschen, die neu in un ser Land kommen, auch die notwendigen Inhalte und Infor mationen zu liefern, was unseren Rechtsstaat ausmacht, und um Integration auch auf diesem Weg zu erleichtern.

Ein vierter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist das Thema Sicherheit, Sicherheit in unseren Gerichtsgebäuden. Wir ha ben in den letzten Jahren eine Häufung von Vorfällen in Ge richten und Justizgebäuden; im Jahr 2016 gab es insgesamt 221 gemeldete Vorfälle, darunter 16 Handgreiflichkeiten, 50 Bedrohungen, 56 eskalierende Situationen. Es kommen auch immer mehr „Reichsbürger“ in unsere Gerichte.

Deswegen brauchen wir zusätzliche Wachtmeister für die Si cherheitsgruppen der Gerichte und Staatsanwaltschaften, und wir brauchen bauliche Maßnahmen zur Trennung von öffent lichen Räumen und Büroräumlichkeiten an den Gerichten. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Gerichten haben es verdient, dass wir unserer Fürsorge gerecht werden und sie vor solchen Angriffen hinreichend schützen.

Meine Damen und Herren, ich hätte mich jetzt kurzgefasst, aber nachdem der Kollege Binder mir doch zu verstehen gab,

dass er hier noch weitreichende Ausführungen zum Thema Tourismus erwartet, muss ich jetzt natürlich auch dazu noch eine halbe Stunde sprechen.

(Heiterkeit – Abg. Andreas Stoch SPD: Das haben Sie missverstanden! – Abg. Sascha Binder SPD: Da haben Sie mich missverstanden!)

Vorher möchte ich aber dem Thema Europa noch einige Aus führungen widmen. Wir halten es in der Tat auch für eine po litische Botschaft, Europa und Justiz in einem Ressort zusam mengeführt zu haben. Denn Rechtsstaatlichkeit, rechtsstaat liche Grundsätze in Europa, Europa als Rechtsgemeinschaft

(Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

sind für uns eine ganz besondere Herausforderung. Das will ich auch zur politischen Botschaft dieser Zusammenführung von Zuständigkeiten machen.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Wieder etwas gelernt!)

Wenn wir uns die aktuellen europaskeptischen Diskussionen in unserem Land anschauen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir uns vor Augen führen, dass 2017 ein Schicksalsjahr für Europa werden wird, dann ist es, glaube ich, in erster Li nie Aufgabe eines Europaministers, auch im eigenen Land ei nen Beitrag dazu zu leisten, dass die Menschen Europa wie der offener, mit mehr Akzeptanz und mit mehr Leidenschaft diskutieren. Das will ich mir zur Aufgabe machen.