Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.
Von der Teilnahmepflicht befreit sind heute Herr Abg. Dr. Aden, Herr Abg. Deuschle, Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Kopp, Frau Abg. Lindlohr sowie Frau Abg. Neumann.
Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Ministerpräsident Kretschmann, Herr Minister Strobl, Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut, Herr Staatsminister Murawski. Entschuldigt ist außerdem Frau Staatsrätin Erler.
Im E i n g a n g befindet sich die Mitteilung der Landes regierung vom 13. März 2017 – Gesetz zur Ergänzung rund funkrechtlicher Staatsverträge; hier: Berichte des SWR und des ZDF über die Finanz-, Haushalts- und Personalkostenent wicklung in den Jahren 2015 bis 2018 –, Drucksache 16/1806. Ich schlage vor, diese Mitteilung an den Ständigen Ausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta gesordnung eintreten, möchte ich einige Worte an Sie richten.
Am kommenden Samstag jährt sich zum 60. Mal ein heraus ragendes Jubiläum: die „Geburtsstunde“ der Europäischen Union. Am 25. März 1957 haben Belgien, die Bundesrepub lik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Nie derlande den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirt schaftsgemeinschaft unterzeichnet. 25 Jahre später wurde da raus die Europäische Gemeinschaft, die sich auch als gemein same Wertegemeinschaft versteht.
Europa hat Brücken gebaut und das Zusammenleben der Völ ker gestärkt. Leider erleben wir in diesen Tagen auf das In famste, wie der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdo gan nicht nur die politischen Brücken zwischen der Türkei und Deutschland abreißen möchte, sondern sie auch zwischen den hier lebenden Menschen mutwillig zerstören will, um sei ne eigene Macht zu stärken. Er will eine gewachsene Gesell schaft spalten und scheut nicht vor unzulässigen, insbesonde re die Opfer verhöhnenden Nazivergleichen zurück. Damit hat der türkische Staatspräsident die rote Linie klar überschritten.
Ich erwarte von den Vertretern AKP-naher Institutionen eine öffentliche Distanzierung von den Nazivorwürfen.
Ich fordere die Imame in den Moscheen auf, Besonnenheit walten zu lassen. Ich fordere sie auf, die hier geltenden Wer te von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Religionsfreiheit nicht nur zu respektieren, sondern sie entschieden weiterzu geben.
Die Errungenschaften unseres demokratischen Rechtsstaats erlauben keine Einschüchterung und Bedrohung derjenigen, die von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen wollen. Unsere Werte wie Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sind wichtige Errungenschaften eines demo kratischen Rechtsstaats.
Einschüchterung und Feindbilder stammen aus dem Reper toire von Autokraten. Als Demokraten lassen wir uns nicht einschüchtern, und wir weigern uns, Feinde der Türkei zu sein.
Aktuelle Debatte – 60 Jahre Römische Verträge – Europa neu beleben – beantragt von der Fraktion der CDU
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.
Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.
In der Aussprache erteile ich für die CDU-Fraktion Herrn Fraktionsvorsitzenden Dr. Reinhart das Wort.
Die Einheit Europas war ein Traum von Wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für Viele. Sie ist heute eine Notwen digkeit für uns alle.
Christdemokraten wie Robert Schuman, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer haben damals die Wiege für Europa ge legt.
Zwei Erzengel standen am Tor von Europa: der Erzengel des Friedens – nie wieder Krieg – und der Erzengel der Freiheit – nie wieder Knechtschaft.
Am kommenden Wochenende feiern wir den 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Dank dieser Verträge genießen wir schon in der dritten Generation Frieden, Freiheit, Freundschaft und Wohlstand auf unserem Kontinent. Die europäische Einigung, die vor 60 Jahren in Rom ihren Ausgang nahm, macht uns Eu ropäer heute zu Glückskindern der Weltgeschichte. Niemals zuvor haben die Menschen in Europa länger und besser in Freiheit und Sicherheit in einem grenzenlosen Raum des ge meinsamen Rechts, der geteilten Werte und der gelebten Zu sammenarbeit gelebt.
Das einige Europa auf den Grundpfeilern der Römischen Ver träge ist ein historisch einmaliges Vorbild des zivilisatorischen Fortschritts. Es ist ein Modell für den friedlichen Ausgleich zwischen den Nationen. Das ist gerade heute aktueller und wichtiger denn je, wie die Präsidentin eingangs zu Recht be tont hat.
Das einige Europa: Die Welt des Jahres 2017 braucht Euro pa. Und wir wollen es auch. Deshalb müssen wir für dieses Europa kämpfen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Wir lassen uns Europa auch nicht von den Populisten – we der von rechts noch von links – kaputt machen.
Wir werden nicht zulassen, dass Europa nach 60 Jahren in na tionale Egoismen oder Affekte zurückfällt. Wir treten den Kräften der Spaltung von innen und von außen mit klarer Hal tung entgegen. Ich sage: Wer sich gegen Europa stellt, der ver gisst die Geschichte und verrät die Zukunft.
Die Menschen in den Niederlanden haben das erkannt. Sie ha ben in der vergangenen Woche mit großer Mehrheit für Euro pa gestimmt. Sie haben klargemacht, dass die Bäume auch für die Gegner Europas nicht in den Himmel wachsen.
Ich bin überzeugt davon: Der Brexit-Irrweg der Briten, das Unbehagen über Trump, vor allem, wie eben erwähnt, die An maßungen von Erdogan, all das ist eine Chance und lässt die Europäer eher zusammenrücken. All das führt uns den Wert unserer europäischen Werte neu vor Augen. Europa wird le ben. Es wird die Zweifel überstehen, die Zweifler überzeugen und vor allem seine Gegner überwinden.
Wir haben jetzt das Weißbuch von Kommissionspräsident Jun cker erhalten. Es zeigt: Die Zukunft Europas ist offen. Euro pa braucht neue Orientierung, neue Leidenschaft, neuen Schwung und neue Impulse. Am besten gelingt das von unten, nämlich aus den europäischen Regionen und Kommunen heraus. Eu ropa soll sich um das Große kümmern. Aber gerade wenn die großen Visionen der Politik zurzeit fehlen, sind es die Länder, die Bürger, die Regionen, die Europa ganz praktisch vor Ort leben.
Hier wird aus der Idee konkrete Wirklichkeit – in der Metro polregion Oberrhein, im Donauraum, in der Arbeit mit unse ren „Vier Motoren“, bei den zahlreichen Städtepartnerschaf ten. Hier funktioniert Europa. Hier wird sein Mehrwert er kennbar. Hier ist Europa kein akademisches Konstrukt, son dern verbindet Menschen. Es gibt unzählige Beispiele für grenzüberschreitende Zusammenarbeit – Kollege Kößler wird nachher noch darauf eingehen –, z. B. in Kehl/Straßburg, die Donauhochschulen, das Europe-Netzwerk. Jeder dritte Ar beitsplatz in Europa hängt vom Export ab. Wir in BadenWürttemberg profitieren am meisten von Europa.
Vor Ort bauen wir deshalb an den soliden, tragenden Wänden dieses europäischen Hauses. Die Regionen, die Länder sind die eigentlichen Träger, Treiber und Gestalter dieser europä ischen Idee. Deshalb ist ihre Stimme jetzt gefragt. Die Regi onen und auch die Kommunen und die Bürgergesellschaft müssen für Europa Stellung beziehen. Warum nicht z. B. in einem großen Gipfel der Länder und Kommunen statt nur der Nationalstaatenchefs oder beispielsweise in Form eines neu en Kompetenzkonvents? Denn wir müssen Europa neu ver handeln: Was soll in welcher Ebene entschieden werden?
Diese Subsidiaritätslehre ist ganz wichtig. Deshalb wäre auch ein Kompetenzkonvent sicher hilfreich. Wir müssen dies neu zentral in den Blick nehmen und vor allem auch Mut zu Frei raum und Verschiedenheit haben.
Soll sich Europa um die großen Fragen kümmern! Viele Sach verhalte hingegen können wir unten an der Basis lösen – bis zur Frage des Holzverkaufs übrigens. All das sind Dinge, bei denen wir uns nicht von Europa Vorschriften machen lassen müssen. Europa beginnt in Biberach, in den Städtepartner schaften, in der menschlichen Begegnung, nicht in Brüssel. Das müssen wir in diesem Zusammenhang auch festhalten.
Es ist an uns, die Herzen neu zu gewinnen: für ein Europa der Bürger, für ein Europa der Regionen, für ein Europa der Sub sidiarität, das sich um die großen Fragen kümmert und die kleinen dort lässt, wo sie hingehören.
Bell hat gesagt: „Der Nationalstaat ist für die großen Dinge zu klein und für die kleinen Dinge oft zu groß.“ Deshalb ist es wichtig, dass wir diesen Gedanken der Subsidiarität im Au ge behalten und die Angelegenheiten auf der Ebene regeln, auf der es am besten erfolgen kann. Wir wollen keinen Zent ralismus.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen wir Europa 60 Jah re nach den Römischen Verträgen wieder neu von unten wach