Der schwer erkämpfte Wahlsieg von Macron in Frankreich mit seiner These, dass Wirtschaft und Politik zusammen Lö sungen bringen müssen, ist deshalb keine Vorlage für ein „Weiter so!“ – nicht in Frankreich, aber auch nicht in Deutsch land und Europa. Es ist ein Etappensieg, Kollegen von der CDU, nicht mehr: dass wir in Europa zusammenbleiben, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen und umsteuern und dass wir Deutschlands Interessen nicht egoistisch, sondern verant wortlich wahrnehmen.
Ich kann alle, die jetzt mit dem Zeigefinger auftreten, nur war nen: Wer jetzt die Stöckchen für Frankreich hochhält – und viele in Berlin tun das schon, leider –, der macht etwas falsch. Wenn wir uns nicht bewegen, wird Frankreich selbst unbe weglich bleiben. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Her ren.
Die CDU – nicht Willi Stächele, aber die CDU in Berlin; das ist unüberhörbar – benutzt diese Debatte bereits als selbstge fällige Rechtfertigung für eigene Lethargie. Die SPD nimmt das Votum der Franzosen als Aufforderung nach Veränderung bei uns und in Europa wahr. Dies ist der fundamentale Unter schied zwischen den beiden Volksparteien in Deutschland, meine Damen und Herren.
Die Erleichterung über den Wahlausgang ist berechtigt. Das EU-Gründungsmitglied Frankreich hat sowohl mit Verstand als auch mit Herz eine deutliche Mehrheit geschaffen. Wahr ist aber auch: Wenn von 100 % der Franzosen ausgegangen wird, sind nicht einmal 50 % der Stimmen auf Macron entfal len. Frankreich ist eine gespaltene Nation, ist ein gespaltenes Land. Es ist so, dass z. B. im Elsass, der Region an unserer Außengrenze, 45 % der Franzosen für Le Pen gestimmt ha ben.
Ich sage einmal Folgendes als Anregung zum Nachdenken: Wir alle haben uns ja darüber empört, dass ein überdurch schnittlicher Anteil der in Deutschland lebenden Türken, auch solche, die bei Bosch in Stuttgart oder bei Roche in Mann heim tätig sind, beim Referendum mit Ja gestimmt haben. Ich frage mich, was die Franzosen im Elsass, die jeden Tag nach Deutschland kommen, etwa in den Europa-Park nach Rust oder zu Zalando nach Lahr, denken. Die 45 % der Stimmen für Le Pen im Elsass müssen ja irgendwo herkommen. Ich fin de, wir haben da auch ein bisschen was vor uns, nicht nur ei nen Austausch von Urkunden.
Deswegen gibt es einiges zu bereden. Der Front National fin det Stärke im altindustrialisierten Norden und Osten Frank reichs, im seit Jahrzehnten von Migration strapazierten Midi, bei den klassischen Arbeitern, auch bei den beruflich Etablier ten im Alter zwischen 35 und 59 Jahren, oft genug bei den Ju gendlichen und natürlich bei den Schlechtverdienenden. All das passiert. Je größer die Perspektivlosigkeit, desto höher die Politikverdrossenheit, desto mehr Distanz zu Europa gibt es. Dem müssen wir uns stellen und können nicht nur in Feier tagsreden sagen: „Toll, dass Macron es geschafft hat, und da mit ist der Kittel geflickt.“ So ist es nicht, meine Damen und Herren.
Die Wahrheit ist doch: Wir haben uns in Baden-Württemberg über Jahre hinweg nicht wirklich gekümmert. Es gibt viele Partnerschaftsveranstaltungen – ich finde das gut –, Tagun gen, Austausche, Interesse an den Stärken, an den Offiziellen. Aber wir müssen uns auch um die Schwächeren, um die Mar ginalisierten kümmern. Das Debattenthema und das Motto für die Zukunft muss lauten: „Ja, Stärken stärken, aber auch Schwächen schwächen.“ Nur so werden wir die wirkliche Partnerschaft mit Frankreich für ein gelingendes Europa zu künftig hinbekommen, meine Damen und Herren.
Die CDU liegt deswegen mit dem Debattentitel ein bisschen daneben. Es ist nicht ein Gewinn oder ein Sieg, der jetzt er zielt wurde, sondern es ist ein Auftrag an Deutschland, an Ba den-Württemberg, den wir jetzt erst abarbeiten müssen, damit wir in Europa stärker zueinander kommen, weil wir eben mer ken, dass vieles im Argen liegt.
Der Ministerpräsident ist nicht da. Das wundert mich nicht. Beiträge von ihm habe ich dazu nicht gehört. Er muss bewei sen, dass er nicht gedanklich und politisch weit weg ist von diesen Dingen, über die ich geredet habe. Aber das wird ihm selbst überlassen bleiben.
Auch aus Berlin gibt es eine Resonanz auf den Wahltag in Frankreich; ich habe es schon angesprochen. Zum einen gibt es die Aussage: „Großartig, der Le Pen habt ihr es gezeigt.“ Zum anderen heißt es: „Vergesst aber eure neuen Ideen für Europa. Das könnt ihr euch gleich mal abschminken.“ Das ist die Linie, die gerade herauskommt.
Ich zitiere einmal ein paar Stimmen. Spahn – er darf für Schäuble sprechen – sagt: „Wir haben genug Schulden; kei ne Schuldenumverteilung.“ Weber von der CSU sagt: „Erst mal Reformen in Frankreich, bevor wir überhaupt was tun.“ Merkel sagt: „Wir müssen uns nicht ändern.“ Das ist die Si tuation.
Von daher gesehen kann ich nur sagen: Das macht keinen Mut für das, was vor Macron liegt. Er muss Wahlen gewinnen. Er muss sich auch gegen Druck behaupten, der sich aufbauen wird. All das wird nicht einfach sein, wenn Frankreich nach Deutschland herüberschaut und wir so dastehen.
An dieser Stelle kann ich nur sagen: Ich bitte alle in diesem Haus, als Baden-Württemberger in ihren Berliner Fraktionen Druck zu machen, dass wir diese Haltung nicht haben, meine Damen und Herren.
Denn eines ist klar: Spätestens in fünf Jahren wird neu Bilanz gezogen – und die Dame ist nicht weg; sie wird sich neu ein kleiden, damit sie näher an die 50 % herankommt.
Zweitens: Mit einem Deutschland, das sich mit dem eigenen wirtschaftlichen Erfolg am Ende vielleicht politisch isoliert, haben wir auch nichts erreicht.
Deswegen sage ich der Zeigefingerfraktion, die jetzt schon da ist: Jetzt nicht das Stöckchen hochheben! Wir brauchen jetzt eine europäische Diskussion darüber, was uns guttut, sonst
Weil Sie uns herausgefordert haben, will ich durchaus auch ansprechen, wo man Debattenbedarf hat. Der Außenhandels- und Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands wird natürlich zunehmend zum Thema – keine Frage. Ich habe das kürzlich in einem Gespräch, das wir mit Schweizer Ständeräten und Nationalräten hatten, erfahren. Die sehen das ja auch.
Wir wollen Exportweltmeister bleiben. Aber politisch ist klar, dass zunehmende prekäre Beschäftigung in Deutschland und zu wenige öffentliche Investitionen in Deutschland nicht die Verstärker dieses Erfolgs sein dürfen. Wir brauchen hier ein Umdenken, meine Damen und Herren. Wir brauchen hier Kor rekturen. Dies ist auch das, was Macron zu Recht anspricht.
Zweitens: Die Umverteilungsunion ist niemandes Ziel. Aber die ungesteuerte Umverteilung – das ist doch immer Ihr The ma gewesen – über die Niedrigzinspolitik der EZB ist ja be reits da. Wir brauchen eine Umverteilung hin zu Investitionen in ganz Europa. Neben Arbeitsmarktreformen, die in Frank reich notwendig sind, ist dafür auch eine investive Struktur politik der öffentlichen Hand notwendig. Deswegen sind Eu robonds nicht des Teufels, sondern sie sind, richtig eingesetzt, ein gutes Instrument, damit wir mehr Investitionen in Europa haben.
Bei den Arbeitsmarktreformen wird Macron viel vor sich ha ben. Bei den Arbeitszeiten wird es schwierig werden.
Ich sage aber auch, die französischen Patrons werden auch lernen müssen: Wenn die duale Ausbildung, die wir gern ex portieren wollen, in Frankreich wirklich Fuß fasst, gehört es auch dazu, dass man einen Lehrling im ersten, im zweiten und im dritten Lehrjahr anständig bezahlt. Die haben bisher gar nicht gelernt, dass so etwas sein muss. Auch dies wird zu ei nem Einsichtsprozess gehören, damit man in Frankreich in den Betrieben zu mehr Konsens und zu weniger Konfrontati on kommt.
Ich sage auch: Bei den Steuern und Abgaben gilt, dass die Franzosen hier ein großes Problem haben. Hoteliers sind wirk lich nicht gern bereit, Leute neu einzustellen, weil sie wissen, was sie sich damit aufbürden. Aber der Reichtum in Frank reich ist eben oft auch unverschämt, und er ist zu stark, um weiter tolerabel zu sein. Deswegen: Auch bei einer Steuer- und Abgabenreform in Frankreich müssen alle ihren Beitrag bringen.
Deshalb, meine Damen und Herren: Emmanuel Macron hat eine überfällige Debatte neu angestoßen. Übrigens legte er auch einen Traité und alles andere vor. Alle, die sich nach dem zweiten Wahltag jetzt plötzlich die Augen reiben, sind ja wohl ein bisschen doppelbödig. Es lag alles vor.
Ich bin dabei. – Manches wird Frankreich ohne uns lösen müssen. Aber vieles kann Frank reich mit uns lösen. Ich bin dafür und ich spreche dafür, dass dies auch vom baden-württembergischen Landtag ausgeht, weil Baden-Württemberg das Bundesland ist, Frau Präsiden tin, das das größte Interesse daran hat, dass es auf der ande ren Seite des Rheins gut weitergeht.
Ich freue mich, dass ein Kurs, der als sozialliberal beschrie ben wird, der aber mit einem Menschen gemacht wird, der ei ne soziale Verantwortung spürt, diese aber in der neuen Zeit praktizieren will, nun personell gut dasteht.
... Wir sind diejenigen, die mitei nander im Gespräch sein wollen. Dafür steht auch der badenwürttembergische Landtag. Wir brauchen ein Frankreich, mit dem wir gemeinsam Europa gestalten.
Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen! Wenn man den Stellenwert Eu ropas nach Macron messen will, braucht man bloß einmal nach rechts und nach links auf die Regierungsbank zu schau en. Ich bedanke mich bei den zwei verbliebenen Ministern, die da sind.
Ich will nicht wissen, was passiert wäre, was hier im Landtag los gewesen wäre, wenn Le Pen gewonnen hätte. Das ist ein Armutszeugnis.
(Beifall bei der FDP/DVP und der AfD sowie Abge ordneten der SPD – Zuruf des Abg. Alexander Salo mon GRÜNE)
Die Ministerriege ist auch die, die bei Europaangelegenhei ten immer gefordert ist; denn es handelt sich um eine Quer schnittsaufgabe. Zu diesen Themen bekommen wir die Stel lungnahmen immer aus allen Häusern. Deswegen gestatten Sie mir bitte den Hinweis, dass ich da etwas enttäuscht bin.