Meine Damen und Herren, mit einem „Weiter so!“ in Rich tung Zentralisierung und Vereinigte Staaten von Europa ermu tigt man genau die Geister, die Sie aus gutem Grund – ich bin da bei Ihnen – verhindern wollen. Adenauers und de Gaulles Europa der Vaterländer geht genau so den Bach runter. Das ist die Gefahr an der Geschichte.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: All das soll nicht hei ßen, dass wir der Auffassung wären, Le Pens Wahl wäre eine gute Wahl gewesen.
Nur: Der Schaden, den wir mit Le Pens Programm erlebt hät ten, wäre verglichen mit dem, was Macron auf internationa ler Ebene anrichten kann, vermutlich noch geringer.
Wir verfallen hier nicht in eine unangebrachte Huldigung ge genüber Le Pen. Le Pen und ihr Front National stehen für Pro tektionismus.
Das zeigt, dass Sie zwischen Nationalismus und Patriotismus nicht unterscheiden können. Wir können das.
Ich sage Ihnen noch etwas Schönes, meine lieben Kollegen von den Grünen: Wenn Sie sich das einmal genauer anschau en, sehen Sie: Le Pen steht für Etatismus und Sozialismus, und damit dürfte sie in diesem Haus den Grünen, Ihnen, am Nächsten stehen, aber mit Sicherheit nicht uns.
(Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Ihr habt euch doch angeschmust! – Zuruf des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE)
Le Pen hat ein grundsozialistisches Wirtschaftsprogramm, und Le Pen steht letztlich für eine Abschaffung der Europäischen Union. Wir hingegen wollen die Europäische Union eben nicht abschaffen, sondern wir wollen sie an Haupt und Glie dern reformieren, und zwar um sie zukunftsfähig zu machen. Das markiert den Unterschied. Wenn Sie, weil es Ihnen in Ihr Programm hineinpasst, uns da eine Gemeinsamkeit unterstel len, die gar nicht vorhanden ist – –
(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sie haben sich doch für Le Pen ausgesprochen! – Weitere Zu rufe – Glocke der Präsidentin)
Das ist Ihr Problem: Sie können nicht einem einzigen diffe renzierten Satz folgen. Das ist Ihr Problem.
Das ist ein intellektuelles Problem, das Sie haben. Nicht ei nen einzigen differenzierten Satz bekommen Sie auf die Rei he.
Wir wollen die Europäische Union so reformieren, dass sie abkehrt von einer Politik multipler Rechtsbrüche und einer zunehmenden Zentralisierung und sich rückbesinnt auf den ureuropäischen Geist der Römischen Verträge, der eine Rück kehr zur sozialen Marktwirtschaft, zur Herrschaft des Rechts,
zu wirklicher Subsidiarität und Dezentralität sowie zur Viel falt und Freiheit der Völker impliziert. Da wollen w i r hin, und das ist mit Macron nicht machbar.
Die EU ist in der Krise, da sie diese Werte immer mehr unter graben hat. Es ist Zeit, diese Werte wieder zu entdecken, Zeit, die EU gesundzuschrumpfen. Weniger EU ist mehr Europa, meine Damen und Herren.
Genau dies wird man Macron – der noch jung ist und der noch Potenzial hat; vielleicht kann er das lernen – klarmachen müs sen, damit der EU-Dampfer nicht weiterhin mit voller Kraft auf den sich nähernden Eisberg zusteuert.
Meine Damen und Herren, Frankreich ist unser direkter Nach bar. Ein gesundes, freies, starkes und leistungsfähiges Frank reich als unser Partner ist in unserem ureigensten Interesse. Derzeit ist dieses Frankreich – Herr Stächele hat das gesagt, und er hat recht –, das eigentlich eine große, stolze und star ke Nation ist, unübersehbar eine Nation im Niedergang.
Mit der Wahl des Emmanuel Macron wird sich dieser Nieder gang, befürchte ich, fortsetzen, eventuell sogar noch beschleu nigen. Ich hoffe sehr – auch weil ich Frankreich sehr mag, viel Zeit in diesem Land verbracht habe und eine persönliche Be ziehung zu diesem Land habe –, dass ich mich darin irre.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich darf für die SPD-Fraktion einige Sätze zur Lage anspre chen. Ich danke der CDU-Fraktion – Kollegen Reinhart, Kol legen Stächele –, dass sie dieses Thema beantragt hat.
Zu Ihnen, Herr Dr. Meuthen, möchte ich sagen, dass ich mich mit Ihrer Argumentation im Wesentlichen indirekt auseinan dersetzen werde. Direkt möchte ich nur eines anführen, näm lich die Worte einer jungen Deutschen, die gestern bei der 40-Jahr-Feier des Europa Zentrums in Stuttgart – Kollege Frey war dabei – zu Wort gekommen ist – mit einem Liebesgedicht an Europa. Ein Satz lautete: Europäer zu sein ist mehr, als Bür ger benachbarter Länder zu sein. Auf den Geist kommt es an, meine Damen und Herren.
Mit Emmanuel Macron hat ein fähiger Mann die Präsident schaftswahl in Frankreich gewonnen. Das Netto ist: Europa hat sich behauptet, Europa kann nach vorn schauen. Man kann mit proeuropäischer Haltung Wahlen gewinnen. Wir seitens der SPD stehen dazu und freuen uns über diesen Erfolg, mei ne Damen und Herren.
Europa ist mehr als ein Kontinent – auch das hat diese junge Deutsche gestern gesagt –, Europa ist eine Haltung und eine Idee. Das Individuum ist mündig und verantwortlich – das ist die Freiheit. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile – das ist das Soziale und auch der Staat. Die Gewalt ist ge teilt, es gibt aber einen allgemeinen Willen, die Volonté géné rale. Nur wer diese Einsichten und diese Prinzipien, die ganz wesentlich von Frankreich gestiftet wurden, verinnerlicht und nach außen lebt, ist ein Europäer.
Ich finde, das ist auch ein wohltuender Kontrast zu dem, was wir in Deutschland gerade im Zuge der Debatte zur Leitkul tur erleben; das möchte ich auch einmal sagen.
Ich habe aber gesagt, dass ich mich indirekt mit den Argumen ten auseinandersetze. Die Wahrheit lautet nach einer aktuel len Studie der TUI Stiftung – ich kannte die Studie bisher nicht, aber ich glaube, es wird empirisch schon alles richtig sein –: Für drei von vier jungen Europäern sind nicht gemein same Werte, sondern ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit Kern der Europäischen Union. Nur die Hälfte sieht die De mokratie als beste Staatsform an.
In gewisser Weise bekommen wir damit auf den Tisch, mei ne Damen und Herren, was seit nunmehr fast drei Jahrzehn ten in den westlichen Demokratien fahrlässig dahindriftet: die Dominanz der Ökonomie über die Politik. 58 % der Franzo sen sagen: Die Globalisierung ist wirtschaftsfeindlich. Frau Le Pen hat das bedient, das ist unübersehbar.
Fritz Kuhn hat gestern bei der Veranstaltung Jürgen Haber mas zitiert, der gesagt hat, er hätte – mit Blick über den Är melkanal – nie geglaubt, dass im Mutterland des Kapitalis mus einmal der Populismus über den Kapitalismus siegen wird. Das ist die bittere Seite.
Viviane Forrester hat vor zwei Jahrzehnten das Büchlein „Lʼhorreur économique“ geschrieben und hat auf Fehlent wicklungen hingewiesen.
Der schwer erkämpfte Wahlsieg von Macron in Frankreich mit seiner These, dass Wirtschaft und Politik zusammen Lö sungen bringen müssen, ist deshalb keine Vorlage für ein „Weiter so!“ – nicht in Frankreich, aber auch nicht in Deutsch land und Europa. Es ist ein Etappensieg, Kollegen von der CDU, nicht mehr: dass wir in Europa zusammenbleiben, dass wir die Zeichen der Zeit erkennen und umsteuern und dass wir Deutschlands Interessen nicht egoistisch, sondern verant wortlich wahrnehmen.