Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da wir vom Kollegen Wa cker offensiv angesprochen worden sind, noch zwei Dinge vorab.
Vielleicht sind Sie da nicht richtig informiert. Schauen Sie sich das Weißbuch „Arbeiten 4.0“ einmal genau an. Andrea Nahles hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine Novellie rung des Arbeitszeitgesetzes vorsieht, und zwar im Sinne des sen, was Sie gerade hier dargelegt haben, aber moderat. Es geht dabei auch um die Verkürzung der Ruhezeiten und die Verlängerung der Arbeitszeiten, aber unter Beteiligung von Tarifparteien und Betriebsräten.
Ich sage Ihnen eines: Dieser Gesetzentwurf liegt nicht beim Arbeitsministerium. Fragen Sie mal im Kanzelamt nach, wo dieser Gesetzentwurf liegt. Dieser wird nämlich vom Kanz leramt blockiert. Das sollten Sie Ihren Freundinnen und Freun den bei den Arbeitgeberverbänden einmal erklären, anstatt hier zu behaupten, wir würden irgendwelche Lockerungen in diesem Bereich verhindern.
Der zweite Punkt ist: Sie sprechen hier von großen Chancen, die mit der Digitalisierung einhergehen. Das ist durchaus rich tig. Aber zu einer guten Chancenanalyse gehört auch eine gu te Risikoanalyse. Das vermisse ich eben aufseiten Ihrer Frak tion, aber auch aufseiten des Ministeriums.
Das hat schon bei dem Antrag der FDP/DVP zum Thema Au tomotive angefangen, der sehr gut formuliert war. Da war die Stellungnahme auch so. Da wurden im Bereich der Business transformation vor allem Beschäftigungspotenziale gesehen, aber eben nicht die Beschäftigungsrisiken, obwohl sämtliche Studien etwas anderes sagen. Lesen Sie einmal die IAB-Stu die.
Ich erwarte von einer verantwortungsvollen Landesregierung, dass sie auch Beschäftigungsrisiken benennt. Jeder Unterneh mer macht vor Investitionsentscheidungen eine Chancen- und eine Risikoanalyse. Sie sagen gerade, wir sollten keine Risi koanalyse machen. Das stimmt mich etwas nachdenklich, wenn ich die Arbeit Ihrer Regierung beurteilen soll.
Aber zurück zum Antrag. Mit ihm sollten wir uns doch eigent lich hier beschäftigen. Bereits im März dieses Jahres stand der Antrag auf der Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses, und
damals hatten Sie den Punkt kurzfristig von der Tagesordnung absetzen lassen. Unsere Vermutung war, dass dieser Antrag in irgendeiner Schublade verschwindet, weil Ihnen die Beant wortung Ihrer Fragen im Nachhinein wenig ergiebig, wenn nicht gar dürftig erschien.
Wir hätten Ihnen in dieser Bewertung durchaus zugestimmt. Denn in weiten Teilen ist die Beantwortung des Fragenkata logs nichts weiter als eine in Antragsform gepresste Sonntags rede. Die Digitalisierung ist eben nicht nur ein Schlagwort, unter dem ich Beiräte, Initiativen, Netzwerke und Arbeitskrei se formiere, um mir, wie es die Landesregierung mehr schlecht als recht versucht hat, den Anschein einer Modernität zu ge ben, sondern es bedarf einer vertieften, koordinierten Ausei nandersetzung.
Wer sich, wie in der Stellungnahme zu dem Antrag gesche hen, schon für die Einrichtung von Digitallotsen feiern lassen möchte, zeigt, dass er die Dimension und die Tiefe der Aus einandersetzung mit dem zentralen Zukunftsthema unserer Zeit nicht erfasst hat. Dennoch sind wir erfreut, dass wir heu te die Gelegenheit haben, diesen Antrag aufzugreifen. Denn sowohl bei den Antragstellern als auch bei der Ministerin tritt eine Geisteshaltung zutage, die im Interesse der hart arbeiten den Menschen in Baden-Württemberg hier in diesem Haus diskutiert werden sollte.
Die CDU sieht sich offenkundig in der Pflicht, die Auswir kungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt nahezu aus schließlich aus der Bedarfsperspektive der Arbeitgeber zu be trachten. Sie sprechen von mehr Flexibilität, davon, Arbeits ort und Arbeitszeit frei zu wählen, und vermitteln damit den Eindruck, dass möglicherweise damit verbundene negative Auswirkungen für Arbeitgeber gesetzlich einschränkt werden müssen.
Seltsam schweigsam sind Sie hingegen, wenn es darum geht, die damit einhergehende Problemstellung für die Arbeitneh mer im Land zu benennen. Bei Regelungen zur Sicherstellung der Trennung von Arbeit und Freizeit verweisen Sie lediglich auf die Verantwortung der Tarifpartner. Bei der Einschränkung von Arbeitnehmerrechten rufen Sie hingegen – wen wundert’s? – nach dem Gesetzgeber. Wir werden einfach das Gefühl nicht los, dass Sie das Zukunftsthema Digitalisierung fortgesetzt missbrauchen, um über die Hintertür Arbeitnehmerrechte ab zubauen.
Da passt es ins Bild, dass die Ministerin in der Stellungnah me zu dem Antrag Leiharbeit und Werkverträge im Zusam menhang mit der Digitalisierung als wichtigen Faktor für den Erhalt des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg propa giert. Ich sage Ihnen eines: Prekäre Beschäftigungsverhältnis se sind niemals ein Standortvorteil, schon gar nicht in BadenWürttemberg.
Wir sehen das anders. Für Sozialdemokraten müssen die He rausforderungen der Digitalisierung im Rahmen eines fair aus
gehandelten Prozesses zwischen Arbeitgeber- und Arbeitneh merinteressen gemeistert werden. Mehr Leiharbeit und mehr Werkverträge sind hier definitiv kein Lösungsansatz. Nicht nur die Unternehmen dürfen von den Potenzialen der Digita lisierung profitieren, auch Beschäftigte haben das Recht auf eine digitale Rendite. Die SPD-Landtagsfraktion wird in die sem Zusammenhang immer die Stimme im Sinne der hart ar beitenden Menschen im Land erheben. Leider sind wir hier, wenn ich so in die Runde schaue, offenbar einsame Rufer im Walde.
Ich nenne Ihnen noch einen weiteren Punkt, bei dem dies lei der auch erforderlich ist. Stichwort Weiterbildung: Die Minis terin bezeichnet die Weiterbildung als einen entscheidenden Schlüssel, um steigende Anforderungen im Arbeitsleben im Rahmen der Digitalisierung zu bewältigen. Wir stimmen der Landesregierung in dieser Analyse zu. Auch die duale Ausbil dung – Sie haben es ebenfalls erwähnt – bildet natürlich eine solide Basis, aber eben nur für zukünftige Generationen von Beschäftigten. Darüber müssen wir uns klar werden.
Doch der Großteil der aktuell Beschäftigten muss jetzt und nicht erst in fünf oder zehn Jahren auf die Digitalisierung vor bereitet, geschult und weitergebildet werden. Arbeitnehmerin nen und Arbeitnehmer sollen in die Lage versetzt werden, den digitalen Wandel insbesondere in der Produktion und im Dienst leistungsgewerbe zu meistern. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass die Digitalisierung keine Bedrohung ist – darüber sind wir uns einig –, sondern auch mit Chancen einer flexibleren Lebensgestaltung einhergehen kann. Das ist aber nur dann redlich, wenn man die Beschäftigten nach besten Kräften unterstützt. Da gilt es neben den plakativen Sätzen auch klare Antworten zu finden. Diese vermissen wir in Ih rem Antrag und auch in Ihrer Rede, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir haben bei den Haushaltsberatungen – Sie erinnern sich? – 10 Millionen € für einen Weiterbildungsfonds beantragt. Mit diesem Fonds wollten wir kleine und mittlere Unternehmen und deren Beschäftigte unterstützen, wenn Weiterbildungs maßnahmen in engem Zusammenhang mit den Herausforde rungen der Digitalisierung anstehen.
Das wäre eine Antwort gewesen, wenn wir das gemeinsam beschlossen hätten. Aber das haben Sie –– ich habe es schon gesagt – zwischen Tagesschau und Wetterkarte im Ausschuss abgelehnt und haben gesagt, wir hätten da keinen Bedarf. Sie behaupten in Ihrer Stellungnahme, Frau Ministerin, das wäre der Schlüssel zur Bewältigung der Digitalisierung. Das ist für uns ein eklatanter Widerspruch.
Wir dürfen in diesem Bereich auch keine Zeit verlieren. Es wäre fatal, wenn wir hier noch weiter zuwarten würden.
Wir sind uns einig: Die Digitalisierung geschieht, ob wir das wollen oder nicht. Wir müssen diese Herausforderung positiv angehen. Wir befinden uns auch mittendrin in diesem schwie rigen Transformationsprozess. Auch die SPD-Fraktion hat den Anspruch, diesen positiv zu gestalten und faire und gute Rah menbedingungen für Arbeitgeber und Beschäftigte gleicher maßen zu schaffen und eben nicht – das ist vielleicht der Un
terschied zwischen uns – über deren Köpfe hinweg, wofür die ser Antrag leider wieder einmal mehr ein gutes Beispiel ist.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich den Antrag mit der Überschrift „Chancen und Herausforderungen der Digi talisierung für die Arbeitswelt der baden-württembergischen Wirtschaft und insbesondere des Mittelstands“ vornimmt und sich einmal überlegt, was man erwarten würde, was in der Stellungnahme steht, würde doch jeder normale Bürger erwar ten, dass hier die Vorschläge der Landesregierung dargelegt werden, wie man mit diesem Thema umgeht.
Wenn man sich die Stellungnahme zu dem Antrag dann an schaut – vielen Dank dafür, Kollege Wacker, dass er in das Plenum gebracht wurde –, sieht man: Das Ganze beginnt mit einer hervorragenden Beschreibung, dass man Digitallotsen braucht, die die niederschwellige Anlaufstelle für alle Fragen der Digitalisierung darstellen. Schließlich kommt man zum Thema Arbeitszeitflexibilisierung und schreibt dann:
Grundsätzlich sollte eine unbegründete Angst vor der Di gitalisierung nicht zu einer Überregulierung mit weiter steigendem Bürokratieaufwand führen.
Ja, richtig, meine Damen und Herren. Aber ich frage mich, ob da wirklich die Angst der Betriebe gemeint ist oder vielleicht nicht die Angst des Wirtschaftsministeriums. Denn wenn ich mir einmal anschaue, wie konkret man da wird, fällt auf: Das Ganze wird zwar nicht ganz zur Nullnummer, aber es ist nicht weit davon weg.
Kollege Wacker sagt, Baden-Württemberg habe eine expo nierte Stellung. Ja, Sie haben recht. Und: „Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Ja, Sie haben recht. Und: „Man muss Einfluss auf die Bundesregierung nehmen.“ Ja, Sie haben recht. Aber Sie haben gar nichts dafür getan. Die FDP/DVP hat Ihnen drei Mal die Möglichkeit gegeben, in diesem Bereich tätig zu wer den – etwa über eine Bundesratsinitiative –, und jedes Mal wurde das Ganze von der CDU abgelehnt, meine Damen und Herren.
Es reicht halt einfach nicht aus, wenn man einen solchen An trag stellt und dann herauskommt, dass diese Themen jetzt wissenschaftlich untersucht werden. Denn der Antrag sugge riert ja etwas anderes. Wenn die Frage lautet: „Wo will die Landesregierung Pflöcke einschlagen, was sind die konkreten Vorschläge?“, kommt als Antwort viel zu wenig.
Sie sprechen dann die Arbeitszeitgesetzgebung an, meine Da men und Herren, und kommen zu der klaren Erkenntnis, dass die moderne Dienstleistungs- und Produktionsgesellschaft die Anforderungen hier nicht mehr erfüllt. Dazu sage ich Ihnen: Ja. Aber dann muss man mit dem leben, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
Einer Anhörung im Ausschuss haben Sie nicht zugestimmt. Gerade eben kam Kollege Schoch und hat gesagt, diese An hörung werde jetzt von der Fraktion GRÜNE intern gemacht. Ich finde es schon einmal gut, dass man zumindest die Idee aufnimmt, aber die Chance, darüber für Baden-Württemberg zu diskutieren – von den Gewerkschaften bis zu den Arbeit gebern –, hat diese Regierung sträflich verstreichen lassen.
Da wurde dann immer gesagt: „Frau Nahles ist da dran, wir sind im Prozess, und man muss abwarten.“ Frau HoffmeisterKraut, wir können jetzt einmal feststellen, was Ihr Abwarten gebracht hat. Sie hätten schon deutlich weiter sein können, wenn Sie den Vorschlägen der Opposition gefolgt wären.
Aber es stellt sich natürlich schon die Frage – dazu hätte ich gern eine Auskunft –, wie man sich das weitere Vorgehen in diesem Bereich jetzt vorstellt. Macht man jetzt eine Anhö rung? Geht man jetzt hinein? Gibt es eine Bundesratsinitiati ve, oder verschiebt man jetzt alles wieder auf den Sankt-Nim merleins-Tag und wartet auf die Beschreibung des Ganzen durch eine Hochschule? Dann ist die Beschreibung des Gan zen mit dem Begriff „Sonntagsreden“ – Kollege Weirauch hat ihn schon verwendet – nicht weit weg.
Diese gleiche Ignoranz, mit dem Thema umzugehen, sieht man auch bei den Möglichkeiten der Werk- und der Zeitar beit. Ich meine, es ist doch jedem klar, dass das zu Spannun gen führen kann. Das ist doch kein zusätzlicher Erkenntnis gewinn. Aber wir wollen wissen: Unterstützen Sie das Vorge hen von Frau Nahles auf Bundesebene oder nicht? Was meint denn Ihr grüner Koalitionspartner dazu? Dazu hätten wir gern einmal eine klare Auskunft.
Nicht nur beschreiben und alles nach hinten schieben, son dern endlich einmal vorlegen, wie der Wandel bei der Digita lisierung in Baden-Württemberg stattfinden soll!
Denn, meine Damen und Herren, es bleibt der baden-würt tembergischen Wirtschaft wirklich zu wünschen, dass es bei der Digitalisierung nicht so wird wie bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit: große Ankündigungen und nichts Konkretes. Das ist deutlich unter dem Wert von Baden-Württemberg, und das muss sich ändern.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh und dankbar, dass die CDU-Fraktion dieses wichtige Thema, diese große Herausforderung, vor der wir derzeit stehen – Stichwort Digitalisierung –, heute adressiert, und dies vor al lem unter den Chancen, die wir haben, den Möglichkeiten, die auch für Baden-Württemberg bestehen. Das ist ein ganz wich tiger Akzent und eine ganz wichtige Zielsetzung, die wir auch nach außen senden müssen. Denn die Digitalisierung bietet ein breites Spektrum für die baden-württembergische Wirt schaft, den baden-württembergischen Mittelstand sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.