Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh und dankbar, dass die CDU-Fraktion dieses wichtige Thema, diese große Herausforderung, vor der wir derzeit stehen – Stichwort Digitalisierung –, heute adressiert, und dies vor al lem unter den Chancen, die wir haben, den Möglichkeiten, die auch für Baden-Württemberg bestehen. Das ist ein ganz wich tiger Akzent und eine ganz wichtige Zielsetzung, die wir auch nach außen senden müssen. Denn die Digitalisierung bietet ein breites Spektrum für die baden-württembergische Wirt schaft, den baden-württembergischen Mittelstand sowie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Abg. Anton Baron AfD: Oh, das ist aber wenig! – Beifall bei Abgeord neten der CDU – Abg. Claus Paal CDU: Wir steigern uns noch!)

Genau. Der Spannungsbogen wird aufgebaut. – Herr Schwei ckert, Sie haben vom Wirtschaftsministerium gesprochen. Ich fühle mich als Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Woh nungsbau, und der Bereich Arbeit hat einen ganz hohen Stel lenwert. Denn wir werden die Digitalisierung eben nicht meis tern, wenn wir die Menschen, die Gesellschaft, die Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer nicht entsprechend mitnehmen, einbeziehen.

(Abg. Claus Paal CDU: Sehr gut! Jawohl!)

Das haben wir uns ganz klar zum Ziel gesetzt. Sonst wird das nicht funktionieren. Das müssen alle tragen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Das ist entscheidend für den Erfolg und die großen Themen, die wir in Baden-Württemberg im Speziellen haben – im Spe ziellen für den industriellen Bereich, das Handwerk, den Han del, die starken Branchen, die auch den Wohlstand und die Beschäftigung in Baden-Württemberg sichern.

Wir müssen die Chancen an die erste Stelle setzen und dann parallel über die Herausforderungen, die sich ergeben, disku tieren.

Es stört mich, dass wir in Deutschland in der Regel immer sehr zaghaft über solche Themen diskutieren. Wir müssen uns mit neuen Herausforderungen konfrontieren. Wir neigen manch mal dazu, die Risikodiskussion über die Chancendiskussion zu stellen. Das ist bei diesem Thema eine Herausforderung, die sich für uns ergibt. Die Chancen dürfen wir nicht verpas sen. Die Herausforderungen müssen wir parallel gestalten. Das wird uns auch gelingen.

Denken wir beispielsweise nur an Amazon oder Facebook. Wir haben über die Struktur des Buchhandels diskutiert. Kun den in aller Welt haben Amazon unterstützt und zum größten Buchhändler in der Weltwirtschaft vorangebracht.

Bei Facebook diskutieren wir über Datenschutz und Datensi cherheit – wichtige Themen, eine der Herausforderungen, die sich uns stellen, die wir parallel zu meistern haben. Aber die Menschen nutzen Facebook massiv. Es werden immer mehr Menschen auf der ganzen Welt, und es ist ein Medium gewor den, um Meinungsbildung weiter voranzutreiben. Deshalb müssen wir uns auch mit diesen Chancen, die sich ergeben, intensiv auseinandersetzen und dürfen uns nicht nur mit den Risiken befassen.

Es gibt auch gar keine Alternative. Die Welt, die Kunden, die User, die Konkurrenten warten nicht auf Deutschland, warten nicht auf Baden-Württemberg, bis wir die Fragen ausdisku tiert haben. Umso mehr freut es mich, dass ich in der Wirt schaft, im Mittelstand und in der Gesellschaft bei jedem Be such, bei jedem Gespräch, das ich führe, eine Aufbruchstim mung im Bereich Digitalisierung spüre.

Fast täglich berichten Zeitungen über Beispiele, die auch hier in Baden-Württemberg stattfinden, sei es in der Baubranche

etwa Building Information Modeling –, sei es im Einzelhan del, wo individuelle Beratungsleistungen erfolgreich mit dem Onlinehandel verknüpft werden, sei es im Bereich Start-up – einem unserer Einhörner, das sich bei Fernwartungssoftware sehr stark positionieren konnte und dann auch die Milliarden grenze in der Wertentwicklung überschreiten durfte –, sei es im Bereich Industrie 4.0, wo Baden-Württemberg Leitmarkt und Leitanbieter ist.

Wir sind auf einem guten Weg. Viele Unternehmen haben das Thema adressiert und setzen es auch um. Aber wir haben auch ein digitales Gefälle; das wurde auch schon angesprochen. Die vielen kleinen und mittleren Unternehmen in Baden-Würt temberg sind nur zum Teil tief in den Themen der Digitalisie rung drin, setzen sich nur zum Teil mit den Themen der Digi talisierung auseinander. Hier sind noch dicke Bretter zu boh ren, und genau das haben wir im Fokus unserer Politik in Ba den-Württemberg, um den Digitalisierungsprozess auch ent sprechend positiv für Baden-Württemberg mitzugestalten.

Wir haben in Baden-Württemberg ein großartiges wissen schaftliches Umfeld. Unsere Hochschulen, unsere Einrichtun gen für angewandte Forschung sind wertvolle Partner für die Unternehmen in unserem Land in diesem Prozess der Digita lisierung, der ja eng einhergeht mit dem Prozess um die Zu kunft der Mobilität. Wir können hier aber noch besser wer den. Auch das haben wir im Fokus. Ganz wichtig wird sein, dass wir die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirt schaft hier noch besser besetzen, dass wir die Wertschöpfungs potenziale, die dabei entstehen, noch besser nutzen und um setzen können. Ich biete auch hier – Frau Bauer ist jetzt nicht mehr da – eine noch intensivere Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftsministerium an. Denn wir können diese Heraus forderungen natürlich nur branchen- und ressortübergreifend meistern.

Nach einer Studie des Fraunhofer IAO in Stuttgart bemisst sich das volkswirtschaftliche Plus durch die Digitalisierung in den nächsten zehn Jahren in Deutschland auf 78 Milliar den € – nur bezogen auf den industriellen Bereich. Es ist jetzt unsere Aufgabe, dass wir in unserem starken Industrieland ei nen Großteil dieses Zuwachses nach Baden-Württemberg ho len.

Wir haben in Baden-Württemberg die Allianz Industrie 4.0, die mit mehr als 50 Wirtschaftsorganisationen und Forschungs einrichtungen diese Themen intensiv in der Fläche BadenWürttembergs mit dem klaren Fokus auf die kleinen und mitt leren Unternehmen voranbringt. Wir haben hier schon einige Maßnahmen eingeleitet, und es werden weitere Maßnahmen kommen: Vernetzung, Beratung, maßgeschneiderte Unterstüt zung, das Schöpfen von Innovationspotenzialen. Dabei geht es auch darum, all dies finanziell zu unterlegen. Das passiert derzeit schon, und es wird weiter intensiviert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Darüber hinaus habe ich jetzt die Initiative Wirtschaft 4.0 ge startet. Denn die wichtigen Branchen in unserem Land – Han del, Handwerk, Dienstleistungen, freie Berufe – brauchen ge nauso die Unterstützung und die Begleitung auf Regierungs ebene. Wir müssen hier in einen intensiven Austausch treten. Die Initiative Wirtschaft 4.0 wird die Plattform sein, um die Zusammenarbeit der Akteure in den jeweiligen Bereichen en ger zu verzahnen und gezielt Maßnahmen einzuleiten.

Die erste Maßnahme, die wir im Rahmen der Initiative Wirt schaft 4.0 auf den Weg gebracht haben, ist die Einrichtung re gionaler Digital Hubs. Wir wollen hier in die Fläche gehen, um diejenigen zu erreichen, die in diesen Digitalisierungspro zess noch nicht so eng eingebunden sind. Wir werden jetzt ei ne Digitalisierungsprämie ausschreiben und diese den kleinen und mittleren Unternehmen anbieten. Im Rahmen der Digita lisierungsprämie fördern wir Forschung und Entwicklung, wir fördern Initiativen im Bereich der Digitalisierung – Wirtschaft 4.0 –, und wir fördern vor allem – Herr Weirauch, Sie haben das angesprochen – Weiterbildungsmaßnahmen.

(Zuruf des Abg. Dr. Boris Weirauch SPD)

Das Thema Weiterbildung ist ein ganz zentrales Thema. Ich habe bereits an anderer Stelle in einer Debatte hier dezidiert dargelegt, was wir hier alles tun, und deutlich gemacht, dass viele Mittel in diesen Bereich fließen.

Die Initiative Wirtschaft 4.0 wird sich auch intensiv mit der Frage auseinandersetzen, welche Auswirkungen die Digitali sierung auf die Arbeitswelt hat. Digitalisierung und Arbeit – meine sehr geehrten Damen und Herren, da bestehen auch vie le Möglichkeiten und Chancen für die Menschen, für die vie len Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Da vergessen wir aber nicht den Arbeits- und den Gesundheitsschutz, Herr Kol lege Weirauch. Wir denken nämlich langfristig; ich denke langfristig. Wir müssen die Rahmenbedingungen für die Men schen natürlich so schaffen, dass nicht die Gesundheit darun ter leidet. Denn dann hätten wir am Ende des Tages verloren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Aber auch hier gilt, dass wir die Chancen nicht verstreichen lassen dürfen; wir dürfen uns diese nicht verbauen. Unsere Kinder und Kindeskinder werden in vielen Berufsfeldern ar beiten, die es heute noch gar nicht gibt. Dies war aber vor 20 oder 30 Jahren auch schon so. Deshalb müssen wir diesen Pro zess positiv begleiten.

Ich bin auch nicht der Meinung, dass uns in Zukunft die Ar beit ausgehen wird. Die Arbeit der Zukunft wird anders aus sehen, aber, wie gesagt, das war schon immer so, und das wird auch in Zukunft so sein. Wir dürfen auch die Möglichkeiten und Chancen, die sich ergeben – Stichwort „Künstliche Intel ligenz“ –, nicht ungenutzt lassen. Wenn Computer Röntgen bilder besser auswerten können als das menschliche Auge, dann haben wir schon Kapazitäten für andere Bereiche frei gesetzt und haben dort Kosten eingespart. Wir können so in anderen Bereichen stärker investieren. Auch da ergeben sich viele Chancen und Möglichkeiten.

Ich möchte nur ein Beispiel aus der Vergangenheit nennen. Als Karl Baedeker seinen ersten Reiseführer über die Rhein reise von Mainz nach Köln herausgab, gab es damals wüten de Proteste entlang des Rheins in dieser Region, weil die Rei senden plötzlich nicht mehr auf die Hilfe der Ortskundigen zurückgegriffen haben, die dort für Geld Informationen an bieten konnten über Hotels, Sehenswürdigkeiten, regionale Highlights. Damals gab es auch schon disruptive Prozesse. Heute arbeiten im Tourismus in dieser Region wesentlich mehr Menschen als damals, und sie haben eine größere Auf merksamkeit auf diese Region lenken können. Langfristig war es ein Erfolg, war es eine positive Entwicklung. Die Digitali sierung eröffnet große Chancen auch in der Arbeitswelt, und

Baedeker betreibt natürlich heute auch einen Onlineshop und hat auch hier zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen.

Homeoffice, mobiles Arbeiten – Stichwort „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ –: für mich auch ein ganz wichtiges The ma als Familienmensch, als Mutter von drei Kindern. Hier bieten sich immense Flexibilisierungsmöglichkeiten, die auch ganz stark im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeit nehmer und der Arbeitgeber liegen.

Das wird allerdings – darüber sind wir uns auch alle klar – oh ne Änderungen im Arbeitszeitgesetz nicht gehen. Dass die Bun desarbeitsministerin trotz großer Ankündigungen im Weiß buch „Arbeiten 4.0“ die Novellierung nicht durchführen konn te – das Weißbuch wurde Ende letzten Jahres verabschiedet –, hat mich auch enttäuscht. Ich bedaure das sehr. Wo auch immer die Gründe liegen, es war eben kein überzeugendes Konzept, das keine Mehrheit in der Koalition gefunden hat.

(Abg. Claus Paal CDU: Bei der SPD liegen sie auf jeden Fall!)

Herr Schweickert, Sie kommen ja aus der Bundespolitik. Sie haben mich gefragt: Wie werden wir in diesem Prozess wei ter voranschreiten? Sie sollten doch am besten wissen, wie man taktisch vorgehen muss, um seine Interessen und Anlie gen durchzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP)

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Kern zu?

Bitte, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Frau Minis terin. – Sie haben zu Beginn Ihrer Rede aus meiner Sicht voll kommen zu Recht auf die hohe Bedeutung der digitalen Inf rastruktur auch für die baden-württembergische Wirtschaft, für die kleinen und mittleren Betriebe, abgehoben. Teilen Sie den Optimismus, den der zuständige Innenminister Strobl im November letzten Jahres zum Ausdruck gebracht hat, indem er gesagt hat: „In zwei Jahren werden wir auch das letzte Schwarzwalddorf an das schnelle Internet angeschlossen ha ben“?

(Abg. Reinhold Gall SPD und Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hof!)

Schwarzwaldhof sogar. Aber da will ich gar nicht so klein lich sein. – Teilen Sie den Optimismus des Innenministers?

Was tun Sie denn wirklich? Das Thema ist so wichtig, dass man darüber eigentlich keine Späße machen sollte. Es ist ent scheidend. Ich komme aus dem Landkreis Freudenstadt. Da hängen wirklich Arbeitsplätze davon ab, dass im Tourismus Hotels erreichbar sind, und zwar 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr. Da darf das schnelle Internet nicht, wie schon gesche hen, ausfallen. Da haben die echte Probleme, was Onlinebu chungen angeht.

Zu dem Thema noch eine zweite Frage: Wenn Sie sich mit Bundespolitikern unterhalten, bekommen Sie immer wieder gesagt, dass Baden-Württemberg eines der Bundesländer ist, wo die Mobilfunkerreichbarkeit mit am schlechtesten ist. Das kann nach meinem Dafürhalten wirklich nicht wahr sein. Wenn Sie auf der A 81 von Stuttgart zum Bodensee fahren und über die Freisprechanlage im Auto telefonieren, reißt Ihnen die Verbindung ab. In den unterschiedlichen Wahlkreisen wird das auch so sein.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Ministerin, was tun Sie, um die mobile Erreichbarkeit deutlich zu verbessern? Denn es kann ja nicht sein, dass wir, wenn wir im Urlaub weit weg sind, eine wesentlich bessere Erreichbarkeit haben als hier zu Hause in Baden-Württem berg. Das kann nicht der Anspruch des Industrielands BadenWürttemberg sein.

(Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

Herr Kern, es kommt natürlich auch immer darauf an, wo Sie im Urlaub hinreisen. In BadenWürttemberg – –

(Heiterkeit – Abg. Claus Paal CDU: Litauen! – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Ich war letztes Jahr zwei Wochen auf Korfu, und da war es besser!)

Ernsthaft: Das Thema Mobilfunk ist auch bei mir im Minis terium angesiedelt. Hier sind wir in intensivem Austausch auch mit den Mobilfunkanbietern. Wir arbeiten auch hier eng zusammen, Stichwort 5G. Da muss etwas passieren. Da sind wir auch mit Nachdruck dran. Wir haben hier private Anbie ter. Es gibt aber natürlich auch ein Reglement. Es gibt eine Verpflichtung, auch diese Hauptverkehrsverbindungen ent sprechend mit Mobilfunk zu versorgen. Da stehen wir in en gem Austausch, und ich kann Ihnen versprechen, im Zuge der Umstellung auf 5G wird sich auch dieser Bereich massiv ver bessern. Das wird kommen.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Können Sie da ei ne zeitliche Perspektive sagen?)

Also, ich tue mich immer schwer mit zeitlichen Perspekti ven. Wenn wir hier jedes Gehöft und jede – –

(Abg. Anton Baron AfD: Die Technik ist doch noch nicht mal ausgereift, Frau Ministerin!)