Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

(Unruhe)

Ich darf um Ruhe bitten!

b) Große Anfrage der Fraktion der CDU und Antwort der

Landesregierung – Bedeutung und Potenziale des länd lichen Raums in Baden-Württemberg – Drucksache 16/1831

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat folgende Rede zeiten festgelegt: Für die Begründung des Antrags fünf Minu ten, für die Aussprache zu den Buchstaben a und b fünf Mi nuten je Fraktion und für das Schlusswort der die Große An frage stellenden Fraktion eine zusätzliche Redezeit von fünf Minuten.

Für die Fraktion GRÜNE erteile ich das Wort Frau Abg. Braun.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gleichwertige Lebens verhältnisse in Stadt und Land, das hat Baden-Württemberg stark gemacht. Diese aufrechtzuerhalten und weiterzuentwi ckeln sehe ich als große Aufgabe in der Zukunft.

Wir Grünen haben im Jahr 2011 in einem Bundesland mit star ken ländlichen Räumen Regierungsverantwortung übernom men. Allerdings war dringendes Handeln geboten. Denn tief greifende Veränderungen auf dem Land, beispielsweise hin sichtlich der Bevölkerungsentwicklung, waren in einigen Re gionen bereits deutlich zu spüren.

Die Bevölkerung in unserem Land wird immer älter. In Kom bination mit einem verstärkten Abwanderungstrend junger Menschen und Familien in die Ballungsgebiete führt dies da zu, dass im ländlichen Raum der Anteil der älteren Bevölke rung im Vergleich zu den städtischen Regionen stärker ausge prägt ist. Die Prognosen – regional unterschiedlich – unter mauern diese Entwicklung.

Hinzu kommt, dass Landwirtschaft und Handwerk mit einem fortschreitenden Strukturwandel konfrontiert sind und die Wirtschaft im ländlichen Raum händeringend nach geeigne ten Fachkräften sucht.

Sie sehen also: Der ländliche Raum muss sich einer Vielzahl von Herausforderungen stellen. Um diesen gerecht zu wer den, wurde die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen als Staatsziel in der Landesverfassung verankert.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Diesem Ziel fühlen wir uns nicht nur rechtlich verpflichtet. Uns liegt ein lebendiger ländlicher Raum am Herzen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wir haben das Land und die Menschen mit diesen Herausfor derungen nicht alleingelassen. Wir haben Geld in die Hand genommen, Veränderungen initiiert, um diese Ziele auch um zusetzen. Wir haben die Breitbandinfrastruktur ausgebaut, um schnelles Internet für Wirtschaft und Bevölkerung zu gewähr leisten. Dies musste sofort und mit hohem Engagement und finanziellem Einsatz auf Basis der Glasfasertechnologie als Zukunftstechnologie vorangetrieben werden.

Wir haben durch LEADER oder im Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum Beteiligungsinstrumente in der Fläche ge schaffen, welche Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, die

Entwicklung ihrer Dörfer selbst in die Hand zu nehmen, das Land und die Kommunen unterstützend an ihrer Seite.

Auch Land- und Forstwirtschaft fördern wir mit einer Viel zahl von Programmen, damit deren Leistungen auch unter schwierigen natürlichen und strukturellen Bedingungen er bracht werden können.

Junge Familien im ländlichen Raum brauchen Rahmenbedin gungen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermög lichen. Darum haben wir die Bildungsinfrastruktur zukunfts orientiert ausgerichtet und Möglichkeiten geschaffen, die Schul entwicklung den Anforderungen des ländlichen Raums anzu passen. Zudem konnten wir durch einen Pakt mit den Kom munen Betreuungsangebote für die unter Dreijährigen reali sieren – wie ich finde, ein großer Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen sowie der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch und des Abg. Konrad Epple CDU)

Wir haben außerdem die touristischen Potenziale für den länd lichen Raum weiterentwickelt. So ziehen der Nationalpark im Nordschwarzwald und das neu eingerichtete Biosphärenge biet Südschwarzwald viele Touristen in diese Regionen. Da mit leisten wir auch einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und erhalten, was uns erhält, wie es unser Mi nisterpräsident gestern so treffend formuliert hat.

(Beifall bei den Grünen und der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Für Unternehmen haben wir außerdem die neue Förderlinie „Spitze auf dem Land“ aufgelegt, ein Förderprogramm für Unternehmen, die das Zeug zur Technologieführerschaft im ländlichen Raum haben.

Wir haben das Thema „Alter und Pflege im ländlichen Raum“ neu gedacht und Ideen hierzu umgesetzt; denn auch auf dem Land sollen Bürgerinnen und Bürger selbstbestimmt älter wer den.

Außerdem schöpfen wir die europäische Förderung für unse ren ländlichen Raum bestmöglich aus.

Mit dem Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum, dem wich tigsten Förderprogramm für den ländlichen Raum, wurde ein Instrument geschaffen, das den Kommunen seit seinem Be stehen erfolgreich ermöglicht, sich mit der Unterstützung des Landes an die verschiedenen Herausforderungen anzupassen.

(Zuruf: Seit 1995!)

Neben sozialer und ökonomischer Modernisierung wollen wir die ökologische Modernisierung vorantreiben. Vor diesem Hintergrund haben wir Klimaschutz und Ressourcenschonung zur Voraussetzung für die Bewilligung von Investitionen ge macht.

Ebenso haben wir das ELR um die Förderlinie Schwerpunkt gemeinden erweitert. Schwerpunktgemeinden haben Planungs sicherheit, höhere Fördersätze und Fördervorrang. Vorausset zung für eine Anerkennung als Schwerpunktgemeinde ist ein breit aufgestelltes Konzept, das auf vorausschauende und

nachhaltige Entwicklung unter Einbeziehung der Bevölkerung setzt. Von zentraler Bedeutung hierbei sind für uns eine flä chensparende Siedlungsentwicklung, die Miteinbeziehung der demografischen Entwicklung sowie Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft.

Zudem haben wir Anreize zur Förderung von interkommuna ler Kooperation geschaffen. Gerade in der Daseinsvorsorge – bei Themen wie Mobilität, Lebensmittel und „Medizinische Versorgung“ – wird die Kooperation über Gemeindegrenzen hinweg in Zukunft immer wichtiger werden. In diesem Kon text denken wir auch an die Ballungsgebiete. Wir wollen nicht nur interkommunale Vernetzung, sondern auch starke Netz werke zwischen Stadt und Land. Das gelingt uns mit Mobili tät, Digitalisierung, kulturellem Austausch und der Schaffung von Begegnungsräumen.

Das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum erfreut sich insgesamt großer Akzeptanz, wie die Zahlen aus dem Minis terium für Ländlichen Raum belegen. Allein zwischen 2011 und 2015 wurden über 4 000 Projekte mit einem Zuschussvo lumen von 274 Millionen € gefördert. Im genannten Zeitraum wurden auf diesem Weg über 1 900 Wohnungen gefördert, 7 200 Arbeitsplätze neu geschaffen und 27 000 Arbeitsplätze gesichert.

Wir haben mittlerweile 26 anerkannte Schwerpunktgemein den, die einen besonderen Beitrag zur ökonomischen, ökolo gischen und sozialen Verbesserung des ländlichen Raums leis ten – auch interkommunal –, und es werden mehr. Die fast 100 Anträge auf Anerkennung als Schwerpunktgemeinde in so kurzer Zeit zeigen auf, wie engagiert die Gemeinden in un serem Land sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, das Entwick lungsprogramm Ländlicher Raum ist ein voller Erfolg und muss auch weitergeführt werden. Die Stärke des Entwick lungsprogramms Ländlicher Raum ist, dass es flexibel an die spezifischen Herausforderungen im ländlichen Raum ange passt werden kann. Mit diesem Förderprogramm tragen wir den Besonderheiten des ländlichen Raums Rechnung und schaffen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um dessen Poten ziale nachhaltig zu nutzen. Wir sprechen hierbei ganz nüch tern von Strukturförderung, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, dabei geht es um viel mehr. Es geht um den Erhalt und die Schaffung von Lebens-, Arbeits-, Natur- und Kultur räumen im ländlichen Raum, und es geht um die Menschen, die dort leben und gemeinsam mit uns Verantwortung für un sere einzigartigen Regionen übernehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD – Abg. And reas Schwarz GRÜNE: Sehr gut!)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Rapp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht bei diesem Tages ordnungspunkt um die Bedeutung des ländlichen Raums, aber auch um die Möglichkeit, ländliche Räume zu unterstützen und zu fördern. Manche Menschen betrachten den ländlichen

Raum leider als dünn besiedelte Flächenreserve, teilweise als rückständig, manche als altbacken. Einige sehen ihn als Er holungsraum, und von manchen hört man, wenn der ländli che Raum angesprochen wird, die Aussage: Leute, der länd liche Raum ist nicht alles. Das stimmt, aber ohne den ländli chen Raum ist alles nichts.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der AfD – Zuruf von der CDU: Bravo!)

Wir stellen den ländlichen Raum mit unserer Großen Anfra ge heute bewusst in den Mittelpunkt der Landespolitik; denn dort gehört er für die CDU auch hin.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Der ländliche Raum hat in der grün-schwarzen Landesregie rung einen sehr hohen Stellenwert und ist nun nach einer fünf jährigen Durststrecke wieder ganz oben auf der politischen Prioritätenliste.

(Beifall bei der CDU)

Die Einrichtung des Kabinettsausschusses „Ländlicher Raum“ unterstreicht dies. Der Kabinettsausschuss hat das Ziel, das Leben auf dem Land attraktiv zu halten sowie langfristige und zukunftsfähige Strategien zu entwickeln. Auch die gemeinsa me Verankerung der Förderung gleichwertiger Lebensverhält nisse, Infrastrukturen und Arbeitsbedingungen im ganzen Land als Staatsziel in der Landesverfassung, war – in der vergan genen Periode bereits umgesetzt – ein richtiger Schritt in die se Richtung.

Der ländliche Raum, meine Damen und Herren, ist das Rück grat von Baden-Württemberg. Er ist Heimat für 35 % der ba den-württembergischen Bevölkerung, wird von den anderen 65 % aber auch gern zur Naherholung genutzt. In jedem Fall ist der ländliche Raum deutlich komplexer und vielschichti ger, als er von vielen in der heutigen Zeit wahrgenommen oder von manchen auch dargestellt wird.

Warum sage ich das? Der ländliche Raum ist Lebensraum, er ist Energielieferant, Produktionsstätte für unsere Nahrungs mittel und für nachwachsende Rohstoffe wie z. B. Holz, er ist Arbeitsort und Wohnort, und er ist die Herzkammer für das Ehrenamt, aber auch für den Mittelstand, das Handwerk und für den Tourismus in Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

All das sind die Vorzüge des ländlichen Raums. Gleichwohl – das wurde bereits angesprochen – hat der ländliche Raum ganz andere Probleme und Herausforderungen als die städti schen Zentren zu bestehen.

Eine große Herausforderung für den ländlichen Raum sind die demografischen Veränderungen. Der Wegzug jüngerer Men schen in die Städte und gleichzeitig eine älter werdende Be völkerung auf dem Land, sinkende Einwohnerzahlen in vie len ländlichen Gemeinden, gleichzeitig jedoch Einwohnerzu wachs in den Städten führen oft zu Wohnungsleerstand auf dem Land und Wohnungsmangel in der Stadt. Wir haben mit

sinkenden Schülerzahlen zu kämpfen. Übrigens hat dabei auch der Wegfall der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung, ausgelöst durch den SPD-Kultusminister, vielen Schulen den Todesstoß versetzt und die Situation verschärft.