Droht hier nach Ihrer Einschätzung nicht eine weitere Fehl steuerung? Wir diskutieren bundesweit, dass wir dringend
mehr Lehrkräfte brauchen. Manche sagen, dass wir schon auf einen Notstand zusteuerten. Halten Sie an diesen Zahlen heu te weiterhin fest? Wie kommen Sie zu dieser Empfehlung? Was ist die Grundlage für diese Empfehlung? Denn das Sig nal an junge Menschen, die sich für den Lehrerberuf interes sieren, ist ja eigentlich eindeutig: Lieber vorsichtig, lieber vielleicht auch nicht. Ist das das richtige Signal an dieser Stel le?
Ich glaube, wenn man sich das Ganze differenziert anschaut, muss man sagen: Es ist sicherlich das falsche Sig nal. Ich habe eben gesagt, wenn die Studentinnen und Studen ten weiterhin sechs Semester studieren würden, kämen jetzt rund 450 auf den Markt. Durch die Verlängerung der Studi enzeit kommen sie nicht auf den Markt. Ich sagte eben, wir haben einen Grundbedarf von rund 500 offenen Stellen im Grundschulbereich. Wenn Sie sich die Entwicklungen an schauen – wir haben das auch durch Schaubilder in den letz ten Wochen sehr deutlich gemacht –, erkennen Sie: Wir ha ben in den nächsten drei bis vier Jahren durch die Zurruheset zungen ein massives Problem. Danach kommen wir aber, was Ausbildung und Bedarf angeht, wieder relativ gut ins Lot.
Jetzt haben Sie in einem Punkt recht. Sie sprechen ja das The ma Schülerzahlentwicklung an. Es ist einem manchmal schon ein Rätsel, muss ich jetzt ehrlich sagen, wie das von der Ein schätzung her alles so schwierig sein kann.
Aber klar ist – darauf haben wir auch mehrfach hingewie sen –: Wir sind mit dem dafür zuständigen Wissenschaftsmi nisterium in sehr enger Abstimmung, wie wir, was die Aus bildung angeht – da haben Sie natürlich völlig recht –, bezo gen auf die reellen Schülerzahlen reagieren müssen. Wir ha ben in der Grundschulausbildung die Kapazitäten bereits in den letzten zwei Jahren erhöht, und wir werden uns natürlich anschauen, wie wir sie weiter erhöhen.
Ein anderes Beispiel: Bei den Sonderpädagoginnen und Son derpädagogen haben wir auch einen großen Bedarf, der eher größer als geringer wird – auch wegen der Schülerzahl und der Inklusion. Da sind wir jetzt dabei, zum einen die Zahl der Studienplätze zu erhöhen, aber auch durch Weiterqualifizie rung von Haupt- und Werkrealschulkräften – Sie kennen das Problem – gezielt Sonderpädagoginnen und Sonderpädago gen für die Arbeit in diesem wichtigen Bereich auszubilden. Das heißt, wir reagieren sehr scharf. Wir werden auch die Form der Beratungen mit dem Wissenschaftsministerium deut lich enger takten, um zu sehen, wie sich die Zahlen tatsäch lich entwickeln.
Sie haben recht. Wir beobachten das genau. Ich habe auch die Zielsetzung, dass wir konkreter feststellen können, wie sich die Schülerzahlen tatsächlich entwickeln. Da gibt es Mecha nismen und Vorgehensweisen. Klar ist: so viel, wie man braucht; das ist richtig.
Klar ist aber auch: In den nächsten drei bis vier Jahren haben wir eine Sondersituation, weil aufgrund des überproportiona len Anteils der Zurruhesetzungen der Bedarf überproportio nal hoch ist. In Baden-Württemberg verläuft die Entwicklung übrigens sehr bauchartig, in vielen anderen Bundesländern eher linear. Da stellt Baden-Württemberg im Vergleich mit an deren Bundesländern wirklich einen gewissen Sonderfall dar.
Erstens: Wie gedenkt die Landesregierung das hohe Volumen an Abordnungen in der Schulverwaltung abzubauen? Wenn ich es richtig weiß, sind von den ca. 120 000 aktiven Lehre rinnen und Lehrern rund 10 % abgeordnet. Das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Zweitens: Wer soll dann, sofern es erforderlich wird, die Auf gaben übernehmen, die bisher von abgeordneten Lehrkräften wahrgenommen wurden? Ich denke, dass hier auch der mög liche Wegfall der Fremdevaluierung eine Rolle spielen könn te.
Vielen Dank. – Die Zahlen kann ich bestätigen. Wir haben ein Volumen von ungefähr 10 % Abordnungen. Es sind ca. 120 000 Lehrerinnen und Lehrer, davon ungefähr 12 000 Abordnungen.
Das System von Abordnungen ist natürlich auch zukünftig – damit da kein Missverständnis aufkommt – existenziell für das Bildungswesen insgesamt.
Nur zur Darstellung: Ein Teil der Abrechnungen und Ermäßi gungen basieren auf gesetzlichen Regelungen, beispielswei se aufgrund von Alter oder Schwerbehinderung. Auch für die Tätigkeiten als Personalrat, Vertrauensperson etc. wird zu Recht mit dem Instrument der Abordnung gearbeitet. Auch was Anrechnungen angeht, wird dieses System angewandt.
Die Frage ist aber schon, wie man gewichtet. Ich habe gera de dargestellt, dass wir im Bereich der Unterrichtsversorgung vor allem in den nächsten drei bis vier Jahren ein ganz grund sätzliches Problem haben. Hinsichtlich der Unterrichtsversor gung – auch da bin ich durchaus ehrlich; ich rede vom Pflicht unterricht und schon gar nicht im Wesentlichen von Ergän zungsunterricht – muss ich natürlich auch Prioritäten setzen und damit auch Posterioritäten definieren. Denn alles zusam men geht nicht.
Deshalb ist es tatsächlich so, dass wir zum einen, was den kommenden Haushalt 2018/2019 angeht, einen Vorschlag ge macht haben, wie man, damit nicht durch das Stopfen einer Lücke eine neue Lücke an anderer Stelle entsteht, im Verwal tungsbereich – wenn ich vom Verwaltungsbereich spreche, dann betrifft das zu weit über 50 % mein eigenes Haus, das Kultusministerium – überprüfen kann, ob jede Verwaltungs tätigkeit genauso zwingend ist wie die qualifizierte Unter richtsversorgung. Das tun wir; das ist im Sinne einer Aufga benkritik.
Der zweite Punkt ist – auch das wissen Sie –: Wir, die Frau Finanzministerin und ich, haben gemeinsam den Landesrech nungshof gebeten, im Rahmen eines gutachterlichen Bewer tungsverfahrens gerade das Thema „Abordnungen/Aufgaben kritik“ in den Blick zu nehmen. Daran arbeitet der Rechnungs hof mit hohem Druck. Weil es eine große Fülle von Aufga benstellungen ist, wird er uns erst im Herbst ein Ergebnis prä
Ich sage es einmal ein bisschen platt: Ich weiß nicht, ob man da jede Broschüre braucht. Da ist mir der Unterricht an der Schule deutlich lieber.
Was das Thema Fremdevaluation angeht, haben wir vor we nigen Tagen vorgestellt, wie wir die Unterstützungssysteme für unsere Schulen weiterentwickeln wollen, was auch drin gend notwendig ist – Stichworte Qualität, Leistung, auch der Blick über die Landesgrenzen hinweg.
Im Rahmen dessen ist ein Thema, das stark im Mittelpunkt von Schulen steht – wenn Sie dort unterwegs sind, dann wis sen Sie das –, die Fremdevaluation. Zwingend ist ein Blick von außen auf die Schulen. Das wollen die Schulen auch. Da darf man den Schulen nichts Falsches unterstellen. Die Frage ist, mit welchem Wert, mit welcher Zielsetzung, mit welcher Beratung welche Erkenntnis herauskommt.
Ich habe tatsächlich festgelegt, die Fremdevaluation bis zur Erarbeitung eines neuen Systems – übrigens auch auf die gro ße Bitte von Verbänden und Schulen hin – auszusetzen. Die 70 Personen, die gerade im Landesinstitut für Schulentwick lung dafür abgeordnet waren, werden wieder in die Schulen zurückgehen. Das sind ja ausgebildete Lehrerinnen und Leh rer, die abgeordnet sind. Übrigens wird ein ganz großer Teil von ihnen an Grundschulen gehen, sodass auch dort ein sinn voller Einsatz erfolgt.
Es ist also auch eine sinnvolle Maßnahme, dort, wo erkenn bar Handlungsbedarf besteht, im Sinne der Unterrichtsquali tät, die absolute Priorität hat, zu reagieren. Dann muss ich aber auch den Mut haben, diese zu definieren.
Neben den Abordnungen sind ja auch sehr viele Lehrerinnen und Lehrer wegen Elternzeit beurlaubt. Gibt es da Überlegungen bzw. Maßnahmen, diese wieder in den aktiven Schuldienst zurückzuholen? Gibt es da eventuell auch Begleitmaßnahmen, diese Lehrerinnen und Lehrer während ihrer Beurlaubung weiterhin auf dem aktuel len Stand zu halten und ihnen somit auch den Einblick in die Schule in regelmäßigen Abständen zu ermöglichen, damit sie auch schnell wieder in den Schuldienst zurückgehen, oder ih nen neue Möglichkeiten aufzuzeigen?
Frau Boser, es ist tatsächlich so, dass wir auf die jenigen, die derzeit – aus unterschiedlichen Gründen – beur laubt sind, sehr aktiv zugehen mit der Frage, ob sie sich eine Verkürzung der Beurlaubung oder einen Teilzeitbeginn etc. vorstellen können. Dieser Prozess lohnt sich übrigens. Darauf reagieren viele positiv.
Auch da gilt: Wir wollen niemanden zwingen. Aber manch mal hat man es sich gar nicht überlegt, und jetzt wird man an
gesprochen. Dann findet man eine Lösung. Das machen wir jetzt sehr offensiv. Beispielweise sprechen wir auch diejeni gen, die aus individuellen Gründen momentan in Teilzeit ar beiten, aktiv an – einfach auch im Hinblick auf das Thema Unterrichtsversorgung und die Bedarfe, die wir haben. Dies haben wir jetzt sozusagen professionalisiert und machen die ses System besser.
Übrigens haben wir auch durchaus viele, die über viele Jahre beurlaubt sind, deren Familienphase schon seit vielen Jahren andauert, was deren Recht ist. Auch die sprechen wir an. Wir stellen immer wieder fest, dass unter ihnen welche sagen: „Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht, aber jetzt überlege ich es mir.“ Dann gibt es natürlich Maßnahmen, um den Lehre rinnen und Lehrern den Wiedereinstieg zu ermöglichen. Das haben wir professionalisiert, um tatsächlich möglichst alle zu erreichen, die dafür eine gewisse Offenheit zeigen.
Frau Ministerin, Sie haben vorhin über die Situation von Lehrern an Grundschulen be richtet. Können Sie uns vielleicht einen Überblick über die Si tuation an den anderen Schularten geben? Wie sieht es dort mit dem Lehrer-Schüler-Verhältnis aus?
Ganz grundsätzlich, wenn ich jetzt alle Schularten zugrunde lege, ist die Lehrer-Schüler-Relation in Baden-Würt temberg besser als in Bayern – wohlgemerkt über alle Schul arten hinweg. Wir haben sehr große Bedarfe. Ich habe vorhin gesagt, wir haben einen großen Überhang – eine Warteliste, wenn Sie so wollen – im Gymnasialbereich bei den Geisteswissen schaften, bei den Fächerkombinationen „Deutsch plus X“. Deshalb weisen wir in unseren Informationen für Studienan fänger darauf hin, dass ihre Chancen auch mittel- und lang fristig im Bereich der Naturwissenschaften wesentlich größer sind als im Bereich der Geisteswissenschaften.
Wir haben ein ganz zentrales Problem in Bezug auf die Grund schullehrerinnen und Grundschullehrer. Wir haben in BadenWürttemberg knapp 2 400 Grundschulen bei ungefähr 30 000 Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern. Das ist natür lich eine große Anzahl, weil Baden-Württemberg sich – wie ich finde, durchaus zu Recht – vor vielen Jahren für sogenann te Zwerggrundschulen entschieden hat. Dadurch ist der Be darf natürlich sehr groß.
Von den knapp 2 400 Grundschulen in Baden-Württemberg haben über 800 weniger als 100 Schülerinnen und Schüler. Über 100 Schulen haben weniger als 40 Schülerinnen und Schüler. Es gibt andere Bundesländer – nicht alle –, die ge sagt haben: erst ab 200 Schülerinnen und Schülern aufwärts. Das wäre unter Ressourcengesichtspunkten eine klare Erleich terung – durchaus auch pädagogisch. Aber Baden-Württem berg hat sich politisch für einen anderen Weg entschieden, was auch im Rahmen der Stärkung des ländlichen Raums eine Rol le spielt. Das heißt, dort liegt der größte Teil des Problems.
Wir haben darüber hinaus noch im beruflichen Bereich ein Problem hinsichtlich der Gewinnung von Lehrerinnen und Lehrern. Das geht vor allem auch auf die Tatsache zurück, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt glänzend ist, die Wirt
schaft in Baden-Württemberg glänzend dasteht und sie natür lich, gerade was die Gewinnung von Berufsschullehrern an geht, eine echte Konkurrenz für den öffentlichen Dienst ist. Das muss man insgesamt sehen. Aber auch dort haben wir Handlungsbedarf, dem wir mit gezielten Maßnahmen begeg nen werden.
Frau Ministerin, zum The ma „Gymnasiallehrkräfte an Gemeinschaftsschulen“ ganz konkret die Frage: Wie kann es sein, dass wir von einer gro ßen Gemeinschaftsschule am Bodensee hören, die Schullei terin habe Interessenten, die Gymnasiallehrer sind, aber das RP Freiburg hat keine Stellen? Wenn Sie das einmal mitneh men könnten, um es noch einmal ganz konkret zu verfolgen, wäre der Schule sicher sehr geholfen. Dazu erwarte ich jetzt keine Antwort von Ihnen.
Aber Sie könnten mir vielleicht eine Antwort auf die Frage geben, inwiefern Sie planen, die Krankheitsvertretung an den Gymnasien aufzustocken.
Den ersten Teil, den Sie angesprochen haben, neh me ich gern mit. Das kann eigentlich nicht sein. Da bin ich Ih rer Meinung.
Aber es ist gut, dass Sie nachfragen. Wir würden das dem entsprechend beantworten und dem Fall konkret nachgehen.
Krankheitsreserve insgesamt: 1 666 Stellen sind die Grundla ge. An eine Erhöhung insgesamt ist momentan nicht gedacht.