Protokoll der Sitzung vom 20.07.2017

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie bitte Ihre Plätze ein und stellen die Gespräche möglichst ein, oder führen Sie diese so leise, dass es hier nicht stört. – Vie len Dank.

Guten Morgen allerseits! Ich eröffne die 40. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Frau Abg. Bogner-Un den, Herr Abg. Halder, Herr Abg. Kopp, Herr Abg. Schreiner sowie Herr Abg. Stein.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Frau Staatsrätin Erler und ab 10:30 Uhr Herr Ministerpräsi dent Kretschmann. Ganztägig entschuldigt hat sich außerdem Herr Staatsminister Murawski.

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungserklärung durch den Minister für Inneres, Di gitalisierung und Migration zum Thema „Digitalisierungs strategie digital@bw“

Ich erteile Herrn Minister Strobl das Wort.

Guten Morgen, Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Inzwischen ist diese Aussage ein geflügeltes Wort, schon häufig von Ihnen allen gehört. Aber es klingt doch sehr abstrakt. Konkret wird es dann, wenn wir uns die aktuell wert vollsten börsennotierten Unternehmen auf der Welt anschau en. Dort sehen wir, dass Facebook – also ein Unternehmen, das im Grunde genommen ausschließlich digitale Daten als Wert besitzt – inzwischen ExxonMobil überholt hat – also ein Unternehmen, das mit dem wichtigsten Rohstoff der Gegen wart handelt: mit Öl.

Dass sich diese Entwicklung nicht mehr umkehren wird, se hen wir an folgender Schätzung: Heute sind etwa 20 Milliar den Geräte und Maschinen über das Internet vernetzt, Ten denz rapide steigend. Bis 2030 sollen es eine halbe Billion solcher Geräte und Maschinen werden. Während die Ölquel len zwangsläufig weniger werden, wachsen die Datenquellen exponentiell an.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir befinden uns in mitten einer gigantischen Entwicklung. Während meiner ers ten Minute Redezeit wurden 3,5 Millionen Suchaufträge bei

Google gestartet, 4,1 Millionen Videos bei YouTube ange schaut und 156 Millionen E-Mails versendet – in einer Minu te! Das sind Zahlen, die unsere Vorstellungskraft schon an Grenzen bringen.

Doch bei allem Zahlengigantismus besteht die eigentliche Re volution eigentlich nur aus zwei einfachen Zahlen: Null und Eins. Mit diesen zwei Zahlen, dem Binärsystem, wird die Welt komplett neu vermessen. Die Digitalisierung verändert die Welt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Reinhold Gall SPD: Was gibt es da zu klat schen?)

Es sind diese fünf Worte: Die Digitalisierung verändert die Welt. Sie verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten, kom munizieren, einkaufen, ja kurzum: Sie verändert die Art, wie wir leben.

Die bisherigen revolutionären Entwicklungen, die industriel le Revolution im vorvergangenen Jahrhundert, die Entdeckung des elektrischen Stroms – all dies geschah im Vergleich zur Digitalisierung im Grunde genommen im Schneckentempo. Die Digitalisierung verläuft viel schneller. Die Innovations zyklen werden immer kürzer, neue Geschäftsmodelle drängen immer schneller auf den Markt. Das Radio brauchte 38 Jah re, um 30 Millionen Zuhörer zu erreichen. Instagram schaff te es innerhalb von zwei Jahren, sich einen Kundenstamm von 30 Millionen Nutzern zu erschließen.

Diese neue Dynamik und die neuen technischen Möglichkei ten stellen unsere bisherige Wertschöpfung im Industrieland Baden-Württemberg vor große Herausforderungen. Dass man belohnt werden kann, wenn man diese tatkräftig anpackt, zeigt die Automatisierungswelle in den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Das war die letzte technische Revolution. Damals wurden für Baden-Würt temberg dunkelste Zukunftsprognosen aufgestellt. Diese Au tomatisierungswelle würde gerade in Baden-Württemberg Tausende von Arbeitsplätzen vernichten, hieß es da – und so war es auch. Tausende von Arbeitsplätzen gingen durch die Automatisierungswelle verloren. Aber gleichzeitig sind gera de in Baden-Württemberg Hunderttausende von Jobs neu ent standen.

(Zuruf von den Grünen: Arbeitsplätze!)

Was war passiert? Wir haben uns damals nicht dem Schicksal gebeugt, sondern die Veränderung erkannt, aufgegriffen und ein Geschäftsmodell daraus gemacht. Heute sind z. B. gerade

(Minister Thomas Strobl)

die baden-württembergischen Maschinen- und Anlagenbau er, die Automobilindustrie und die Zulieferer weltweit füh rend. Genau so, wie wir die Automatisierungswelle gemeis tert haben, müssen wir jetzt die Digitalisierung anpacken; denn es geht bei dieser Entwicklung um nichts anderes als um die Zukunft unseres Landes, um Wohlstand, Arbeitsplätze und Zukunftschancen für die jungen Menschen in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Dabei müssen wir uns die Frage stellen: Welche Rolle soll Ba den-Württemberg künftig einnehmen? Wollen wir nur Teile importieren und zusammenschrauben, oder soll hier in BadenWürttemberg nicht doch lieber das Produkt auch erfunden, geplant, erprobt und schließlich gebaut werden? Um es ein mal plastisch zu formulieren: Unser Ziel muss sein: Das nächste Google kommt aus Baden-Württemberg, aus dem Ländle.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Also heißt es, das Geschäftsmodell zu erkennen und Wohl stand zu schaffen. Und wenn das jemand packt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann sind es die Badener und die Württemberger. Baden-Württemberg ist das Land der Tüft ler und Denker. Das Fahrrad, erfunden vom Karlsruher Karl Drais, feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. Das Au to des Mannheimers Carl Benz hat hier 1888 – im Übrigen mit einer Frau am Steuer –

(Beifall der Abg. Nicole Razavi CDU)

seine erste Fahrt

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Heiterkeit des Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/ DVP)

von Mannheim nach Pforzheim gemacht. Nicht zuletzt wur de vor 33 Jahren auch die erste E-Mail, die nach Deutschland geschickt wurde, hier in Baden-Württemberg empfangen, nämlich in Karlsruhe an der damaligen Universität, dem heu tigen Karlsruher Institut für Technologie.

Während aber, meine Damen und Herren, die Automatisie rung hauptsächlich die fertigende Industrie betroffen hat, ist die Digitalisierung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe für Staat, Wirtschaft und die ganze Gesellschaft. Deshalb haben die Koalitionspartner die Digitalisierung zu einem zentralen Politik- und Handlungsfeld im Koalitionsvertrag gemacht. Mit Herrn Ministerpräsident Kretschmann bin ich mir einig: Die Gestaltung des digitalen Wandels gehört zu den zentralen Schwerpunkten der Landesregierung.

Das, was wir seinerzeit in den Koalitionsvertrag hineinge schrieben haben, hat schon bundesweit Beachtung gefunden. Das ist im Grunde genommen die Vorlage gewesen für die ak tuellen Koalitionsverträge, die in den letzten Monaten ge schrieben worden sind.

Baden-Württemberg hat als eines der ersten Bundesländer ein Digitalisierungsministerium geschaffen, bei dem die Digita lisierungsaktivitäten der Landesregierung zusammenlaufen. Unter dem Schlagwort „digital@bw“ haben wir gleich nach der Amtsübernahme mit Hochdruck die Arbeit aufgenommen.

Das Ziel: eine landesweite und ressortübergreifende Digitali sierungsstrategie.

Unter Führung des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration ist nun eine zukunftweisende digitale Agenda entstanden, die klare Schwerpunkte bildet und konkrete Ak tivitäten bündelt.

(Abg. Anton Baron AfD: Dann nennen Sie die mal!)

Dazu haben alle Ministerien beigetragen. Die Landesregie rung hat zuvor einen breit angelegten Prozess gestartet: run de Tische und Konferenzen mit vielfältiger Experten- und Bürgerbeteiligung. Keine Frage, das war ein Kraftakt, aber das Wesen der Digitalisierung ist eben auch Vernetzung. Des halb haben wir in Teamarbeit gemeinsam und gut zusammen gearbeitet.

Wir haben das Ressortdenken geknackt; das ist schon ein Wert an sich. Deswegen möchte ich mich bei Ministerpräsident Kretschmann, bei allen Ministerien der Landesregierung, den Ministerinnen und Ministern sowie den Regierungsfraktio nen, Herrn Kollegen Schwarz und Herrn Kollegen Professor Dr. Reinhart, herzlich bedanken für diese zielgerichtete Zu sammenarbeit und für ein Ergebnis, das sich wirklich sehen lassen kann.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Wir setzen uns bei der Digitalisierung ambitionierte Ziele. Un sere Startbedingungen sind gut. Unter den Flächenländern Deutschlands ist Baden-Württemberg das Exportland Num mer 1, im Übrigen weit vor dem Freistaat Bayern. BadenWürttemberg ist nicht nur die Wiege des Automobils, sondern auch das Autoland Nummer 1. Baden-Württemberg ist die In novationsregion Nummer 1 nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Beim Maschinen- und Anlagenbau sind wir Weltmarktführer, und im Übrigen sind wir auch in der Medi zintechnik Spitzenklasse. In keiner anderen Region Europas konzentrieren sich so viele Hersteller medizintechnischer Pro dukte wie bei uns in Baden-Württemberg.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Baden-württembergische Unternehmen sind Leitanbieter in der Hardware und traditionell stark in der physischen Welt der Ingenieure, der Maschinen- und Autobauer. Wir müssen es jetzt schaffen, die Hardware mit der Software, also mit der ITWelt, zu verbinden. Dabei wollen wir uns weder komplett neu erfinden, noch sollten wir die digitalen Erfolgsgeschichten an derer Länder zu kopieren versuchen. Die Kopie ist nie so gut wie das Original. Das hat noch nie funktioniert. Wir kopieren nicht das Valley, sondern wir erfinden derzeit das Auto in Ba den-Württemberg neu und noch einmal.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Was wir brauchen, ist unsere eigene und unverwechselbare Erfolgsgeschichte der Digitalisierung, die auf den bestehen den Stärken Baden-Württembergs aufsetzt und aufbaut. Kurz gesagt: Wir wollen unsere Stärken stärken, wir wollen die Stärken Baden-Württembergs in die digitale Welt hinüberbrin gen.

Eine dieser Stärken ist natürlich die Wirtschaft unseres Lan des. Baden-Württemberg ist das Land der Weltmarktführer

und der Hidden Champions. Der Mittelstand hat unser Land stark gemacht. Damit das so bleibt, werden wir dem Mittel stand auch bei der Digitalisierung zur Seite stehen. Bei der „Initiative Wirtschaft 4.0 Baden-Württemberg“ schmieden wir strategische Allianzen und vernetzen digitale Vorreiter, Glo bal Players und Start-ups mit unserem starken Mittelstand. Daraus werden neue sinnvolle Symbiosen entstehen, die für alle Seiten einen Gewinn darstellen. Wir wollen nicht aus al len kleinen und mittleren Unternehmen digitale Cracks ma chen. Aber wir wollen sie dabei unterstützen, ihr Geschäft zu digitalisieren oder ihre Dienstleistungen zu personalisieren. Dafür nehmen wir 2017 18,4 Millionen € in die Hand.

Wir richten Digital Hubs ein. Im Sinne einer regionalen Dreh scheibe für Digitalisierung werden Akteure wie Forschungs- und Transfereinrichtungen, Hochschulen, Vertreter der Krea tivwirtschaft, Verbände oder Kammern in diesen Hubs räum lich, körperlich zusammengebracht. Damit sollen Erfahrungs austausch und Wissenstransfer ermöglicht werden.

Wir müssen uns auch ein Stück weit verabschieden von unse rer gern gelebten Null-Fehler-Kultur. Wenn Ideen entstehen, braucht es Mut für die Umsetzung und Geld für den Markt gang. Deshalb wollen wir eine neue Gründerzeit ausrufen und junge Menschen z. B. an unseren Hochschulen ermutigen, auch einmal etwas zu wagen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der AfD und der FDP/DVP)

Mut wollen wir machen, aber wir wollen auch das notwendi ge Geld bereitstellen. Denn jungen Unternehmen fehlt es in dieser entscheidenden Phase oft auch an finanziellen Mitteln, nämlich dann, wenn das Produkt noch nicht ganz fertig ist und das Risiko für institutionelle Anleger noch zu hoch ist. Mit dem Landesprogramm „Startup BW Seed“ schließen wir die se Lücke und orientieren uns dabei an einem Land, in dem die Start-up-Szene boomt wie in keinem anderen Land, nämlich Israel. Mit dieser Unterstützung können junge Unternehmen diese kritische Phase überstehen und sich am Markt etablie ren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Arbeitsplätze zu schaffen ist das eine. Wir wollen im Rahmen der Strategie aber auch die Art der Arbeit in den Blick nehmen. Wie sieht der Arbeitsplatz der Zukunft aus? Welchen Mehrwert können wir erzeugen? Gemeinsam mit den Sozialpartnern, den Kammern, Verbänden und der Wissenschaft wollen wir die Spielregeln der künftigen Arbeitsgesellschaft so mitgestalten, dass sie den Interessen der Unternehmen und der Beschäftigten gleicher maßen gerecht wird, dass sie aber auch die Entwicklungen, die digitale Welt aufnimmt und sie nicht ignoriert.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)