Protokoll der Sitzung vom 27.09.2017

Eine Strategie unterscheidet sich im Übrigen von der Taktik dadurch, dass sie langfristige Ziele verfolgt. Unser langfristi ges Ziel, Herr Abg. Schweickert, ist, dass wir Baden-Würt temberg nach vorn bringen wollen. Wir wollen Baden-Würt temberg zur digitalen Leitregion

(Abg. Andreas Stoch SPD: Oh! – Zuruf von der AfD: Mit d!)

in Deutschland entwickeln.

(Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Um dieses Ziel zu erreichen – das ist ähnlich wie bei einem Schachspiel –, gibt es mehrere Spielzüge. Wir haben jetzt ei nen Eröffnungsspielzug gemacht, und weitere Züge werden folgen.

Entscheidend bei der Digitalisierung ist mit an erster Stelle das Breitband. Ohne schnelles Internet

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: So ist es!)

gibt es keine Digitalisierung. Und es ist schon richtig: Wie auf einem Schachbrett gibt es noch zu viele weiße Flecken. Des wegen arbeiten wir mit Hochdruck daran, das zu ändern. Nur – das möchte ich schon einmal sagen –: Ein bisschen Sach kunde wäre im Grunde auch nicht schlecht.

(Beifall der Abg. Nicole Razavi CDU – Zuruf von der AfD: Das sagt der Richtige!)

Wenn Sie meinen, das sei die vordringliche Aufgabe der Lan desregierung, und gleichzeitig sagen, dass die Wirtschaft es im Grunde genommen besser könnte,

(Zuruf von der AfD: Ja, kann sie!)

dann muss ich einfach dagegenhalten: Wir haben eine Rechts situation, die vorsieht, dass die digitale Infrastruktur zunächst einmal eine Angelegenheit der Privatwirtschaft ist. Das ist so; das ist die rechtliche Lage. Wir – die Kommunen, das Land, der Bund – kommen erst dann ins Spiel, wenn ein sogenann tes Marktversagen festgestellt ist.

(Abg. Dr. Jörg Meuthen AfD: Exakt!)

Erst dann können und dürfen wir fördern. Der weiße Fleck muss also erst einmal vorhanden sein, damit wir ihn überhaupt beseitigen können. Wir kommen erst dann ins Spiel, wenn die Wirtschaft versagt. Dieses System kann man kritisieren, aber es ist nun einmal vorhanden. Was wir machen, ist, dass wir diese weißen Flecken Stück für Stück beseitigen.

Und wir kommen in Baden-Württemberg voran. Vor andert halb Jahren waren wir noch deutlich unter dem Bundesdurch schnitt. Wir haben um 5 % bis 6 % beim Anschluss der Haus halte über 50 MBit/s zulegen können, und wir sind jetzt über durchschnittlich. Es reicht mir allerdings noch nicht, über durchschnittlich zu sein.

(Zuruf von der AfD: Ändern Sie die Rahmenbedin gungen!)

Wir werden Baden-Württemberg an die Spitze bringen, aber nicht mit solchen digitalen Nullnummern, wie Sie sie heute vorgetragen haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Anton Baron AfD: Sie kennen die Probleme! Ändern Sie sie!)

2015 gab es noch 16 Millionen € Fördermittel für den Breit bandausbau. 2016 waren es 113 Millionen €, 2017 sind es 125 Millionen €.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Theoretisch!)

Schon 2016, aber auch in jedem Folgejahr ist das mehr gewe sen, als die Vorgängerregierung in der gesamten Legislatur periode für die digitale Infrastruktur ausgegeben hat. Wir se hen, dass sich etwas bewegt.

Ich bin den Koalitionsfraktionen dankbar, dass sich abzeich net, dass wir im Doppelhaushalt 2018/2019 jeweils jährlich zu einer Verstetigung der Mittel im Umfang eines dreistelli gen Millionenbetrags kommen. Das ist für ein Flächenland und für ein Technologieland entscheidend. Ich bin froh darü ber, dass dies hier im Landtag erkannt wird und wir die ent sprechenden Mittel auch in den kommenden Jahren haben werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein zweiter Punkt neben der digitalen Infrastruktur ist, dass wir die Daten sicher machen. Ich bin überzeugt, dass ohne Datensicherheit die Di gitalisierung nicht funktionieren wird. Für Baden-Württem berg ist das ein besonderes Thema, weil Baden-Württemberg das Land des Mittelstands ist. Nirgendwo findet so viel Wert

schöpfung über kleine und mittlere Unternehmen statt wie in unserem Land.

Diese Stärke ist aber auch eine Herausforderung in der digi talen Welt. Nicht jeder Mittelständler wird sich einen eigenen IT-Sicherheitsbeauftragten leisten können. Aber er braucht diese Sicherheit. Deswegen starten wir jetzt schwerpunktmä ßig Projekte, um Baden-Württemberg im Bereich der Cyber sicherheit nach vorn zu bringen.

Ein Baustein dafür ist die Cyberwehr Baden-Württemberg. Wir werden die Cyberwehr als eine Kontakt- und Beratungs stelle vor allem für kleine und mittlere Unternehmen sowie als eine landesweite Koordinierungsstelle bei Hackerangrif fen aufbauen. Wenn Sie so wollen, ist die Cyberwehr die Feu erwehr des 21. Jahrhunderts, erreichbar an sieben Tagen in der Woche, 24 Stunden am Tag.

So, wie es heute selbstverständlich ist, dass wir in einem Brandfall 112 wählen, wird es schon bald selbstverständlich sein, im Fall eines Cyberangriffs eine Notfallnummer zu wäh len, die wir eigens dafür einrichten werden.

(Beifall bei der CDU – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Die Cyberwehr wird die Notfallhilfe mit bereits bestehenden Einrichtungen verknüpfen und Unternehmen damit eine ganz heitliche Lösung für Cybersicherheit bieten. Auch hier sehen Sie den übergreifenden Ansatz: Wir verbinden innere Sicher heit mit der Wirtschafts- und der Wissenschaftskompetenz in unserem Land.

Dieses Projekt ist sinnvoll und notwendig. Der Mittelständler ist nicht nur der Maschinenbauer oder der Fabrikbesitzer. Der Mittelstand ist viel breiter. Ich erinnere mich an einen Steuer berater, der mir berichtet hat, dass er in seiner Kanzlei plötz lich feststellen musste, wie sein Computer gehackt wird und die Daten verschwinden. Ich erinnere mich an den befreunde ten Arzt, der mit der Drohung erpresst wurde, dass ihm alle Patientendaten gelöscht und abgesaugt werden, wenn er nicht Bitcoins in der Größenordnung von 3 000 €, 4 000 € bezahlt.

Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines solchen Steuerbe raters und eines solchen Arztes. Er fragt sich: Wohin kann ich mich wenden? Wen muss ich alles informieren? Wenn ich zur Polizei gehe, muss ich eine Anzeige erstatten, was für mich wiederum Aufwand bedeuten könnte. Muss ich meine Kun den informieren? – Diesem Arzt oder diesem Steuerberater wird bewusst, dass das, was gerade passiert, seine Existenz gefährden kann. Das Vertrauen der Kunden in die Sicherheit gerade sensibler Daten wie Steuerdaten oder Gesundheitsda ten ist die Geschäftsgrundlage.

Hier kommt unsere Cyberwehr ins Spiel. Der Steuerberater ruft dann dort an, beschreibt sein Problem und wird kompe tent über die weitere Vorgehensweise beraten, inklusive der Vermittlung von zertifizierten Partnern. Folgeverpflichtungen entstehen für ihn zunächst nicht. Natürlich bleibt das Bera tungsgespräch vertraulich, ohne unmittelbare Folgeverpflich tungen für ihn. Das soll die Hemmschwelle senken, einen Cy berangriff auch zu melden; denn ein Teil des Problems ist, dass wir viele Hackerangriffe, viele Cyberangriffe, gar nicht mitbekommen. Es gibt ein sehr, sehr großes Dunkelfeld.

Deswegen meldet sich im Optimalfall der Mittelständler, und er meldet sich im Grunde genommen eigentlich schon vorher bei uns, wenn er noch gar nicht angegriffen worden ist, weil Aufgabe der Cyberwehr auch sein soll, für dieses Thema zu sensibilisieren. Es soll ein Beratungsangebot geben: Was kann ich tun, um in meinem Unternehmen möglichst sicher zu ar beiten? Welche Angriffsmöglichkeiten sind am häufigsten? Wie soll ich meine Mitarbeiter aufstellen? Alle diese Fragen sollen beantwortet werden.

Darüber hinaus wollen wir mit dem IT Security Lab Start-ups im Bereich Cybersicherheit innerhalb von sechs bis acht Wo chen durch Qualifizierungsmodule zu einer schnelleren Un ternehmensentwicklung verhelfen. Mit Informationsveranstal tungen und einer Sensibilisierungskampagne werden wir Un ternehmen und Bürger über Cybergefahren informieren und aufzeigen, welche Schutzmaßnahmen notwendig sind.

Am Ende soll Baden-Württemberg in der virtuellen Welt das sein, was es auch in der realen Welt ist: ein sicheres Land. Cy bersicherheit kann im 21. Jahrhundert, ja Cybersicherheit wird im 21. Jahrhundert ein Standortfaktor für Unternehmen sein. Deswegen arbeiten wir daran, dass Baden-Württemberg ge rade in diesem Bereich vorn bleibt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Ich möchte Ihnen noch einige Schlaglichter nennen, die auf zeigen sollen, wie vielfältig und facettenreich die Digitalisie rung und die sich daraus ergebenden Handlungsfelder für uns sind. Es wird auch jetzt nicht gelingen, alle Bereiche anzu sprechen; deshalb haben wir das auch in unserer Strategie schriftlich festgehalten.

Wir werden eine Erprobungsumgebung für automatisiertes Fahren im öffentlichen Personennahverkehr einrichten, und zwar in einer Großstadt, aber auch und ganz bewusst im länd lichen Raum. Der Inhalt ist revolutionär: Autonome Kleinbus se sollen eine völlig neue Mobilität ermöglichen. Die Bushal testelle rückt vor das eigene Haus. Stellen Sie sich diese neu en Möglichkeiten vor: Gerade ältere Menschen im ländlichen Raum können so bis ins hohe Alter ein hohes Maß an Selbst bestimmung behalten. Die Politik für den ländlichen Raum, Sozialpolitik und Verkehrspolitik, rücken in diesem Projekt ganz eng zusammen.

Oder nehmen wir die Möglichkeiten der virtuellen Realität. Auf der ganzen Welt weiß man, dass das Auto mit dem Stern aus Stuttgart, aus Baden-Württemberg kommt.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Aber kaum jemand weiß, dass aus Baden-Württemberg auch hochprofessionelle Spezialeffekte exportiert werden. Nehmen Sie die Fantasyserie „Game of Thrones“, die weltweit Rekor de bricht. Die eindrucksvollen Drachen, die die Protagonis ten in der Serie in Angst und Schrecken versetzen, kommen aus Baden-Württemberg.

(Zuruf des Abg. Wolfgang Drexler SPD)

Sie kommen nicht aus dem Drachenloch am Drackensteiner Hang, sondern sie sind geboren und aufgewachsen auf einer Festplatte im Großraum Stuttgart. Dort haben sie auch das Fliegen und das Feuerspucken gelernt. Die Medien-, Soft

ware- und Game-Industrie ist in Baden-Württemberg eine Wachstumsbranche mit einem weltweit wachsenden Markt. Dazu gehören insbesondere die Filmakademie und die Hoch schule der Medien sowie das ZKM und die Medien- und Film gesellschaft.

Ich möchte Ihnen nur noch zwei Zahlen nennen, um begreif lich zu machen und eine Sensibilität dafür zu geben, was sich im Digitalisierungsbereich schon heute entwickelt hat. Allein in Karlsruhe sind über 30 000 Arbeitsplätze im IT-Bereich ent standen, und 44 % der Gewerbesteuereinnahmen der Stadt Karlsruhe kommen heute aus dem IT-Bereich.

(Widerspruch des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/ DVP)

Nein, aus dem IT-Bereich. 44 % des Wachstums der Gewer besteuereinnahmen! – Das zeigt, dass die Digitalisierung schon heute ein wichtiger Arbeitsplatzfaktor und ein wichtiger öko nomischer Faktor ist.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dieser Stoßrich tung, das Land auf allen Ebenen bei der Digitalisierung vor anzubringen, werden wir jetzt im Rahmen der Strategie mehr als 70 neue ressortübergreifende strategische Projekte in die Umsetzung bringen, die alle in die gleiche Richtung zielen: Baden-Württemberg an die Spitze der digitalen Entwicklung zu bringen. Diese Projekte sind nicht die einsamen Kirchtür me einzelner Ressorts; es sind vielmehr strategisch platzierte Leuchttürme, die mit starken und gebündelten Lichtkegeln den Weg in die digitale Zukunft weisen.

Ich darf diese Bedeutung der Digitalisierung nochmals an ei nem Beispiel aus Baden-Württemberg deutlich machen und will Sie noch einmal ermuntern, gerade diesen Leuchtturm in Karlsruhe zu betrachten, wo wir mit dem KIT und mit ande ren Einrichtungen sowie mit zahlreichen Start-ups ein echtes Juwel im Land haben.

Als der von IBM entwickelte Schachcomputer Deep Blue vor genau 20 Jahren den damals amtierenden Schachweltmeister Kasparow geschlagen hatte, war das nichts anderes als ein Donnerhall. Vielfach wurde darauf mit menschlicher Arro ganz reagiert, die zumeist in Ignoranz mündete, Ignoranz vor notwendigen Veränderungen bei den Weichenstellungen. Ich rate daher dazu, nicht mit Arroganz, sondern Vigilanz zu re agieren, mit Vigilanz, Demut und Forscherdrang.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Digitalisierung ist nicht mehr aufzuhalten. Herr Kollege Stoch, wir müssen ihr – das war eine sonderbare Wortwahl von Ihnen – auch nicht standhalten, sondern wir müssen sie gestalten. Die Di gitalisierung darf keine Veranstaltung sein, an deren Rand wir teilnahmslos zum Zuschauen verdammt sind. Die Digitalisie rung ist ein Prozess, den wir nach unseren Vorstellungen be einflussen können, ja beeinflussen müssen. Zukunft sagt man am besten voraus, indem man sie gestaltet.