Protokoll der Sitzung vom 11.10.2017

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Dr. Kern das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Geschätzter Kollege Röhm: Wenn man Ihre Rede heute Morgen hier gehört hat, könnte man den Eindruck bekommen, die SPD habe in der letzten Legislatur periode mit absoluter Mehrheit hier regiert. Aber das ist ja mit nichten so, sondern in der letzten Legislaturperiode war die SPD

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

im Bildungsbereich sogar der kleinere Koalitionspartner, und man kann doch nicht so tun, als ob die Grünen mit dieser Ganztagskonzeption überhaupt nichts zu tun gehabt hätten.

Das Ziel der Regierung Kretschmann I – das muss man sich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen – war, dass bis zum Jahr 2023 70 % aller Grundschulen auf den Zwangs ganztagsbetrieb umgestellt haben. Bis zum heutigen Tag ha ben das tatsächlich gerade einmal 2 % gemacht. Wie man da,

Frau Boser, von einem grandiosen Erfolgsmodell sprechen kann, erschließt sich der FDP/DVP-Landtagsfraktion über haupt nicht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Was die Seriosität der Finanzierung angeht, hat der Kollege Röhm auch schon alles gesagt. Man muss es leider so dras tisch formulieren: Die Fraktion GRÜNE und die Fraktion der SPD stehen heute vor den rauchenden Trümmern ihrer ge meinsamen Ganztagsschulkonzeption.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Zuruf der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

Um herauszufinden, woran es dem grün-roten Ganztagskon zept mangelt, bedarf es keiner größeren Forschungsanstren gungen. Zahlreiche Stimmen, darunter die Elterninitiativen mit ihrer Petition „GRUNDSCHULE: Für ECHTE Wahlfrei heit und Freiwilligkeit im Ganztag!“, haben das Problem deut lich beim Namen genannt.

Es ist ja auch nicht so, als hätte es zum Ganztagskonzept der damaligen Landesregierung keine Alternativen gegeben. Ich verweise nur auf den Gesetzentwurf der FDP/DVP-Fraktion zur Verankerung der Ganztagsschule im Schulgesetz, Druck sache 15/4025, den wir vor dem grün-roten Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht hatten. Darin forderten wir die Auf nahme der gebundenen und der offenen Ganztagsschule in das Schulgesetz. Die Entscheidung über die Ausgestaltung woll ten wir den Verantwortlichen vor Ort überlassen. Und was war damals die Reaktion der grünen Fraktion? Zu viel Freiheit und zu wenige Vorgaben. Das war laut der Grünen-Sprecherin Sandra Boser der Grund für die Ablehnung des Gesetzent wurfs durch ihre Fraktion. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: zu viel Freiheit, zu wenige Vorgaben.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Zuruf des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

Der andere Teil der jetzigen Regierungskoalition, die CDU, hat damals übrigens unserem Gesetzentwurf zugestimmt. Gleichwohl sehen wir die Gefahr, dass die CDU und die von ihr gestellte Kultusministerin jetzt Rücksicht auf ihren grünen Koalitionspartner nehmen und einen typischen, aber ebenso problematischen Komplementärkoalitionskompromiss zustan de bringen.

Nach dem, was wir von den Plänen der Kultusministerin bis her erfahren haben – und das ist noch nicht so viel, Frau Ei senmann –, könnte der Kompromiss vielleicht so aussehen: Die Grünen behalten „ihre“ rhythmisierten Pflichtganztags schulen, und die Schwarzen „bekommen“ die Förderung der Horte und Betreuungsangebote. Durch die Addition von Vor mittagsschule und Betreuungsangeboten entstünde dann eine Art offene Ganztagsschule, aber eben nur eine Art.

Dieses Konstrukt soll nicht unter dem Namen Ganztagsschu le laufen, in kommunaler Verantwortung sein und eine Form der Betreuung darstellen, also keinen pädagogischen An spruch besitzen. Wir Freien Demokraten sind besorgt, dass hierdurch eine Zweiklassengesellschaft der Ganztagsschulen zementiert wird: die verpflichtenden mit pädagogischem An

spruch und die offenen ohne pädagogischen Anspruch. Davor warnen wir ausdrücklich.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Vielleicht ist das Eingeständnis des Scheiterns durch die auch von den Grünen getragene aktuelle Regierung Kretschmann II eine Gelegenheit zum Umdenken für diese Partei. Wir bieten gern an, den erwähnten liberalen Gesetzentwurf noch einmal einzubringen. Dieses Angebot ist ernst gemeint. Denn die Bür gerinnen und Bürger haben es verständlicherweise satt, dass sich im Bildungsbereich mit jedem Regierungswechsel die Koordinaten ändern. Wir verstehen unser Angebot zur Zusam menarbeit vielmehr als Beitrag zur Vermeidung eines weite ren faulen grün-schwarzen Kompromisses und im Sinne ei nes echten Schulfriedens.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Chris tina Baum und Dr. Rainer Podeswa AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Frau Ministerin Dr. Eisenmann das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich über die Diskussion heute Morgen, weil sie, glaube ich, ein Thema widerspiegelt, mit dem wir uns zu Recht befassen müssen.

Herr Abg. Kern, dass noch nichts vorliegt, ist zutreffend; das liegt aber an der generellen Arbeitsweise, die wir im Kultus ministerium pflegen, die mir auch sehr am Herzen liegt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Langsam!)

Wir sprechen zunächst einmal mit denen, die den Ganztag ge stalten, wir sprechen mit denen, die wir als Partner brauchen – von den Eltern über die Schulen bis zu den Kommunen –; dies haben wir in zwei großen Ganztagsgipfeln – dies wurde schon angesprochen – mit jeweils weit über 500 Teilnehmerin nen und Teilnehmern gemacht. Wir arbeiten dies nach, kop peln es rück, und dann gehen wir mit einem Konzept nach au ßen. Das ist eine Arbeitsweise, die ich generell sehr empfeh le; denn dann wird sehr qualifiziert gearbeitet.

(Vereinzelt Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: 2020!)

Machen Sie sich mal keine Sorgen. Nur um auf den Zwi schenruf zu reagieren: Ich glaube, Sie müssen sich über das Reformtempo im Bildungsbereich nicht beschweren. Ich hof fe, Sie kommen da alle mit.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/ DVP: Wir hoffen, dass die Regierungsfraktionen mit kommen! – Lachen des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Wir nehmen alle mit, Herr Rülke. – Dass wir uns heute mit diesem von der CDU-Landtagsfraktion beantragten Thema befassen, passt in der Hinsicht gut, weil es, glaube ich, ganz wichtig ist, dass wir uns darüber austauschen müssen: Wo ste hen wir mit unseren Konzepten? Das ist tatsächlich auch das,

was die grün-schwarze Koalition in ihrem Koalitionsvertrag verankert hat. Wir wollen in aller Offenheit sehen: Wie wir ken unsere Konzepte, und in welchen einzelnen Bereichen gibt es Nachjustierungsbedarf? Dies machen wir jetzt auch im Bereich Ganztag.

Es ist völlig unstreitig, dass ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einer funktionierenden Vereinbarkeit von Familie und Beruf besteht. Dass dazu ganztägige Angebote benötigt wer den – pädagogisch, qualitativ hochwertig, rhythmisiert –, steht außer Frage. Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass wir dieses Angebot haben und dass wir diese Angebote dann auch so, wie es beantragt wird, im klassischen verbindlichen Ganz tag auf der Basis von § 4 a des Schulgesetzes realisieren, weil dieser Bedarf über das ganze Land hinweg erkennbar ist.

Aber wenn man diese Diskussion offen und ehrlich sowie im Sinne der Schulen, der Eltern und der Kinder in unserem Land führt, spielt natürlich gleichermaßen auch eine Rolle, dass der Wunsch nach Flexibilität sowie nach Vielfalt im Angebot vor Ort sehr wohl vorhanden ist. Das war auch das Ergebnis von zwei großen Ganztagsgipfeln: sehr einmütig, über Eltern, über Kommunen, über Verbände und über die, die Ganztag gestal ten, die herzliche Bitte, Flexibilität auf der Basis von Quali tät zu realisieren. Flexibilität heißt nicht zwangsläufig, dass man nicht qualifiziert und qualitätsvoll arbeiten würde.

Deshalb ist es wichtig, dass wir diese einzelnen Faktoren jetzt im Gespräch mit den Verantwortlichen intensivieren, um dann gemeinsam ein Konzept weiterzuentwickeln, das den Ganz tag in Baden-Württemberg in seiner Breite stärkt.

Dies erfolgt momentan, wie gesagt, unter Einbindung aller re levanten Partner. Wir haben zum einen den rhythmisierten Ganztag, den gebundenen Ganztag, wie es umgangssprach lich heißt, auf der Basis der schulgesetzlichen Grundlage, der insgesamt dort, wo er beantragt und umgesetzt wird, auf gro ßes Lob stößt. Das muss man in aller Deutlichkeit sagen. Er ist qualitätsvoll, er ist pädagogisch wertvoll. Die zusätzlichen Lehrerinnen- und Lehrerstunden, die wir in das System ge ben, kommen an.

Allerdings muss man auch sehr deutlich sagen: Die Zahlen – Herr Abg. Röhm hat sie genannt – sind, wie sie sind. Derzeit ist an 398 Grundschulen der gebundene Ganztag nach § 4 a des Schulgesetzes eingerichtet. Die überwältigende Zahl, nämlich 92 % unserer Schulen, haben sich nur für einen Teil oder für eine andere Form der Betreuung und des Angebots entschieden. Dies geschah auf Wunsch der Eltern. Das heißt – das kann ich bestätigen –: Nur 2 % der Schulen im Land ha ben sich für den verbindlichen Ganztag nach dem Schulge setz entschieden. Bei aller Offenheit hinsichtlich der Frage, welches Konzept ich erarbeite, muss diese Realität aber auch wahrgenommen werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Vereinzelt Beifall bei den Grünen)

Daraus ergibt sich die Frage: Muss ich den gebundenen Ganz tag erweitern? Muss ich ihn verändern? Muss ich mehr flexi ble Angebote schaffen? Wir machen schließlich Bildungspo litik für diejenigen, die davon einen Nutzen haben sollen. Des halb glaube ich, dass es richtig ist, dass wir uns über diese Fra gen verständigen.

Auch die Kommunen – wir konnten es heute lesen –, die Ge werkschaften und vor allem die Elternverbände bitten uns dringend, dieses Thema grundsätzlich anzugehen. Das wer den wir in einer sinnvollen Abwägung auch tun. Frau Boser hat es angesprochen: Eines ist dabei ganz entscheidend: Ich glaube, dass wir uns auch bei klassischen Betreuungsangebo ten Qualität zutrauen müssen. Qualität gerade in diesem Be reich ist ganz entscheidend. Das erwarten die Eltern auch.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Deshalb bitte ich dringend darum – – Der manchmal entste hende Eindruck, dass verbindlicher Ganztag qualitätsvoll und Betreuung nicht qualitätsvoll ist, ist falsch. Wir haben sehr viele außerschulische Partner – beispielsweise Sportvereine, Kulturvereine –, die in den Schulen glänzende Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern machen. Ich bitte dringend dar um, dies auch als Qualitätsmerkmal zu akzeptieren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Es ist richtig – Herr Abg. Röhm hat es angesprochen –, dass in der Frage, ob an einem Standort durch unterschiedliche Maßnahmen mehr Flexibilität möglich sein soll, auch ein Wunsch steckt, der auf den Ganztagsgipfeln sehr breit an uns herangetragen wurde. Auch dies werden wir im Rahmen des jetzt zu erarbeitenden Gesamtkonzepts mit abwägen, um dann etwas vorzulegen, was hoffentlich eine deutliche Weiterent wicklung und eine deutliche Verbesserung unserer Ganz tagsangebote – verbindlich und flexibel – mit sich bringen wird.

(Glocke der Präsidentin)

Frau Ministerin, lassen Sie ei ne Zwischenfrage des Herrn Abg. Klos zu?

Ja.

Bitte.

Danke, Frau Ministerin. – Meine Frage bezieht sich auf die Vereine, die durch den Nachmit tagsunterricht praktisch entkernt werden. Den Vereinen in uns rem Land brechen die Jugendgruppen komplett weg. Wie stel len Sie sich dazu?

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Das stimmt nicht! – Abg. Reinhold Gall SPD: Das stimmt doch so gar nicht! Wo denn? Keine Ahnung!)

Genau. Dem kann ich mich anschließen. Es ist schlicht eine Fehlannahme, die auch dadurch, dass man sie dauernd verbreitet, nicht richtiger wird.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Sie wissen, dass ich in meinem Ressort sowohl für den Sport als auch für die Kultur zuständig bin. Schauen Sie sich die Zahlen an. Dann werden Sie feststellen: Es gibt überhaupt kei nen Einbruch. Ganz im Gegenteil: Im Sportbereich gibt es ei ne hohe Stabilität. Dies liegt auch daran, dass die Sport- und