Herzlichen Dank. – Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat haben einige gedacht, Herr Schweickert spricht nur ei ne lächerliche Kleinigkeit an. Tatsächlich ist es ein richtig fet tes, großes, milliardenschweres Problem, ein Grundproblem der Barrierefreiheit des öffentlichen Verkehrs.
Die Länder haben sich vor ca. 20 Jahren – in den Neunziger jahren – verständigt, auf welcher Bahnsteighöhe man Barrie refreiheit herstellen will. Da sage ich hier ganz deutlich: Für das Land Baden-Württemberg wie für alle anderen Länder ist es selbstverständlich, dass die Ausbaumaßnahmen dem Ziel eines barrierefreien ÖPNV dienen. Man hat sich verständigt, dass für den Schienenpersonennahverkehr in den Ländern – in den allermeisten Ländern, wenn auch nicht in allen Län dern – eine Bahnsteighöhe von 55 cm vorgesehen wird.
Seit etwa 20 Jahren haben wir auf der Basis einer Bahnsteig höhe von 55 cm investiert, viele neue Bahnsteige gebaut und
waren doch einigermaßen überrascht – um nicht zu sagen: ent setzt –, als Anfang Januar – durch Nachfrage hat sich das be stätigt – aus dem Bundesministerium die Ansage kam: Ab jetzt werden grundsätzlich keine neuen Bahnsteige mehr geneh migt, die nicht die Höhe von 76 cm haben.
Jetzt müssen Sie sich mal vorstellen – Sie haben das gründ lich dargestellt –: Selbst der IC ist bei 76 cm nicht barriere frei. Wir haben jetzt neue Züge auf der Grundlage einer Bahn steighöhe von 55 cm bestellt. Die Züge werden 30 Jahre fah ren. Wir haben barrierefreie Bahnsteige mit einer Höhe von 55 cm hergestellt. Das gilt übrigens auch für viele andere Län der. Wir haben also massiv in diese Höhe investiert. Jetzt kommt der Bund und sagt: „Nein, wir machen jetzt etwas an deres.“ Das ist wohl in Absprache mit einem Teil – so muss man sagen – der DB Station&Service geschehen, weil das ge samte Projekt extrem umstritten ist.
Sie sehen, das ist ein Kreisdiagramm. Die gelbe Fläche zeigt jetzt nicht den Stimmenanteil der FDP, sondern den Anteil der Bahnsteige mit einer Höhe von 76 cm. Also: Etwa 26 % der Bahnsteige in Baden-Württemberg haben eine Höhe von 76 cm. Ebenfalls 26 %, also gleich viel, haben eine Höhe von 55 cm, und der Rest ist niedriger.
Man hat sich damals auf die 55 cm verständigt, weil die meis ten, die etwas tiefer liegen, nicht so weit darunter liegen. Da passt es irgendwie, und nach oben ist es auch einigermaßen kompatibel.
Nach den neuen Überlegungen des Bundes wären also die al lermeisten Bahnsteige heute praktisch falsch. Man kann nicht im Ernst sagen, die Lösung sei eine einheitliche Bahnsteighö he von 76 cm. Ich verstehe das Anliegen, dass er es möglichst einheitlich machen will, aber das Kind ist vor 150 Jahren in den Brunnen gefallen, weil man in ganz Deutschland im Lau fe der letzten 150 Jahre unterschiedliche Bahnsteighöhen ge baut hat. Meines Erachtens ist es gar nicht mehr möglich, die Bahnsteige auf die gleiche Höhe zu bringen.
Sie erkennen auch hier in der Mitte viel Gelb. Das zeigt wie der nicht die FDP, sondern Deutschland und Polen als Misch konzept. Dort gibt es unterschiedliche Bahnsteighöhen. Grün bedeutet – Sie ahnen es schon –, die Bahnsteighöhe beträgt 55 cm. Das ist praktisch in den meisten Ländern Europas ein heitlich – nur in Skandinavien, Belgien und den Niederlanden sind es 76 cm. Die Nachbarn sind also mit unserer Höhe kom patibel. Das ist die Situation.
Es gibt auch Strecken mit unterschiedlichen Bahnsteighöhen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Stuttgart 21 mit einer
Höhe von 76 cm gebaut wird, die Nahverkehrszüge aber auf 55 cm ausgelegt sind. Wir haben da also ein richtiges Prob lem.
Wenn Sie mich fragen, was die Konzeption des Landes ist, muss ich sagen: Wir sind der Meinung, dass wir im Nahver kehr, nachdem wir so lange systematisch 55 cm vorgesehen haben, auch so weitermachen. Wir kämpfen mit den anderen Bundesländern dafür, dass der Bund von seiner jetzt neuer dings entwickelten Lösungsidee Abstand nimmt. Denn diese hätte wirklich eine folgenschwere Wirkung auf die Barriere freiheit. Damit wäre gerade das Gegenteil erreicht.
Wir werden sicherlich Strecken haben wie die Strecke von Stuttgart über Pforzheim nach Karlsruhe, bei denen wir Misch bahnsteige brauchen. Ich sehe keine andere Lösung als die Hybridbahnsteige. Die gibt es übrigens teilweise heute schon auf Strecken, auf denen Züge mit niedrigem und Züge mit hö herem Einstieg fahren. Dort sind die Bahnsteige an einem En de niedriger und am anderen höher.
Eine andere sinnvolle Lösung kann ich nicht erkennen. Wenn wir die Bahnsteighöhe anheben, passen die anderen Züge wie der nicht.
Schotter: Ob man die Erhöhung am Bahnsteig selbst oder im Gleis vornimmt, das ist gehupft wie gesprungen. Man kommt immer zu verschiedenen Höhen.
Ich glaube, die einzig sinnvolle Lösung ist, genau zu definie ren, wo ausschließlich Nahverkehrszüge fahren – da brauchen wir 55 cm –, wo gemischter Betrieb ist – da machen wir Hy bridbahnsteige – und wo ausschließlich Fernverkehr ist – da kann man die 76 cm machen.
Herr Minister, vielen Dank für Ihre Ausführungen. Uns stellt sich die Frage: Was hat das Land Baden-Württemberg unternommen, um gegen dieses einseitige Vorpreschen des Bundes anzugehen? Welche Mög lichkeiten haben die Bundesländer?
Soweit ich informiert bin, ist Nordrhein-Westfalen das einzi ge Bundesland, das sich für die 76 cm ausgesprochen hat – al le anderen nicht. Was machen Sie jetzt?
Warum sich Nord rhein-Westfalen für 76 cm ausgesprochen hat, war an der eu ropäischen Karte zu sehen. Die Nachbarländer von NordrheinWestfalen haben auch 76 cm. Alle anderen Länder haben sich aber anders entschieden.
Das Thema ist schon länger virulent, weil es schwierig ist, un ter diesen Bedingungen Barrierefreiheit herzustellen, was wir aber alle wollen. Vor diesem Hintergrund haben wir uns mit anderen Bundesländern abgesprochen. Wir werden morgen und übermorgen auf der Verkehrsministerkonferenz über die ses Thema beraten.
Wir haben gemeinsam mit anderen Ländern einen wahrschein lich konsensualen Antrag eingebracht, der lautet: Das Ziel
muss sein, möglichst schnell Barrierefreiheit herzustellen und in einer Übergangszeit – wir sehen auch einen Bedarf an Bau maßnahmen – dafür zu sorgen, dass der Zustand nicht schlech ter ist als zuvor. Barrierefreiheit muss sozusagen kontinuier lich erreicht werden. Wir haben keine Zentimeterangabe in dem Antrag gemacht, weil wir glauben, es wird in NordrheinWestfalen anders entschieden werden müssen als bei uns und in einigen anderen Bundesländern.
Ich hoffe sehr, dass das neue Bundesverkehrsministerium und die neue Leitung des Verkehrsministeriums Ordnung in das Geschehen bringen werden.
Herr Minister, der neue Bahn steig in Merklingen wurde auf eine Höhe von 55 cm konzi piert. Der Bund und die Deutsche Bahn möchten dort jetzt aber 76 cm haben. Sie haben hierzu auch schon die Zustim mung vom Land signalisiert, sofern die Kosten von der Deut schen Bahn übernommen werden.
Meine Frage ist: Was heißt es ganz speziell für den Bahnhalt Merklingen, wenn die Kostenübernahme nicht erfolgt?
Vielen Dank, Herr Abg. Dörflinger. – In diesem Fall ist es ärgerlich, dass wir uns erst einmal auf 55 cm verständigt haben und jetzt die 76 cm kommen. Noch ist es aber nicht gebaut.
Das könnte eine Linie sein – deswegen haben wir auch zuge stimmt –, auf der zukünftig durchgängig Züge fahren, die die 76 cm brauchen. Das wären die schnellen Nahverkehrszüge. So ist im Moment der Stand der Dinge.
Wir sehen insgesamt die Notwendigkeit, uns mit der Bahn ab zusprechen. Wir müssen uns fast schon streckenscharf und haltestellenscharf besprechen und uns dann langfristig festle gen. Das sind alles Jahrzehnteprojekte. Wenn Sie einmal schau en, wie viele Haltestellen mit unterschiedlichen Höhen wir haben und wie teuer das jeweils ist, dann muss klar sein, dass man eine klare Perspektive haben und dann darauf zuarbeiten muss.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, beim Hybridbahnhof – das hat mich jetzt ein biss chen überrascht – geht man davon aus, dass die Züge, die da stoppen sollen, nicht mit maximaler Zuglänge unterwegs sind, sondern nur mit halber Zuglänge. Denn die Leute müssen ja irgendwo zu jeder Seite aussteigen können.
Bis jetzt gibt es für Modernisierungsmaßnahmen Fördermit tel. Steht zu befürchten, dass Fördermittel aus dem Bund für 55-cm-Bahnsteige nicht mehr erlaubt sind oder nicht mehr ge währt werden? Steht das zur Disposition, und werden sich die Bundesländer hiergegen entschieden wehren? Das ist ganz wichtig. Die Gäubahn fährt Richtung Schweiz, und in der Schweiz beträgt die Bahnsteighöhe 55 cm. Auch das Gäu bahn-Konzept wäre dann infrage gestellt.
chen Probleme haben, glaube ich, dass es eine breite Mehr heit geben wird, sich gegen diese Initiative des Bundes und der Bahn aufzustellen und Vernunft walten zu lassen, und da für, dass wir auch unterschiedliche Lösungen finden müssen.
Ich will Sie aber noch informieren, was die Hybridbahnstei ge anbelangt. Sie haben es so flapsig dahingesagt, aber Tatsa che ist oder man kann vermuten, dass auch in 20 Jahren nicht alle Fahrgäste behindert sind und einen Rollstuhl haben. Des wegen gehen wir davon aus, dass bei einem Hybridbahnsteig jemand, der einen Rollstuhl hat, weiß, er muss in den vorde ren Teil des Zuges mit seinem Rollstuhl einfahren, weil er dort wieder, wenn der Zug hält, am besten barrierefrei heraus kommt. Und alle anderen schaffen die Stufe auch so.
Um dem Ganzen in der Region Stuttgart noch mehr Komplexität zu geben, haben wir noch eine andere Höhe, die 96 cm. Jetzt haben wir aktuell in den Mischverkehren, z. B. in Waiblingen, die neuen Testläu fe. Gerade heute Morgen ist jemand aus einem Regiozug ge stolpert, weil er nicht daran gedacht hat, dass er jetzt hinauf- und nicht hinabsteigen muss.
Wir kämpfen seit zehn Jahren dafür, dass die Bahnsteige in den S-Bahn-Stationen auf 96 cm erhöht werden. Ich habe im mer gesagt: Bis es so weit ist, laufen die Verträge aus. Wäre es denn nicht sinnvoller, seitens des Landes auf den Verband Region Stuttgart noch einmal einzuwirken, darüber nachzu denken, für die Bahnsteige von S-Bahnen künftig vielleicht auch die Höhe von 76 cm vorzusehen?