Protokoll der Sitzung vom 09.11.2017

Natürlich.

Vielen Dank, Herr Staats sekretär Dr. Baumann. – Ich bin mir sicher, dass Sie mit mir einer Meinung sind, dass ein schwerverletzter Wolf möglichst schnell von seinem Leiden erlöst werden sollte. Die Frage: Halten Sie die derzeit geltenden Regelungen für ausreichend, um dies sicherzustellen?

Der Tierschutz ist ein hohes Gut. Wenn ein Wildtier – ein Luchs oder ein Wolf – an gefahren am Straßenrand liegt, dann leidet es. Dann gibt es von einigen den Wunsch, dass man dieses Tier, auch aufgrund einer gewissen Gefährlichkeit, schnell erlösen sollte.

Ganz klar: Auch hierzu gibt es entsprechende Regelungen. Es ist nicht so, dass wir uns darüber keine Gedanken gemacht hätten. Mit dem Handlungsleitfaden Wolf ist die Reaktions kette so schnell, dass wir dann dafür sorgen können, dass der Wolf totgeschossen wird. Am Ende geht es darum, den Wolf, den Luchs oder ein anderes Tier, das im Straßengraben liegt, schnell zu erschießen und zu erlösen. Das geht auch jetzt schon.

(Abg. Reinhold Pix GRÜNE: Wer schießt denn? – Gegenruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Der Jäger! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das muss man beschleunigen! – Weitere Zurufe)

Vielen Dank. Es gibt keine weiteren Fragen.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmel dungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte beendet und Punkt 1 unserer Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Kunst ist eine Tochter der Freiheit – ei ne Debatte aus Anlass des Falls „Serebrennikov“ in der Oper Stuttgart – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf auch hier die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

In der Aussprache erteile ich nun das Wort für die Fraktion GRÜNE Herrn Abg. Kern.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben heute – das wurde bereits mehrfach erwähnt – den 9. November des Jahres 2017. Herr Pfarrer Neudecker hat dies vorhin bereits in der Andacht gesagt, und die Frau Präsidentin hat es in ih rer Begrüßung ebenfalls noch einmal gesagt: Das Datum 9. November wird als Schicksalsdatum der Deutschen be zeichnet. 1918 gab es die Novemberrevolution, 1923 gab es den Kapp-Putsch, und es gab das Jahr 1938.

Die heutige Aktuelle Debatte ist nicht explizit dem Gedenken an die Opfer des Naziterrors gewidmet. Ich möchte dennoch an den 9. November, an die Reichspogromnacht, erinnern, an die Nacht, in der überall im Deutschen Reich Menschen ge schlagen, beraubt, ermordet wurden, weil sie jüdischen Glau bens waren, die Nacht, in der Synagogen brannten – so gut wie alle –, in der Bücher angezündet und jüdische Geschäfte geplündert wurden, die Nacht, in der der Startschuss für die Verschärfung der Politik durch die Nazis gegenüber allen fiel, die nicht in ihr arisches Weltbild passten – sozusagen ein Frei brief von ganz oben zur Vernichtung der jüdischen Kultur, ei ne Aufforderung zur Verfolgung, Demütigung, Diskriminie rung – mit der Folge unendlichen Leids. Wie es geendet hat, wissen wir alle.

Gleichzeitig steht der 9. November aber auch für Freiheit: 1989 war der Fall der Berliner Mauer. Wie kein anderes Bild steht das Einreißen von Mauern, das Überwinden künstlich gezogener Grenzen als Symbol für Freiheit und Aufbruch. Der Fall der Mauer bedeutete für die Menschen weit mehr als die Freiheit, zu verreisen, wohin sie wollten.

Ja, Freiheit ist ein weiter Begriff. Zur Freiheit des Individu ums gehören Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefrei heit und eben auch – ganz wichtig – die Freiheit der Kunst.

Der deutsche Dichter Friedrich Schiller hat in einem Brief zur Bedeutung der ästhetischen Erziehung geschrieben:

Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.

Nun stehen wir an einem 9. November im 21. Jahrhundert hier und diskutieren, müssen diskutieren über die Freiheit der Kunst, auch und gerade weil dieses Thema uns hier in Stutt gart momentan direkt tangiert.

Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov wollte hier am Opernhaus „Hänsel und Gretel“ inszenieren. Die Urauffüh rung vor wenigen Tagen durfte er nicht besuchen. Seine Plä ne konnten nur teilweise umgesetzt werden. Serebrennikov ist ein global agierender Künstler. Seine Inszenierung sollte Län dergrenzen überschreiten. Er hatte vor – das sieht man auch an dem Plakat in der Unterführung zum Haus der Abgeordne ten –, das Märchen ins heutige Ruanda im östlichen Afrika zu verlagern.

Die russische Justiz hat Serebrennikov unter Hausarrest ge stellt. Er wird beschuldigt, als Institutsleiter Steuergelder un terschlagen zu haben. Unabhängige Beobachter sprechen von einer politischen Anklage. Serebrennikov ist ein Fall von vie len, die von staatlicher Zensur zeugen, ein Warnzeichen auch für uns.

Noch bevor Serebrennikov überhaupt der Prozess gemacht wird, wurde gegen den unbequemen Künstler via Hausarrest ein faktisches Berufsverbot verhängt. Zahlreiche Projekte lie gen nun auf Eis. So hat die russische Justiz auch versucht, die Realisierung eines der künstlerisch wichtigsten Projekte der Stuttgarter Oper unter der Intendanz von Jossi Wieler unmög lich zu machen. Aber es ist ihr nicht gelungen. Die Württem bergischen Staatstheater haben die Oper „Hänsel und Gretel“ in der unvollendeten Inszenierung von Kirill Serebrennikov auf die Bühne gebracht. Die Beschäftigten des Theaters ge ben damit ein politisches Statement ab, indem sie das zeigen, was auf Druck eines autoritären Systems nicht zu Ende ge bracht werden durfte. Bravo!

(Beifall bei den Grünen, Abgeordneten der CDU und der SPD sowie des Abg. Nico Weinmann FDP/DVP)

Hierfür gilt dem Ensemble der Stuttgarter Staatstheater mein ganz großer Dank.

„Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, schrieb Friedrich Schiller vor mehr als 200 Jahren. Doch wir müssen nicht nach Russland reisen, auch nicht Trump bemühen oder gar Erdo gan zitieren – Tendenzen, die Kunst ihrer Freiheit zu berau ben, sie zu beschneiden und zu beschränken, gibt es leider auch hier, direkt vor unserer Haustür.

Ich erinnere mich noch gut an die Haushaltsberatungen zum laufenden Haushalt und an so manche Sitzung des Finanzaus schusses und auch des Ausschusses für Wissenschaft, For schung und Kunst. Da kamen aus den Reihen einer Fraktion, die neu hier im Landtag ist, zahlreiche vielsagende Anträge. Ich zitiere stichwortartig:

Für die Interkultur und kulturelle Bildung am Nationaltheater Mannheim werde – so diese Fraktion – zu viel Geld für Pro jekte ausgegeben, deren gesellschaftlicher Nutzen sehr grenz wertig sei.

(Zuruf von der AfD: Ja!)

Zum Institut für Auslandsbeziehungen, zu Kunstvereinen und Soziokultur wurde beantragt – ich zitiere –:

Die Mittel sind zu streichen. Das Land sollte sich auf sei ne Kernaufgaben konzentrieren. Die Förderung von Kul turinitiativen und soziokulturellen Zentren gehört nicht dazu.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Zur Popakademie hieß es in einem Antrag dieser Fraktion – ich zitiere noch einmal –:

Die Förderung eines Studiengangs Weltmusik ist nicht zu vertreten. Der wissenschaftliche und kulturelle Mehrwert eines solchen Studiengangs ist gering und rechtfertigt kei ne derartige Förderung.

Lassen Sie sich das bitte alles auf der Zunge zergehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn eine Partei in ihrem Bundestagswahlprogramm fordert, die Kulturpolitik ha be sich an fachlichen Qualitätskriterien und ökonomischer Vernunft auszurichten,

(Abg. Nico Weinmann FDP/DVP: Hört, hört!)

dann frage ich Sie und mich: Welche Qualitätskriterien sind da gemeint? Soll es vielleicht ausschließlich deutsche Kunst von deutschen Künstlern sein, die deren Vorstellung einer deutschen Leitkultur entspricht, um eine Förderung zu erhal ten?

(Zuruf von der AfD)

Soll „ökonomische Vernunft“ heißen, wir bekommen nur noch Helene Fischer und den „Musikantenstadl“,

(Abg. Alexander Salomon GRÜNE: Bloß nicht!)

weil man damit – im Gegensatz zur kritischen Avantgarde – Geld verdienen kann?

(Beifall bei den Grünen – Zuruf von der AfD: Oh, wie dämlich!)

„Wie dämlich!“ Sehr gut bemerkt.

Da halte ich es doch lieber mit Schiller, der es schon damals besser gewusst hat und der bemängelte – ich zitiere den deut schen Dichter Schiller –:

Der Nutzen ist das große Idol der Zeit, dem alle Kräfte fronen und alle Talente huldigen sollen. Auf dieser gro ben Waage hat das geistige Verdienst der Kunst kein Ge wicht.

Lassen Sie uns, meine Damen und Herren, das große Gewicht der Kunst in der Gesellschaft in die Waagschale werfen, um das Übergewicht der rein ökonomisch oder politisch motivier ten Argumente auszugleichen.

(Beifall bei den Grünen)

Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei unserem Minis terpräsidenten Winfried Kretschmann und unserer Wissen schaftsministerin, die im Fall Serebrennikov ganz klar Posi tion bezogen haben. Liebe Theresia Bauer, ich kann mich Ih rer Forderung nur anschließen: Kunst muss unabhängig vom

Staat arbeiten können, auch wenn sie vom Staat finanziert wird. Sie darf nicht spiegeln, was die Haltung der Förderer ist; denn sie entsteht nicht im Auftrag des Staates.

(Abg. Anton Baron AfD: Wie sieht die Realität aus?)