Manfred Kern
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Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Singen und Blasmusik dürfen an unseren Schulen nicht verstummen. Ja, das stimmt. Ich freue mich, dass hierüber Konsens zwischen allen Betei ligten besteht.
Ich bin selbst begeisterter Musiker, singe und spiele Jazz – nicht hier und heute –, und ich singe auch in einem Chor.
Was begeistert mich so am Singen? Singen verbindet. Ganz gleich, woher man kommt, ganz gleich, welche Erfahrungen man gemacht hat, wenn man gemeinsam singt, schafft das Nä he und baut Brücken zueinander, zu anderen Kulturen, zum eigenen Inneren. Musikalische Bildung ist essenziell für die menschliche Entwicklung, sie ist Nährboden für Selbstbe wusstsein, für soziale Empfindsamkeit, für Aufmerksamkeit. Künstlerisches Schaffen, gleich, auf welchem Niveau, regt die Fantasie an und wirkt auf vielen Ebenen positiv, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Musikalische Erlebnisse wie Chor- und Orchesteraufführun gen, Musicals und vieles mehr bereichern den Schulalltag, können mitreißen und anspornen. Das gilt für diejenigen, die auf der Bühne stehen, genauso wie für die Zuhörenden. Ge rade in Zeiten, die durch monatelanges Abstandhalten und das Vermeiden menschlicher Kontakte geprägt sind, können Kul tur und insbesondere die Musik den Menschen so viel geben.
Die Nähe, die Musik schafft, versetzt uns in die Lage, den durch den physischen Abstand entstehenden Mangel zu über winden.
Besonders an unseren Schulen hilft das gemeinsame Musizie ren beim Sozialisierungsprozess und fördert die Schulgemein schaft. Singen schafft ein psychisches Wohlbefinden und ist zudem der Gesundheit förderlich. Wir haben es gerade wie der gehört. Eine Studie der Universität Hamburg beweist bei spielsweise, dass beim gemeinsamen Chorsingen das „Ku schelhormon“ Oxytocin ausgeschüttet wird,
das gegenseitiges Vertrauen fördert, Angst und Stress abbaut und Bindungen stärkt.
Kurz gesagt: Es täte uns und allen gut, mehr zu singen. Mu sik tut gut.
Wir wollen hier nicht schneiden, wir wollen verbinden. – Anstatt also das Singen und die Blasmusik gänzlich zu ver bieten, sollten wir im Gegenteil nach Wegen suchen, die mu sikalische Praxis an Schulen unter Pandemiebedingungen zu ermöglichen.
Es gibt bereits zahlreiche Studien zu diesem Thema, auf die sich beispielsweise auch das Kunstministerium bei seinen Empfehlungen für den Probenbetrieb von Chören und Blas musikvereinen stützt. Die wichtigsten Erkenntnisse der Stu die möchte ich ganz kurz mit Ihnen teilen: Uns allen ist be kannt, dass das Infektionsrisiko an der frischen Luft deutlich geringer ist als in geschlossenen Räumen. Daher ist es bei gu tem Wetter – damit meine ich: eigentlich bei jedem Wetter, außer bei Regen – möglich und auch sinnvoll, an der frischen Luft zu musizieren.
Das führt mich zum nächsten Punkt. Allein durch regelmäßi ges und gründliches Lüften kann das Risiko beim Musizieren
in geschlossenen Räumen wesentlich reduziert werden. In ei ner gemeinsamen Studie des Bayerischen Rundfunks mit dem Universitätsklinikum Erlangen und dem Universitätsklinikum München wird eine Stoßlüftung nach ca. zehn Minuten Pro be empfohlen. Wir sollten es den Musikpädagoginnen und -pädagogen an den Schulen zutrauen, diese Lüftungsinterval le, wie auch die anderen Hygienebedingungen, einzuhalten.
Ein weiterer Punkt sind die Abstandsregelungen. Hierzu gibt es unterschiedliche Studien. Zu einem Mindestabstand von 2 m rät beispielsweise das Freiburger Institut für Musikerme dizin an der Hochschule für Musik Freiburg, das die Luftbe wegung sowohl bei Sängerinnen und Sängern als auch bei ver schiedenen Blasinstrumenten gemessen hat. Bieten die Klas senzimmer oder Musiksäle der Schulen nicht die hierfür er forderliche Größe, kann man möglicherweise in die Schulau la oder in die Sporthalle ausweichen. Allen Studien ist gemein, dass sie zeigen, wie unter Beachtung verschiedener Parame ter das gemeinsame Singen und das Spielen von Blasinstru menten auch in Zeiten des Coronavirus möglich sind.
Ich gehe davon aus, dass sich das Ministerium für die Zeit nach den Ferien in den Schulen an die Praxis, die bereits jetzt in den Musikschulen ausgeübt wird, anlehnen wird – so, wie es unsere bildungspolitische Sprecherin in einem Schreiben an die Ministerin gefordert hat. Beispielsweise sind in den Musikschulen Gruppen mit bis zu 20 Personen erlaubt. Auch hier gilt der Mindestabstand von 2 m beim Unterricht im Ge sang und in Blasinstrumenten. In der entsprechenden Coro na-Verordnung, die vom Kultus- und vom Sozialministerium erlassen wurde, wird die Installation einer durchsichtigen Schutzwand zwischen jeder Schülerin oder jedem Schüler und der Lehrkraft empfohlen.
Nicht nachvollziehbar erschiene mir auch, warum verschie dene Jahrgangsstufen nicht gemeinsam miteinander musizie ren sollten. Mit diesem Verbot würde Schulchören, Schulor chestern, Big Bands und anderen Ensembles die Grundlage entzogen. Ebenso würde auch das gemeinsame Theaterspiel, beispielsweise in einer Theater- oder Musical-AG, unmöglich gemacht. Ich habe aber vorhin von der Ministerin gehört, dass sie sagte, die AGs seien nach den Ferien nicht gefährdet, so dass ich annehme, dass dies auch hierfür gilt und dass die jahr gangsübergreifende gemeinsame Arbeit erlaubt wird. Davon gehe ich jetzt einmal aus – oder ich habe etwas falsch verstan den.
Welchen Sinn hätte es, wenn Kinder in einem Freizeitchor un ter den genannten Hygienemaßnahmen gemeinsam singen dürften, aber nicht im Schulchor? Wenn sie auf dem Weg zur Schule im selben Bus fahren, wenn sie in den Ferien in den Lernbrücken oder auch zu Hause im privaten Raum in Kon takt zueinander kommen, warum dann nicht auch in der Schule?
Hier sieht man, wie wichtig es ist, dass Anweisungen und Ver ordnungen konsistent und nachvollziehbar sind.
Fehlt diese Qualität, ist es natürlich schwer bis nahezu unmög lich, die Einhaltung von Restriktionen einzufordern.
Unter dem Gesangs- und Musizierverbot hatten vor allem die jenigen Kinder und Jugendlichen zu leiden, die aus Haushal ten kommen, in denen Musizieren nicht zum Alltag gehört.
Für sie ist ein ganz wichtiger Ausgleich einfach weggefallen. Ich hoffe, dass das nach den Ferien wieder funktionieren wird.
Ich gehe davon aus.
Mit dem Verzicht auf nahezu jegliche praktische musikalische Tätigkeit im Rahmen der Schule wären auch die Ergebnisse jahrelanger hervorragender Arbeit von Musikpädagoginnen und -pädagogen gefährdet. Einen Chor oder ein Orchester kann man nicht einfach so wieder aus dem Boden stampfen, wenn er oder es einmal weg ist.
Dazu reicht auch kein Schuljahr. Da steckt viel Arbeit drin; glauben Sie mir.
Ich freue mich umso mehr, dass nun, nachdem der Posaunen schall aus den Verbänden überall im Land das Kultusministe rium erreicht hat, dort der Mut aufgebracht wird,
die getroffene Entscheidung zu revidieren. Man konnte es heu te in der Zeitung lesen: Musik-AGs, das Singen in der Schu le und das Spielen von Blasinstrumenten werden ab dem kom menden Schuljahr – selbstverständlich unter Einhaltung der erforderlichen Hygienebedingungen – wieder zugelassen.
Frau Ministerin, Sie haben einmal gesagt – ich zitiere –:
Schule ist mehr als Wissensvermittlung, sie gibt Struktur und ist auch elementar für die Persönlichkeitsentwick lung der Kinder und Jugendlichen und ein soziales Mit einander.
Dieser Feststellung schließe ich mich vollumfänglich an
und ergänze: Gerade die kulturelle Bildung spielt hierbei ei ne wesentliche Rolle. – Da geben Sie mir recht, sehe ich. Sehr schön.
Nicht umsonst hatte das Land im Jahr 2010 einen Fachbeirat ins Leben gerufen, der sich mit dem Angebot und den Erfor dernissen der kulturellen Bildung befasst hat. In den Empfeh lungen des Fachbeirats, die die beiden betroffenen Ministeri en feierlich entgegengenommen haben, hat neben der musi kalischen und künstlerischen Bildung in der Schule auch die Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kulturinstitutionen einen hohen Stellenwert.
Hierzu gehört, dass Schulklassen Theateraufführungen und Konzerte besuchen. Doch auch das ist ihnen derzeit verboten, obgleich sich die Institutionen mühevoll mit den Hygienean
forderungen auseinandergesetzt haben und diese mit ihren Hy gieneplänen akribisch erfüllen. Dafür steht das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gerade. Es bleibt mit hin die Frage im Raum, warum dieses Verbot vonseiten des Kultusministeriums weiterhin aufrechterhalten wird.
Wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte, dann das, dass endlich auch in den Berufsschulen und in den beruflichen Gymnasien wieder Musik- und Kunstunterricht stattfinden.
Jedem jungen Menschen soll kulturelle Bildung zugutekom men. Das Kompetenzzentrum „Kulturelle Bildung“, das wir in den Koalitionsverhandlungen gemeinsam auf den Weg ge bracht haben, wird in Kürze seine Arbeit aufnehmen. Eine zentrale Erkenntnis wird dabei vermutlich sein, dass es das konstruktive Mitwirken aller Beteiligten braucht, ohne Scheu klappen, ohne Neid und ohne Arroganz, um das Beste zu erzie len, was wir unseren Kindern bieten können: eine wirklich gu te kulturelle Bildung, die das aktive musikalische und künst lerische Tun ebenso umfasst wie das Verstehenlernen von Kunst über die gesamte Schullaufbahn hinweg und auch dar über hinaus.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Nur ganz kurz: Es mag der Eindruck entstanden sein, dass ich eine sehr leichtfertige Haltung zu dem Thema Hygiene hätte. Das trifft nicht zu, das ist nicht der Fall. Ich habe versucht, klarzumachen, dass all das, was ich gesagt habe, selbstverständlich nur unter der Voraussetzung stattfinden soll, dass die Hygieneregeln eingehalten werden.
Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Da men und Herren! Auch ich beginne mit einem Zitat:
Kultur ist kein Luxus, sie ist eine Notwendigkeit.
Dieses Zitat habe ich vor Jahren schon verwendet und Lyonel Feininger zugerechnet. Der hat das zwar auch gesagt, aber ur sprünglich stammt es von dem chinesischen Erzähler Gao Xingjian aus seinem Buch „Der Berg der Seele“.
Ein guter Haushalt lebt nicht allein von großen Zahlen bei den Einnahmen und Ausgaben, ein guter Haushalt enthält vor al lem die Bestandteile, die unsere Gesellschaft braucht, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Neben vielem anderem sind Kunst und Kultur solche wesentlichen Bestandteile. Kunst ist der Kitt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ohne Kul tur würden wir Menschen uns nicht von allen anderen Ge schöpfen auf dieser Erde unterscheiden.
Dabei ist es völlig unbedeutend, wer woher kommt und wel che Kultur er oder sie von dort mitgebracht oder auf dem per sönlichen Weg erworben hat. Es ist ein Irrsinn, Kultur danach zu klassifizieren, ob sie zu uns passen möge oder nicht.
Ich freue mich, dass mit dem vorliegenden Doppelhaushalt einige wichtige Weichenstellungen im Kunst- und Kulturbe reich vollzogen werden. Dieser Haushalt ist ein Haushalt der Verantwortung. Das gilt für den Kunstbereich in mehrfacher Hinsicht.
Erstens: Wir tragen Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Landesmuseen, den Archiven, den Bi
bliotheken, den Theatern, auf den Landesbühnen und in allen anderen Kunst- und Kultureinrichtungen. An sie darf ich an dieser Stelle meinen Dank für ihre Arbeit richten. Denn sie sind es, die Tag für Tag unsere vielfältige Kulturlandschaft pflegen und sichern.
Die Anpassung der Aufwendungen für die staatlichen Kultureinrichtungen zur Berücksichtigung gestiegener und voraus sichtlich weiter steigender Lohnkosten ist dabei eine Selbst verständlichkeit. Schwieriger wird es bei den freiwilligen Zu schüssen an solche Einrichtungen, die von den Kommunen oder freien Trägern unterhalten werden. Soweit es hier eine Subsidiarität gibt, haben wir ebenfalls Vorsorge getroffen.
Aber auch alle anderen, insbesondere die zahlreichen freibe ruflich Beschäftigten, die zwangsläufig ebenfalls mit steigen den Lebenshaltungskosten konfrontiert sind und für die die Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge verantwortlich sind, verlieren wir nicht aus dem Blick.
Zweitens: Wir übernehmen Verantwortung für unser koloni ales Erbe. In diesem Jahr konnten wir mit der Rückgabe der Bibel und der Peitsche von Hendrik Witbooi an Namibia ein starkes Zeichen setzen. Ich freue mich besonders, dass wir nun die dadurch entstandene intensive kulturelle und wissen schaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern mit zu sätzlichem Geld hinterlegen.
Es ist dann auch nicht weniger als folgerichtig, dass wir mit der Provenienzforschung weitermachen. Während die Oppo sition von rechts außen hier und insbesondere bei unserem hervorragenden Linden-Museum kürzen will, geben wir fri sches Geld dazu. Wir lassen unsere Museen bei diesem be deutsamen Thema nicht allein.
Drittens – das ist mir besonders wichtig –: Wir haben die Ver antwortung, die Kunstfreiheit zu schützen. Dazu gehört es, Kunst und Kultur mit entsprechenden Finanzmitteln auszu statten, damit diese Freiheit gelebt werden kann. Es ist infam, die Freiheit der Kunst durch das Vorenthalten von finanziel ler Unterstützung – so, wie es hier gerade erst wieder bei ei ner Landtagsanfrage von den Kolleginnen und Kollegen ver sucht wurde – einschränken zu wollen.
Das Land stellt sich dieser Verantwortung, indem es in den Kulturbereich investiert. Der Staatshaushalt enthält die not wendigen Investitionen für die Sanierung unserer Theater- und Museumsgebäude. Unsere sieben hervorragenden und sehr gut besuchten Freilichtmuseen erhalten zusätzliches Geld, u. a. für Gebäudesanierungsmaßnahmen. Wir leisten unseren Beitrag zur Erweiterung des Deutschen Literaturarchivs in Marbach.
Mit unserer Keltenkonzeption, in der wir die Heuneburg mit anderen geschichtsträchtigen Stätten vernetzen, unterstreichen wir die Bedeutung dieses Abschnitts der frühen Geschichte.
Wir geben erhebliche Mittel an die Amateurmusikverbände für Neubauten von Akademien in Plochingen und Staufen und eines Kompetenzzentrums Amateurmusik in Trossingen. Auch an Maßnahmen der Musikakademie Weikersheim beteiligen wir uns.
Ganz besonders freue ich mich persönlich darüber, dass wir mit dem Doppelhaushalt ein Kompetenzzentrum für die kul turelle Bildung einrichten. Denn Kunst und Kultur eröffnen wichtige Möglichkeiten für das gesellschaftliche Miteinander. Den Zugang hierzu gleichermaßen für alle gesellschaftlichen Gruppen zu schaffen ist Ziel der kulturellen Bildung.
Das Kompetenzzentrum wird zentral Beratungsleistungen und Vernetzungen im gesamten außerschulischen Spektrum der kulturellen Bildung und Vermittlung anbieten, und zwar über alle Kunstsparten hinweg im ganzen Land.
Außerdem werden wir die Museen für Kinder und Jugendli che öffnen, indem wir ihnen freien Eintritt ermöglichen. Da mit erreichen wir eine verbesserte kulturelle Teilhabe.
Außerdem unterstützen wir kleine Festspiele und Musikfesti vals dabei, Maßnahmen für kulturelle Teilhabe anzubieten.
Ein weiterer Punkt ist die Stärkung der öffentlichen Biblio theken durch ein Sonderprogramm zur Erarbeitung von Kon zepten für lebenslanges Lernen.
Baden-Württemberg ist Filmland, vor allem auf dem Gebiet des Animationsfilms. Zahlreiche Oscar-Nominierungen und auch schon einige Oscars gab es für Produktionen aus dem Ländle, die im Umfeld der Filmakademie Ludwigsburg ent standen sind. Derzeit stecken unsere Nachbarn im Osten, die ja bereits eine sehr erfolgreiche Spielfilmszene haben, viel Geld in die Entwicklung eines eigenen bayerischen Animati onsschwerpunkts. Sicherlich wären alle klug beraten, wenn man nicht alles an allen Standorten in Deutschland machen wollte. Baden-Württemberg kümmert sich deshalb auch wei terhin verstärkt um die Filmakademie und das Animationsfes tival.
Es gäbe noch viele, viele Punkte, die ich jetzt hier aufzählen könnte. Aber ich fasse das alles damit zusammen: Wir fördern die Kunst überall, in Stadt und Land, je nach Bedarf. Meine Damen und Herren, mit diesem Doppelhaushalt können wir uns sehen lassen. 30 % Steigerung des Kulturetats seit 2011 – das ist ein Wort.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Her ren! Kunst und Kultur machen den Menschen aus. Unsere Kreativität ist es, die uns von allen anderen Wesen unterschei det. Kunst ist der Spiegel der Gegenwart, Kunst ist das Ge dächtnis der Vergangenheit, Kunst ist der Raum, in dem wir die Zukunft ausprobieren.
Kunst ist so vielfältig wie unser Land. Das zeigt unsere Gro ße Anfrage zur Bedeutung von Kunst und Kultur für BadenWürttemberg. Uns geht es zum einen um eine Bestandsauf nahme der kulturellen Landschaft, zum anderen um eine Be standsaufnahme unserer Kunst- und Kulturpolitik. Das Ergeb nis sind 58 lesenswerte, ja spannende Seiten. Als kulturpoli tischem Sprecher der Fraktion GRÜNE erscheinen mir darin folgende Punkte besonders wichtig:
Erstens – und ganz zentral –: Wir müssen Kunst und Kultur überall mitdenken, als Innovationsmotor, als Bildungsressour ce und darüber hinaus. Kultur ist kein „Nice to have“, sondern Grundkonstante unseres Zusammenlebens.
Deshalb freue ich mich, dass die Landesregierung 2018 den Dialogprozess Kulturpolitik für die Zukunft gestartet hat – partizipativ, gemeinsam mit Kulturschaffenden und Kulturin teressierten, im Dialog; das zählt für uns.
Zweitens – und ebenso wichtig –: Wir schützen die Freiheit der Kunst vor Einflussnahme und Missbrauch mit aller Kraft.
Drittens: Die Freiheit der Kunst setzt die soziale Freiheit zur Kunst voraus.
Kunst und Kultur füllen den Rahmen, die Leinwand, die Büh ne oder andere neue Räume aus. Wir sorgen für die nötigen finanziellen Rahmenbedingungen, und das bedingungslos.
Nein. – Viertens: Kulturpoli tik muss sich der historischen Verantwortung stellen, gegen Geschichtsvergessenheit, gegen Demokratieverachtung und gegen Deutschtümelei. Dazu stärken wir die Erinnerungskul tur, auch die Erinnerung an die Verbrechen des Kolonialis mus.
Fünftens: Wir fördern die Ausbildung in unseren hervorragen den Kunst- und Musikhochschulen und -akademien, und wir fördern die kulturelle Bildung auch außerhalb der Schulen.
Das liegt mir persönlich sehr am Herzen, und dafür setze ich mich als kulturpolitischer Sprecher und Mitglied des Fachbei rats für Kulturelle Bildung bereits seit dem Jahr 2011 ein. Da her freue ich mich ganz besonders, dass der Regierungsent wurf für den Doppelhaushalt die kulturelle Bildung als einen der Schwerpunkte im Kunst- und Kulturbereich vorsieht.
Unsere großen und kleinen Kulturinstitutionen haben Erfah rung im Umgang mit Lernenden. Deshalb haben sie unser vol les Vertrauen für die so wichtige Aufgabe, insbesondere jun ge Menschen zu stärken und ihnen Empathiefähigkeit zu ver mitteln. Selbstermächtigung und Empathie, darum geht es bei der kulturellen Bildung.
Meine Damen und Herren, Baden-Württemberg ist ein Land, das reich an Kultur ist. Wie vielfältig, wie leuchtend, wie bunt diese kulturelle Landschaft ist, zeigt die Antwort der Landes regierung auf die Große Anfrage in hervorragender Weise. Ei ne Reihe leuchtender Sterne bilden dabei die großartigen Kul tureinrichtungen des Landes, von den Staatstheatern über das ZKM und die Landesmuseen bis hin zu den Landesbühnen.
Es macht mich jeden Tag froh, daran mitzuarbeiten, dass Kunst und Kultur in Baden-Württemberg die besten Bedin gungen vorfinden; denn darum geht es. Dazu gehört auch die Mammutaufgabe, die Jahrhundertaufgabe der Opernsanie rung. Ich bin froh, dass wir hierbei seit gestern einen großen Schritt weiter sind.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Eine handgeschnitzte Maske, ein Schä delknochen, hundert Jahre alte Kleidungsstücke – Gegenstän de, die uns etwas über Afrika erzählen könnten, würden sie nicht namenlos und aus jeglichem kulturellen Kontext heraus gerissen in unseren Museen gefangen gehalten.
Namibia, Tansania, Ruanda, Burundi, Kamerun, Kongo, Tschad, Togo, Ghana, Zentralafrikanische Republik – das sind die heu tigen Namen der Staaten, die im Afrika jenseits der Sahara ganz oder teilweise unter deutscher Kolonialherrschaft stan den. Ziel und Zweck dieser Politik war die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien sowie die Festigung des imperia listischen Machtgefüges.
Ihr Ende fand die deutsche Kolonialpolitik unfreiwillig mit dem Versailler Vertrag von 1918. Noch heute, über hundert Jahre später, leiden die betroffenen Staaten unter den gravie renden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Folgen der Kolonialzeit. Die vorübergehende Herrschaft der Deut schen und anderer Kolonialmächte bedeutete für die Bevöl kerung der betroffenen Gebiete Rechtlosigkeit, Ausbeutung und Gewalt. Es gab willkürliche Grenzziehungen; die Kolo nialherren teilten sich die Gebiete nach ihrem Gusto unterei nander auf.
Kolonialherrschaft bedeutete rücksichtlose Herabsetzung an derer Kulturen und – damit verbunden – unrechtmäßige An eignung fremder Kulturgüter. Das unfassbare Leid, das der von Deutschland ausgehende Kolonialismus über diese Men schen und ihre Nachfahren gebracht hat, lässt sich nicht wie dergutmachen.
Gleichwohl stellen wir uns heute als Erben der Verantwortli chen von damals der Verantwortung. Was können wir aus die ser Verantwortung heraus tun? So vielschichtig und tiefgrei fend die Schäden sind, die durch den Kolonialismus hervor gerufen wurden, so vielschichtig und tiefgreifend muss auch unsere Antwort sein.
Ganz grundlegend muss sich die Bundesrepublik als Rechts nachfolgerin des Deutschen Reiches bei den Betroffenen für die begangenen Verbrechen und das Unrecht des Kolonialis mus entschuldigen.
Erst 2016 wurde der Völkermord an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika von der Bundesregierung erstmals als solcher benannt. Das war ein wichtiger Schritt in einem Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.
Als kulturpolitischer Sprecher meiner Fraktion möchte ich mich heute ganz besonders dem Thema Restitution, das heißt der Rückgabe unrechtmäßig erworbener Kulturgüter, widmen.
Auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs wie auch im übrigen Deutschen Reich stieg die Zahl der Exponate in den Museen, Archiven, Hochschulen und privaten Sammlun gen während der Kolonialzeit sprunghaft an. Unzählbare ar chäologische Fundstücke, Kunstgegenstände, rituelle und kul turelle Gegenstände sowie menschliche Gebeine wurden als Ausstellungsgegenstände unter Androhung oder Ausübung von Gewalt aus den kolonialisierten Gebieten nach Europa gebracht und öffentlichen und privaten Sammlungen einver leibt. Der Kolonialismus hat so nicht nur Hunderttausende von Menschenleben gekostet und die betroffenen Gebiete und die dort beheimateten Menschen wirtschaftlich ausgebeutet, durch ihn wurden die Menschen auch ihrer kulturellen Geschichte und damit ihrer kulturellen Identität beraubt. Restitution heißt damit auch, den Betroffenen einen Teil ihrer Identität zurück zugeben.
Ein gutes Beispiel ist die kürzlich durchgeführte Namibiareise von Ministerin Theresia Bauer, bei der Bibel und Peitsche des früheren Nama-Anführers Hendrik Witbooi zurückgegeben wurden. Die eher bescheidenen Gegenstände haben für die Nachfahren Witboois und für das Volk der Nama unschätzba ren Wert.
Ein gutes Beispiel dafür, wie Restitution geschehen sollte, ist diese Reise aus zweierlei Gründen. Erstens erfolgte die Be
gegnung auf Augenhöhe. Das ist entscheidend. Ein Auftreten in paternalistischer Kolonialherrenmanier verbietet sich,
will man nicht die alte, überkommene Ungleichheit fortschrei ben. Solche Haltungen findet man in der Diskussion noch viel zu häufig und leider auch aufseiten mancher, bei denen man ein derart reaktionäres Gebaren nicht vermutet hätte.
Zweitens zeigt die Landesregierung mit dieser Aktion, wie die Kulturhoheit der Länder in verantwortungsvoller Weise prak tiziert wird.
Wenn wir uns aus Baden-Württemberg im Bund, in Europa und weltweit erfolgreich für die Stärkung der Regionen ein setzen, dann packen wir selbstverständlich auch ein schwie riges Thema wie die Restitution eigenverantwortlich an. Das Land hat hier – darauf dürfen wir stolz sein – eine Vorreiter rolle eingenommen.
Es ist ein großer Erfolg, den Theresia Bauer letzte Woche auf der Kulturministerkonferenz mit dem Eckpunktepapier zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten erzielt hat.
Für uns können die Bemühungen auf Bundesebene aber nur eine Ergänzung für die Arbeit sein, die wir hier auf Landes ebene zu leisten haben. Dabei kam es für uns übrigens zu kei nem Zeitpunkt infrage, uns, wie einige Kolleginnen und Kol legen es vorgeschlagen hatten, auf juristische Besitzpositio nen zurückzuziehen und den Kampf für Gerechtigkeit ande ren zu überlassen.
Die Übernahme der Verantwortung für die deutsche Koloni algeschichte und ihre Folgen erfordert, dass wir die Herkunft der in Baden-Württemberg befindlichen Kulturgüter weitest gehend aufklären und den weiteren Verbleib der Gegenstän de im Einvernehmen mit den Herkunftsländern und betroffe nen Bevölkerungsgruppen regeln.
Deshalb steht für uns die Erforschung der Provenienz, der Herkunft der Gegenstände, an erster Stelle. Das Land geht hier mit seinen Hochschulen und Museen voran. Aber auch die kommunalen und privaten Museen und Sammlungen werden bei dieser wichtigen Aufgabe unterstützt. Mittelfristig wün schen wir uns eine zentrale Fachstelle im Land als Ansprech partner für alle betroffenen Einrichtungen.
Eines der wesentlichen Anliegen der wissenschaftlichen und politischen Vertreter der Herkunftsregionen der kolonialen Raubkunst ist Transparenz. Welche Kulturgüter befinden sich wo? Wo kommen sie her? Was ist ihre Geschichte? Wir set zen hier auf einen fairen Interessenausgleich mit den Her kunftsgesellschaften. Dieser kann im Einvernehmen mit den Berechtigten anstatt in der Rückführung beispielsweise im Rückkauf durch unsere Museen oder in einer Leihgabe im An
schluss an die Restitution bestehen, insbesondere dort, wo ei ne Rückgabe ohne Gefährdung der Kulturgüter nicht möglich erscheint.
Im Idealfall entwickeln sich aus den Restitutionsprozessen langfristige Kooperationen mit Museen und Institutionen in den Herkunftsländern. Dazu gehören z. B. Stipendienpro gramme für Kuratoren, die Finanzierung gemeinsamer Pro jekte für die Forschung oder der Auf- und Ausbau kultureller Infrastruktur.
Das Linden-Museum in Stuttgart, aus dessen Beständen die Witbooi-Bibel und -Peitsche stammen, unternimmt gerade mit der Ausstellung „Wo ist Afrika?“ den Versuch, sich mit der ei genen Sammlung unter Einbeziehung der Besucherinnen und Besucher kritisch auseinanderzusetzen.
Dabei zeigt sich die Notwendigkeit eines vertieften museums pädagogischen Ansatzes. Die Gegenstände müssen in ihrem Kontext gezeigt werden und eine Geschichte erzählen; andern falls sind sie nichts weiter als totes Material. Ein altes afrika nisches Musikinstrument anzuschauen kann nicht befriedigen, seinen Klang zu hören schon.
Zum Schluss möchte ich mich der Forderung des französi schen Präsidenten Emmanuel Macron anschließen, der 2017 im Anschluss an seinen Besuch in Ouagadougou in Burkina Faso – ehemals Französisch-Westafrika – formuliert hat:
Das kulturelle Erbe Afrikas kann nicht Gefangener der europäischen Museen sein.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die derzeit noch in unseren Museen und Archiven gefangen gehaltenen Artefak te zu befreien und ihnen ihre kulturelle Bedeutung zurückzu geben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! In Richtung von Herrn Stein möchte ich sa gen
ja, das war etwas schräg –: Es geht hier um internationale Beziehungen. Der französische Präsident wurde hier mehr fach zitiert. Auch auf das deutsche Außenministerium wurde Bezug genommen. Aber Sie begeben sich hier in eine unsäg liche kleinkarierte Provinzialität.
Schlusssatz Ihnen gegenüber, Herr Stein: Sie sind der in Stein gemeißelte Beweis dafür, dass diese Debatte heute hier rich tig platziert ist.
Zu Frau Rolland darf ich sagen: Die Provenienzforschung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat nicht erst begonnen, als plötzlich die Ministerin wegen ir gendwelcher Ludwigsburg-Affären oder sonst etwas öffent lich angegangen wurde, sondern das war schon in der letzten Legislatur.
Da haben Sie etwas Falsches gesagt. Sie haben gesagt, das Ganze wäre eine Reaktion auf irgendwelche Bedrohungen für die Ministerin. Dem darf man, denke ich, ganz stark wider sprechen.
Zum Schluss möchte ich mich noch dem Dank der Ministe rin an Staatsekretärin Petra Olschowski anschließen. Das ist mir vorhin einfach durchgerutscht. Entschuldigung! Das war eine ganz tolle Leistung, die Petra Olschowski hier erbracht hat.
Danke schön.
Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Am vergangenen Sonntag jährte sich zum 76. Mal der Tag, an dem der Reichskommissar für die Festi gung deutschen Volkstums, Heinrich Himmler, die Deporta tion und damit die Vernichtung aller im Reichsgebiet und in den besetzten Gebieten lebenden Sinti und Roma anordnete.
23 000 Menschen wurden drei Monate später, im März 1943, nach Auschwitz deportiert, wo die meisten von ihnen als Op fer von Hunger, Krankheit, Misshandlungen oder medizini schen Experimenten ums Leben kamen. Von den erfassten rund 40 000 deutschen und österreichischen Sinti und Roma wurden über 25 000 systematisch ermordet. Insgesamt fielen zwischen 220 000 und 500 000 Sinti und Roma dem Rassen wahn der Nationalsozialisten und dem an ihnen verübten Völ kermord zum Opfer.
Es ist nicht vorstellbar, dass man so etwas wiedergutmachen kann.
Umso mehr freuen wir uns und sind dankbar, dass es uns, der grün geführten Regierung in Baden-Württemberg, gemeinsam mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma in BadenWürttemberg vor fünf Jahren gelungen ist, mit einem Staats vertrag die Rechte der hier lebenden Sinti und Roma als an erkannte nationale Minderheit anzuerkennen und zu sichern.
Diesen Vertrag gilt es nunmehr fortzuschreiben. In der Prä ambel des neuen Vertrags wird konstatiert, dass der Völker mord durch das nationalsozialistische Regime unermessliches Leid über Sinti und Roma in unserem Land brachte und die ses Unrecht bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet wurde. Es wird ebenfalls festgestellt, dass der Antiziganismus, den es bereits im Mittelalter gab, noch immer existent, noch immer nicht überwunden ist.
Wir wollen mit dem neuen Staatsvertrag Diskriminierung und Antiziganismus entgegenwirken und gemeinsam das gesell schaftliche Miteinander unter Achtung der ethnischen, kultu rellen, sprachlichen und religiösen Identität der Sinti und Ro ma kontinuierlich verbessern.
Wir wollen insbesondere das freundschaftliche Zusammenle ben zwischen den Angehörigen der Minderheit und den An gehörigen der Mehrheitsgesellschaft fördern. Das geschieht u. a. im Bildungsbereich über die Aufnahme der Thematik der Sinti und Roma in die Curricula der Lehrerbildung und über die verstärkte Präsenz des Themas im Unterricht an den Schu len in unserem Land.
Mindestens ebenso wichtig ist aber das Verständnis der Kul tur der jeweils anderen. Wir alle kennen die Musik der Sinti und Roma. Ich glaube, die meisten von uns mögen sie.
Kürzlich durfte ich einen Flamenco-Abend besuchen, der vom Landesverband veranstaltet wurde. Erst dort wurde mir klar, dass diese wunderbaren Tänze und die bezaubernde Gitarren musik Teil der Kultur der Sinti und Roma sind.
Die Kultur umfasst aber noch weit mehr als Musik und Tanz. So wollen wir die Minderheit darin unterstützen, Angebote zur Vermittlung ihrer Sprache zu schaffen. Ich glaube, es gibt außer mir noch viele andere Menschen im Land, die sich über die Gelegenheit freuen würden, Romanes zu lernen.
Ich freue mich außerordentlich, dass seit Kurzem mit meinem Freund Romeo Franz ein deutscher Sinto ins Europäische Par lament nachgerückt ist. Aber eine Vertretung der Minderheit in der Politik ist darüber hinaus bisher kaum wahrnehmbar. Deshalb wollen wir zukünftig eine angemessene Wahrneh mung und Vertretung der deutschen Sinti und Roma in Kul tur, Wissenschaft, Politik und Medien ermöglichen.
Nicht zuletzt wollen wir die erfolgreiche Arbeit der Beratungs stellen für die Teilhabe von Sinti und Roma in den Bereichen Bildung, Integration und Soziales fortführen und ausbauen.
Meine Damen und Herren, mit diesem Vertrag können wir nichts von dem vorher erwähnten Unrecht wiedergutmachen. Aber wir kommen damit auf jeden Fall einen großen Schritt weiter in Richtung eines freundschaftlichen, gleichberechtig ten Zusammenlebens, eines Miteinanders auf Augenhöhe mit den Sinti und Roma in unserem Land.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! Die Fraktion GRÜNE unterstützt dieses Ge setzesvorhaben zur Änderung der beiden genannten Gesetze. Ich beschränke mich in meinen Ausführungen auf die Kir chensteuer.
Für andere Themen haben wir andere Fachleute.
Die Kirchensteuer macht nach meinen letzten Erkenntnissen 78 % der Einnahmen der Kirchen aus. Der Rest sind leistungs bezogene Einnahmen wie z. B. bei Kindertagesstätten und Schulen, Einnahmen aus eigenem Vermögen und die Staats leistungen, die aus dem Jahr 1803 stammen, wo auch BadenWürttemberg für Enteignungen unter Napoleon nach dem Reichsdeputationshauptschluss bezahlt – das sind aber nur 3 %; darauf brauchen wir jetzt nicht näher einzugehen.
Die Kirchensteuer ist dem Sinn nach ein Mitgliedsbeitrag. Sie ist eine Steuer, wird aber von den Kirchen als eine Art Mit gliedsbeitrag gesehen. Sie wird durch die Länderfinanzbehör den eingezogen und von den Kirchen, von den Landeskirchen und Diözesen auf die Gemeinden verteilt. Sie ist ein Zuschlag zur Einkommensteuer. In Baden-Württemberg sind das 8 %. Da die Einkommensteuer bei uns nach der Leistungsfähigkeit erhoben wird, also ein gewisses Gerechtigkeitsempfinden nachvollzieht, gilt das natürlich dann automatisch auch für die Kirchensteuer.
Den steuererhebenden Religionsgemeinschaften ist es sehr wichtig, dass bei der Kirchensteuer auf Druckmittel, die man ansonsten bei den Steuerbürgern braucht – Sanktionen, Stra fen usw. –, verzichtet wird. Denn die Kirchen sehen die Steu er, wie gesagt, als eine Art Mitgliedsbeitrag an. Da würde man gern davon absehen, irgendwelche Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge, sonstige Zwangsgelder und was es sonst im Steuerrecht alles gibt, zu erheben. Vielleicht hat der eine oder andere das alles schon einmal persönlich erlebt. Ich ken ne das aus meiner beruflichen Tätigkeit: Da freut man sich im mer, wenn man es nur mit Kirchensteuer zu tun hat; da gibt es so etwas nämlich nicht.
Nun gab es eine Änderung bei der Kapitalertragsteuer. Auf grund des Datenschutzes darf der Steuerpflichtige ankreuzen, dass seine Religionszugehörigkeit der Bank nicht mitgeteilt wird. Die Bank kann dann keine Kirchensteuer für ihn abfüh ren. Denn sie weiß nicht, ob er oder sie in der Kirche ist. Für diese Fälle gibt es eine Steuererklärungspflicht. Diese Leute müssen dann die Kapitalerträge für die Kirchensteuer selbst erklären,
weil es niemand anderer für sie macht. Diese Erklärungs pflicht war ja bisher nicht vorhanden und wurde neu einge führt. In der Abgabenordnung wurde keine Änderung vorge nommen, sodass diese grundsätzlich auch für solche Fälle gilt. Zunächst einmal: Verspätungszuschläge sind festzusetzen, wenn man mehr als 14 Monate nach Jahresende die Steuerer klärung nicht abgegeben hat. Das ist jetzt eine sehr wichtige Erleichterung.
Die Änderung betrifft zwar nicht sehr viele Menschen, aber für diejenigen, die es betrifft, ist es eine Erleichterung, dass
die Kirchen darauf verzichten, dass der Staat Verspätungszu schläge für die nicht abgegebene Kirchensteuererklärung er heben darf, erheben soll, erheben muss. Das ist damit vorbei.
Die Frau Staatssekretärin hat es ja noch einmal gesagt: An sonsten wurden noch ein paar Wörter geändert, damit das Ge setz leichter verständlich ist. Es ist sowieso schon kompliziert, und man hat es jetzt ein bisschen einfacher gemacht. Vielleicht gibt es jetzt noch ein paar Menschen mehr, die es verstehen. Darüber freuen wir uns. Deswegen werden wir diesem Ge setzentwurf zustimmen.
Danke schön.
Frau Präsidentin, meine lie ben Kolleginnen und Kollegen! Am 11. April 1968 fielen drei Schüsse auf den linken Studentensprecher Rudi Dutschke. Da raufhin gab es Anschuldigungen gegen den Springer-Verlag, der damals von „der Polizei die Drecksarbeit abnehmen“ ge sprochen hatte, und es gab eine riesige Protestwelle im An schluss.
1968 war ich gerade einmal zehn Jahre alt. Meine Mutter hörte die Beatles im Radio, die deutschsprachige Version von „She loves you“. Was drum herum los war, bekam ich damals nicht wirklich mit.
In diesem Jahr werden die 1968 Geborenen 50 Jahre alt. Die damalige Zeit war geprägt von einem kulturellen Aufbegeh ren. Das wird gerade in der Sonderausstellung über die Sech zigerjahre im Haus der Geschichte gut sichtbar. Nicht nur in Paris, Amsterdam und London, sondern auch in Tübingen und in Heidelberg, in Schwäbisch Hall und in Schorndorf wurde neu verhandelt, was eigentlich Kultur ist und was Kultur will. Der Blues schwappte aus den Vereinigten Staaten über den Großen Teich zu uns ins Ländle. Ohne Eintritt und unter frei em Himmel wurden allerorten Festivals im Stile des Wood stock-Festivals veranstaltet. Eine neue Folk-Musik entwi ckelte sich.
Die Jahre danach waren bestimmt von Demonstrationen ge gen Aufrüstung, gegen Fahrpreiserhöhungen, gegen Atom kraft. Auf der Straße wurden aber nicht nur Parolen gerufen.
Es wurde auch gesungen: „Haltet fest zusammen.“ Musik ver bindet.
Einen Bruch gab es mit den althergebrachten kulturellen For maten. Es entstand auch dort, im Kulturbereich, eine Protest bewegung. Diese mündete nicht nur in die kreative Erfindung neuer Formate, sondern vor allem auch in die Schaffung neu er kultureller Orte in alten Räumen. In den Achtzigerjahren entstanden Kulturinitiativen, kommunale Kinos und soziokul turelle Zentren. Gerade in der Provinz waren und sind heute noch diese Orte oft beides: Ort der kulturellen Teilhabe und Ort der politischen Diskussion. Kunst wurde damit sozial und politisch. Vielleicht ließe sich auch sagen: Die integrative, den Zusammenhalt fördernde Funktion von Kunst und Kultur fand und findet sich in den soziokulturellen Initiativen wieder.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Kultur: Das gab es auch vorher schon, vielleicht nicht gerade in den strikt nach Ständen getrennten Rängen des Königlich Württembergischen Hof-Theaters, aber doch in Musik- und Gesangvereinen, auf dem Tanzboden im Wirtshaus oder bei dem mit Blasmusik umrahmten Volksfest. – „Wo man singt, da lass dich ruhig nie der.“
Und heute? Alles gut? Grau gewordene Achtundsechziger und modisch gekleidete junge Hipster treffen da und dort aufei nander. Das bildungsbürgerliche Publikum ist offen für Klein kunst und Kabarett im soziokulturellen Zentrum, es liest be geistert Literatur, lässt sich durch Inszenierungen auf den The ater- und Opernbühnen des Landes je nach Gusto provozie ren oder amüsieren und weiß sich im Museum selbstverständ lich „kunstgerecht“ zu benehmen. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn das alles wäre, was Kunst und Kultur zum gesell schaftlichen Zusammenhalt beizutragen haben, dann wären wir in Baden-Württemberg arm dran.
Stärker noch als vor einigen Jahren merken wir, vor welch großen Herausforderungen wir, die Gesellschaft, stehen. Das fängt bei der ökologischen Krise in einer globalisierten Welt an; Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind hier die Antwor ten. Aber es gibt heute eben auch eine Krise des Sozialen. Die Fliehkräfte sind stärker geworden. Die Lebenswirklichkeiten der Menschen entwickeln sich auseinander. Herkunft spielt wieder eine größere Rolle, etwa wenn es um den Bildungs aufstieg geht. Die Bewohnerinnen und Bewohner der solcher art individualisierten Lebenswelten schotten sich zunehmend voneinander ab. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns mit wachsender Geschwindigkeit wieder der Ständegesell schaft des 18. Jahrhunderts nähern.
Zunehmend beobachte ich auch so etwas wie eine digitale Ver schmutzung unserer sozialen Umwelt. Das mag die eine, das mag der andere nicht gern hören. Aber es ist doch so: Digitale Medien tragen eher dazu bei, die Gesellschaft auseinanderzu treiben, als sie zusammenzuhalten. Damit müssen wir umzu gehen lernen.
Auch das möchte ich sagen: Das World Wide Web wirkt als Verstärker für Verschwörer und rechte Populisten. Damit ist unsere Welt lauter und rauer geworden, was ich sehr bedaure.
Welche Antworten aber haben wir auf die soziale Krise und auf die zunehmende Entfremdung der Menschen? Eine wich tige Antwort liegt für mich in der Rolle, die Kunst und Kul tur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen. Es geht mir nicht darum, Kunst und Kultur eine bestimmte Form, ei ne bestimme Funktion aufzudrücken. Die Kunst ist und bleibt frei. Es geht darum, Türen zu öffnen, Brücken zu bauen.
Lassen Sie mich drei solcher Brücken nennen. Zuerst kommt für mich die kulturelle Bildung. Welchen anderen Ort als die Schule haben wir, um jedes Kind erreichen zu können? Kul turelle und ästhetische Bildung kommen nicht von allein. Mu sik wird anders wahrgenommen, wenn man selbst ein Instru ment spielt. Bilder und Bücher öffnen sich, wenn Anspie lungen verstanden und Formen gedeutet werden können. In schulischen Theaterprojekten wird der Rollenwechsel einge übt: den anderen verstehen und nachfühlen, Empathie lernen.
Seit 2011 setze ich mich dafür ein, kulturelle Bildung stärker zu machen, und ich werde das auch weiterhin tun. Die Lan desvereinigung Kulturelle Jugendbildung, der Landesverband Theater in Schulen, die Musikschulen, die Jugendkunstschu len, die Kinder- und Jugendtheater, die Tanzszene und alle an deren, die sich für kulturelle Bildung starkmachen, haben un sere Unterstützung verdient.
Ich denke zweitens an kulturelle Teilhabe, an eine Öffnung der Kulturinstitutionen für alle. Dazu kann, wie es beim Würt tembergischen Landesmuseum mithilfe privater Förderer ge rade erprobt wird, der Verzicht auf Eintrittsgelder gehören. Noch läuft dieser Versuch. Die ersten Zahlen sind sehr posi tiv. Ich zitiere dazu aus den „Stuttgarter Nachrichten“ vom 4. April:
Wenn die Besucher mit dicken Jacken und Rucksäcken in die Ausstellung stürmen, dann ist das für Cornelia Ewig leben ein sehr gutes Zeichen. Selbst wenn jemand eine Skulptur anfassen will, ist das Aufsichtspersonal zwar ge fordert, aber an sich erfreut die Direktorin des Landes museums Württemberg diese Neugier.... Und offensicht lich hat das... Besucher angelockt, die vorher noch nie in einem Museum waren.
Hier zeigt sich, dass der Verzicht auf Eintritt nur einen von mehreren Bausteinen darstellt. Der Geldbeutel ist sicherlich eine große Hürde, wenn es darum geht, Kultureinrichtungen für alle Menschen zu öffnen. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wer überhaupt auf die Idee kommt, ins Museum zu gehen, sich eine Oper oder Ballettaufführung anzusehen oder gar selbst künstlerisch aktiv zu werden. Was muss sich bei spielsweise an Ausstellungskonzepten ändern, damit ein Mu seum für neue Besucherschichten attraktiv wird? Das sind große Fragen.
Damit ist die dritte Brücke angesprochen: die Maßnahmen der Kulturvermittlung, die über die klassische Förderung der Kul turinstitutionen hinausgehen. Ich denke hier beispielsweise auch an ein Theater, das seine traditionelle Spielstätte verlässt und in einem Brennpunktstadtteil einen Container aufstellt, um in diesem Stadtteil zu spielen.
Ich freue mich, dass das Ministerium für Wissenschaft, For schung und Kunst sich aktiv der Kulturvermittlung in die Ge sellschaft hinein widmet, denn dabei geht es genau um diese Fragen.
Mit Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir den Innovationsfonds Kunst eingeführt. Für die Förderung des ge sellschaftlichen Zusammenhalts durch Kunst und Kultur ist er eine wunderbare Sache. Wenn ich die Projektlisten durch blättere, bin ich immer wieder berührt davon, wie kreativ und ideenreich die erfolgreichen Anträge badischer und württem bergischer Kultureinrichtungen gerade in den Förderlinien „Kulturelle Bildung“ und „Interkultur“ sind. Hier wird das große Potenzial sichtbar, das in Theatern, Museen, Kulturver einen und vielen Einrichtungen steckt. Dieses Potenzial gilt es für die Gesellschaft nutzbar zu machen.
Die Förderung aus dem Innovationsfonds bleibt jedoch auf Projekte beschränkt. Wenn Kunst und Kultur nachhaltig zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen, wenn sie als Ge gengift zu Hass und Gewalt wirken sollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die sie tragenden Einrichtungen ständigen Zugang zu dem Laboratorium haben, welches es braucht, um sich selbst neu zu erfinden.
Kulturelle Bildung von Anfang an, Kultureinrichtungen, die sich öffnen und sich neu erfinden, neue Wege der Kulturver mittlung, das sind die Antworten, die wir 50 Jahre nach den Schüssen auf Rudi Dutschke kunstpolitisch auf die heutige soziale Krise geben können. Lassen Sie uns gemeinsam die genannten Brücken beschreiten, um die Spaltung der Gesell schaft zu überwinden.
Vielen Dank.
Sehr verehrte Frau Präsiden tin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schön, dass Sie mir zu dieser späten Stunde noch zuhören.
Es geht jetzt um Kunst und Kultur. Die Frage ist: Brauchen wir Kunst und Kultur überhaupt?
Meine Antwort ist klar und deutlich: Ja.
Schon die Bewohnerinnen und Bewohner der Höhlen der frü hen Steinzeit haben Bilder an die Wände gemalt. Sie schnitz ten Flöten aus Tierknochen. Offenbar nahmen sie sich die Zeit, zu musizieren, obwohl sich das Erfüllen der grundlegendsten Bedürfnisse wie das Beschaffen von Nahrung und Kleidung seinerzeit wesentlich schwieriger gestaltete als heute.
Gerade heute, da die globalisierte Welt im Eiltempo digital und virtuell an uns vorbeirauscht, ohne uns wirklich mitzu nehmen, ist es notwendiger denn je, dass wir, das Land, uns um die Kunst kümmern. Kunst und Musik – Nahrung für die Sinne.
Kunst und Kultur kennen keine Grenzen. Richten wir in die sem Geist unseren Blick auf unsere französischen Nachbarn: „Kultur ist der Kleber für den sozialen Zusammenhalt“, hat Staatspräsident Emmanuel Macron in seiner Rede an der Sor bonne gesagt. Denn Kunst und Kultur sind das Mittel gegen soziale Ausgrenzung und damit gegen Ungerechtigkeit.
Um den enormen Veränderungen unserer Zeit Herr zu wer den, braucht es nicht weniger als einen Kulturwandel. Insbe sondere müssen wir die Teilhabe aller durch niederschwelli ge Kunst- und Kulturangebote ermöglichen. Wenn uns also der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtig ist, wenn wir Teil habe wollen und wenn uns Europa etwas bedeutet, dann ist es richtig, dass wir für die Kultur im Staatshaushalt 2018/2019 eine halbe Milliarde Euro pro Jahr ausgeben wollen.
Jawohl, Sie dürfen klatschen.
Indem wir die vergangenen und zukünftigen Tarifsteigerun gen übernehmen, erhalten wir gute Arbeitsbedingungen für Künstlerinnen und Künstler. Damit unterstützen wir die gan ze Vielfalt kultureller Formate in Baden-Württemberg: die Staatstheater, die Museen, die Landesbühnen, die kommuna
len und privaten Theater, die Festivals, den Tanz, die sozio kulturellen Zentren – der Bogen, der sich hier spannt, ist weit.
Wir ermöglichen den Zugang zu Kultur für viele Menschen in unserem Land, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und ihren ökonomischen Verhältnissen.
Kultur will und muss vermittelt werden – Sie werden gleich etwas darüber hören –
vor Ort, im klassischen Rahmen, aber auch in ganz neuen For maten, wie wir sie aus dem Innovationsfonds heraus unter stützen.
Mit der Weltkunst am Linden-Museum und der Weltmusik an der Popakademie begehen wir neue interkulturelle Pfade.
Wir wollen, dass sich die Menschen für Kunst und Kultur be geistern. Wir wollen ihnen Mut machen und gleichzeitig Sinn stiften. Deswegen freue ich mich besonders, dass wir gemein sam mit unserem Koalitionspartner im vorliegenden Haushalt einen Schwerpunkt auf die Kulturvermittlung in die Gesell schaft hinein legen können.
Ein Beispiel dafür ist die hervorragende Arbeit des „Jazz and more“-Kollektivs, das seit 2014 Workshops für Schülerbands anbietet. Acht Vollprofis, die u. a. an der Landesakademie für die musizierende Jugend in Ochsenhausen unterrichten, brin gen hier Schülerinnen und Schüler, die über die entsprechen de Vorbildung verfügen, in Zusammenarbeit mit Musikpäda gogen der Schule in kürzester Zeit zur Konzertreife – ein aus meiner Sicht überaus erfolgreiches und wichtiges Projekt, des sen Fortbestand nach dem Wegfall der Förderung durch die L-Bank nun aus Landesmitteln gesichert werden konnte.
Kunst und Kultur sind immanenter Bestandteil einer guten Bildung und stellen sozusagen das Gegenmittel zu Gewalt und Radikalisierung jeglicher Art dar.
Die ästhetische Erziehung, insbesondere für junge Menschen, sollte uns wichtig sein, gerade in einer Zeit der Unsicherheit, die geprägt ist von großen sozialen und gesellschaftlichen Umbrüchen, von Herausforderungen wie dem demografischen Wandel, der drohenden Klimakatastrophe
und der zunehmenden Digitalisierung.
Neben den von uns für ihre hervorragende Arbeit hochge schätzten Musikschulen und Jugendkunstschulen haben auch die Verbände der Amateurkunst, Herr Kollege Mack, eine wichtige Aufgabe im Bereich der kulturellen Bildung. So ver
anstalten die Amateurtheater nicht nur jährlich die „Theater tage am See“ in Friedrichshafen, sondern im nächsten Jahr auch das 10. Internationale Theaterfestival in Donzdorf, das wir unterstützen.
Für die Amateurmusik hat die Aus- und Fortbildung vor al lem ihrer jungen Mitglieder große Bedeutung. Dieser werden wir gerecht durch die Investitionszuschüsse für die Musikzen tren bzw. -akademien in Plochingen und Staufen sowie durch die schrittweise Anpassung der Chorleiterpauschale an die Zu schüsse für die Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Sport,
wobei wir hoffen möchten, dass mit den nunmehr 18,8 Milli onen € für die Akademien nun doch endlich das Ende der Fah nenstange erreicht sein möge. Höher, glaube ich, können wir nicht klettern.
Zu den Kunstformen, die unser besonderes Augenmerk ver dienen, gehört der Tanz. Gerade die Jugend lässt sich von den in die breite Öffentlichkeit gerichteten Angeboten der ver schiedenen Ensembles wie beispielsweise „All You Can Dance“ der TanzSzene Baden-Württemberg ansprechen und in Bewe gung setzen. Der Verband, der eine wichtige Netzwerkfunk tion hat, aber auch die gesamte freie Szene werden vom Land mit diesem Haushalt verstärkt gefördert.
Das sind nur einige kleine Beispiele dafür, wie gut Kunst und Kultur im Haushalt 2018/2019 verankert sind.
Kulturvermittlung in die Gesellschaft hinein, Kultur, die zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt, kulturelle Bildung – das sind die richtigen Leitideen.
Deswegen schließe ich mit der Feststellung: Die Kunst braucht uns, und wir brauchen die Kunst.
Wir brauchen sie, um ein modernes und weltoffenes Land zu bleiben, um kulturelle Werte zu vermitteln und Grenzen zu überschreiten,
ja, um unsere Gesellschaft in der Bedrohung, in der sie sich im Moment durch manche Gruppen befindet, zusammenzu halten.
Der jetzt vorliegende Einzelplan ist kunstfertig. Damit kön nen wir einiges bewegen, um Kunst und Kultur im ganzen Land weiterhin einen guten Auftritt zu ermöglichen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir schreiben heute – das wurde bereits mehrfach erwähnt – den 9. November des Jahres 2017. Herr Pfarrer Neudecker hat dies vorhin bereits in der Andacht gesagt, und die Frau Präsidentin hat es in ih rer Begrüßung ebenfalls noch einmal gesagt: Das Datum 9. November wird als Schicksalsdatum der Deutschen be zeichnet. 1918 gab es die Novemberrevolution, 1923 gab es den Kapp-Putsch, und es gab das Jahr 1938.
Die heutige Aktuelle Debatte ist nicht explizit dem Gedenken an die Opfer des Naziterrors gewidmet. Ich möchte dennoch an den 9. November, an die Reichspogromnacht, erinnern, an die Nacht, in der überall im Deutschen Reich Menschen ge schlagen, beraubt, ermordet wurden, weil sie jüdischen Glau bens waren, die Nacht, in der Synagogen brannten – so gut wie alle –, in der Bücher angezündet und jüdische Geschäfte geplündert wurden, die Nacht, in der der Startschuss für die Verschärfung der Politik durch die Nazis gegenüber allen fiel, die nicht in ihr arisches Weltbild passten – sozusagen ein Frei brief von ganz oben zur Vernichtung der jüdischen Kultur, ei ne Aufforderung zur Verfolgung, Demütigung, Diskriminie rung – mit der Folge unendlichen Leids. Wie es geendet hat, wissen wir alle.
Gleichzeitig steht der 9. November aber auch für Freiheit: 1989 war der Fall der Berliner Mauer. Wie kein anderes Bild steht das Einreißen von Mauern, das Überwinden künstlich gezogener Grenzen als Symbol für Freiheit und Aufbruch. Der Fall der Mauer bedeutete für die Menschen weit mehr als die Freiheit, zu verreisen, wohin sie wollten.
Ja, Freiheit ist ein weiter Begriff. Zur Freiheit des Individu ums gehören Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefrei heit und eben auch – ganz wichtig – die Freiheit der Kunst.
Der deutsche Dichter Friedrich Schiller hat in einem Brief zur Bedeutung der ästhetischen Erziehung geschrieben:
Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit.
Nun stehen wir an einem 9. November im 21. Jahrhundert hier und diskutieren, müssen diskutieren über die Freiheit der Kunst, auch und gerade weil dieses Thema uns hier in Stutt gart momentan direkt tangiert.
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov wollte hier am Opernhaus „Hänsel und Gretel“ inszenieren. Die Urauffüh rung vor wenigen Tagen durfte er nicht besuchen. Seine Plä ne konnten nur teilweise umgesetzt werden. Serebrennikov ist ein global agierender Künstler. Seine Inszenierung sollte Län dergrenzen überschreiten. Er hatte vor – das sieht man auch an dem Plakat in der Unterführung zum Haus der Abgeordne ten –, das Märchen ins heutige Ruanda im östlichen Afrika zu verlagern.
Die russische Justiz hat Serebrennikov unter Hausarrest ge stellt. Er wird beschuldigt, als Institutsleiter Steuergelder un terschlagen zu haben. Unabhängige Beobachter sprechen von einer politischen Anklage. Serebrennikov ist ein Fall von vie len, die von staatlicher Zensur zeugen, ein Warnzeichen auch für uns.
Noch bevor Serebrennikov überhaupt der Prozess gemacht wird, wurde gegen den unbequemen Künstler via Hausarrest ein faktisches Berufsverbot verhängt. Zahlreiche Projekte lie gen nun auf Eis. So hat die russische Justiz auch versucht, die Realisierung eines der künstlerisch wichtigsten Projekte der Stuttgarter Oper unter der Intendanz von Jossi Wieler unmög lich zu machen. Aber es ist ihr nicht gelungen. Die Württem bergischen Staatstheater haben die Oper „Hänsel und Gretel“ in der unvollendeten Inszenierung von Kirill Serebrennikov auf die Bühne gebracht. Die Beschäftigten des Theaters ge ben damit ein politisches Statement ab, indem sie das zeigen, was auf Druck eines autoritären Systems nicht zu Ende ge bracht werden durfte. Bravo!
Hierfür gilt dem Ensemble der Stuttgarter Staatstheater mein ganz großer Dank.