Protokoll der Sitzung vom 29.11.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 77. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Blenke, Herr Abg. Hahn, Frau Abg. Schwarz sowie Herr Abg. Dr. Weirauch.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Herr Ministerpräsident Kretschmann, Herr Minister Strobl, Frau Ministerin Sitzmann, Frau Staatsrätin Erler sowie Frau Staatssekretärin Schütz.

(Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU – Unruhe)

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt sind außerdem die Herren Abg. Born und Dörflinger, die Frau Staatssekretärin Schütz auf ihrer Delegationsreise nach Ghana und Nigeria be gleiten.

Meine Damen und Herren, auch heute haben wir ein Geburts tagskind in unseren Reihen. Liebe Kollegin Beate Böhlen, im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen sehr herzlich und wünsche alles Gute.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank – Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Danke!)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die grün-schwarze Landesregierung und ihre Politik gegen die Interessen der Beschäftigten – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Stoch das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Man hat ein bisschen den Eindruck, sich in einer Endlosschleife zu befinden. Die CDU glaubt wieder, an die Arbeitnehmerschutzrechte in Baden-Württemberg ge hen zu müssen, und wir sagen ein eindeutiges Nein dazu, mei ne sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Der Grund für diese Debatte ist: Die eine Hand der Regierung weiß offensichtlich mal wieder nicht, was die andere tut. Ich zitiere aus einer Pressemitteilung der Abg. Paal und Rapp der CDU-Landtagsfraktion vom 6. November:

Wir begrüßen es, dass die Landesregierung unserer Frak tionsinitiative folgt und sich auf Eckpunkte zur Flexibili sierung der Wochenarbeitszeit geeinigt hat.

(Beifall der Abg. Nicole Razavi CDU – Abg. Nicole Razavi CDU: Ja, genau!)

Das gefällt Ihnen, Frau Razavi, gell? Ja, schön. Wir werden gleich noch dazu kommen, was das für die Beschäftigten im Land heißt.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das werden wir denen erklären!)

Wenig später – das zum Thema „Grün-schwarze Einigkeit“ oder „nüchtern betrachtet“ – lässt die grüne Fraktion durch Frau Lindlohr verlauten:

Wir Grünen lehnen den Vorschlag der CDU strikt ab, das Arbeitsrecht radikal zu deregulieren.... Der radikale Vor schlag der CDU... spaltet die Sozialpartner.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wieder einmal weiß diese Regierung nicht, was sie will. Grün und Schwarz sind sich alles andere als einig. So geht man nicht mit den Men schen im Land Baden-Württemberg um.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Karl Zimmer mann CDU)

Frau Ministerin, man hat den Eindruck, Sie sind die Getrie bene in diesem Spiel, die Getriebene Ihrer eigenen Fraktion. Der Vorschlag, den die CDU stolz als Haltung der Landesre gierung präsentiert, entpuppt sich letztlich als CDU-Träume rei. Jetzt haben Sie eine Situation, in der die CDU etwas ver sprochen hat, was sie nicht halten kann, und die Grünen ganz offensichtlich nicht bereit sind – und das zu Recht –, auf CDULinie einzuschwenken. Liebe CDU-Fraktion, man sollte die Backen nicht zu sehr aufblasen. Da haben Sie sich wohl ein deutig verzockt, liebe Kolleginnen und liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Man könnte ja über diesen Vorstoß lachen. Aber das Lachen vergeht einem ziemlich schnell, wenn man sich das Thema einmal genauer anschaut. Die Arbeitswelt verändert sich, sagt

die Ministerin; da hat sie zweifellos recht. Das Arbeitszeitge setz hat seit 24 Jahren keine Novellierung mehr erfahren; auch da hat sie zweifellos recht. Aber völlig falsch liegt sie in der Annahme, deswegen habe sich bei den Arbeitszeiten nichts getan. Schon jetzt ermöglicht nämlich das Arbeitszeitgesetz flexible Lösungen und Ausnahmen in verschiedenen Fällen und Branchen, wenn die Tarifvertragspartner zustimmen – die Tarifvertragspartner!

Ich erinnere an den Dialogprozess zu „Arbeiten 4.0“ und das Weißbuch „Arbeiten 4.0“. Es werden Experimentierräume ge schaffen, in denen neue Arbeitszeit- und Organisationsmodel le getestet werden, und zwar immer ohne Beschneidung von Arbeitnehmerrechten, dafür immer unter Beteiligung der So zialpartner. So geht man mit Arbeitnehmerinnen und Arbeit nehmern um.

(Beifall bei der SPD)

Wer nun aber wie die CDU in die Diskussion geht, hat ganz andere Motive. Das Wirtschaftsministerium stellt öffentlich fest, dass die Tarifbindung auch in Baden-Württemberg ab nimmt. Guten Morgen! Das wissen wir schon lange,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das ist eine alte Erkenntnis!)

und das ist ein ganz großes Problem in dieser Wirtschaft.

Aber, liebe Frau Hoffmeister-Kraut, wenn Sie in einem Inter view sagen, Sie schätzen die Tarifpartnerschaft, und gleich zeitig beklagen, dass die Tarifbindung abnimmt, dann müss ten Sie sich einmal ein paar Gedanken darüber machen, was es heißt, die Frage der Arbeitszeit aus den Händen der Tarif partner zu nehmen und dort hinzugeben, wo keine Tarifbin dung besteht, wo keine Arbeitnehmerschutzrechte durch Ta rifpartnerschaft gewährleistet sind. Meine sehr geehrten Da men und Herren, wer die mangelnde Tarifbindung als Argu ment nimmt, um die Arbeitszeit zu flexibilisieren, der über lässt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schutzlos dem, was der Markt verlangt. So geht man nicht mit Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmern um.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Richtig!)

Das ist nämlich eine Belohnung genau derer, die keine Tarif verträge haben wollen, und es ist ein Freibrief für all diejeni gen, die den Schutz der Beschäftigten eben nicht wollen. Letztlich setzen Sie damit einen Anreiz für die Tarifflucht, Frau Ministerin. Wenn Sie also so argumentieren, wie Sie ar gumentieren, dann ist das ein Schlag ins Gesicht der Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmer und ein Widerspruch in Ihrer Argumentation. Das ist keine Politik für dieses Land BadenWürttemberg. Der Erfolg wurde von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erwirtschaftet. Wir brauchen Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer, die unter würdigen Bedingun gen arbeiten und nicht als flexibilisierte Arbeitstiere gezählt werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Es existieren bereits viele Ausnahmeregelungen. Wo noch fle xiblere Arbeitszeiten sinnvoll und vertretbar sind, einigen sich die Tarifvertragspartner in bewährter Weise. Wer aber das Ar

beitszeitgesetz ändert, wie von Ihnen vorgeschlagen, fördert gerade nicht die Tarifpartnerschaft, und gerade diejenigen Un ternehmer, die sich nicht mit ihrer Belegschaft verständigen wollen, erhalten so einen Freibrief für mehr Flexibilität, und das heißt, schlicht und einfach übersetzt, für schlechtere Ar beitsbedingungen.

Auch in der von Ihnen immer ins Feld geführten Gastronomie gibt es schon jetzt flexible Lösungen. Nehmen wir einmal das Thema Arbeitszeitkonten, nehmen wir das Thema „Voraus setzung zur Genehmigung eines Saisonbetriebs“. Meine sehr geehrten Damen und Herren, seit drei Jahren besteht die Mög lichkeit in der Gastronomie, sich als Saisonbetrieb registrie ren zu lassen. Wissen Sie, wie viele Betriebe von dieser Mög lichkeit Gebrauch gemacht haben? Exakt 33 – nicht pro Jahr, sondern über die gesamte Zeit.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wer erst seit den Dokumentationspflichten merkt, dass er sich an Ar beitszeitgesetze halten muss, der hat offensichtlich vorher et was falsch gemacht. Wir sind nicht bereit, die Dokumentati onspflichten infrage zu stellen. Denn hier werden anständige Unternehmer bestraft, und diejenigen, die ihre Arbeitnehme rinnen und Arbeitnehmer ausbeuten, werden belohnt.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Sehr richtig!)

So darf es nicht sein, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Leider sind wir es schon fast gewohnt, dass Sie in dieser Lan desregierung auf die Bedürfnisse der Beschäftigten keine Rücksicht nehmen. Ich erinnere daran: Sie hatten in den Ge heimabsprachen zum Koalitionsvertrag bereits vereinbart, wie Sie mit dem Bildungszeitgesetz umgehen wollen. Das heißt, die von Ihnen versprochene Evaluation ist nichts anderes als eine Pseudoevaluation. Stellen Sie sich hier hin und sagen Sie endlich, dass Sie das Bildungszeitgesetz unangetastet lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie das The ma „Digitalisierung/Qualifizierung“ in Baden-Württemberg in den Griff bekommen wollen, dann sollten Sie sich schleu nigst mal um das Thema „Weiterbildung und Weiterqualifi zierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“ küm mern. Wir, die SPD-Fraktion, haben bereits mehrfach einen Weiterbildungsfonds für kleine und mittlere Unternehmen be antragt. Die Regierungsfraktionen haben das schlicht abge lehnt. Sie haben gar kein Interesse daran, dass Arbeitneh merinnen und Arbeitnehmer dieses Landes erfolgreich in die Zukunft gehen.

(Beifall bei der SPD)

Nehmen wir ein Beispiel wie den Autogipfel. Den haben Sie gleich ohne Betriebsräte geplant. Und jetzt als Höhepunkt pla nen Sie einen einseitigen Eingriff in das Miteinander der Ta rifpartner. Wenn durch Tarifflucht Nachteile für Arbeitnehmer entstehen, schauen Sie zu. Wenn manche Arbeitgeber ihre Be schäftigten länger arbeiten lassen wollen, wollen Sie flugs die Gesetze ändern. Dieser CDU-Vorstoß ist ein Frontalangriff auf die Interessen der Beschäftigten und der Arbeitnehmer vertreter.

Ich zitiere jetzt einfach einmal einige Gewerkschaftsvertreter. Die Gewerkschaft NGG:

10 Stunden sind genug! Es darf keine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes geben!

DGB-Chef Martin Kunzmann: