Protokoll der Sitzung vom 29.11.2018

DGB-Chef Martin Kunzmann:

Ich bin erschüttert darüber, wie die grün-schwarze Lan desregierung mit Schutzgesetzen für die Beschäftigten umgeht.

Oder IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger:

... eine zwölfstündige Höchstarbeitszeit macht die Arbeits welt nicht flexibler, schafft nicht mehr Zeitsouveränität für Menschen... Sie ist, was sie ist: Im Zweifel noch mal zwei Stunden mehr am Tag!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rate Ihnen: Stamp fen Sie Ihren Vorschlag ein! Denn er konterkariert alle Bemü hungen um einen Ausgleich der Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Wir brauchen Arbeitnehmerinnen und Ar beitnehmer, die gesund bleiben, die qualifiziert sind und die ihre Arbeit gut und gern machen. Das ist die Garantie für den Wohlstand in diesem Land, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich das Wort Frau Abg. Lindlohr.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Lieber Herr Stoch, vielen Dank, dass Sie sich um die Koalition so viele Gedanken machen. Sie müs sen nicht besorgt sein.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Ich mache mir Gedanken um die Menschen in diesem Land!)

Sie haben beide Themen aufgeworfen. Das haben wir hier, glaube ich, verfolgt. Es gilt ganz nüchtern das Wort des stell vertretenden Ministerpräsidenten –

(Die Rednerin schaut zur Regierungsbank.)

würdig vertreten von Herrn Klenk –,

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall bei der AfD, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Andreas Stoch SPD: Er hat sich verändert! Endlich einmal Qualität auf dem Sitz! – Weitere Zurufe)

der zu Recht sagt: „Eine Koalition ist keine Fusion.“ Ich fü ge hinzu: Das hat die Demokratie auch nicht so vorgesehen.

Grün-Schwarz hat nicht die Aufgabe – das war auch bei GrünRot nicht die Aufgabe –, dass wir quasi eins sind, sondern dass wir gute Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger erreichen, und damit ist die grün-schwarze Koalition, wie Sie wissen, nüchtern betrachtet sehr erfolgreich.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die SPD hat für die heutige Aktuelle Debatte das Thema „Die Interessen der Beschäftigten“ gemeldet. Das finde ich gut. Ba den-Württemberg ist ein hervorragender Wirtschaftsstandort.

Auch bei uns gilt aber: Die Arbeitswelt ist in einem rasanten Wandel. Immer mehr Prozesse werden digital, und unsere Ein bindung in die globalen Märkte – Donald Trump zum Trotz – nimmt zu. Das sind, gerade auch für die Beschäftigten – was sie arbeiten, wie sie arbeiten –, große Herausforderungen. Lie be Kolleginnen und Kollegen, diese Koalition unterstützt die Beschäftigten darin, dass sie auch in Zukunft gute Arbeit ha ben werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wir gestalten die Branchen, die unser Land prägen und die im Wandel sind. Ein Beispiel ist der Strategiedialog Automobil wirtschaft. Wir machen das kooperativ mit der Politik, mit Un ternehmen, mit Gewerkschaften, mit Beschäftigten, mit der Forschung und den Menschen aus der Zivilgesellschaft.

Darum haben wir beispielsweise den Strategiedialog einge richtet. Gerade die vielen Beschäftigten im Automobilsektor stecken in diesem rasanten Wandel: Das autonome Fahren kommt, neue Antriebstechnologien verbreiten sich. Wir arbei ten daran, dass diese Arbeitsplätze bei uns bestehen bleiben.

In diesem Strategiedialog gibt es z. B. das Thema Weiterbil dungsoffensive. Derzeit arbeiten die Beteiligten von IG Me tall, ausgewählten Unternehmen und verschiedenen Ministe rien daran, eine gezielte Weiterbildungsoffensive für die Au tomobilwirtschaft auf die Beine zu stellen. Wir werden diese Weiterbildungsoffensive auf den Weg bringen, damit die Be schäftigten fit sind für die neue Mobilitätswelt.

(Abg. Gerhard Kleinböck SPD: Wann?)

Das ist moderne Politik für die Beschäftigten in Baden-Würt temberg, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Zuruf: Zum Thema!)

Das in Deutschland geltende Arbeitszeitgesetz – hier zu Recht angesprochen –, die europäischen Regelungen, natürlich aber auch die Arbeitszeitgesetze in vielen anderen Staaten sind ein ganz elementarer Teil des Arbeitsschutzes. Arbeitnehmerin nen und Arbeitnehmer haben sich erkämpft, dass die Arbeit irgendwann am Tag ein Ende hat, damit die Leute schlafen können, essen können, sich um ihre Familien kümmern kön nen und um das, was ansonsten noch wichtig für sie ist.

Das Arbeitszeitgesetz definiert den Arbeitsschutz für alle Be schäftigten überall, nicht nur z. B. bei großartigen Unternehmen in Oberschwaben, wo praktisch Vollbeschäftigung herrscht.

(Zurufe der Abg. Martin Rivoir und Rainer Stickel berger SPD)

Es definiert ihn auch für einen niedersächsischen Schlachthof, es definiert ihn auch für rumänische Wanderarbeiter, die es vielleicht schwer haben, sich zu wehren. Es gilt auch dann, wenn die Konjunktur vielleicht einmal eingebrochen ist und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen schwereren Stand auf dem Arbeitsmarkt haben. Das wissen wir, denn für

uns ist klar: Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz für die Ar beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das steht für uns im Mit telpunkt.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Die Arbeitszeit verändert sich. Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass für viele Tätigkeiten der Ort, an dem man eine Arbeit macht, egal wird oder zumindest flexibler wird. Das bringt natürlich viele praktische Fragen mit sich: Wann müs sen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichbar sein? Wann wollen sie erreichbar sein? Wie wollen sie arbeiten? Wie wollen sie sich den Tag einteilen? Damit ist es eine gro ße Chance für mehr souveräne Zeitgestaltung – auch im Sin ne der Beschäftigten –, und diese sollten wir nutzen.

Das Arbeitszeitgesetz macht schon heute ganz vieles möglich. Es gibt zwar die Norm zum Acht-Stunden-Tag, die letztlich aber einen Zehn-Stunden-Tag bedeutet, aber es gibt noch an dere Beispiele aus dem Gesetz selbst. Sie kennen das Beispiel Landwirtschaft. Dieser Bereich ist eigenständig – wie auch einige weitere Branchen – geregelt. In der Erntezeit darf dort mehr gearbeitet werden: bis zu 60 Stunden in der Woche mit Arbeitstagen bis zu zwölf Stunden und einem Ausgleich in nerhalb von drei Monaten. Das regelt das Arbeitszeitgesetz schon heute.

Es gibt auch Behördenregelungen. Aufgrund eines Paragra fen im Arbeitszeitgesetz kann man einen Antrag stellen, dass man anders arbeiten möchte. Dies wird dann nach einem be stimmten Katalog entschieden. Es gibt tatsächlich Zweischicht betriebe, die zwölf Stunden pro Schicht haben – inklusive Pausen natürlich –, die das so genehmigt bekommen haben. Vom Oktoberfest habe ich Folgendes dokumentiert gefunden: Die bayerischen Behörden haben es erlaubt, dass die Leute 16 Tage am Stück arbeiten, diese haben aber Arbeitsverträge, die über diese Zeit hinausgehen. Dann haben diese Leute ihre freie Zeit sozusagen am Schluss am Stück. Sie sehen: Solche Möglichkeiten hat das Arbeitszeitgesetz schon heute, und das ist gut so.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU – Abg. Andreas Stoch SPD: So ist es!)

Es gibt heute auch schon einige Möglichkeiten für die Tarif parteien. Da müssen wir sehen, dass uns der Tarifvertrag zum Mobilen Arbeiten, den IG Metall und Südwestmetall in die sem Jahr abgeschlossen haben und mit dem beide Seiten ja einverstanden sind, hier wirklich einen großen Schritt nach vorn bringt. Dort heißt es, die Ruhezeit kann sich auf bis zu neun Stunden verkürzen, wenn der Arbeitnehmer den Antritt der Arbeit am nächsten Tag selbst entscheiden kann.

(Zuruf der Abg. Gabi Rolland SPD)

Auch das ist ein Beispiel für das, was wir heute schon haben können. Ein Mitarbeiter, der die Möglichkeit des mobilen Ar beitens hat – z. B. bei Bosch –, macht am Abend mit den Kol legen aus den USA eine Telefonkonferenz und kann am nächs ten Tag trotzdem früh zur Arbeit kommen, weil er das möchte,

(Abg. Andreas Stoch SPD: Geht alles!)

weil sein Kind dann zur Schule geht. Das sind gute Beispie le, und wir müssen die Sozialpartnerschaft in den Mittelpunkt rücken, um zu einer gewünschten und akzeptierten Flexibili tät bei den Arbeitszeitregelungen zu kommen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Trotzdem ist manches heute kompliziert. Klassisch ist das Bei spiel der Hochzeit, das der DEHOGA anführt: Die Hochzeits gesellschaft beginnt um 17 Uhr, die Leute sind schon um 15 Uhr zum Aufbauen da. Es ist vereinbart, dass die Feier um 1 Uhr endet. Aber die Hochzeitsgesellschaft möchte spontan weiterfeiern. Die Beschäftigten sagen: „Das mache ich noch; das kann ich noch erledigen.“ In diesem Moment aber gibt es tatsächlich keine Möglichkeit, einen legalen Weg zu finden, um die Arbeitszeit kurzfristig zu ändern.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Auf dieses Beispiel hat der Ministerpräsident bei seinem Auf tritt beim Landesdelegiertentag des DEHOGA 2016 in Do naueschingen auch Bezug genommen und gesagt, dass man hier etwas tun sollte.

Ein anderes Beispiel ist das Backen an Sonntagen; dies wur de von den Kollegen im Ausschuss – manche erinnern sich si cher – schon angesprochen. Heute ist im Arbeitszeitgesetz ge nau geregelt, dass angestellte Bäcker an Sonntagen nur drei Stunden lang backen dürfen. Hier kommt tatsächlich die Mel dung vonseiten der Beschäftigten: Das wollen sie nicht; denn wenn sie schon sonntags arbeiten müssen, wollen sie auch am Stück mehr Geld verdienen und nicht für nur drei Stunden kommen. Das sind Beispiele dafür, wo wir am Arbeitszeitge setz etwas ändern sollten.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Der Bund hat sich da schon viele Gedanken gemacht; und das ist ja auch der Stand bei der SPD. Im Koalitionsvertrag des Bundes von CDU, CSU und SPD heißt es:

Wir werden über eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeit gesetz Experimentierräume für tarifgebundene Unterneh men schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Fle xibilität in der zunehmend digitalen Welt zu erproben.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Tarif! Tariföffnung!)

Das halte ich für einen sehr guten Ansatzpunkt. Er passt her vorragend zu unserem Koalitionsvertrag, den wir hier im Land geschlossen haben, in dem wir uns auch für mehr Flexibilität aussprechen. Der entsprechende Passus endet mit dem Satz:

Dabei haben Lösungen auf betrieblicher und überbetrieb licher Ebene für uns Vorrang vor gesetzlichen Regelun gen.