Protokoll der Sitzung vom 20.03.2019

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 87. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Dr. Balzer, Herr Abg. Gall, Herr Abg. Herre sowie Frau Abg. Wehinger.

Entschuldigt ist außerdem Frau Staatssekretärin Dr. Splett.

Eine Zusammenstellung der E i n g ä n g e liegt Ihnen vor. – Sie nehmen davon Kenntnis und stimmen den Überwei sungsvorschlägen zu. Vielen Dank.

Im Eingang befinden sich:

1. Schreiben des Verfassungsgerichtshofs vom 21. Februar 2019, Az.:

1 VB 11/19 – Verfassungsbeschwerde der Stadt Reutlingen gegen den Beschluss des Landtags vom 20. Dezember 2018 zum Antrag der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU „Mögliche Konsequen zen der Gründung eines Stadtkreises Reutlingen für die Stadt und den Landkreis“, Drucksache 16/5410

Überweisung an den Ständigen Ausschuss

2. Mitteilung der Landesregierung vom 4. März 2019 – Information über

Staatsvertragsentwürfe; hier: Erster Staatsvertrag zur Änderung des Vertrags über die Errichtung des IT-Planungsrats und über die Grund lagen der Zusammenarbeit beim Einsatz der Informationstechnolo gie in den Verwaltungen von Bund und Ländern – Vertrag zur Aus führung von Artikel 91 c GG – Drucksache 16/5891

Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Digitalisierung und Mi gration

3. Mitteilung der Landesregierung vom 19. März 2019 – Information

über Staatsvertragsentwürfe; hier: Entwurf des Dritten Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutsch land (Dritter Glücksspieländerungsstaatsvertrag – 3. GlüÄndStV) – Drucksache 16/5894

Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Digitalisierung und Mi gration

Heute ist die Nachwahl eines Mitglieds des Landtags in den Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg vorgesehen. Das Vorschlagsrecht für die Nachfolge des verstorbenen Herrn Dr. Bernhard Lasotta steht der Fraktion der CDU zu.

Die Fraktion der CDU hat Herrn Kollegen von Eyb als neues Mitglied des Rats für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württemberg benannt. Ein entsprechen der Wahlvorschlag liegt auf Ihren Tischen.

Sind Sie damit einverstanden, in offener Wahl über diesen Wahlvorschlag abzustimmen? – Das ist der Fall. Vielen Dank. Wer diesem Wahlvorschlag zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Somit ist Herr Kollege von Eyb einstimmig in den Rat für die Angele genheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württem berg gewählt. – Alles Gute, Herr Abg. von Eyb.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung ein treten, gilt es heute, eine Kollegin aus dem Landtag zu verab schieden. Frau Abg. Sylvia Felder hat mir mit Schreiben vom 11. März 2019 mitgeteilt, dass sie ihr Landtagsmandat mit Ab lauf des 31. März 2019 niederlegen wird.

Der Grund ist für sich genommen ein ausgesprochen erfreu licher: Frau Felder verlässt den Landtag, um das Amt der Re gierungspräsidentin für den Regierungsbezirk Karlsruhe an zutreten. – Zu dieser Ernennung gratuliere ich Ihnen im Na men des ganzen Hauses ganz herzlich.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Frau Kollegin Felder gehört dem Landtag erst seit dem 5. April 2016 an, hat sich aber in kürzester Zeit Respekt und Anerken nung erworben. Ihr Engagement als Mitglied im Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport, im Ausschuss für Europa und Internationales sowie im Oberrheinrat war von hoher Fach lichkeit und Sachkompetenz geprägt.

Grenzüberschreitende Arbeit war für Sie, liebe Frau Felder, ebenso Herzenssache wie die Bildungspolitik, die Sie als Eltern beirätin auch seit vielen Jahren im Praxistest kennen. Als Voll juristin verbanden Sie diese Leidenschaft für Bildungs- und Europafragen mit der Fähigkeit, Themen strukturiert zu ana lysieren und, wenn es sein musste, auch meinungsstark zu ver treten. Sie haben mit Ihren Debattenbeiträgen unserem Hohen Haus sehr gutgetan.

Liebe Frau Kollegin Felder, als langjährige CDU-Kreisvorsit zende, als Kreis- und Stadträtin kennen Sie die Probleme und Anliegen Ihrer Region und der kommunalen Familie bestens. Wenn Sie bald zum Regierungspräsidium Karlsruhe wechseln, können Sie Ihre kommunalen und landespolitischen Erfahrun gen gleichermaßen einbringen.

(Präsidentin Muhterem Aras)

Verbunden mit einem herzlichen Dank für Ihre Tätigkeit als Abgeordnete im Landtag von Baden-Württemberg wünsche ich Ihnen für Ihr neues Amt wie auch Ihnen und Ihrer Fami lie privat alles Gute und viel Erfolg.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Meine Damen und Herren, Sie sehen hinten zwei schöne Blu mensträuße. Das hat natürlich einen Grund: Frau Staatssekre tärin Schütz feiert heute ihren Geburtstag, auch wenn wir noch nicht alle eine Einladung haben.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich Ihnen, liebe Frau Schütz, zum Geburtstag und wünsche alles Gute.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Wir treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte ist überfällig – und liegt in unserer Verantwortung – be antragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Wie immer darf ich auch hier die Mit glieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vor gegebenen Redezeitrahmen zu halten.

In der Aussprache erteile ich für die Fraktion GRÜNE das Wort Herrn Abg. Kern.

Frau Präsidentin, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Eine handgeschnitzte Maske, ein Schä delknochen, hundert Jahre alte Kleidungsstücke – Gegenstän de, die uns etwas über Afrika erzählen könnten, würden sie nicht namenlos und aus jeglichem kulturellen Kontext heraus gerissen in unseren Museen gefangen gehalten.

Namibia, Tansania, Ruanda, Burundi, Kamerun, Kongo, Tschad, Togo, Ghana, Zentralafrikanische Republik – das sind die heu tigen Namen der Staaten, die im Afrika jenseits der Sahara ganz oder teilweise unter deutscher Kolonialherrschaft stan den. Ziel und Zweck dieser Politik war die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien sowie die Festigung des imperia listischen Machtgefüges.

Ihr Ende fand die deutsche Kolonialpolitik unfreiwillig mit dem Versailler Vertrag von 1918. Noch heute, über hundert Jahre später, leiden die betroffenen Staaten unter den gravie renden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Folgen der Kolonialzeit. Die vorübergehende Herrschaft der Deut schen und anderer Kolonialmächte bedeutete für die Bevöl kerung der betroffenen Gebiete Rechtlosigkeit, Ausbeutung und Gewalt. Es gab willkürliche Grenzziehungen; die Kolo nialherren teilten sich die Gebiete nach ihrem Gusto unterei nander auf.

Kolonialherrschaft bedeutete rücksichtlose Herabsetzung an derer Kulturen und – damit verbunden – unrechtmäßige An eignung fremder Kulturgüter. Das unfassbare Leid, das der von Deutschland ausgehende Kolonialismus über diese Men schen und ihre Nachfahren gebracht hat, lässt sich nicht wie dergutmachen.

(Zuruf des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)

Gleichwohl stellen wir uns heute als Erben der Verantwortli chen von damals der Verantwortung. Was können wir aus die ser Verantwortung heraus tun? So vielschichtig und tiefgrei fend die Schäden sind, die durch den Kolonialismus hervor gerufen wurden, so vielschichtig und tiefgreifend muss auch unsere Antwort sein.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Ganz grundlegend muss sich die Bundesrepublik als Rechts nachfolgerin des Deutschen Reiches bei den Betroffenen für die begangenen Verbrechen und das Unrecht des Kolonialis mus entschuldigen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Erst 2016 wurde der Völkermord an den Herero und Nama im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika von der Bundesregierung erstmals als solcher benannt. Das war ein wichtiger Schritt in einem Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.

Als kulturpolitischer Sprecher meiner Fraktion möchte ich mich heute ganz besonders dem Thema Restitution, das heißt der Rückgabe unrechtmäßig erworbener Kulturgüter, widmen.

Auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württembergs wie auch im übrigen Deutschen Reich stieg die Zahl der Exponate in den Museen, Archiven, Hochschulen und privaten Sammlun gen während der Kolonialzeit sprunghaft an. Unzählbare ar chäologische Fundstücke, Kunstgegenstände, rituelle und kul turelle Gegenstände sowie menschliche Gebeine wurden als Ausstellungsgegenstände unter Androhung oder Ausübung von Gewalt aus den kolonialisierten Gebieten nach Europa gebracht und öffentlichen und privaten Sammlungen einver leibt. Der Kolonialismus hat so nicht nur Hunderttausende von Menschenleben gekostet und die betroffenen Gebiete und die dort beheimateten Menschen wirtschaftlich ausgebeutet, durch ihn wurden die Menschen auch ihrer kulturellen Geschichte und damit ihrer kulturellen Identität beraubt. Restitution heißt damit auch, den Betroffenen einen Teil ihrer Identität zurück zugeben.

(Beifall bei den Grünen und der CDU – Vereinzelt Beifall bei der SPD und der FDP/DVP)

Ein gutes Beispiel ist die kürzlich durchgeführte Namibiareise von Ministerin Theresia Bauer, bei der Bibel und Peitsche des früheren Nama-Anführers Hendrik Witbooi zurückgegeben wurden. Die eher bescheidenen Gegenstände haben für die Nachfahren Witboois und für das Volk der Nama unschätzba ren Wert.

Ein gutes Beispiel dafür, wie Restitution geschehen sollte, ist diese Reise aus zweierlei Gründen. Erstens erfolgte die Be

gegnung auf Augenhöhe. Das ist entscheidend. Ein Auftreten in paternalistischer Kolonialherrenmanier verbietet sich,