Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen und die Gespräche einzu stellen. – Vielen Dank.
Von der Teilnahmepflicht befreit sind Frau Abg. Boser, Herr Abg. Deuschle, Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Dr. Rösler und Herr Abg. Walter.
Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ab 11:30 Uhr Frau Ministerin Sitzmann, ab 14:45 Uhr Herr Minister präsident Kretschmann, ab ca. 15 Uhr Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut, bis 11:15 Uhr Herr Staatssekretär Dr. Bau mann und bis ca. 12:30 bzw. 13 Uhr Frau Staatssekretärin Mielich.
Ich bitte um etwas Ruhe. Wir sind mitten in der Sitzung. Die Begrüßungszeremonien können gern später stattfinden. – Vie len Dank.
Auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der AfD für Umbesetzungen im Ausschuss für Wissenschaft, For schung und Kunst (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie den vor geschlagenen Umbesetzungen zustimmen. Vielen Dank.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, muss ich zu meinem Kollegen, Herrn Klenk, doch einen Satz sagen.
Herr Klenk, Sie haben uns gestern ganz schön überrascht, als Sie angekündigt haben, dass Sie uns in Richtung Innenministerium verlassen werden. Aber ich darf Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, beruhigen: Die Sitzungsleitung der nächsten Plenartage ist natürlich gesichert. Herr Klenk bleibt auf jeden Fall so lange Vizepräsident, bis wir einen Nachfolger oder ei ne Nachfolgerin haben.
Aktuelle Debatte – Die Rolle von Kunst und Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – beantragt von der Fraktion GRÜNE
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuelle Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Da rauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Frak tion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landesregie rung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrah men zu halten.
Schließlich darf ich wie immer an dieser Stelle auf § 60 Ab satz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu füh ren ist.
Frau Präsidentin, meine lie ben Kolleginnen und Kollegen! Am 11. April 1968 fielen drei Schüsse auf den linken Studentensprecher Rudi Dutschke. Da raufhin gab es Anschuldigungen gegen den Springer-Verlag, der damals von „der Polizei die Drecksarbeit abnehmen“ ge sprochen hatte, und es gab eine riesige Protestwelle im An schluss.
1968 war ich gerade einmal zehn Jahre alt. Meine Mutter hörte die Beatles im Radio, die deutschsprachige Version von „She loves you“. Was drum herum los war, bekam ich damals nicht wirklich mit.
In diesem Jahr werden die 1968 Geborenen 50 Jahre alt. Die damalige Zeit war geprägt von einem kulturellen Aufbegeh ren. Das wird gerade in der Sonderausstellung über die Sech zigerjahre im Haus der Geschichte gut sichtbar. Nicht nur in Paris, Amsterdam und London, sondern auch in Tübingen und in Heidelberg, in Schwäbisch Hall und in Schorndorf wurde neu verhandelt, was eigentlich Kultur ist und was Kultur will. Der Blues schwappte aus den Vereinigten Staaten über den Großen Teich zu uns ins Ländle. Ohne Eintritt und unter frei em Himmel wurden allerorten Festivals im Stile des Wood stock-Festivals veranstaltet. Eine neue Folk-Musik entwi ckelte sich.
Die Jahre danach waren bestimmt von Demonstrationen ge gen Aufrüstung, gegen Fahrpreiserhöhungen, gegen Atom kraft. Auf der Straße wurden aber nicht nur Parolen gerufen.
Einen Bruch gab es mit den althergebrachten kulturellen For maten. Es entstand auch dort, im Kulturbereich, eine Protest bewegung. Diese mündete nicht nur in die kreative Erfindung neuer Formate, sondern vor allem auch in die Schaffung neu er kultureller Orte in alten Räumen. In den Achtzigerjahren entstanden Kulturinitiativen, kommunale Kinos und soziokul turelle Zentren. Gerade in der Provinz waren und sind heute noch diese Orte oft beides: Ort der kulturellen Teilhabe und Ort der politischen Diskussion. Kunst wurde damit sozial und politisch. Vielleicht ließe sich auch sagen: Die integrative, den Zusammenhalt fördernde Funktion von Kunst und Kultur fand und findet sich in den soziokulturellen Initiativen wieder.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt durch Kultur: Das gab es auch vorher schon, vielleicht nicht gerade in den strikt nach Ständen getrennten Rängen des Königlich Württembergischen Hof-Theaters, aber doch in Musik- und Gesangvereinen, auf dem Tanzboden im Wirtshaus oder bei dem mit Blasmusik umrahmten Volksfest. – „Wo man singt, da lass dich ruhig nie der.“
Und heute? Alles gut? Grau gewordene Achtundsechziger und modisch gekleidete junge Hipster treffen da und dort aufei nander. Das bildungsbürgerliche Publikum ist offen für Klein kunst und Kabarett im soziokulturellen Zentrum, es liest be geistert Literatur, lässt sich durch Inszenierungen auf den The ater- und Opernbühnen des Landes je nach Gusto provozie ren oder amüsieren und weiß sich im Museum selbstverständ lich „kunstgerecht“ zu benehmen. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn das alles wäre, was Kunst und Kultur zum gesell schaftlichen Zusammenhalt beizutragen haben, dann wären wir in Baden-Württemberg arm dran.
Stärker noch als vor einigen Jahren merken wir, vor welch großen Herausforderungen wir, die Gesellschaft, stehen. Das fängt bei der ökologischen Krise in einer globalisierten Welt an; Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind hier die Antwor ten. Aber es gibt heute eben auch eine Krise des Sozialen. Die Fliehkräfte sind stärker geworden. Die Lebenswirklichkeiten der Menschen entwickeln sich auseinander. Herkunft spielt wieder eine größere Rolle, etwa wenn es um den Bildungs aufstieg geht. Die Bewohnerinnen und Bewohner der solcher art individualisierten Lebenswelten schotten sich zunehmend voneinander ab. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir uns mit wachsender Geschwindigkeit wieder der Ständegesell schaft des 18. Jahrhunderts nähern.
Zunehmend beobachte ich auch so etwas wie eine digitale Ver schmutzung unserer sozialen Umwelt. Das mag die eine, das mag der andere nicht gern hören. Aber es ist doch so: Digitale Medien tragen eher dazu bei, die Gesellschaft auseinanderzu treiben, als sie zusammenzuhalten. Damit müssen wir umzu gehen lernen.
Auch das möchte ich sagen: Das World Wide Web wirkt als Verstärker für Verschwörer und rechte Populisten. Damit ist unsere Welt lauter und rauer geworden, was ich sehr bedaure.
Welche Antworten aber haben wir auf die soziale Krise und auf die zunehmende Entfremdung der Menschen? Eine wich tige Antwort liegt für mich in der Rolle, die Kunst und Kul tur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen. Es geht mir nicht darum, Kunst und Kultur eine bestimmte Form, ei ne bestimme Funktion aufzudrücken. Die Kunst ist und bleibt frei. Es geht darum, Türen zu öffnen, Brücken zu bauen.
Lassen Sie mich drei solcher Brücken nennen. Zuerst kommt für mich die kulturelle Bildung. Welchen anderen Ort als die Schule haben wir, um jedes Kind erreichen zu können? Kul turelle und ästhetische Bildung kommen nicht von allein. Mu sik wird anders wahrgenommen, wenn man selbst ein Instru ment spielt. Bilder und Bücher öffnen sich, wenn Anspie lungen verstanden und Formen gedeutet werden können. In schulischen Theaterprojekten wird der Rollenwechsel einge übt: den anderen verstehen und nachfühlen, Empathie lernen.
Seit 2011 setze ich mich dafür ein, kulturelle Bildung stärker zu machen, und ich werde das auch weiterhin tun. Die Lan desvereinigung Kulturelle Jugendbildung, der Landesverband Theater in Schulen, die Musikschulen, die Jugendkunstschu len, die Kinder- und Jugendtheater, die Tanzszene und alle an deren, die sich für kulturelle Bildung starkmachen, haben un sere Unterstützung verdient.
Ich denke zweitens an kulturelle Teilhabe, an eine Öffnung der Kulturinstitutionen für alle. Dazu kann, wie es beim Würt tembergischen Landesmuseum mithilfe privater Förderer ge rade erprobt wird, der Verzicht auf Eintrittsgelder gehören. Noch läuft dieser Versuch. Die ersten Zahlen sind sehr posi tiv. Ich zitiere dazu aus den „Stuttgarter Nachrichten“ vom 4. April:
Wenn die Besucher mit dicken Jacken und Rucksäcken in die Ausstellung stürmen, dann ist das für Cornelia Ewig leben ein sehr gutes Zeichen. Selbst wenn jemand eine Skulptur anfassen will, ist das Aufsichtspersonal zwar ge fordert, aber an sich erfreut die Direktorin des Landes museums Württemberg diese Neugier.... Und offensicht lich hat das... Besucher angelockt, die vorher noch nie in einem Museum waren.
Hier zeigt sich, dass der Verzicht auf Eintritt nur einen von mehreren Bausteinen darstellt. Der Geldbeutel ist sicherlich eine große Hürde, wenn es darum geht, Kultureinrichtungen für alle Menschen zu öffnen. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, wer überhaupt auf die Idee kommt, ins Museum zu gehen, sich eine Oper oder Ballettaufführung anzusehen oder gar selbst künstlerisch aktiv zu werden. Was muss sich bei spielsweise an Ausstellungskonzepten ändern, damit ein Mu seum für neue Besucherschichten attraktiv wird? Das sind große Fragen.
Damit ist die dritte Brücke angesprochen: die Maßnahmen der Kulturvermittlung, die über die klassische Förderung der Kul turinstitutionen hinausgehen. Ich denke hier beispielsweise auch an ein Theater, das seine traditionelle Spielstätte verlässt und in einem Brennpunktstadtteil einen Container aufstellt, um in diesem Stadtteil zu spielen.
Ich freue mich, dass das Ministerium für Wissenschaft, For schung und Kunst sich aktiv der Kulturvermittlung in die Ge sellschaft hinein widmet, denn dabei geht es genau um diese Fragen.
Mit Übernahme der Regierungsverantwortung haben wir den Innovationsfonds Kunst eingeführt. Für die Förderung des ge sellschaftlichen Zusammenhalts durch Kunst und Kultur ist er eine wunderbare Sache. Wenn ich die Projektlisten durch blättere, bin ich immer wieder berührt davon, wie kreativ und ideenreich die erfolgreichen Anträge badischer und württem bergischer Kultureinrichtungen gerade in den Förderlinien „Kulturelle Bildung“ und „Interkultur“ sind. Hier wird das große Potenzial sichtbar, das in Theatern, Museen, Kulturver einen und vielen Einrichtungen steckt. Dieses Potenzial gilt es für die Gesellschaft nutzbar zu machen.
Die Förderung aus dem Innovationsfonds bleibt jedoch auf Projekte beschränkt. Wenn Kunst und Kultur nachhaltig zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen, wenn sie als Ge gengift zu Hass und Gewalt wirken sollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die sie tragenden Einrichtungen ständigen Zugang zu dem Laboratorium haben, welches es braucht, um sich selbst neu zu erfinden.
Kulturelle Bildung von Anfang an, Kultureinrichtungen, die sich öffnen und sich neu erfinden, neue Wege der Kulturver mittlung, das sind die Antworten, die wir 50 Jahre nach den Schüssen auf Rudi Dutschke kunstpolitisch auf die heutige soziale Krise geben können. Lassen Sie uns gemeinsam die genannten Brücken beschreiten, um die Spaltung der Gesell schaft zu überwinden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu, mit dem The ma, das heute in der Aktuellen Debatte aufgerufen wird, ha be ich nicht unbedingt gerechnet.
Jetzt mag das daran liegen, dass Rudi Dutschke und die 68erBewegung mir etwas weniger nahe sind als dem Kollegen Kern.
(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der AfD – Ver einzelt Beifall bei der CDU – Abg. Manfred Kern GRÜNE: Das ist eine Altersfrage! – Weitere Zurufe)