Protokoll der Sitzung vom 21.03.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen und die Gespräche möglichst einzustellen bzw. nach außerhalb des Plenarsaals zu verlagern, sollten sie ganz wichtig sein. – Vie len Dank.

Ich eröffne die 58. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Würt temberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Deuschle, Herr Abg. Dr. Fulst-Blei, Frau Abg. Krebs, Herr Abg. Räpp le, Herr Abg. Voigtmann sowie Frau Abg. Wolle.

Auf Ihren Tischen finden Sie jeweils einen Vorschlag der Fraktion der AfD und der Fraktion der SPD

(Unruhe)

ich bitte um etwas Ruhe – für Umbesetzungen im Petitions ausschuss (Anlagen 1 und 2). – Ich stelle fest, dass Sie den vorgeschlagenen Umbesetzungen zustimmen. Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, wir haben heute ein Geburtstags kind in unseren Reihen. Sehr geehrte Frau Abg. Dr. Baumann, ich gratuliere Ihnen – –

(Abg. Udo Stein AfD: Dr. Baum! – Abg. Nicole Ra zavi CDU: Ohne „mann“! – Weitere Zurufe)

Frau Dr. Baum, natürlich, sorry. Sehr geehrte, liebe Frau Abg. Dr. Baum, ich gratuliere Ihnen im Namen des ganzen Hauses herzlich zum Geburtstag und wünsche Ihnen alles Gu te.

(Beifall bei der AfD und Abgeordneten der CDU)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf.

(Unruhe)

Es ist hier ein sehr hoher Geräuschpegel. Es wäre schön, wenn Sie die Gespräche einstellen könnten.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: An mir liegt es nicht!)

Da wäre ich mir nicht so sicher, Herr Abg. Lede Abal.

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Sascha Binder SPD: Doch, dem ist so! Da nehme ich ihn in Schutz!)

Wir fangen noch einmal an.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Regierungsinformation durch den Ministerpräsidenten zum Zwischenstand „Strategiedialog Automobilwirt schaft BW“ und zu den Aktivitäten der Landesregierung zur Transformation der Mobilität

und Aussprache

Dazu erteile ich das Wort Herrn Ministerpräsident Kretsch mann.

Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren! Die aktuelle Autodebatte ist dominiert vom Blick in den Rückspiegel. Es geht um DieselGate und Abgasaffäre, Software- und Hardwarenachrüstun gen und um „Fahrverbote, ja oder nein?“.

Das sind alles wichtige Themen, und sie erfordern große An strengungen. Das gilt besonders für saubere Luft in unseren Städten. Wir dürfen uns aber nicht mit dem Blick in den Rück spiegel begnügen. Denn sonst übersehen wir die Mobilitäts revolution, die gerade in vollem Gang ist –

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

so, wie viele vor 130 Jahren die Erfindung des Autos nicht be griffen haben. Der Große Brockhaus schrieb im Jahr 1896:

Die Erfindung eines Gottlieb Daimler wird für die Ent wicklung des Verkehrsgeschehens wohl ohne große Be deutung bleiben.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Eine solche Fehleinschätzung können wir uns heute nicht mehr leisten. Denn die Zeitenwende beim Automobil ist eine Schicksalsfrage: Sie entscheidet darüber, ob Baden-Württem berg auch in Zukunft das führende Autoland bleibt.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der AfD)

Was treibt diese Zeitenwende an? Da ist zum einen der Kli mawandel. Er verlangt ein schnelles Umsteuern hin zum emis sionsfreien Automobil. Der Kampf gegen die globale Erwär mung ist d i e Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts. Oder, um ein Bild des Klimaforschers Hans Joachim Schelln huber zu verwenden: „Der Klimawandel ist wie ein Asteroi deneinschlag in Superzeitlupe.“ Wenn der Einschlag kommt, ist es vorbei mit dem Leben, wie wir es kennen.

(Ministerpräsident Winfried Kretschmann)

Darum müssen wir jetzt die alternativen Antriebe voranbrin gen und den Weg vom fossilen zum postfossilen Auto gehen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Die zweite große Veränderung bringt die Digitalisierung mit sich. Das Auto entwickelt sich vom gesteuerten zum assistier ten und selbst steuernden Fahrzeug, vom Datenneutrum zum Datenzentrum. Es wird autonom unterwegs sein und dem Nut zer digitale Serviceangebote machen. Ausgestattet mit zahl reichen intelligenten Kameras, Sensoren und softwaregestütz ten Steuerungssystemen verfügt es über mehr Computertech nik als manch kleines Rechenzentrum. Damit eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten – etwa für mobile Dienstleistungen –, aber es ergeben sich auch ernst zu nehmende Sicherheits fragen, wie wir ja gerade erfahren haben.

Dazu kommt eine dritte große Veränderung. Durch digitale Plattformen und eine neue Mobilitätskultur wird das Auto vom Kernprodukt zu einem Puzzleteil vernetzter Mobilität. Für im mer mehr junge Leute ist das Auto längst kein Statussymbol mehr, sondern Mittel zum Zweck. Sie wollen es benutzen, aber nicht unbedingt besitzen. Zu diesen kulturellen Verände rungen kommen neue Angebote der digitalen Plattformöko nomie wie Uber oder moovel. All das verändert die Mobilität von Grund auf. Das Auto ist nicht mehr isoliertes Fortbewe gungsmittel, sondern Baustein eines neuen, umfassenden Mo bilitätssystems.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Aber nicht nur das Auto verändert sich fundamental, sondern auch der Markt. Der Automobilmarkt des 20. Jahrhunderts wird abgelöst von einem Mobilitätsmarkt des 21. Jahrhun derts. Der Konkurrenzdruck nimmt zu.

Wir werden von zwei Seiten in die Zange genommen. Im Wes ten wird unsere Automobilbranche von neuen Wettbewerbern wie Tesla und Waymo herausgefordert. Im Osten haben Chi na, Südkorea und Japan die Nase bei der Batterieproduktion vorn – und damit bei der entscheidenden Schlüsseltechnolo gie für das Elektroauto.

Dazu kommen neue Player: Softwarekonzerne und Internet riesen wie Google und Tencent oder Mobilitätsdienstleister wie Uber und Didi Chuxing. Sie alle rauschen mit rasantem Tempo auf der Überholspur heran und wollen die Unterneh men in unserem Land verdrängen. Dabei handelt es sich letzt lich auch um einen Wettbewerb der Gesellschaftssysteme. China vertritt selbstbewusst das Konzept der autoritären Mo dernisierung. Unsere liberale Demokratie und unsere soziale Marktwirtschaft müssen beweisen, dass sie die Transformati on schnell und erfolgreich meistern.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Baden-Württemberg befindet sich im Epizentrum dieser Aus einandersetzung. Klar ist: Das emissionsfreie, autonome und vernetzte Auto der Zukunft wird kommen. Die Frage ist nur: Wird es in Fremont, Wuhan oder Sindelfingen vom Band rol len?

Wir wollen die Transformation zu einem doppelten Erfolg ma chen: zum Erfolg für unser Klima und die Gesundheit der

Menschen in unseren Städten und zum Erfolg für die Unter nehmen und die Arbeitnehmer im Land.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Dafür brauchen wir eben auch neue politische Formate, die der Komplexität und dem Tempo des Wandels gerecht wer den und die Probleme langfristig und zielgerichtet angehen.

Deshalb habe ich als erster Ministerpräsident überhaupt einen Strategiedialog zur Transformation der Automobilwirtschaft gestartet. Dabei arbeiten Politik, Automobilwirtschaft, Zulie ferer, Arbeitnehmer, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eng zusammen, um gemeinsam die Transformation zu gestalten.

Ich sage Ihnen: Der Strategiedialog ist keine Showveranstal tung, sondern eine institutionalisierte Zusammenarbeit aller Player mit effektiven Projektstrukturen und schnellen Ent scheidungswegen. Er ist auch kein Kaffeekränzchen. Wir dis kutieren auch schwierige Fragen, sprechen Probleme klar an und ringen um die besten Ideen und Konzepte. Vor allem aber packen wir die Dinge gemeinsam an.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Deswegen möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, Ihnen in einer frühen Phase des Strategiedialogs einen ersten Zwi schenbericht zu geben.

Nachdem ich im Mai 2017 zum ersten Spitzentreffen einge laden hatte, hat der Ministerrat im vergangenen Juli die Struk tur des Strategiedialogs beschlossen. Wir gehen in sieben stra tegischen Handlungsfeldern die wichtigsten Zukunftsaufga ben systematisch an.