Protokoll der Sitzung vom 12.04.2018

Ich darf jetzt das Wort dem Kollegen Walter für die Fraktion GRÜNE erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst kann ich sagen: Wir werden dem Wunsch der Ministerin entsprechen und zustimmen.

Das nächste Schuljahr, meine Damen und Herren, markiert einen weiteren Meilenstein in der baden-württembergischen Schulpolitik. Die ersten gymnasialen Oberstufen werden an den Gemeinschaftsschulen eingerichtet. Mit dem vorliegen

den Gesetzentwurf wird der dafür notwendige Rahmen ge schaffen. Besonders hervorheben möchte ich, dass die Ge meinschaftsschulen ein wohnortnahes Angebot darstellen, das auf alle Schulabschlüsse vorbereitet. Auch deswegen brau chen wir dort die gymnasiale Oberstufe. Sie ist zudem ein wichtiger Beitrag, um die Durchlässigkeit unseres Schulsys tems weiter zu verbessern.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Raimund Ha ser CDU)

Die Ministerin hat schon zu Recht darauf hingewiesen: Die elfte Klasse erfüllt dabei die wichtige Funktion, den Übergang in die Oberstufe zu gewährleisten. Analog zu den beruflichen Gymnasien wird mit der zweiten Fremdsprache für all dieje nigen begonnen, die bisher nur eine Fremdsprache erlernten. Danach ist die Oberstufe wie beim allgemeinbildenden Gym nasium ausgestaltet und führt zum selben Abschluss.

Erfreulich ist: In Konstanz liegen bereits 60 Anmeldungen vor. Auch Tübingen wird sicherlich erfolgreich werden. Bei de Beispiele strafen all diejenigen Lügen, die immer noch ge gen die Gemeinschaftsschule polemisieren,

(Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Andreas Ken ner und Martin Rivoir SPD)

zumal mit Stuttgart, Wutöschingen, Bad Rappenau und bald wohl auch Esslingen die nächsten Kommunen vor der Tür ste hen. Ich möchte mich in diesem Zusammenhang bedanken und ein großes Lob für das Engagement und für die Pionier arbeit aussprechen, die besonders in diesen Schulen, die hier mit nun Neuland betreten, geleistet wird.

(Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Raimund Ha ser CDU)

Ein weiterer wichtiger und richtiger Punkt des Gesetzes ist, dass Gemeinschaftsschulen zukünftig mehr fachliche Bera tung bekommen, dass die Fachaufsicht für die gymnasiale Oberstufe von den Staatlichen Schulämtern an die Regie rungspräsidien wechselt.

Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die Grundlagen für die Bildung eines Schulverbunds. Wir begrüßen diese Än derung, denn dies erweitert die Gestaltungsmöglichkeiten der Schulträger, um eine passgenaue Lösung vor Ort zu entwi ckeln und somit auch Standorte zu erhalten.

Zweifelsfrei – meine Damen und Herren, lassen Sie mich das allgemein noch einmal sagen – ist die Gemeinschaftsschule das Modell der Zukunft. Denn Lernen muss so organisiert werden, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche optimal gefördert und gefordert werden. Es ist in diesen Zeiten so viel von der Spaltung unserer Gesellschaft die Rede. Die Spaltung – das wissen wir – beginnt mit der Bildung. Sie ist auch ein Ergebnis unseres jahrzehntelang auf Selektion und nicht auf Förderung setzenden Schulsystems. Darauf – das zeigen auch alle anderen Länder, in denen zumindest länger gemeinsam unterrichtet wird – ist die Gemeinschaftsschule die richtige Antwort.

(Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Gerhard Kleinböck SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss beispielhaft noch einen weite ren Grund nennen, warum die Gemeinschaftsschulen vorbild lich und zukunftweisend sind. Sie alle kennen die Firma Trumpf in Ditzingen. Sie unterwirft sich einem ständigen Mo dernisierungsprozess, um den Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft gerecht zu werden. Der frühere Ausbildungs leiter der Firma Trumpf, Herr Andreas Schneider, hat in der „Stuttgarter Zeitung“ vom 28. März dieses Jahres ein bemer kenswertes Interview gegeben. Darin sagte er u. a.:

Wir haben uns immer gefragt, warum Menschen mit ver gleichbaren Noten einen so unterschiedlichen Ausbil dungsverlauf nehmen.

Seine Antwort lautet:

Eine Note beschreibt nicht die Nachhaltigkeit der er brachten Leistung. Wissen ist flüchtig, solange es nicht emotional angebunden ist, es also nicht gelernt wurde. Wenn Schüler eine Klassenarbeit Wochen später unange kündigt nochmals schreiben, sind die Noten deutlich schlechter....

Wir brauchen bei der Auswahl der Auszubildenden eine potenzialorientierte faire Aussage, die die Berufsbefähi gung des Schulabgängers in den Mittelpunkt stellt. Und das ist definitiv nicht die Schulnote.

Weiter heißt es dort:

Pädagogen müssen das Lernen aktivieren. Sie dürfen die Schüler nicht als Festplatte missbrauchen, um irgendet was abzuspielen und bei Klassenarbeiten wieder abzuru fen.

Sie sehen, meine Damen und Herren, auch hier trifft das pä dagogische Konzept der Gemeinschaftsschule mit den Anfor derungen einer zukunftsorientierten Wirtschaft zusammen.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Andreas Ken ner SPD)

Im Namen meiner Fraktion kann ich daher zusagen, den Ge meinschaftsschulen auch zukünftig die notwendige ideelle, fi nanzielle und organisatorische Unterstützung für ihre wert volle Arbeit zu geben.

Meine Damen und Herren, in diesen Zeiten erleben wir alle, häufig mit wenig Freude, dass in unserer Gesellschaft wieder ein gewisses Retro-Denken zum Vorschein kommt und dass zu wenig über die Zukunft nachgedacht wird, dass die Zukunft auch bei politischen Entscheidungen zu wenig vorkommt. Je besser wir aber auf die Zukunft vorbereitet sind – die einfach kommen wird –, desto leichter werden wir diese meistern. Die Veränderungen – wir alle wissen es; ich nenne nur das Stich wort Digitalisierung – vollziehen sich rasend.

Deswegen möchte ich mit einem Zitat von Professor Druyen aus Wien enden, der als Soziologe ein Buch mit dem Titel „Die ultimative Herausforderung – über die Veränderungsfä higkeit der Deutschen“ geschrieben hat. Er sagt:

Die Kompetenz, die wir haben, wenn ein Problem da ist, müssen wir gewissermaßen nach vorne verlegen. Das gilt für uns als Individuen ebenso wie für das politische Sys tem.

In diesem Sinn sind die Gemeinschaftsschulen ein wichtiger Schritt nach vorn.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Haser.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Walter, man muss nicht in allen Punkten im mer einer Meinung sein, um gemeinsam eine erfolgreiche Re gierung zu bilden und eine erfolgreiche Koalition zu haben. Wir sehen in einem differenzierenden, differenzierten Schul system kein Auslesemodell und auch keine Teilung der Ge sellschaft, sondern wir stehen deswegen zu diesen Modellen, weil wir glauben, dass dadurch jedes Kind so gefördert wird, wie es für dieses Kind am besten ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/ DVP: Richtig! Sehr richtig!)

Die maximal zehn Oberstufen an Gemeinschaftsschulen, über die wir heute sprechen, werden weder die Welt in ihren Grund festen erschüttern, noch werden sie die Bildungspolitik in die sem Land auf einen neuen Stern beamen. Das wird bereits an den Zahlen deutlich: Wir haben nun 139 tatsächliche Anmel dungen in Konstanz und Tübingen. Diese stehen ungefähr 52 000 Elftklässlern in anderen gymnasialen Oberstufen ge genüber; das entspricht einem Anteil von 0,2 % der Schüle rinnen und Schüler.

Dies hält natürlich die Zeitungen nicht davon ab, seitenlang über dieses Thema zu berichten, und es hält insbesondere auch Bürgermeister und Gemeinderäte nicht davon ab, von Ober stufen zu träumen, die sie nicht erreichen werden. In der letz ten Woche wurde in der Zeitung beispielsweise über einen Rektor berichtet, der den Vorschlag machte, die Zehntkläss ler nach Ende des Schuljahrs doch in ein Freiwilliges Sozia les Jahr zu schicken, um ihnen Gelegenheit zu geben, ein Jahr später die dann bestehende elfte Klasse in einer gymnasialen Oberstufe der Gemeinschaftsschule zu besuchen. Dies halte ich gelinde gesagt für sehr abenteuerlich.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Eine Dreistigkeit! – Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Wo war das? – Abg. Jürgen Walter GRÜNE: Woher haben Sie das?)

Wie die Ministerin ausgeführt hat – darin sind wir uns ja auch einig –, endet die Schule ohne Noten – – Das war in Wut öschingen, im Gemeinderat.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Wo haben Sie das denn her?)

Aus dem „Südkurier“. Ich zeige Ihnen den Artikel nachher.

Nach der zehnten Klasse endet definitiv die Schule ohne No ten. Wir müssen uns an dieser Stelle an die Kultusminister konferenz halten; das heißt, es gibt kein Abitur ohne Noten. Was in der Gemeinschaftsschule nun auch neu dazukommt, ist, dass, wer das Klassenziel der elften Klasse nicht erreicht, die elfte Klasse wiederholen muss. 40 Kurse sind zu absolvie ren, und relevant sind die dort zu erzielenden Punkte.

Es ist kein Geheimnis, dass dieses Projekt nicht zu unseren Lieblingsprojekten zählt. Ich glaube, so ehrlich muss man auch sein. Aber wir haben an dieser Stelle einen guten Kom promiss mit den Grünen gemacht, und wir stehen auch zu die sem Kompromiss und werden diesem Gesetz in Gänze zu stimmen.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es!)

In den Koalitionsverhandlungen haben wir uns auch deswe gen auf bis zu zehn Gemeinschaftsschulen verständigt, weil wir der Meinung sind, dass das Potenzial gar nicht für viel mehr Schulen reicht. Das liegt natürlich an den hohen Hür den. Aber diese hohen Hürden – das möchte ich ausdrücklich sagen, weil es immer wieder falsch herüberkommt – sind in diesem Zuge nicht erst erfunden worden; sie sind schon im mer Teil des Schulgesetzes.

Eine gymnasiale Oberstufe braucht eine stabile Vierzügigkeit in der Eingangsklasse; sie braucht prognostiziert 60 Schüler, und zwar nicht nur in einem Jahrgang, sondern auch in den darauffolgenden Jahrgängen. Wir achten nun einmal sehr ge nau darauf, dass diese Kriterien eingehalten werden, denn in der Oberstufe gibt es eben keine regionale Schulentwicklung. Das heißt, wenn wir die Oberstufe eingeführt haben, haben wir sie eingeführt, und es ist unglaublich schwer, sie wieder wegzunehmen.

(Glocke der Präsidentin)

Deswegen müssen wir an dieser Stelle auch die Sorgfalt wal ten lassen,...

Herr Abg. Haser!

... die man in der letzten Legis latur bei der Einführung der Gemeinschaftsschule eben nicht hat walten lassen.

(Abg. Daniel Born SPD: Da hätten doch die Kriteri en gereicht!)

Ja, ich lasse die Frage zu.

(Glocke der Präsidentin)