Protokoll der Sitzung vom 13.06.2018

Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 64. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.

Von der Teilnahmepflicht befreit sind Frau Abg. Bay, Frau Abg. Böhlen, Herr Abg. Kopp, Herr Abg. Palka sowie Herr Abg. Dr. Rapp.

Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich bis 15 Uhr Frau Ministerin Dr. Hoffmeister-Kraut, ab 13 Uhr Frau Staats sekretärin Olschowski, ab 17 Uhr Frau Ministerin Dr. Eisen mann. Außerdem ganztägig entschuldigt ist Herr Staatsminis ter Murawski.

Auf Ihren Tischen finden Sie einen Vorschlag der Fraktion der SPD für eine Umbesetzung im Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (Anlage). – Ich stelle fest, dass Sie der vorgeschlagenen Umbesetzung zustimmen. Vielen Dank.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich die freudi ge Mitteilung zu machen – da hinten findet es schon statt –: Wir haben ein Geburtstagskind in unseren Reihen. Lieber Herr Staatssekretär Volker Schebesta, im Namen des ganzen Hau ses wünsche ich Ihnen alles Gute und weiterhin viel Erfolg.

(Beifall bei allen Fraktionen und auf der Regierungs bank)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Digital blamiert: Bildungsplattform „ella“ vor dem Aus?! – beantragt von der Fraktion der SPD

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, Kolleginnen und Kollegen! „ella“ steht bislang für „Elek tronische Lehr- und Lernassistenz“ – noch. Denn – Vorsicht, Ironie! – die Digitalisierungsoffensive des Landes schreitet machtvoll voran, und man bleibt sich dabei treu.

Als Ministerpräsident Kretschmann und Minister Strobl ihre bescheidenen Pläne im Dezember 2016 erstmals vorstellten, kam in der gleichen Woche heraus, dass aufgrund der ökokon servativen Streichung von über 1 000 Lehrerstellen der Infor matikunterricht gleich in Teilen mitgestrichen wird.

Letzte Woche dann die erneute digitale Blamage: Auf den Ver such, sich dienstags mit einer Zwischenbilanz abfeiern zu las sen, folgt Ernüchterung. Die dringend erwartete schulische Bildungsplattform „ella“ steht vor dem Aus. Ein externes Gut achten bestätigt: Die Bildungsplattform ist in ihrer derzeiti gen Konzeption mit den derzeitigen Projektpartnern technisch nicht umsetzbar.

Laut Gutachten gibt es nun zwei Handlungsoptionen, die bei de mit erheblichen finanziellen Unsicherheiten, ungewisser zeitlicher Verzögerung sowie unklaren Erfolgschancen ein hergehen. Was für ein Desaster!

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)

Bisher hatte man sich ja durchaus mit fremden Federn, näm lich den von uns initiierten Projekten wie den Lernfabriken 4.0 und dem Tablet-Projekt, geschmückt. Das erste eigene Di gitalisierungsprojekt der grün-schwarzen Landesregierung en det dagegen im Fiasko.

Bereits auf der Pressekonferenz zum ersten Digitalisierungs bericht letzten Dienstag fragten Journalisten natürlich nach „ella“. Aber da gaben der Ministerpräsident und sein Digita lisierungsminister lieber die Unwissenden bzw., wie wir seit gestern wissen, die Gelassenen. 8,7 Millionen € an die Wand gefahren? Halb so schlimm, man könne auch mal ins Risiko gehen. Herr Ministerpräsident, in welcher Welt leben Sie ei gentlich mittlerweile?

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Aber immerhin, Sie konnten sich auf Frau Ministerin Eisen mann verlassen. Sie hat nämlich die Ausgabe des Gutachtens an die Opposition gekonnt hinausgezögert. Das Gutachten lag schon vor den Pfingstferien vor. Letzten Montag hatten es aber die Parlamentarier immer noch nicht. Frau Ministerin Eisen mann, herzlichen Dank auch für Ihre freundliche Mail, dass

Sie veranlasst haben, uns das Gutachten wie versprochen zu kommen zu lassen, das Ganze sogar fürsorglich und für eine digitale Leitregion durchaus angemessen nicht per Mail, son dern per Post – mit dem zufälligen Nebeneffekt, dass es uns nicht am Dienstag, also parallel zu Ihrer Jubelkonferenz, er reicht hat, auch nicht am Mittwoch parallel zum Plenartag, sondern erst am Mittwoch gegen Abend. Was für ein peinli ches Spiel!

(Beifall bei der SPD und des Abg. Klaus Dürr AfD)

Frau Ministerin, niemand verlangt von Ihnen, dass Sie die Bil dungsplattform selbst programmieren. Was wir aber von Ih nen verlangen, ist, dass Sie bei den Punkten Vertragsgestal tung und Qualitätssicherung ordentlich arbeiten. Das haben Sie offensichtlich nicht getan. Warum haben Sie nur einen Let ter of Intent abgeschlossen – in welchem übrigens ausdrück lich auf die unverzügliche Notwendigkeit einer weiteren ver traglichen Regelung hingewiesen wird, die Sie dann aber komplett unterlassen haben? Was ist jetzt mit der Haftung?

Im Ausschuss versuchten Sie, diese Versäumnisse sogar noch als Tugend zu verkaufen: Man müsse erst auf der Grundlage des Gutachtens über eine weitere vertragliche Vereinbarung entscheiden. Genau deshalb bestehen aktuell aber keine Ge währleistungsrechte, kam doch dieses Desaster möglicherwei se auch erst mangels Präzisierung zustande. Die 8,7 Millio nen € sind wohl weg – und keine Spur von einer funktions tüchtigen Bildungsplattform.

Warum haben Sie erst beim Scheitern des Projekts einen ex ternen Gutachter eingestellt? Hätte ein Projekt dieser Größen ordnung und Komplexität gerade aufgrund der Tatsache, dass das Kultusministerium diese Expertise nicht liefern kann, nicht von Anfang an begleitet werden müssen? Für eine Mi nisterin ist es unseres Erachtens jedenfalls viel zu wenig, vom Stocken der Bildungsplattform kalt erwischt zu werden und über das Gutachten nur erschrocken zu sein. Warum haben Sie sich diesem Thema nicht selbst früh gewidmet, ja bis zum Abbruch noch nicht einmal eine Lenkungsgruppe eingerich tet?

Daher, Herr Ministerpräsident: „Halb so schlimm“? Nein, fahrlässig! Risikoorientiert? Nein, dilettantisch!

Missstände werden beim Blick ins Innenministerium sehr deutlich. Ministerialdirektor Krebs versichert uns im Aus schuss, „ella“ habe fortan höchste Priorität. Herzlichen Glück wunsch! Das ist ein bisschen spät; finden Sie nicht auch?

Oder soll es uns etwa beruhigen, dass Sie erst jetzt Ihrer Fach- und Dienstaufsicht über BITBW nachkommen? Die „Stutt garter Nachrichten“ vom 11. Juni zitieren Herrn Krebs mit den Worten, man müsse nun gemeinsam schlauer werden. Da ist er immerhin schon einmal einen Schritt weiter als Minister Strobl. Denn der weiß am liebsten gar nichts zum Großpro jekt „ella“.

Damit nicht genug: Gleiches gilt für den Projektpartner KIVBF, dem das Innenministerium schriftlich eine InhouseFähigkeit bescheinigte. Trotz des geplanten Projektumfangs von 28,7 Millionen € wurde daher keine Ausschreibung, son dern lediglich eine Marktsichtung vorgenommen. Inhouse-Fä higkeit bedingt jedoch Kontrolle. Der Projektverlauf zeigt

aber, dass Minister Strobl und seine BITBW keinerlei Kont rolle hatten. Oder wie erklären Sie, Herr Strobl, sonst, dass Sie drei Tage vor dem Start der Bildungsplattform im Febru ar nicht einmal im Ansatz wussten, wie schlecht es um das Projekt wirklich steht? Ein schweres Versäumnis – Ihr Ver säumnis.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD)

Nein, meine Damen und Herren von der Regierungsbank, Sie können sich nicht wegducken. Ihre Aufgabe ist es, zu wissen, was in Ihren Häusern vorgeht und wie die von Ihnen beauf tragten Projekte verlaufen, vor allem, wenn Sie dafür Millio nen an Steuergeldern verwenden. So zu tun, als hätten Sie von nichts gewusst, ist ein Offenbarungseid. „ella“ läuft völlig aus dem Ruder.

Ich wiederhole unsere Forderung, die wir gemeinsam mit der FDP/DVP in der letzten Sitzung des Bildungsausschusses er hoben haben: Der Rechnungshof sollte sich dringend mit die sem Vorgang auseinandersetzen.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)

Pikant ist übrigens: Nachdem die bildungspolitische Spreche rin der Grünen, Boser, laut ihrem Statement im Ausschuss ei gentlich keinen Mehrwert in der Aufklärung des Sachverhalts um „ella“ sieht und nun lieber nach vorn schaut, schiebt sie die Schuldfrage offensiv in Richtung Minister Strobl. Wir ha ben mit dem ewigen grünen Schuldabdrücken auch unsere Er fahrungen gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oh-Rufe von den Grünen)

Richtig lächerlich war es dann letzte Woche, als Kollegin Bo ser behauptet hat, das alte Kultusministerium hätte versäumt, klare Zieldefinitionen zu erarbeiten. Geht es noch?

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Ja, so war es halt! – Abg. Sandra Boser GRÜNE: Ja! – Gegenruf von der SPD: Völliger Unfug!)

Der Kabinettsbeschluss, dass es überhaupt eine Bildungsplatt form geben soll, wurde im Dezember 2015 gefasst. Dabei ging es um die von uns initiierte Ausweitung des Informatikunter richts.

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Ja, unter Kultusminis ter Stoch!)

Dann war Wahlkampf im Jahr 2016. Wir reden von drei Mo naten. Schon vergessen, liebe Grüne? Ihr regiert seit über zwei Jahren.

(Abg. Sandra Boser GRÜNE: Sie vergessen gern!)

Ihr habt mit den Schwarzen zusammen 8,7 Millionen € ohne vertragliche Absicherung ausgegeben und „ella“ voll an die Wand gefahren.

(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)

Frau Ministerin Eisenmann, Herr Minister Strobl, wir haben eine klare Erwartungshaltung an Sie. Nehmen Sie die Heraus forderung der digitalen Wende endlich ernst.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Machen Sie transparent, wer für den Schaden – materiell wie politisch – die Verantwortung trägt. Zeigen Sie nicht nur Ent setzen, sondern zeigen Sie Lösungswege auf. Prüfen Sie ge wissenhafter als bisher die Handlungsmöglichkeiten, und un terbreiten Sie uns einen Vorschlag für „ella“. Stellen Sie si cher, dass die Schulen spätestens Anfang 2019 damit arbeiten können.

Ansonsten werden einige „ella“ in Zukunft ganz anders über setzen, nämlich mit „Eisenmann liefert leider Ausschuss“ – Ausschuss in der Bedeutung von Pfusch. Lustig ist aber si cherlich anders.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP sowie des Abg. Klaus Dürr AfD)