Protokoll der Sitzung vom 29.06.2016

(Anhaltender Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsitzendem Dr. Rülke.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ministerpräsident – von dem ich annehme, dass er gleich wiederkommt – hat Europa und die europäische Integration als Staatsräson des Landes Baden-Württemberg bezeichnet. In der Tat, diese Auffassung teilen wir aus den Gründen, die am heutigen Tag schon ge nannt wurden: 70 Jahre Frieden in der Mitte Europas.

Ich glaube, die familiären Entwicklungen der Generationen, die der Kollege Reinhart beschrieben hat, finden sich in vie len Familien der Abgeordneten dieses Hauses wieder. 70 Jah re Frieden, das ist ein Wert an sich. Ich glaube, dass niemand,

der guten Willens ist, bestreiten kann, dass das mit der euro päischen Integration zu tun hat.

Ich glaube auch, dass Wohlstand, Freihandel und Kooperati on, die aus der europäischen Zusammenarbeit entstanden sind, nicht zuletzt ursächlich sind für die Tatsache, dass es dem Land Baden-Württemberg und seinen Menschen wirtschaft lich so gut geht. Auch das ist ein Wert an sich, und auch das wäre ohne die europäische Integration nicht möglich.

Auch das politische Gewicht Baden-Württembergs, Deutsch lands insgesamt, hat mit der Europäischen Union zu tun. Mitt lerweile sind nur noch 1 % der Weltbevölkerung Deutsche, und diese werden ohne diesen Zusammenhang nicht in der Lage sein, im internationalen Konzert im Vergleich zu den Vereinigten Staaten von Amerika oder im Vergleich zum asi atischen Raum wirklich nachhaltig die eigenen Interessen zu vertreten.

Deshalb, Herr Meuthen, muss man beide Seiten sehen. Selbst verständlich gibt es Opfer, die man für die europäische Inte gration zu bringen hat. Auf der anderen Seite gibt es aber Vor teile. Beides muss man abwägen, und dabei kommen wir, mei ne Damen und Herren, zu dem Ergebnis, dass nach wie vor die Vorteile überwiegen und dass es richtig ist, die Europäi sche Union als Staatsräson des Landes Baden-Württemberg zu begreifen.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen, der CDU und der SPD)

Insofern ist der „Brexit“ eine schlechte Nachricht, eine schlech te Nachricht für Europa und eine schlechte Nachricht für das Land Baden-Württemberg. Denn es trifft zu, was der Minis terpräsident gesagt hat: dass wir in Baden-Württemberg im Jahr 2015 Exporte mit einem Volumen von mehr als 12 Mil liarden € nach Großbritannien hatten. Das hat damit zu tun, dass wir in der Europäischen Union Freihandel haben. Inso fern ist der „Brexit“ eine schlechte Nachricht für Baden-Würt temberg.

Aber er ist auch eine schlechte Nachricht für Großbritannien. Es gibt doch wohl kaum einen Wirtschaftsexperten, der be zweifelt, dass das Vereinigte Königreich das Ganze mit Wohl standsverlusten zu bezahlen hat. Es zeichnet sich doch jetzt schon ab, dass dieses Vereinigte Königreich in absehbarer Zeit Vergangenheit sein wird. Die Schotten haben praktisch schon beschlossen, dass sie ein zweites Unabhängigkeitsreferendum abhalten. Man braucht, glaube ich, kein Prophet zu sein, um absehen zu können, wie dieses zweite Unabhängigkeitsrefe rendum ausgehen wird. Dasselbe gilt für Nordirland. Deshalb war es eben keine kluge Entscheidung, die eine knappe Mehr heit der Briten da getroffen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Deshalb ist es, glaube ich, auch notwendig, dass wir uns über legen: Wie können wir daran arbeiten, diese Europäische Uni on zusammenzuhalten? Aber wir müssen uns natürlich auch die Frage stellen: Was können wir tun, um diese Europäische Union zu verbessern?

Wir brauchen eine Analyse. Diese Analyse kann sich nicht da rin erschöpfen, zu sagen, das liege alles an der Bösartigkeit

von Populisten vom Schlage Le Pen, Wilders oder Farage, oder vielleicht gar an deren intellektueller Brillanz – die nun wirklich nicht zu erkennen ist. Nein, das liegt weder an deren Bosheit noch an deren Brillanz, sondern es liegt schlicht dar an, dass innerhalb der Europäischen Union einiges schiefläuft.

(Zuruf von der AfD: Was läuft schief?)

Ich komme schon auf das, was schiefläuft.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie in Ihrer Regierungserklä rung sagen, Europa werde schlechtgeredet, man dürfe Euro pa nicht schlechtreden, dann ist das bestenfalls die Hälfte der Erklärung dessen, was da abläuft. Ich glaube eben nicht, dass Europa schlechtgeredet wird. Ich glaube auch, dass vieles, was heute in dieser Debatte bisher gesagt worden ist, zu abstrakt ist. Wir müssen uns schon die Frage stellen: Welche Fehler werden auf europäischer und nationaler Ebene gemacht?

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung gesagt, Herr Minis terpräsident, es dürfe nicht so sein, dass für das Gute die natio nale Ebene zuständig sei und für die Fehler, für das Schlech te Brüssel. Aber ich glaube, wenn man sich das anschaut, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass sowohl auf nationaler Ebe ne als auch in Brüssel Fehler gemacht werden, meine Damen und Herren. Da genügt es nicht, Herr Meuthen, Politiker der Europäischen Union pauschal zu beschimpfen und zu sagen, die müssten weggespült werden, sondern man muss sich schon konkret mit dem auseinandersetzen, was da an Fehlern ge macht wird.

Da komme ich in der Tat auf drei europäische Gestalten. Die eine ist Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker,

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

die zweite ist Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, und die dritte ist unsere geschätzte Bundeskanz lerin.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Aber mit denen muss man sich dann schon konkret auseinan dersetzen, beispielsweise mit Herrn Juncker.

Sie haben ja an einer Stelle, Herr Ministerpräsident, die Kom mission für gute Vorschläge in der Flüchtlingspolitik gelobt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob man diese Kommission ins gesamt loben sollte. Denn diese Kommission steht schon für einen gewissen Zentralismus, auch für Vorschläge, wie sie am heutigen Tag hier genannt worden sind, beispielsweise zu Glühbirnen und Gurken. Zum geflügelten Wort geworden ist die Gurkenkrümmung – ob das tatsächlich ein Vorschlag war oder nicht, es gibt Vorschläge in diese Richtung.

Man muss auch einmal deutlich sagen, dass das Europäische Parlament eine ganze Reihe von unsinnigen Vorschlägen der Kommission auch schon abgeräumt hat. Aber diese unsinni gen Vorschläge kommen nun einmal aus der Kommission.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Hans Peter Stauch AfD)

Ich glaube auch nicht, dass es Europa genutzt hat, dass Herr Juncker bei der Europawahl eine Spitzenkandidatur für die

konservativen Parteien beansprucht hat und dann hinterher er klärt hat, er müsse jetzt sozusagen der europäische Superre gierungschef werden, weil er der Spitzenkandidat der konser vativen Parteien gewesen ist. Nicht ein zentralistischer Füh rungsanspruch ist das, was Europa braucht, sondern in der Tat mehr Subsidiarität. Aber zu Subsidiarität gehört eben auch, dass Entscheidungen in den Regionen und in den National staaten getroffen werden, und nicht, dass Herr Juncker der Auffassung ist, er sei jetzt die europäische Führungspersön lichkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Herr Schwarz, Sie haben vorhin CETA erwähnt. Sie haben ge sagt, die EU hätte erklärt, die nationalen Parlamente dürften nicht über CETA abstimmen.

(Zuruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE)

Ja, Sie haben aber gesagt, es wäre die EU gewesen. Es war nicht die EU, sondern es war Herr Juncker.

Was ist denn das für ein arroganter Herrschaftsanspruch, wenn ein Kommissionspräsident erklärt, die nationalen Parlamente hätten nicht über eine bestimmte Angelegenheit abzustimmen?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD – Zuruf von der AfD: Jawohl!)

Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklä rung gesagt, es sei notwendig, bestehende Regelungen auf eu ropäischer Ebene einzuhalten. Darin sollten wir uns einig sein: Es ist notwendig, bestehende Regelungen einzuhalten. Aber wenn besagter europäischer Superregierungschef das Gegen teil tut, dann braucht man sich nicht darüber zu wundern, wenn die europäische Idee Schaden leidet.

Ich zitiere aus der aktuellen Ausgabe der „Wirtschaftswoche“:

Haben die Vorgaben für das Funktionieren des Euro über haupt noch eine Bedeutung? Zuletzt hat die EU-Kommis sion mit an Beliebigkeit grenzender Flexibilität den Ein druck erweckt, dem sei nicht mehr so. „Am Ende drücken wir überall ein Auge zu und haben eine blinde Währungs union“, empörte sich

nicht irgendein Europaskeptiker –

Jeroen Dijsselbloem, Chef der Eurogruppe, über Juncker.

Das steht in der „Wirtschaftswoche“.

Der versteht sich in der Tat eher als Chef einer politischen Kommission, die bei Bedarf Gefälligkeiten verteilt. Anfang Juni etwa begründete Juncker besondere Milde gegenüber den Franzosen, ganz einfach „weil es Frankreich ist“. Er erweckt damit den Eindruck, dass große Mitgliedsstaaten gleicher sind als andere.

(Zuruf: So ist es!)

„Mit diesen Flapsigkeiten zementiert er das Bild vom Hinter zimmer-Europa“

(Beifall des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner AfD)

das sagt nicht ein Rechtspopulist, sondern der grüne Euro paabgeordnete Sven Giegold.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD – Zuruf von der FDP/DVP: Hört, hört, hört!)

Noch deutlicher werden deutsche Regierungsvertreter, die Junckers Auftritt „hirnrissig“ nennen.

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Abg. Dr. Hein rich Fiechtner AfD: Gewalttätige Sprache!)

Mehr braucht man an dieser Stelle, glaube ich, nicht zu sagen. – Es war nicht meine Formulierung, sondern ausweislich der „Wirtschaftswoche“ die Formulierung deutscher Regierungs vertreter.

Machen wir weiter mit Mario Draghi: eine rücksichtslose Fi nanz- und Währungspolitik. Dies ist schon seit Jahren eine Repressionspolitik zulasten der deutschen Sparer und derje nigen, die sich ihre Altersvorsorge zusammensparen möchten.