Protokoll der Sitzung vom 10.10.2018

(Abg. Anton Baron AfD: Nein!)

dass ein chaotischer Ausstieg, wie er sich derzeit abzeichnet, nur Verlierer kennt, vor allem in Großbritannien.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Die Folgen eines harten Brexits ohne Austrittsabkommen wä ren für Großbritannien, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch für andere, auch für uns fatal. Ein No-Deal-Szenario wä re mit vielen Problemen verbunden. Noch ist es nicht zu spät, um zu sinnvollen Lösungen zu kommen. Auf dem EU-Gipfel in Salzburg haben die EU-27 auch das klare Signal ausgesen det. Die machen das wirklich gut. Barnier leistet eine gute Ar beit. Die EU-27 lassen sich nicht auseinanderdividieren. Das ist – diese Erfahrung hätten wir nicht gebraucht, aber wenn es schon zum Brexit kommt – eine positive Erfahrung, dass die 27 zusammenhalten.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Die Hand zu einer Vereinbarung bleibt weiterhin ausgestreckt. Es darf aber die Einheit des Binnenmarkts nicht infrage ge stellt werden. Großbritannien kann nicht halb drinnen und halb draußen sein. Großbritannien kann sich nicht einfach die Vorteile herauspicken. Die EU und der Binnenmarkt sind ein erfolgreiches Paket. Wenn wir es aufschnüren, dann schnüren wir Europa auf. Darauf müssen wir in den Verhandlungen auch der nächsten Wochen immer wieder mit Nachdruck hin weisen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, angesprochen wurde der Mehrjährige Finanzrahmen. Peter Hofelich hat diese bekann te, schwer auszusprechende „eierlegende Wollmilchsau“ zi tiert. Es ist ja in der Tat so: Wenn man in Diskussionen über die Zukunft des Mehrjährigen Finanzrahmens ist, dann hört man in aller Regel nur Kritik daran, dass der eine oder ande re Fördertopf gekürzt werden soll. Die Stimmen derer aber, die am Ende des Tages bereit sind, mehr Geld in den Topf hi neinzugeben, sind kaum vernehmbar.

(Abg. Anton Baron AfD: Zu Recht!)

Insofern hat er natürlich recht: Wer irgendwo mehr will, muss auch den Beleg erbringen, wo er bereit ist, Abstriche zu ma chen. Überall wird es Kritik an Abstrichen geben.

Wir sind gleichwohl der Meinung, dass das jetzt vorgelegte Paket ausgewogen ist und dass es vor allem klar benennt: Wenn wir wollen, dass Europa diese oder jene Aufgabe wahr nimmt, dann müssen wir auch bereit sein, die dafür notwen digen Mittel in die Hand zu nehmen. Für die Landesregierung von Baden-Württemberg gilt weiterhin, dass am Ende ein klu ger Mix aus Einsparungen und zusätzlichen Mitteln für neue Aufgaben stehen muss. Hier liegen die Positionen zwischen den Mitgliedsstaaten einerseits und Rat und EU-Parlament an dererseits noch weit auseinander.

Wichtig ist mir, dass wir den Mehrjährigen Finanzrahmen auch zum Anlass nehmen, so manches bürokratische KleinKlein, das sich in Europäischen Förderprozessen eingenistet hat, zu beseitigen.

Ich bin Günther Oettinger ausgesprochen dankbar, dass er es sich ausdrücklich zur Aufgabe gemacht hat, den nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen mit einer deutlichen Entbürokra tisierung im Antragswesen zu verbinden.

(Abg. Anton Baron AfD: Das wollen wir sehen!)

Am 26. September hatte ich deshalb mit Fachleuten aus un seren Ministerien der baden-württembergischen Landesregie rung und den Regierungspräsidien ein Arbeitstreffen mit EUKommissar Oettinger und Partnern aus verschiedenen Gene raldirektionen der Kommission in Brüssel. Auch das Europä ische Parlament war mit dem Berichterstatter für den Mehr jährigen Finanzrahmen, dem polnischen Europaabgeordneten Olbrycht, vertreten. Damit haben wir bei diesem Treffen alle relevanten Ebenen zusammengebracht: Kommission, Parla ment und unsere Region. Das war für Baden-Württemberg ei ne tolle Gelegenheit, sich quasi als Modellregion in Brüssel einzubringen.

Ich weiß auch, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, dass wir mit einer solchen Veranstaltung die Bürokratie in Brüssel nicht komplett verändern werden. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen jetzt die Gelegenheit wahrnehmen, aus un seren konkreten Erfahrungen heraus Verbesserungsvorschlä ge nach Brüssel zu transportieren. Jetzt ist die Gelegenheit da zu.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP – Abg. Anton Baron AfD: Vor der Wahl gibt es immer gute Ideen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kollege Kößler hat die Sub sidiarität angesprochen. Kommissionspräsident Juncker selbst hat die Taskforce Subsidiarität ins Leben gerufen. Sie hat im ersten Halbjahr 2018 ihre Sitzungen abgehalten, hat inzwi schen ihren Abschlussbericht vorgelegt und will jetzt genau benennen, in welcher Weise europapolitische Prozesse davon abhängen, dass auch Beteiligung, Partizipation von National staaten und – in unserem Sinn – vor allem auch von Regio nen sichergestellt ist, dass es Möglichkeiten der Intervention gibt, auch aus den Regionen heraus, wenn wir zu der Über zeugung gelangen, dass europäische Prozesse regionale Inte ressen ausblenden. Ich bin dankbar für diese Arbeit.

Allerdings sei ein Punkt kritisch angemerkt: Die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments, die von Präsident Juncker gleichfalls aufgerufen waren, sich an dieser Taskforce zu beteiligen,

(Abg. Anton Baron AfD: Waren nicht da!)

haben sich ausgeklinkt. Ich will erst einmal nicht daraus ab leiten, dass sie sich damit offenhalten wollen, am Ende ihr Ve to einzulegen. Was diese Taskforce Subsidiarität an konkre ten und nachvollziehbaren Vorschlägen erarbeitet hat, das muss jetzt auch in weiteren Schritten in die Tat umgesetzt wer den. Baden-Württemberg hat sich an diesem Prozess beteiligt.

Ein weiterer Punkt, liebe Kolleginnen und Kollegen, der mir wichtig ist, ist die Rechtsstaatlichkeit in Europa.

(Zuruf von der AfD: Genau!)

Es treibt mich um, wenn wir mit Blick auf manches Land in Europa feststellen müssen, dass Europa nicht nach vorn mar schiert, sondern dass es da und dort auch Rückschritte gibt. Es gibt in einigen Mitgliedsstaaten Entwicklungen, die auf ei ne Schwächung des Rechtsstaats hinauslaufen.

Wenn Kollege Frey richtigerweise davon spricht, dass dem Balkan auch weiter gehende europäische Beitrittsperspekti ven gegeben werden, dann muss aber klar sein: Wer Mitglied der Europäischen Union werden will, muss sich rechtsstaatli chen Kriterien der europäischen Wertegemeinschaft unterwer fen, und wer das nicht tut, ist schlecht beraten, Mitglied der Europäischen Union werden zu wollen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Wir verlangen heute von neuen Mitgliedern mehr, als das in zurückliegenden Jahren der Fall war, weil wir die Erfahrung machen mussten, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht zwingend dazu führt, dass der Reform- und De mokratisierungsprozess nach vorn weitergeht. Vielmehr müs sen wir die bittere Erfahrung machen, dass es gelegentlich zu heftigen Rückschlägen kommt.

(Abg. Anton Baron AfD: Die nächste Europawahl!)

Es wird in diesem Zusammenhang meist über Ungarn, über Polen diskutiert. Mich treibt Rumänien in besonderer Weise um.

(Abg. Dr. Heiner Merz AfD: Frankreich!)

Wir waren vor der Sommerpause auf einer Reise in Rumäni en. Es ist schon bemerkenswert, wie sich die dortige Regie rung aufmacht, eine Justizreform auf den Weg zu bringen, die das Ziel verfolgt, politische Verantwortungsträger, die mehr fach vorbestraft sind, straffrei zu stellen. Das wäre ein Rück fall in alte Strukturen. Eine Politik, die einen solchen Prozess befördert, distanziert sich von Europa. Dagegen gilt es ent schieden die Stimme zu erheben.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Auch im Kampf gegen Korruption scheint Rumänien sich in die falsche Richtung zu bewegen, nicht zuletzt auch wegen der Entlassung der Leiterin der Antikorruptionsbehörde, Frau Kövesi.

Ich will damit sagen: Wir müssen natürlich mit diesen Län dern im Gespräch bleiben. Wir haben das bei der Europami nisterkonferenz in der vorvergangenen Woche selbstverständ lich intensiv getan – mit Polen, mit Ungarn, mit Rumänien. Wir müssen aber deutlich machen, was für uns essenzielle, nicht verhandelbare Grundprinzipien einer europäischen Rechtsstaatlichkeit sind.

Ich will aber auch erwähnen, dass mich meine Reise nach Ru mänien positiv gestimmt hat, indem sich mir viele Rumänen

als überzeugte Europäer präsentiert haben. Rumänien hätte die Kraft und das Potenzial, in Europa ganz vorn mitzuspie len. Sie freuen sich über die vielfältigen Investitionen aus dem Ausland, insbesondere aus Deutschland und Baden-Württem berg, und möchten ihren Beitrag dazu leisten, dass diese Zu sammenarbeit auch in der Zukunft so bleibt.

Überhaupt ist dort die Verbundenheit zu uns groß. Das hat der Abgeordnete der deutschen Minderheit im rumänischen Par lament, Herr Gant, den ich in Temeswar getroffen habe, deut lich betont. Die deutsche Minderheit dort, zu der auch die Ba nater Schwaben zählen, rechnet mit dem Einsatz Deutsch lands. Das ist auch Verantwortung für uns. Ihr Schicksal soll te uns nicht gleichgültig lassen. Der Schutz des Rechtsstaats ist eben auch Minderheitenschutz.

Die Unterstützung der deutschen Minderheiten an der Donau sorgt mit dafür, die kulturelle Vielfalt Europas zu bewahren. Genau diese Vielfalt ist es, die Europa ausmacht, die die EU trotz des Brexits und aller Krisen zu einem Modell in der gan zen Welt macht.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD)

Bitte, Herr Abg. Dr. Merz. Sie haben noch 37 Sekunden.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben das richtige Wort gesagt: rechtfertigen. Die Europäi sche Union muss sich rechtfertigen. Sie muss sich deshalb rechtfertigen, weil die Leute nachdenken.

Wenn ich sehe, welche Propagandaveranstaltungen die EU jetzt macht –

(Abg. Gabriele Reich-Gutjahr FDP/DVP: Propagan da? Wow!)

was wir hier im Landtag auch schon besprochen haben –, und wenn wir sehen, welche Gelder jetzt auch im Landeshaushalt für EU-Propagandaveranstaltungen ausgegeben werden, dann muss man sagen: Das ist manchmal von manchen totalitären Staaten nicht weit entfernt.

(Widerspruch bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Thema Brexit, Herr Minister: Warten wir einfach einmal ab.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Die 37 Sekun den müssten jetzt aber vorbei sein!)

Ich weiß noch, wie vom Weltuntergang gepredigt wurde, der kommen würde, wenn Trump in den USA Präsident wird. Schauen Sie sich dort die Wirtschaft an, schauen Sie, wie das Land dort dasteht – nicht aus unserer Ausländersicht, sondern aus Sicht der Menschen dort. Ich muss zum Brexit nun eben falls sagen: Warten wir es einmal ab!

Großbritannien ist immer noch im Commonwealth vernetzt, und ich denke, die werden das alles – den Wegfall der Außen handelsbeziehungen des Vereinigten Königreichs mit der EU – mehr als kompensieren; sie werden es bestens hinbekom men.

Die EU will jetzt bei Großbritannien eben ein Exempel statu ieren. Es gibt Norwegen, es gibt die Schweiz, es gibt Kanada, mit denen die EU korrekte Beziehungen hat. Aber Großbri tannien werden genau solche Beziehungen verwehrt, um die ses Exempel zu statuieren.

Danke schön.