Guten Morgen, meine Damen und Herren! Ich eröffne die 74. Sitzung des 16. Landtags von Baden-Württemberg.
Von der Teilnahmepflicht befreit sind Herr Abg. Dr. Aden, Frau Abg. Braun, Frau Abg. Erikli, Herr Abg. Hahn, Herr Abg. Dr. Merz und Herr Abg. Dr. Rösler.
Aus dienstlichen Gründen entschuldigt haben sich ganztägig Frau Ministerin Sitzmann, Herr Minister Untersteller und Frau Staatssekretärin Schütz sowie ab 14:30 Uhr Frau Ministerin Bauer. Außerdem ist Herr Abg. Frey aus dienstlichen Grün den entschuldigt.
Am 9. November 1918 – also morgen auf den Tag genau vor 100 Jahren – wurde der Historiker, Schriftsteller und SPD-Politiker Wilhelm Blos zum ersten Vorsitzenden der provisorischen Re gierung des freien Volksstaats Württemberg gewählt. Nur einen Tag später, am 10. November 1918, wählten im Karlsruher Rathaus Soldaten- und Arbeiterräte sowie ein Wohlfahrtsaus schuss den Sozialdemokraten Anton Geiß an die Spitze der provisorischen Regierung der Republik Baden. Beides waren Schlüsselereignisse auf dem Weg zur Demokratie.
Beide Männer hatten ihre Ämter nicht angestrebt. Am 9. No vember, am Tag seiner Wahl, wollte Wilhelm Blos lediglich seine Frau, die Bürgerrechtlerin Anna Blos, zu einer Vor standssitzung der SPD begleiten. Anton Geiß, der badische Kollege von Wilhelm Blos, wurde am 10. November sogar in Abwesenheit gewählt.
Aber beide Männer nahmen die Wahl an. Sie galten als Poli tiker mit großer integrativer Kraft. Sie wurden zu Weichen stellern für eine soziale und liberale Demokratie – der ersten auf südwestdeutschem Boden. Sie stellten sich einer großen Verantwortung. Sie führten Mehrparteienregierungen der de mokratischen Kräfte. Sie hatten die Kraft und den Mut zum Kompromiss und zum Ausgleich in äußerst polarisierten Zei ten. Der Krieg war verloren. Die wirtschaftliche Not war groß. Und rasch zeichnete sich ab, dass extremistische Kräfte von rechts und von links die junge Republik mit Verachtung, Hass und Gewalt überzogen.
Wilhelm Blos und Anton Geiß haben in dieser Zeit Haltung gezeigt – für die Demokratie. Damit sind sie uns heute Vor bilder.
Meine Damen und Herren, der 9. November stellt nicht nur ein wichtiges Datum im Kalender der badischen und der würt tembergischen Demokratie dar. Er steht mit dem Fall der Mau er auch als Symbol für den demokratischen Umbruch in der DDR, der zur deutschen Einheit führte.
Leider ist der 9. November auch ein besonders trauriger Tag. Er erinnert an die Gräuel der Reichspogromnacht im Jahr 1938, als in Deutschland Synagogen und Geschäfte angezün det wurden, als in Deutschland jüdische Bürgerinnen und Bür ger der Verfolgung ausgeliefert waren. Der 9. November ist deshalb für uns ein Tag des Gedenkens an die Opfer des Na tionalsozialismus.
Umso mehr freue ich mich, dass Abgeordnete und Vertrete rinnen und Vertreter aller Religionsgemeinschaften am mor gigen 9. November 2018 hier im Landtag die Thorarolle für die Synagoge in Lörrach vollenden. Damit machen wir ge meinsam das neu gewachsene jüdische Leben sichtbar.
Aktuelle Debatte – Minister Strobls Halbzeitbilanz: Plei ten, Pech und Pannen – Freiburg ist nur die Spitze des Eis bergs – beantragt von der Fraktion der SPD
Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Ich darf die Mitglieder der Landes regierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Rede zeitrahmen zu halten.
Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 unserer Geschäftsord nung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen, liebe Kollegen! An diesem Morgen, in dieser heutigen Aktuellen Debatte müssen wir uns einmal mehr mit den Fehlern, den Fehlleistungen des Innenministers des Lan des – von Ihnen, Herr Strobl – beschäftigen, einem Innenmi
nister, der nicht für mehr Sicherheit, sondern für mehr Verun sicherung der Menschen in unserem Land steht.
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Karl Zimmermann CDU: Ist heute der 11.11.?)
Ich möchte vorweg eines klarstellen: Es geht heute nicht da rum, diese furchtbare, diese schreckliche Tat von Freiburg, die wir auf das Schärfste verurteilen, zu instrumentalisieren. Uns geht es um den unsäglichen Umgang mit diesem Fall durch den Innenminister dieses Landes, und es geht uns darum, dass ebendieser Innenminister bei der Aufarbeitung der Gescheh nisse einmal mehr einen verheerenden Eindruck hinterlässt, meine Damen und Herren.
Denn auch nach gut zweieinhalb Jahren im Amt ist dieser In nenminister noch nicht wirklich in Baden-Württemberg ange kommen. Er turnt lieber in Berlin herum und will dort Strip pen ziehen, als sich mit den Details der baden-württembergi schen Innenpolitik zu beschäftigen.
Erst im März dieses Jahres hat Herr Minister Strobl – wir spra chen an dieser Stelle darüber – mit seinen Aussagen zum Ein satz von verdeckten Kräften in Sigmaringen für viel unnöti ge Unruhe gesorgt, und auch in Freiburg hat er mit seinen Aus sagen und Äußerungen enorme Verwirrung gestiftet. Über zwei Wochen nach der Tat von Freiburg teilte das Innenmi nisterium dem Magazin SPIEGEL mit, man habe den bereits länger vorliegenden Haftbefehl gegen den mutmaßlichen sy rischen Haupttäter aus polizeitaktischen und ermittlungstak tischen Gründen nicht vollzogen. Das Ministerium erklärte gegenüber dem SPIEGEL auch gleich, das sei nicht unge wöhnlich.
Ungewöhnlich war dagegen, dass Polizei und Staatsanwalt schaft nur einen Tag später erklärten, dass schlicht der Auf enthaltsort des Mannes nicht sicher bekannt gewesen sei und er deshalb nicht festgenommen werden konnte. Herr Minis ter, Sie sollten zuerst mal mit Ihrer Polizei vor Ort sprechen, bevor Sie Unfug in die Öffentlichkeit blasen.
Denn wir dürfen seither rätseln, was denn nun wahr ist. Wahr ist auf jeden Fall, dass der Kontakt zwischen dem Innenmi nister und seiner Polizei wohl so eng nicht sein kann. Die Wi dersprüche gehen ja weiter. Zur Entschuldigung dafür, dass dieser Haftbefehl nicht vollzogen wurde, weist der Innenmi nister – ob dies eine kluge Verteidigungsstrategie ist, möchte ich bezweifeln – auf 20 000 offene Haftbefehle im Land hin. Auf Nachfragen gibt er wenig später zu erkennen, dass er nicht mal sagen konnte, wie viele von diesen 20 000 Haftbe fehlen wegen Kleinkriminalität und wie viele wegen schwe rerer Kriminalität bestanden. Herr Minister, Sie sollten sich mal in Ihrem Haus schlaumachen. Denn ein Innenminister, der keine Ahnung hat, ist diesem Land keine Hilfe.
(Beifall bei der SPD und der FDP/DVP sowie der Abg. Dr. Christina Baum AfD – Abg. Karl Zimmer mann CDU: Mäßigen Sie sich ein bisschen! Ihr Auf tritt ähnelt einer anderen Partei!)
Dann sagte der Innenminister, die Ermittler in Freiburg hät ten nichts falsch gemacht – um wiederum nur wenige Minu ten später zu betonen, er habe eine Untersuchung durch den Landeskriminaldirektor angeordnet. Anstatt für mehr Sicher heit zu sorgen, indem Sie Klarheit in Ihren Aussagen beach ten, verursachen Sie, Herr Strobl, durch Ihre Äußerungen mehr Verunsicherung bei den Menschen. Die Menschen se hen einen Innenminister, der schlicht nicht weiß, wovon er spricht, und das offenbar auch nicht einmal wissen will, mei ne sehr geehrten Damen und Herren.
Es geht um den Umgang mit diesem Fall in Freiburg. Der In nenminister hielt es nicht mal für nötig, sich nach der Tat von Freiburg vor Ort selbst zu informieren, so, wie er es auch schon in Mannheim im Umgang mit den straffälligen UMAs nicht für notwendig erachtet hatte. Er schickte seinen Staats sekretär nach Freiburg, um selbst an diesem Tag andere Ter mine wahrzunehmen. Ich könnte Ihnen die Pressemitteilung vorlesen, in der stand, dass der Herr Minister einige Kilome ter von Freiburg entfernt damit beschäftigt war, zu joggen. Zur gleichen Zeit fand nämlich zwischen Kehl und Straßburg ein PR-Termin mit einem Lauf unter der Überschrift „Digitalisie rung läuft“ statt.
Herr Minister, haben Sie eigentlich in Ihrem Beraterstab nie manden, der Ihnen klarmacht, was politisch wichtige und po litisch vielleicht in diesem Moment weniger wichtige Aufga ben sind?
Ein Minister, der hier kein Koordinatensystem hat, steht nicht für die Sicherheit der Menschen in diesem Land, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Dieser Minister ist offensichtlich ziemlich selten in seinem Ministerium – dort, wo er sein sollte. Lieber ist er z. B. in der Parteizentrale in Berlin, wo er dann wieder auf die Hochglanz bilder kommen möchte, wo er aber eigentlich überhaupt nicht gebraucht wird. Immer, wenn etwas passiert – so war es auch wieder in Freiburg –, kommen als Antwort nur Maßnahmen, die nach mehr Sicherheit klingen sollen. Herr Minister, glau ben Sie ernsthaft, dass durch die fünf zusätzlichen Ermittlungs assistenten auch nur ein Haftbefehl mehr vollzogen wird? Al les, was Sie sagen, alles, was Sie tun, ist nur für den Moment, nur so lange, wie der Scheinwerfer leuchtet. Aber dann, wenn es um Arbeit geht, dann, wenn es darum geht, die Probleme wirklich anzupacken, ist von Ihnen nichts mehr zu sehen.
Das Schlimmste ist, dass Sie, wenn Fehler passieren, sofort Ablenkungsmanöver starten. Denn dann, wenn es mal kritisch wird, geht es bei Ihnen ganz schnell ums Abschieben, vorgeb lich um das Abschieben straffälliger Ausländer. Wir haben den
Eindruck, tatsächlich geht es eher um das Abschieben von Ver antwortung. Denn unabhängig davon, ob solche Abschiebun gen überhaupt rechtsstaatlich zulässig wären, zu fassen be kommen müssen Sie diese Straftäter immer noch in diesem Land, Herr Strobl. Genau daran hat es gefehlt. Und genau da rauf erwarten die Menschen in Baden-Württemberg eine Ant wort, und sie erwarten keine Abschiebefantasien eines Innen ministers Strobl – die mit diesem Fall nun mal nichts zu tun haben.
Wenn Sie dann mal nicht von Abschiebungen schwadronie ren, fordern Sie schärfere Gesetze. Mit dem Ziel der Novel lierung wollten Sie im Herbst 2017 im Schweinsgalopp einen Gesetzentwurf zur Änderung des Polizeigesetzes durchs Par lament peitschen. Bis heute kann die Quellen-TKÜ, ein Kern stück dieses Gesetzes, nicht angewandt werden, weil es die notwendige Software überhaupt nicht gibt. Und was ist Ihre Antwort auf das nicht vollzogene und umgesetzte Gesetz? Die Antwort ist ein neuer Vorstoß, ein noch schärferes Polizeige setz zu bekommen. Den Gesetzentwurf knallten Sie Ihrem grünen Koalitionspartner vor die Füße. Er enthielt u. a. den Einsatz von Bodycams in Wohnungen – und das, obwohl die Bodycams im Moment noch nicht einmal im öffentlichen Raum eingesetzt werden können, schlichtweg deshalb, weil die Polizei immer noch nicht im Besitz von Bodycams ist. Nutzen Sie doch erst mal die bestehenden Gesetze, bevor Sie ständig nach neuen, schärferen Gesetzen schreien, Herr In nenminister.
Herr Zimmermann, das, was Ihnen fehlt, nennt man Impuls kontrolle. – Der Minister wirft mit heiklen Gesetzesvorhaben um sich; um deren Anwendung kümmert er sich aber nicht. Das klingt nach einem Wettbewerb um populistische Forde rungen, und das endet im politischen Maulheldentum. Schau en wir uns doch die Personalsituation der Polizei an. Der In nenminister ist vom ersten Tag seiner Amtszeit an ein Ankün digungsminister gewesen. 1 500 zusätzliche Stellen wollte die se Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode schaffen.
(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Sie haben Ausbil dungskapazitäten abgebaut! – Zuruf des Abg. Tho mas Blenke CDU)