Protokoll der Sitzung vom 29.11.2018

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Dr. Wolfgang Rein hart CDU: Hoffentlich ist das Kind eingeschlafen! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Ak tuelle Debatte beendet und Punkt 1 der Tagesordnung erle digt.

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Gewalt gegen Frauen geht uns alle an – beantragt von der Fraktion GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet.

Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung. Auch hier darf ich die Landesregie rung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrah men zu halten.

In der Aussprache erteile ich das Wort für die Fraktion GRÜ NE Frau Abg. Wehinger.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Frau en geht uns alle an, und zwar an jedem einzelnen Tag im Jahr und nicht nur am Internationalen Tag zur Beseitigung von Ge walt gegen Frauen, der bekanntlich am Sonntag stattgefunden hat.

Trotzdem ist der 25. November wichtig. Denn Menschen ge hen gemeinsam auf die Straße und zeigen, dass Gewalt gegen Frauen viele Gesichter hat. Es ist unsere Aufgabe, die Men schenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Gleichheit aller Menschen zu schützen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Deshalb danke ich allen Engagierten, die sich am Wochenen de an vielen Aktionen im Land beteiligt haben. In Deutsch land findet Gewalt gegen Frauen leider alltäglich und mitten unter uns statt – ob auf offener Straße oder hinter verschlos senen Türen, zu Hause oder in der Prostitution, unabhängig von der Gesellschaftsschicht oder der sozialen Herkunft.

Statistisch gesehen wird alle fünf Minuten eine Frau bedroht, verprügelt, gestalkt, psychisch unter Druck gesetzt, sexuell genötigt oder vergewaltigt.

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

Das besagt die jüngste Statistik des Bundeskriminalamts.

Nun hören Sie gut zu: In Baden-Württemberg wurden im ver gangenen Jahr 19 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet oder ermordet. Insgesamt wurden den Behörden knapp 10 000 Fälle von Partnerschaftsgewalt gegen Frauen gemel det. Die Dunkelziffer liegt aber weitaus höher. Wir sagen des halb entschieden Nein zu Gewalt von Männern.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Aber auch umgekehrt! – Gegenruf des Abg. Hermann Katzenstein GRÜNE – Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Die Landesregierung hat 2014 den Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen als ressortübergreifende Gesamtstrategie beschlossen. Priorität Nummer 1 ist, ein bedarfsgerechtes An gebot an Frauen- und Kinderschutzhäusern sowie spezialisier ten Fachberatungsstellen sicherzustellen. Aktuell gibt es in Baden-Württemberg 42 Frauen- und Kinderschutzhäuser mit rund 750 Plätzen. In vier Landkreisen gibt es allerdings noch keine entsprechende Einrichtung. Die wissenschaftliche Be darfsanalyse und die Empfehlungen der Istanbul-Konvention des Europarats zeigen jedoch, dass in Baden-Württemberg dringend weitere Plätze in Frauen- und Kinderschutzhäusern erforderlich sind. Wir unterstützen deshalb ausdrücklich Mi nister Lucha in seiner Ankündigung, im kommenden Doppel

haushalt pro Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag für ei nen flächendeckenden Ausbau der Frauen- und Kinderschutz häuser mit Beratungsstellen bis 2022 zur Verfügung zu stel len.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dies ist ein notwendiger Schritt, der von Gewalt betroffenen Frauen mit ihren Kindern hilft, der Gewaltspirale zu entkom men.

Aber auch der Bund darf von Gewalt Betroffene nicht im Re gen stehen lassen. Es braucht auch auf Bundesebene ein Recht auf Schutz sowie eine bundesweit verlässliche Finanzierung der Frauen- und Kinderschutzhäuser. Ein kurzzeitiges Akti onsprogramm zum Ausbau von Hilfsstrukturen, wie es Minis terin Giffey angekündigt hat, reicht bei Weitem nicht aus. Frauen- und Kinderschutzhäuser brauchen eine dauerhafte und verlässliche Finanzierung.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Dies ist umso dringender, als wir erst über die Spitze des Eis bergs reden. Denn nur etwa 20 % der Betroffenen holen sich überhaupt Hilfe, sodass von weitaus mehr Opfern auszugehen ist. Betroffene Frauen schweigen oft aus Angst oder schämen sich, Hilfe in einer Beratungseinrichtung oder Schutz in ei nem Frauenhaus zu suchen. Schweigen jedoch hilft nur den Tätern. Daher ist es wichtig, Gewalt gegen Frauen öffentlich zu machen und zum Hinschauen zu sensibilisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Denn durchschnittlich jede vierte Frau in Deutschland im Al ter zwischen 16 und 85 Jahren erlebt mindestens einmal kör perliche und/oder sexualisierte Gewalt durch einen Bezie hungspartner, das heißt: Mann, Vater, Bruder, naher Freund.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Jede Frau, die Opfer jedweder Gewalt wird, ist eine Frau zu viel. Das geht uns alle an. Wir stehen deshalb für eine Gesell schaft, die hinschaut und Frauen unterstützt und ermutigt, in allen Lebensbereichen selbstbewusst ihre Rechte einzufordern und, wenn nötig, einzuklagen.

Das Thema „Gewalt gegen Frauen“ muss sicherheitspolitisch ganzheitlich betrachtet werden. Das zeigt nicht zuletzt die grausame Vergewaltigung in Freiburg. Wir müssen alles da für tun, dass sich Frauen auch im öffentlichen Raum sicher und angstfrei bewegen können.

(Abg. Carola Wolle AfD: Das nimmt aber ab!)

Die Zuweisung einer Schuld an die Opfer einer Tat, indem ih nen sogenanntes leichtsinniges Verhalten vorgeworfen wird – z. B., dass sie den Rock ein wenig zu kurz geschnitten hätten –, ist vollkommen inakzeptabel.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Es darf nicht sein, dass Frauen ihre Lebensweise aus Angst vor sexuellen Übergriffen anpassen oder einschränken müs sen.

Im kommenden Jahr wird die Polizei in Baden-Württemberg deshalb Sexualstraftaten zu einem kriminalpolitischen Schwer punkt machen.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Richtig! – Zuruf des Abg. Stefan Räpple AfD)

Dafür setzen wir uns mit Nachdruck ein. Ebenso müssen Mehrfachtäter im Bereich der sexuellen Gewalt polizeilich als Intensivtäter behandelt werden und nicht einfach als normale Täter.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Ja!)

Der Umgang mit von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern erfordert von Polizei und Staatsanwaltschaft besondere Sen sibilität und Fachkenntnis. Das ist leider nicht Teil der Aus bildung. Daher braucht es dringend mehr Spezialisierung und Fortbildung auch in diesem Bereich.

Doch auch wir müssen uns stärker dafür einsetzen, dass Ge walt erst gar nicht ausgeübt wird. Wir entwickeln derzeit ein umfassendes Konzept zur Sicherheit im öffentlichen Raum,

(Abg. Stefan Räpple AfD: Grenzen dicht, oder was?)

insbesondere auch mit Blick auf das Nachtleben, z. B. in Dis kotheken. Mit dem Modellprojekt „Luisa ist hier“ haben wir einen guten Anfang gemacht. Wir finden aber, es muss lan desweit durchgeführt werden.

Wirksame Prävention ist nicht nur der beste Schutz vor Ge walt,

(Abg. Stefan Räpple AfD: Landesgrenzschutz!)

sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Jeder Euro, der in die Verhinderung von Gewalt investiert wird, beugt hohen Kosten in der Gewaltnachsorge vor und vermeidet Verletzun gen, die oft ein Leben lang andauern.

Es gilt deshalb, die Präventionsarbeit in allen Bildungsberei chen zu stärken und damit bereits im Kindesalter anzufangen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Mit der Rahmenkonzeption „stark.stärker.WIR“ und in der Leitperspektive „Prävention und Gesundheitsförderung“ in den neuen Bildungsplänen werden Schulen entsprechende Programme zu den Themen Gewalt, Sucht und Gesundheits prävention zur Verfügung gestellt. Mädchen und Jungen sol len in ihrer Persönlichkeit und in ihrer Konfliktlösungskom petenz gestärkt werden. Deshalb muss Präventionsarbeit sys tematisch ausgebaut und umgesetzt werden.

(Zuruf von der AfD: Auf Arabisch!)

Gewalt gegen Frauen hat auch mit dem Machtgefälle zwi schen Männern und Frauen sowie mit geschlechtsspezifischen Rollenbildern zu tun. Aber Gewalt fängt schon mit der Spra che an; Sprache kann zutiefst verletzen und erniedrigen und kann die Frauen klein machen.

Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtpolitisches Problem, das durch die #MeToo-Debatte langsam enttabuisiert wird – eine

Debatte, die das Schweigen der Frauen bricht und sie zum Re den bringt. Geschlechtsspezifische Gewalt muss entschiede ner bekämpft und vor allem klar benannt werden. Tötungen aus Eifersucht, Rache oder sonstigen niedrigen Beweggrün den sind Morde und keine „Beziehungsdramen“ oder „Fami lienstreitigkeiten“.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)