Die verbale Verharmlosung der Delikte verwässert das Prob lembewusstsein und relativiert die Gewalt.
Frauenrechte sind Menschenrechte. Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, wo immer diese Rechte verletzt werden – ob im öffentlichen Raum oder im häuslichen Bereich. Hierzu be darf es erstens einer verstärkten Präventionsarbeit, zweitens Beratung und Unterstützung sowie Betreuung der Gewaltop fer und drittens einer konsequenten Strafverfolgung. Gewalt gegen Frauen ist Gewalt gegen uns alle. Lassen Sie uns ge meinsam entschlossen dagegen ankämpfen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, son dern ein gesellschaftliches Problem. Das ist in der heutigen Debatte schon angeklungen, und das möchte ich hier noch mals ausdrücklich unterstreichen.
Eine europaweite Studie, die vor einigen Jahren veröffentlicht wurde, förderte erschreckende Ergebnisse zutage: Jede dritte Frau hat seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides erfahren. Jede fünfte Frau hat diese Ge walt in der Partnerschaft erlebt, und ein erschreckend hoher Anteil von Frauen war oder ist auch der psychischen Gewalt des Partners ausgesetzt.
Wir müssen uns immer wieder klarmachen: Durch häusliche Gewalt werden in Deutschland mehr Frauen verletzt oder ge schädigt als durch Körperverletzung mit Waffen, durch Über fälle, durch Raub oder durch Wohnungseinbrüche. Das ist traurige Realität in Deutschland. Betroffen sind Frauen jedes Alters, jeder Schicht und jeder Nationalität.
Auf gesetzlicher Ebene konnten wichtige Fortschritte erzielt werden. Das volle Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gilt seit 1997 auch für verheiratete Frauen. Seitdem gilt auch die Vergewaltigung in der Ehe als Straftat. Dem Schutz der Frau dient auch das Gewaltschutzgesetz von 2002, das es erlaubt, Gewalttäter aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Nicht mehr die Frau muss mit den Kindern anderswo Schutz suchen, sondern der schlagende Mann wird aus der Wohnung ausgewiesen.
Seit Juli 2011 ist Zwangsheirat in Deutschland ein eigenstän diger Straftatbestand, und als weiterer wichtiger Meilenstein
trat am 1. Februar 2018 das Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Ge walt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – kurz: die Istan bul-Konvention – in Kraft. Die Istanbul-Konvention ist der erste völkerrechtliche Vertrag, in dem umfassende und spezi fische Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Ge walt gegen Frauen sowie zum Schutz der Opfer formuliert wurden.
Dies sind nur einige wichtige Meilensteine. Für uns heute sind sie selbstverständlich. Wir müssen uns aber klarmachen, dass jeder einzelne Schritt, jedes einzelne Recht hart erkämpft wer den musste. Uns allen ist auch klar, dass die Lebenswirklich keit vieler Familien und vieler Frauen und Kinder ganz an ders aussieht und immer noch von Gewalt und Angst bestimmt wird. Denn es kann sehr lange dauern, bis Straftaten angezeigt werden, bis sich Frauen von ihren Partnern und Familien tren nen. Trotz wiederholter Gewalterfahrung schaffen viele Frau en den Schritt der Trennung, den Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen, nicht.
Je näher sich Täter und Opfer stehen, desto geringer ist die Bereitschaft zur Anzeige. Zum einen stehen einer Anzeige oft Abhängigkeiten entgegen, und zwar seelische wie finanzielle Abhängigkeiten, und gerade die finanzielle Abhängigkeit ist oft eine große Hürde, an die Öffentlichkeit zu gehen. Zum an deren besteht immer wieder auch die Hoffnung auf einen Neu beginn in der Beziehung. Viele Betroffene haben aber einfach nur Angst vor der Öffentlichkeit, davor, dass, wenn die Poli zei gerufen wird, die Sache öffentlich wird. Gelingt es den Frauen dennoch, sich zu trennen, bleiben oft Albträume, Pa nikattacken, Depressionen, manchmal jahrelang.
Mir ist eine Feststellung heute sehr wichtig: Gewalt in Bezie hungen – ich versuche, einen möglichst neutralen und umfas senden Begriff zu wählen – ist weit verbreitet. Ob wir in die Geschichte schauen oder Beispiele in anderen Kulturkreisen suchen, wir werden überall fündig. Deshalb kann ich wirklich nur davor warnen, das Thema „Häusliche Gewalt“ einer be stimmten Bevölkerungsgruppe zuzuordnen und für fremden feindliche Zwecke zu missbrauchen.
(Beifall bei der CDU und den Grünen sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])
Der Ehemann, für den es selbstverständlich ist, dass sich sei ne Frau um den Haushalt und die Kinder kümmert und nicht arbeiten geht, kann genauso Gewalt ausüben wie der türki sche Vater, der seine Tochter beim Schminken erwischt.
Ob es nun die tradierten Rollenbilder sind, wonach dem Mann angeblich eine natürliche Führungsrolle zukommt, oder ob es die Verwurzelung in einer Kultur, in einer bestimmten Reli gion ist, nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt Unterdrü ckung von und Gewalt gegen Frauen.
Deshalb nochmals meine Feststellung: Häusliche Gewalt ist ein Phänomen, das so alt ist wie die Menschheitsgeschichte. Sie gab es schon immer in Deutschland. Aber natürlich kön nen wir die Augen nicht davor verschließen, wenn Formen der Gewalt zunehmen, die stark in den familiären, kulturellen und religiösen – häufig islamischen – Traditionen und Heimatlän dern verwurzelt sind. Auch darüber ehrlich zu sprechen halte ich für sehr wichtig. Ich für meinen Teil kann es nicht als Ent schuldigung akzeptieren, wenn Gewalt gegen Frauen mit be stimmten Traditionen oder religiösen Vorstellungen gerecht fertigt wird.
Aus meiner Sicht wissen wir heute noch viel zu wenig darü ber, wie die Situation von Frauen in Einwandererfamilien ist, ob sich das Rollenverständnis im Laufe der Zeit verändert, wie viele Mädchen und junge Frauen gar ins Ausland ver schleppt und zwangsverheiratet werden, wie viele auch in Deutschland zu sogenannten arrangierten Ehen gedrängt wur den und werden.
Wir wissen nicht, wie viele Töchter und Ehefrauen geschla gen werden, das Haus nicht allein verlassen dürfen und wie viele unter diesen Bedingungen vielleicht auch Selbstmord begangen haben.
Auch hier dürfen wir nicht wegschauen. Das geht nicht. Das ist ungerecht gegenüber den Opfern, und es widerspricht un serem Verständnis der Menschenrechte.
Die nämlich gelten für alle. Sie müssen durchgesetzt und ge lebt werden – in Familien, in Kindergärten, in Schulen, in Mo scheen, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft. Wir müs sen deutlich machen, dass es für Gewalt in Familien und in unserer Gesellschaft keinen Platz gibt
(Beifall bei der CDU und den Grünen, Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Hans Pe ter Stauch AfD)
und dass Frauen, die misshandelt werden, unsere Unterstüt zung und unsere Solidarität haben, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität, Religion oder Staatsangehörigkeit.
Immer wieder müssen wir uns klarmachen: Gewalt gegen Frauen hat viele Formen, und sie findet alltäglich und mitten unter uns statt. Das ist z. B. Gewalt im häuslichen Bereich, das sind sexuelle Belästigungen, das ist Gewalt in der Prosti tution oder in Form von Frauenhandel.
Werden Frauen Opfer von Gewalt, betrifft das auch immer ih re Kinder. Häufig erleiden sie dieselbe Gewalt oder müssen sie tatenlos mit ansehen. Deshalb sind auch wir immer wie der gefordert, unsere Maßnahmenpakete zu überprüfen und auszubauen. Um Opfer vor Gewalt zu schützen, benötigen wir ein ganzes Sicherheitsnetz. Wir müssen es so groß und so dicht wie möglich knüpfen. Das kann uns nur durch eine ge
samtgesellschaftliche Anstrengung gelingen: durch Gesetze, durch eine effektive Strafverfolgung, durch die Einrichtung von Beratungsstellen, durch Frauennotrufe, aber auch durch Prävention in Form von Hilfsprogrammen für Gewalttäter und durch entsprechende Rollenerziehung in den Kindergärten und Schulen. Es gelingt uns auch durch internationale Überein kommen wie die Istanbul-Konvention.
Klar ist aber auch: Nicht alle Maßnahmen und nicht alle Auf gabenfelder können wir beeinflussen. Umso wichtiger ist, dass wir in den Bereichen, für die wir zuständig sind, Hilfsange bote bedarfsgerecht ausbauen.
Seit einigen Monaten liegen die Ergebnisse einer systemati schen Studie vor, mit der die landesweiten Schutz- und Bera tungsmaßnahmen gegen häusliche Gewalt in Baden-Württem berg untersucht wurden. Die Studie bestätigt, dass die Ange bote in Baden-Württemberg regional sehr unterschiedlich sind. Der Rhein-Neckar-Kreis, die Landkreise Breisgau-Hoch schwarzwald und Emmendingen sowie der Enzkreis haben keine Beratungsstellen und Frauenhäuser.
Natürlich werden Angebote aus näheren Städten wahrgenom men. Aber aus Sicht der CDU-Landtagsfraktion muss unab hängig von Einkommen und Wohnort sichergestellt sein, dass Frauen und Kinder Schutz vor häuslicher Gewalt erfahren.
Deshalb setzen wir uns dafür ein, die weißen Flecken zu schließen und flächendeckende Angebote in ganz Baden-Würt temberg zu schaffen.
Die CDU-Landtagsfraktion will damit auch klarmachen: Ge walt hat in unserer Gesellschaft keinen Platz. Niemand hat das Recht, Frauen und Kinder zu bedrohen oder zu schlagen, sie sexuell zu belästigen – nirgendwo und zu keiner Zeit. Wir müssen klarmachen: Häusliche Gewalt ist keine Privatange legenheit.
Unsere Gesellschaft, ja, wir alle müssen Frauen ausreichend schützen. Denn jeder Mensch – egal, ob Mann oder Frau – hat das Recht auf ein Leben ohne Gewalt.
Frau Präsidentin, meine Da men und Herren! „Die Gewalt lebt davon, dass sie von den Anständigen nicht wahrgenommen wird“, sagte einst JeanPaul Sartre. Sie wird übrigens auch weiterleben, wenn wir uns auf Debatten mit irgendwelchen Erklärungen beschränken und das Thema morgen wieder in der Schublade verschwindet.
Bestürzung und Mitleidsbekundungen von Politikern gegen über Gewaltopfern vernimmt man immer dann, wenn das Un glück bereits seinen Lauf genommen hat.
Es wird also in Zukunft vor allem darauf ankommen, dass die jenigen, die derzeit noch die Mehrheit in diesem Haus stellen, auch handeln.