Protokoll der Sitzung vom 20.12.2018

(Beifall bei der SPD)

Wenn dann Diskussionen aufkommen – Präzedenzfall und Ähnliches –: Bad Herrenalb ist da ein ganz anders gelagerter Fall. Wir haben mehrere Großstädte in Baden-Württemberg, Großstädte mit über 100 000 Einwohnern, die alle Stadtkrei se sind. Nur Reutlingen will man das verwehren. Das ist nicht nachvollziehbar und verstößt aus unserer Sicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und den Grundsatz des kom munalfreundlichen Verhaltens.

Wir sind überzeugt, dass der Landkreis auch bei der Auskrei sung der Stadt leistungsstark bleibt. Der Landkreis ist selbst bewusst. Er verfügt über gute, starke, selbstbewusste Gemein den und wird auch in Zukunft Bestand haben. Nach unserer Auffassung würden alle vom Antrag der Stadt Reutlingen pro fitieren. Wir bitten deshalb um Unterstützung. Unterstützen Sie die Stadt Reutlingen in ihrem Bestreben!

Ich glaube, alle Argumente liegen auf dem Tisch.

(Zuruf des Abg. Hermann Katzenstein GRÜNE)

Es gilt jetzt, die Entscheidung zu treffen. Aber so, wie die Re gierungsfraktionen das heute vorsehen, geht es nicht.

(Zuruf von der CDU: Doch!)

Bekennen Sie Farbe, einigen Sie sich in der Koalition, und verschieben Sie das Thema nicht auf den Sankt-NimmerleinsTag.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Rainer Balzer AfD)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich das Wort Herrn Abg. Dr. Goll.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Vielleicht ein, zwei Vorbemerkungen: Wir haben das Thema auch bei uns in der Fraktion natürlich sehr gründlich und lange diskutiert, ebenso, wie Sie das in Ih ren Fraktionen – überhaupt in allen Fraktionen – getan haben. Bei diesem Diskussionsprozess hat sich eine starke Tendenz ergeben, den Antrag der Regierungsfraktionen zu unterstüt zen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage auch gleich, warum.

Die zweite Bemerkung vor der Klammer: Vorhin war von den etwas älteren Semestern die Rede.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Ich habe meine Verwaltungslaufbahn noch im unmittelbaren Schlagschatten der Reform angetreten. Als ich, wie ich im Scherz immer sage, meinen ersten ordentlichen Job angetre ten habe, als Assessor und anschließend Dezernent für Recht und Ordnung, Straßenverkehr und Schifffahrt – das gibt es be kanntlich nicht überall; es war im Bodenseekreis –, da waren die Diskussionen um die Gemeindereform und vor allem um die Kreisreform, die danach kam, natürlich noch richtig le bendig. Da hatte man sozusagen noch das Gefühl für diese Diskussionen und auch dafür, welche Mühen und welchen Aufwand diese Diskussionen verursacht haben, und auch, wie viel Unruhe. Das war natürlich ein Riesenprojekt;

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das ist klar!)

das muss man sagen. Als es vorbei war, war eine in der Sache gut begründbare Tendenz vorhanden, zu sagen: An eine Ver waltungsstrukturreform gehen wir erst wieder heran, wenn wir richtig zwingende Gründe haben. Das ist in der Sache auch richtig.

In der nachfolgenden Geschichte hat es übrigens Punkte ge geben, bei denen es mich geradezu gewundert hat, dass man nicht noch einmal herangegangen ist. Ich nenne nur ein ein ziges Stichwort – manche wissen es noch –: VillingenSchwenningen. Villingen und Schwenningen waren ja wie Feuer und Wasser, das wollte gar nicht zusammen. Ich muss heute sagen: Das ist aber eigentlich der einzige Fall. Wenn man dort noch einmal herangegangen wäre, hätte ich persön lich das verstanden. Aber man hat es selbst dort nicht getan, bei Villingen und Schwenningen.

Ich selbst war, wie gesagt, damals im Bodenseekreis tätig. Der Bodenseekreis war ein Kreis, der auf einmal aus Teilen Würt tembergs und Teilen Badens bestand. Ich sehe in den Läden in Überlingen noch die Schilder mit der Aufschrift „WBZ“: Württembergische Besatzungszone.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU)

Die neue Autonummer von Friedrichshafen galt im badischen Teil schlicht und einfach als Abkürzung für „falsche Num mer“.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU)

Aber trotzdem war der Kreis nicht schlecht aufgestellt. Das war ein Kreis, der von seiner Struktur her schlüssig war, am Nordufer des Bodensees gelegen.

So war es eigentlich in vielen Fällen – in den meisten. Die Re form war nicht überall das Gelbe vom Ei, salopp gesprochen,

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: Das stimmt! – Abg. Thomas Blenke CDU: Ja!)

aber sie war im Grunde genommen sinnvoll, was die Struktur angeht.

Man hat hinterher natürlich diskutiert, ob das etwas gebracht hat. Manche haben bei der Gemeindereform gesagt, man hät te das in den Gemeinden auch selbst hinbekommen, ohne Re form, nur habe man jetzt mehr Personal. Das alles sind ziem lich beachtliche Argumente, aber trotzdem: Die Sache war ge regelt, und sie war nicht schlecht geregelt.

Ich erwähne das deshalb, weil wir nach meiner Auffassung gut daran tun, zu sagen: Es gibt hohe Hürden, wenn wir da noch einmal herangehen. Trotzdem ist gerade dieser erste An trag – wir haben heute zwei Anträge –, der Antrag zu Punkt 1, eine Sache, die ganz schwer zu entscheiden ist. Das muss man einfach sagen. Am Ende wird das auch für uns eine ganz knap pe Entscheidung.

Das Vertrackte daran ist ja, dass der Antrag der Stadt Reutlin gen sehr gut begründet ist. Er ist nicht nur sehr gut begründet, er wurde von Frau Bosch auch überzeugend vorgetragen, an vielen Stellen. Da gibt es überhaupt kein Vertun. Dieser An trag ist gut begründet, er ist gut vorgetragen, er ist in sich schlüssig. Warum tun wir es dann nicht?

Man hätte es damals machen können; so würde ich vielleicht versuchen, es anzugehen. Man hätte es damals tun können – doch jetzt kommt das große Aber: Wenn man es damals ge macht hätte, dann hätte man das Umfeld sicher nicht so be lassen,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Das ist entscheidend!)

wie es sich jetzt ergäbe, wenn Reutlingen herausginge. Das hätte man sicher nicht getan. Denn was übrig bleibt, wenn Reutlingen ausscheidet, entspricht nicht dem Bild eines Krei ses – sowohl für uns aktuell als auch damals. Bei der Kreis reform hatte man ein Bild vor Augen, wie ein Kreis aussehen sollte. Das wäre nun natürlich kein Kreis in dem Sinn,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Völlig richtig! – Abg. Ramazan Selcuk SPD: Das stimmt doch gar nicht! Hohenlohe!)

was nach dieser Maßnahme übrig bleiben würde.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Völlig rich tig!)

Ich kann es von der Vorstellung her auch umdrehen. Wenn wir heute auf dem Gebiet eines Kreises Reutlingen einen Landrat und dann noch mal einen Landrat, der gleichzeitig Bürger meister ist, hätten, dann würde die Architektur im Verhältnis zum gesamten Umfeld nicht mehr stimmen; das muss man

einfach sagen. Aber das ist noch nicht einmal das entschei dende Argument. Es ist ein sehr wichtiges Argument, weil wir eine schlüssige Struktur über das ganze Land hinweg aufbau en wollten und eine solche Verwaltungsstruktur auch erhalten wollen. Noch entscheidender aber war für uns die Frage: Was bringt das eigentlich den Menschen?

Es ist schwer zu sagen, wieso dann irgendetwas zwingend bes ser werden soll. Insofern wundert mich natürlich nicht – Herr Kollege Hockenberger hat die Umfrage der IHK angespro chen –, dass die Umfrage der IHK eindeutig war, was das Ge samte angeht. Sie war vor allem deswegen aufschlussreich, weil auch in Reutlingen immer noch eine ganz große Mehr heit, eine breite Mehrheit der Gewerbetreibenden dafür ge stimmt hat, es einfach so zu lassen, wie es ist. Die fürchten wahrscheinlich eher Doppelstrukturen in der Verwaltung. Für die Menschen ist das nicht das große Thema, sage ich einmal.

(Abg. Ramazan Selcuk SPD: Warum haben dann Ihre Kollegen im Gemeinderat zum Teil dafür gestimmt? – Gegenruf von den Grünen: Alle! – Gegenruf des Abg. Ramazan Selcuk SPD: Oder alle?)

Weil sich der Antrag der Stadt Reutlingen gut begründen lässt, lieber Herr Kollege, weil Sie aber vorhin als Landtags abgeordneter sehr deutlich gemacht haben, dass Ihre Vorstel lungskraft an den Grenzen Ihrer Stadt endet.

(Vereinzelt Heiterkeit – Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das entspricht übrigens auch nicht gerade der Auffassung von einem Landtagsabgeordneten.

Noch ein letztes Wort: Es gibt jetzt Perspektiven, wie man die Sache verbessern kann. Insofern hat der Prozess auch sein Gu tes. Was Frau Bosch sagt, dass Reutlingen vielleicht so oder so gewinnt, halte ich für gar nicht so falsch. Denn es ist na türlich das Gebot der Stunde, dass ein Dialog zustande kommt, dass der Landkreis auf die Stadt zugeht und dass man die Fra gen stellt: Wie kann man euren Wünschen entgegenkommen? Was kann man verbessern? Von diesem Prozess kann man sich einiges erwarten und einiges erhoffen, und das wird am Ende besser sein als die Verhältnisse, die sich ergeben würden, wenn wir diesen Antrag jetzt ablehnen würden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU sowie des Abg. Hans Peter Stauch AfD)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Herrn Minister Strobl.

Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kol legen! Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland, genauer gesagt in Preußen, die ersten Stadtkreise gebildet aus – wie es damals hieß – „ansehnlichen Städten“. Ginge es um die Ansehnlichkeit, hätte man über den Antrag der Stadt Reut lingen, zum Stadtkreis erklärt zu werden, wohl nicht lange nachdenken müssen.

Reutlingen ist eine mehr als ansehnliche Stadt, eine selbstbe wusste Großstadt, ein kraftvolles Zentrum der Raumschaft,

mit einem beachtlichen Angebot für die Bürgerinnen und Bür ger der Stadt, aber auch für das Umland, und zwar in allen kommunalen Handlungsfeldern, Verwaltung, Wirtschaft, Kul tur, Soziales und vieles mehr.