Wir brauchen eine Stärkung des Europäischen Parlaments. Da bin ich auch völlig gegen Ihre Meinung, denn Sie sagen, Sie wollen das Europäische Parlament auflösen. Aber Kollegin nen und Kollegen von Ihnen treten für das Europäische Par lament an.
Das Europäische Parlament muss durch ein Initiativrecht und vor allem durch mehr Kontrollrechte der Europäischen Kom mission gestärkt werden.
Zum Schluss komme ich zum Leitbild der Regierung, das sie dankenswerterweise erstellt hat. Allerdings geht uns das lei der nicht weit genug, da hier viele Allgemeinplätze formuliert werden, hinter denen man sich ohne Probleme versammeln kann. Aber leider fehlt hier der große Wurf, und eigentlich brauchten wir genau das; denn wir müssen den nächsten Evo lutionsschritt in der Europäischen Union gehen. Leider blieb dies aus.
Ich freue mich, dass aufgrund der Anträge, die heute einge reicht wurden, dazu eine weitere Diskussion im Europaaus schuss stattfinden wird. Wenn wir über die Zukunft Europas reden, fällt mir folgender Satz ein: „Europa ist unsere Zukunft, eine andere haben wir nicht.“
Sehr ge ehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Weißbuch der Kommission, das heute auch Bestandteil die ser Tagesordnung ist, beginnt mit dem Satz:
Manche wollen diesen Satz als Abgesang auf die heutige Eu ropäische Union interpretieren, doch das Gegenteil ist der Fall. Dieser Satz zeigt, dass die Europäische Union seit ihren An fängen auf die Zukunft ausgerichtet war. Folglich gab es auch von Anfang an eine Diskussion über ihre Weiterentwicklung. Diese Diskussion war zu jedem Zeitpunkt richtig, und sie ist es auch jetzt.
Ich will kritisch hinzufügen: Mir schien, dass mit diesem Weißbuchprozess bei der Kommission auch verstärkt die Er kenntnis angekommen ist, dass man bei der Weiterentwick lung Europas noch stärker auf die Einschätzung der Menschen achten und sie in weiter gehende Überlegungen einbeziehen muss.
Mit ihrem Weißbuch hat die Kommission im März 2017 der EU-Zukunftsdebatte eine neue Dynamik verliehen. Der Zeit punkt nach dem Brexit-Votum, nach der Finanzkrise und vor dem Hintergrund internationaler Konflikte war richtig ge wählt. Wenn Sie so wollen, war das auch der Ausfluss der Er kenntnis, dass es ganz offenkundig realistisch ist und dass es auch in der Zukunft so bleibt, dass sich Länder mit der Frage eines möglichen Austritts befassen.
Als eine entscheidende Gegenmaßnahme, um solchen Ten denzen entgegenzuwirken, ist dieses Weißbuch der Versuch und das Angebot, gemeinsam über die Zukunft Europas zu be finden und auch Korrekturbedarf anzumelden. Da soll nichts schöngeredet werden; da sollen auch Verbesserungspotenzia le ermittelt werden. Die fünf Zukunftsszenarien der Kommis sion waren von Anfang an als Denkmodelle gedacht. Sie ha ben der Debatte Struktur gegeben.
Kommissionspräsident Juncker hat mit seiner Rede zur Lage der Nation im September 2017 ein sechstes Szenario – sozu sagen seinen Favoriten – vorgelegt. Heute, nach zahllosen Ge sprächen in Brüssel, Berlin und Stuttgart, sind wir in der De batte weitergekommen, aber noch lange nicht an einem Schluss punkt angelangt.
Eines ist für mich klar – das ist von verschiedenen Rednern auch angesprochen worden –: Ein reines „Weiter so!“ wäre nicht die richtige Antwort – weder auf die Herausforderungen der Zukunft noch auf manche Fehlentwicklung der Vergan genheit.
(Beifall bei der CDU, Abgeordneten der Grünen, der SPD und der FDP/DVP sowie des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)
An die Stelle des „Weiter so!“ muss eine echte Weiterentwick lung treten. Dabei muss vor allem die Aufgabenverteilung im Mittelpunkt stehen. Das europäische Haus muss an seinem Fundament verstärkt werden, um stabil für die Zukunft zu sein, und es muss im Innern maßvoll umgestaltet werden.
Wenn vorhin gesagt wurde, es sei nicht so richtig erkennbar, für welches Szenario sich diese Landesregierung ausspreche, dann kann ich nur sagen: Es wird am Ende des Tages nicht ein einziges Szenario dieses Weißbuchs sein, für das wir uns ent scheiden. Es wird ein Mix aus unterschiedlichen Aspekten sein, wie sie auch aus unterschiedlichen Szenarien ablesbar sind.
Eines wird es nach dem Verständnis der baden-württembergi schen Landesregierung mit Sicherheit nicht sein: Es wird kein ausschließlicher Rückzug auf den Binnenmarkt. Da wäre uns für Europa zu wenig Perspektive. Europa ist mehr als ein Bin nenmarkt. Europa hat etwas mit einer Werte- und Rechtsge meinschaft zu tun. Deswegen kommt für die Landesregierung von Baden-Württemberg ein Rückzug auf Fragen des Binnen markts mit Blick auf die Zukunft Europas nicht in Betracht.
Für uns muss Europa im Innern maßvoll umgestaltet werden: mit starken Regionen und Kommunen als Basis, den Mit gliedsstaaten als Mittelbau und der EU-Ebene als festem Dach. In einer Zeit des tief greifenden Wandels der internationalen Beziehungen, der Weltwirtschaft, aber auch der Gesellschafts ordnungen brauchen wir ein Dach, das uns in Europa schützt, brauchen wir ein Dach, das für Sicherheit sorgt. Und nur Eu ropa kann uns diese Sicherheit bieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind gerade die großen Herausforderungen, die auch die Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg bewegen; das hat der Europadialog des Landes im vergangenen Jahr gezeigt. Mit dem Europadialog
haben wir auch auf den Weißbuchprozess reagiert. Wir haben ihn auf unsere Weise weiterentwickelt; wir haben uns nicht auf die fünf Szenarien beschränkt, sondern durchaus Raum gegeben, auch darüber hinaus zu diskutieren.
Dieses Europaleitbild der Landesregierung ist nicht nur das Ergebnis des breiten Dialogs, sondern es ist auch unser Bei trag zur europäischen Zukunftsdebatte. Dabei legen wir den Schwerpunkt auf die Fundamente des Hauses Europa, unsere gemeinsamen Werte und den Zusammenhalt im Innern. Zu gleich sprechen wir auch viele konkrete europäische Frage stellungen an; denn viele Ergebnisse des Europadialogs stam men aus den konkreten europäischen Alltagserfahrungen der Menschen hier im Südwesten. Das ist das große Plus unseres Leitbilds.
Es ist vorhin auch noch einmal das Szenario angesprochen worden, dass einige in diesem Europa möglicherweise schnel ler unterwegs sind als andere, dass das Europa der unter schiedlichen Geschwindigkeiten also durchaus einen Sinn er geben könnte. Nach dem Eindruck der Landesregierung – das hat sich auch in vielen Beiträgen des Europadialogs gezeigt – muss es in einzelnen Themenbereichen schon die Möglich keit geben, dass die Länder, die sich in diesen Bereichen be sonders stark fühlen, auch vorausmarschieren – ohne dass sich andere aus diesen Zuständigkeiten verabschieden. Aber wenn wir es uns völlig versagen, in Einzelbereichen auch in kleine ren Einheiten innerhalb Europas unterwegs zu sein, dann ris kieren wir Stillstand in vielen Bereichen. Deshalb halte ich dieses Prinzip der unterschiedlichen Geschwindigkeiten – maßvoll angewandt, themenorientiert aufgegriffen – für einen durchaus gangbaren Weg.
Das kann nicht das alleinige Szenario des Europas der Zu kunft sein, aber wir müssen aus der von der Bürgerschaft ge legentlich wahrgenommenen Handlungsunfähigkeit, dieser Lethargie, die gelegentlich von der Bevölkerung auch kriti siert wird, herauskommen. Da kann ein solches Zusammen wirken im Sinne eines Europas der unterschiedlichen Ge schwindigkeiten durchaus einen Sinn ergeben.
In gleicher Weise – das betone ich nochmals – wollen wir auch das Prinzip „Weniger, aber effizienter“ angewandt wissen. Es gibt Bereiche, in denen wir durchaus mehr Europa möchten: Sicherheit, Verteidigung, Außenpolitik. Ja, da brauchen wir ein stärkeres Europa. In gleicher Weise sehen wir die Chan ce, dass sich Europa aus Zuständigkeitsbereichen des Alltags, bei denen es den Regionen, den Kommunen, den National staaten leichter fällt, sich diesen Themen zu widmen, auch wiederum zurückzieht.
Meine Damen und Herren, es sind heute unterschiedliche An träge gestellt worden, sowohl von den Regierungsfraktionen als auch von der Opposition. Ich finde es klug und danke da für, dass Sie die Debatte über diese Anträge auch in die Aus schussberatung verwiesen haben, und ich hielte es für eine kluge Idee, zumindest den Versuch zu unternehmen, sich am Ende auch in einer gemeinsamen Stellungnahme wiederzu finden.
Europa ist zu wichtig, als dass wir es dem Klein-Klein einer parteipolitischen Auseinandersetzung in diesem Haus über lassen dürfen. Deshalb geht es um den Versuch, auch im Aus schuss zu einer gemeinsamen Position in dieser Frage zu kom men.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 9. Mai kommen die Staats- und Regierungschefs im rumänischen Sibiu zusam men, um den weiteren Fahrplan in der Zukunftsdebatte zu be raten. Da muss die Kommission dann auch liefern. Aus heu tiger Sicht ist bereits klar: Sibiu wird nicht der Schlusspunkt, sondern nur eine Zwischenetappe sein.
Im Juni 2019 beginnt eine neue Legislaturperiode des Euro päischen Parlaments. Im Herbst kommen eine neue Kommis sion und ein neuer Präsident des Europäischen Rates ins Amt. Alle drei Institutionen werden den weiteren Zukunftsprozess maßgeblich prägen.
Die Entscheidung über die Zusammensetzung des Parlaments und der Kommission im Zuge der Europawahl am 26. Mai ist deswegen auch eine Entscheidung über Europas Zukunft. Es liegt an uns Europäerinnen und Europäern, diese Entschei dung zu treffen und unsere Verantwortung für das vereinte Eu ropa wahrzunehmen.