Protokoll der Sitzung vom 20.03.2019

Insofern ist die Frage: Wonach soll sich die Restitution rich ten? Sicherlich nach dem Grundsatz der Intertemporabilität, nämlich dem Grundsatz, das Recht anzuwenden, das zur da maligen Zeit geherrscht hat. Danach wäre das Schutzgebiets gesetz von 1893 mit Bezug auf das Gesetz über die Konsular gerichtsbarkeit anzuwenden. Allein vor diesem Hintergrund zeigt sich die Komplexität dieser Frage – die dadurch nicht leichter wird, dass in der Folgezeit eine Vielzahl von Konven tionen und Verträgen aufgestellt wurden, die gleichwohl eine Allgemeingültigkeit vermissen lassen.

Vor diesem Hintergrund war es richtig, zu versuchen, eine all gemeingültige Regelung zu finden, wie mit dem Raubgut aus der Kolonialzeit, wie mit dem kolonialen Erbe umzugehen ist, die gleichermaßen für alle öffentlichen Besitzer von Kultur gütern fraglicher Provenienz gilt, also für Bund, Land und Kommunen.

Dieser Einsicht ist auch Kulturstaatsministerin Grütters ge folgt, indem sie die Kulturministerkonferenz für März dieses Jahres einberufen hat. 14 Tage zuvor jedoch wurden mit der Übergabe von Bibel und Peitsche bereits Fakten geschaffen. Ich darf die Ministerin aus einer Pressemitteilung vom 13. März zitieren:

Es muss unser Anliegen sein, bei der Rückgabe von Kul turgütern auch Vertreter der Herkunftsgesellschaften und – soweit Objekte einzelnen Personen zugeordnet werden können – betroffene Familien in das Verfahren einzube ziehen.

Dies, meine Damen und Herren, trifft nicht zu, zumindest nicht für die „Nama Traditional Leader Association“ und die „Witbooi Traditional Authority“, die versucht haben, zuletzt auch über den Weg des Anrufens des Verfassungsgerichtshofs, hier eine Lösung zu finden.

Sie wenden sich an den Verfassungsgerichtshof, weil sie nach ihrer Auffassung bei einer Restitution über haushaltsrechtli che Ermächtigung Schwierigkeiten sehen.

So führt auch das Ministerium auf unseren Antrag aus:

Spezielle Regelungen zur Restitution von Kulturgütern und sonstigen Objekten aus kolonialem Kontext gibt es in Baden-Württemberg nicht. Nach Kenntnis der Landesre gierung wurden solche Regelungen bisher in keinem Land verabschiedet....

Soweit es sich bei den Kulturgütern um Vermögenswerte im Sinne der Landeshaushaltsordnung handelt, sind bei deren Restitution die Vorgaben des § 63 Landeshaushalts ordnung zu beachten. Wird diesen Vorgaben Rechnung getragen, bedarf es für Restitutionen von Kulturgütern und sonstigen Objekten aus kolonialem Kontext keiner weiteren Anpassung des Landesrechts.

Meine Damen und Herren, so wird zwar dem haushaltsrecht lichen Wert eine Position gegeben, keinesfalls jedoch wird der Wichtigkeit, der Wertigkeit, geschweige denn der politischen und kulturellen Wertigkeit angemessen Rechnung getragen. Das wesentliche Problem ist die Frage des Rechtsschutzes,

der auch vonseiten der zwei genannten Stämme angestrebt wird.

Die Frau Ministerin antwortet auf unsere Frage bezüglich des Rechtsschutzes:

Soweit ein Staat, ein Verband oder eine Privatperson sich durch eine Rückgabe von Kulturgut in seinen Rechten ver letzt sieht, stehen ihm die nach der deutschen Rechtsord nung jeweils vorgesehenen Mittel des Rechtsschutzes of fen.

Meine Damen und Herren, der Verfassungsgerichtshof hat ei ne materiell-rechtliche Prüfung gar nicht vorgenommen, son dern hat den Antrag aus formalen Gründen abgewiesen, weil nicht erkenntlich sei, dass sich für den Antragsteller eine Rechtsverletzung ergebe. Dies werde nicht explizit deutlich gemacht.

Insoweit ist es blanker Hohn, Frau Ministerin, wenn Sie in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage Drucksache 16/5739 da rauf hinweisen, dass es der Familie Witbooi aufgrund der Re gelungen der Beweislast, einer Vielzahl komplexer Rechtsfra gen und einer nicht lückenlos geklärten Provenienz wohl kaum gelingen würde, eine mögliche Eigentümerstellung nach zuweisen.

Genau hier liegt doch die Problematik: dass die Provenienz forschung hochkomplex und hoch problematisch ist. Die Ent scheidung ist natürlich insoweit äußerst problematisch, als hier die Verantwortung verlagert wird.

So schreibt das Verfassungsgericht – bzw. nimmt die Frau Mi nisterin insoweit Stellung –, dass der nun vorliegende Be schluss zeige, dass auch aus Sicht des Verfassungsgerichts vie les dafür spreche, dass der Rechtsstreit Konflikte betreffe, die innerhalb Namibias geklärt werden müssten. Wo liegt denn unsere Verantwortung, wenn wir die Verantwortlichkeit wie der an den Zentralstaat nach Namibia zurückverlegen, statt von hier aus die Provenienz umfassend zu klären und eine ord nungsgemäße Rückgabe zu garantieren?

Das Problem wird deutlich, wenn Sie beispielsweise die „Sou thern Times“ vom 25. Februar dieses Jahres lesen. Ähnlich steht es im „The Namibian“ einen Tag später – ich darf dar aus zitieren –:

Die bevorstehende Rückgabe des Familienerbstücks... hat die Nachkommen des legendären Nama-Führers Kaptein Witbooi gespalten, wobei die Spannungen den Siedepunkt erreicht haben.

Es kann nicht der Intention von Restitution entsprechen, dass wir neue Streitigkeiten in dem jeweiligen Land hervorrufen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP, der CDU und der AfD)

Die Geschichte der Familie Witbooi, des Nama-Stammes, ist nämlich durchaus vielfältig, ist heterogen. Die Familie, der Stamm hatte zunächst mit der Kolonialmacht Deutschland zu sammengearbeitet, zusammen gekämpft. Erst nach dem Sieg über die Herero hat sich ein Misstrauen gegenüber der Kolo nialmacht aufgetan, was letztendlich zur Kündigung des Schutz- und Beistandspakts geführt hat. Insofern kann man es dem Stamm der Nama und der Familie Witbooi nicht verübeln,

dass ein gewisses Misstrauen und eine entsprechende Distanz gegenüber dem Zentralstaat bleiben.

Meine Damen und Herren, es bleibt fraglich, ob es tatsächlich gelingt, dem Ansinnen Rechnung zu tragen, dass eines Tages die Familienerbstücke in ein Museum in Gibeon überführt werden können. Die finanziellen Hürden sind hoch, und die Herausforderungen sind natürlich riesig. Entsprechend hoffen wir, dass die Partner der Namibia-Initiative auch in dieser Hin sicht Bereitschaft zeigen werden, an der Aufarbeitung mitzu wirken und tatsächlich dazu beizutragen, dass die Familien erbstücke dorthin kommen, wo sie hingehören. Denn das ist in der Tat auch eine Aufgabe, die aus unserem kolonialen Er be resultiert.

Insofern ist die Diskussion gut. Sie ist richtig, und sie ist wich tig. Denn wir können tatsächlich nur so unserer historischen Verantwortung gerecht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Andreas Ken ner SPD)

Für die Landesregierung er teile ich das Wort Frau Ministerin Bauer.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Was haben Sie eigentlich in der Schule über die deutsche Kolonialzeit gehört?

(Zuruf von der AfD: Viel!)

Was wussten Sie noch bis vor Kurzem über Hendrik Witbooi?

(Zurufe, u. a. Abg. Gabi Rolland SPD: Nichts!)

Haben Sie eine Vorstellung davon,

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

wie viele Objekte in unseren Sammlungen, in unseren Museen und Archiven aus einem kolonialen Kontext ihren Weg nach Baden-Württemberg gefunden haben? Sie brauchen auf die se Fragen heute keine Antworten zu geben; dies sind aber Fra gen, die uns umtreiben sollten.

Deswegen kann und muss man konstatieren: Die deutsche Ko lonialgeschichte zeigt sich bis heute als eine Lücke in unse rem Gedächtnis und ist ein blinder Fleck in der Erinnerungs kultur. – Diese beiden Formulierungen habe ich übrigens zwei Statements entnommen: einmal von der Bundeskulturbeauf tragten, Frau Kulturstaatsministerin Grütters, und zum ande ren von der Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering.

Wir haben in unserer Demokratie also weitgehend Einigkeit darüber, dass die Aufarbeitung dieses unrühmlichen Teils un serer Geschichte nötig ist. Sie ist überfällig. Wir haben uns in meinem Ministerium dazu entschlossen, dieses Kapitel in Ba den-Württemberg aktiv anzugehen, und ich freue mich in der Tat, dass sich inzwischen die Kulturministerkonferenz der Länder in ihrer erstmaligen Sitzung vorletzte Woche genau dazu positioniert hat.

(Beifall bei den Grünen)

Bei dieser Gelegenheit – es ist für Abgeordnete wichtig, das politische System der Bundesrepublik zu kennen –: Wenn sich Minister der Länder in einer Konferenz zusammentun, dann geschieht das in den Bereichen, in denen sie eine eigene Kom petenz haben. Kultusminister beispielsweise haben diese Kom petenz für den Schulbereich, Wissenschaftsminister für den Wissenschaftsbereich. Die Kulturministerkonferenz, die sich nun gebildet hat, betont eben dadurch, dass sie sich konstitu iert hat, dass dies eine Länderkompetenz ist, die wir als Mi nister hier miteinander wahrnehmen und über die wir uns aus tauschen. Wir können dort miteinander Dinge verabreden, können hierfür eine größere Sichtbarkeit herstellen, um da durch dann umso prägnanter auch im Gespräch mit dem Bund agieren zu können. Das ist es, worum es bei dieser Kulturmi nisterkonferenz geht; das ist unser Interesse.

Deswegen ist es ein Statement der Länder. In der Tat haben wir in Bezug auf dieses Länderstatement den zweiten Schritt gleich mitgetan und haben das Gespräch mit dem Bund, mit Frau Grütters und Frau Müntefering, gesucht, um auf Basis einer ersten Diskussionsgrundlage, die wir hergestellt haben, das Arbeitsprogramm in Sachen Aufarbeitung des Kolonialis mus und Umgang mit diesem Thema zu beschließen.

(Beifall bei den Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Uns allen ist klar: Diese Diskussionsgrundlage, die wir in un serer ersten Sitzung geschaffen haben, ist ein Arbeitsauftrag. Wir werden Jahre damit zu tun haben, die komplizierte Ma terie zu durchdringen und insbesondere die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das systematisch aufgearbeitet werden kann, worüber wir bislang viel zu wenig wissen.

Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Aufarbeitung dieses Themas aufwühlt, dass sie zu Debatten und zu Emotionen führt. Das lässt sich wahrscheinlich nicht vermeiden und ist auch gar nicht schlimm. Die Frage ist aber dennoch, mit wel cher Ernsthaftigkeit und mit welchem Interesse eines tieferen Verständnisses wir sie führen.

Die zweite Frage ist: Reden wir nur, oder handeln wir auch? Was tun wir mit den Erkenntnissen, und wie setzen wir sie in konsequentes Handeln um? Ich möchte gern, dass wir uns in dieser Debatte nicht in verbalradikalen Kurven immer höher schrauben, sondern uns daran messen und messen lassen, was wir am Ende in die Tat umsetzen. In Baden-Württemberg ha ben wir einen pragmatischen Ansatz gewählt: zu analysieren, gründlich und mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu recher chieren und dann auch entschlossen zu handeln. Wir wollen das Thema eben nicht nur theoretisch durchdenken, sondern anpacken.

Ich bin froh, dass unsere Museen, unsere Archive, unsere Uni versitäten und Kultureinrichtungen mit dabei sind und uns auf diesem Weg helfen, allen voran das Linden-Museum unter der Leitung von Inés de Castro, das bundesweit Standards setzt beim Umgang mit dem Thema „Koloniales Erbe“. Durch die systematische Aufarbeitung der eigenen Bestände, durch die systematische Veröffentlichung der Ergebnisse der Proveni enzarbeit mithilfe wissenschaftlicher Expertise – zunächst von der Uni Tübingen, aber inzwischen auch mit eigenem und auch vom Wissenschaftsministerium finanziertem Personal, das sich tief in die Materie begeben hat – kann die Aufarbei

tung der Provenienz der Sammlungen erfolgen. Nicht zuletzt geht es um eine klare Haltung in Sachen Transparenz, Resti tution und Dialogbereitschaft und einer daraus resultierenden neuen Konzeption der Präsentation.

Die Afrika-Dauerausstellung, die vor wenigen Tagen eröffnet wurde, zeigt, dass man mit einem solchen Blick selbstkritisch die eigene Kolonialzeit mitbedenken und reflektieren kann und eine neue Form der Partizipation, der Integration der Her kunftsgesellschaften in die Ausstellungskonzeption integrie ren kann. Eine solche Arbeit setzt weit über das Land hinaus Standards. Ich glaube, es ist auch ein Impuls, der nach Euro pa hinauswirkt.

Ich wünsche mir sehr, dass Sie alle miteinander sich das an schauen. Gehen Sie in das Linden-Museum, führen Sie sich das zu Gemüte, schauen Sie sich an, was dort an wirklicher Pionierarbeit geleistet wird.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Danken möchte ich auch den Universitäten Tübingen und Freiburg, der Pädagogischen Hochschule Freiburg, dem Deut schen Literaturarchiv Marbach, dem Landesarchiv, der Aka demie Schloss Solitude. All das sind Partner unserer Nami bia-Initiative, die tatkräftig mit anpacken, wenn es darum geht, unsere Kolonialgeschichte aufzubereiten, zu durchdrin gen – in ganz verschiedenen Aspekten. Dies machen sie je weils in Kooperation mit Partnern aus Namibia, um mit einer neuen Form der Partnerschaft, auf Augenhöhe miteinander, durch die Integration der unterschiedlichen Perspektiven zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Das sind Standards, die im Umgang mit unserem schwierigen kolonialen Erbe und bei dessen Aufarbeitung gesetzt werden.

Jetzt zum Thema „Rückgabe der Witbooi-Bibel und der Peit sche“. Hier stellt sich die Frage, was daran eigentlich so wich tig ist und was wir aus der Rückgabe gelernt haben. Es gab im Vorfeld einige hämische Bemerkungen über die „Ministe rin mit der Peitsche“ – ha, ha –, es wurde die Frage gestellt, was der Aufwand soll und ob man nicht das ganze Zeug in ei ne Kiste packen und mit dem Schiff rüberschicken könnte.